Verändert haben sich die Rahmenbedingungen, unter denen die Wirtschaft Arbeits- und Ausbildungsplätze anbietet. Die konjunkturelle Flaute schlägt selbstverständlich auch auf das Angebot an Ausbildungsplätzen durch und die Politik des Bundes ist insgesamt zu sehr mittelstandsfeindlich. Deshalb dürfen wir uns nicht wundern, dass in diesem Bereich weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass immer mehr Arbeitgeber über Mängel bei den Schulabgängern in den Kernfächern, aber auch in den Sozialkompetenzen klagen. Die Arbeitgeber müssen zum Teil nicht nur die beruflichen Fertigkeiten, sondern auch immer größere Anteile der Allgemeinbildung vermitteln. Ein Großteil der Lehrlinge scheitert übrigens nicht im praktischen, sondern im theoretischen Ausbildungsteil.
In der Frage der schulischen Qualifikation liegt seit Jahren ein Grundproblem bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen. Ein Teil der Schulabgänger ist nach Darstellung aus der Unternehmerschaft einfach nicht ausbildungsfähig. Auch das ist ein Alarmsignal für die Politik.
Ich möchte auf eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer aus dem letzten Sommer verweisen. Darin wurden die Betriebe gefragt, wo sie die größten Mängel sehen. Punkt eins, der immer wieder genannt wurde: Die allgemein bildenden Schulen müssen noch besser auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereiten. Weiter heißt es: Die Betriebe beklagen die
mangelnde Ausbildungseignung der Schulabgänger. Das Positive ist: Der Realschulabschluss wird von den Unternehmern am meisten geschätzt; Bewerber mit Abitur haben gute Chancen. Das bedeutet, die Problemgruppe sind die Hauptschulabgänger.
In vielen Berufen sind die Anforderungen an die Bewerberinnen und Bewerber gestiegen. Die wirtschaftlichen Vorkenntnisse der Bewerber werden überwiegend nur mit befriedigend oder ausreichend eingeschätzt.
Dann gibt es ein differenziertes Bild bei den sozialen Kompetenzen. Die Bereitschaft, neues Wissen zu erlernen, und die Teamfähigkeit der Schulabgänger werden positiv hervorgehoben. Der negative Punkt: Die Selbstständigkeit, die Leistungsbereitschaft und die Konfliktfähigkeit weisen deutliche Defizite auf. Das sind auch Nachteile für diejenigen, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
Der Appell des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Nord, Rolf Seutemann, verstärkt auszubilden, da die Fachkräfte von morgen die Existenz bestehender Betriebe sichern, ist richtig; aber das wissen die Betriebe und das wussten sie auch vor der Presseerklärung des Präsidenten. Sie stellen aus diesem Grunde immer wieder Ausbildungsplätze zur Verfügung, das Handwerk und der Mittelstand im Übrigen oft über den eigenen Bedarf hinaus mit doppelter und dreifacher Kraftanstrengung.
Das Problem würde sich noch mehr verschärfen, wenn nicht ein immer größerer Teil der Schulabgänger auf weiterführende Schulen ausweichen würde. Auch das sollten wir diskutieren. Im abgelaufenen Ausbildungsjahr suchten 18.100 Schulabgänger eine Lehrstelle, 1.300 Jugendliche weniger als noch ein Jahr zuvor. Trotzdem wird es jetzt insgesamt eng.
Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen in Schleswig-Holstein um über 15 % zurückgegangen. Das ist die Zahl, über die wir jetzt debattieren. Das Problem wird sein, dass diese Zahl wahrscheinlich noch weiter anwachsen wird.
Noch ernster - auch darauf will ich eingehen - ist die Lage der jungen Menschen, die nach der Lehrzeit auf eine weitere Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt hoffen. Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen in Schleswig-Holstein ist deutlich angestiegen. 15.100 junge Menschen unter 25 sind in Schleswig-Holstein arbeitslos; das ist ein Anstieg von 1.300 Personen oder 9,5 %. Sie erleben bereits mit Beginn ihrer Berufstätigkeit Arbeitslosigkeit, zwar nur in einer Grö
ßenordnung von im Schnitt drei bis vier Monaten, aber sie nehmen dadurch zur Kenntnis, dass wir zurzeit nicht in der Lage sind, nach einer erfolgreichen Berufsausbildung eine weitere Beschäftigung am Arbeitsmarkt für sie bereitzuhalten.
Seit 1998 gab es in Schleswig-Holstein nicht so viele junge Menschen ohne Arbeit. Bei den 20- bis 24Jährigen - auch diese Zahl sollte man nennen - ist die Arbeitslosigkeit sogar um 14,3 % gestiegen und damit 5,5 % höher als die Gesamtarbeitslosenquote in Schleswig-Holstein. Das heißt, wir steuern hier auf ein neues soziales Problem zu.
Daher bin ich der FDP dankbar, dass wir diesen Antrag heute debattieren können, dass wir den Bericht bekommen haben. Mein Vorschlag ist, dass wir dieses Thema gemeinsam weiterbearbeiten, übrigens nicht nur im Wirtschaftsausschuss, sondern auch im Bereich des Sozialausschusses und des Bildungsausschusses, und am Ende zu gemeinsamen Positionierungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages kommen. Ich glaube, es macht überhaupt keinen Sinn, dass wir beispielsweise im Bereich der Ausbildungspolitik ständig zwischen Sozialpolitikern und Arbeitsmarktpolitikern unterscheiden. Wir brauchen eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik, die gebündelt werden muss.
Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Krise der Berufsausbildung ist größer, als uns bewusst ist. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass in Schleswig-Holstein viele kleine Betriebe ungeheuer engagiert sind und sich Mühe gegeben haben und dass auch die Handwerkskammern sich in den letzten Jahren eingesetzt haben, um Ausbildungsplätze zu schaffen; sonst wäre es schon lange wesentlich schlimmer. Es liegt natürlich auch an der Struktur von Schleswig-Holstein, dass wir relativ viele kleine mittelständische Unternehmen haben, in denen noch ausgebildet wird. Aber warum wird in diesem Bereich ausgebildet? Weil man die Auszubildenden in der Arbeit einsetzen kann. Dahingegen steigt die Industrie, die in der Vergangenheit qualifizierte Ausbildungszentren geschaffen hat, die im Grunde in vielen
Bereichen, zum Beispiel im Metallbereich, kleine Ingenieure ausgebildet hat, aus, weil es zu teuer geworden ist.
Ich glaube, dass die Krise der Berufsausbildung erstens darin besteht, dass die Industrie aussteigt, weil sie ihr zu teuer geworden ist und sie sie sich im Rahmen der Globalisierung nicht mehr leisten kann. Der zweite Grund ist, dass in großem Umfang falsch ausgebildet wird; denn immerhin 50 % aller Ausgebildeten arbeiten hinterher in einem anderen Beruf als dem, den sie gelernt haben.
Drittens. Wir produzieren zunehmend Kreisläufe an den Berufsschulen. Bereits die Hälfte aller Berufsschullehrer in den Fachgymnasien, so wurde mir neulich gesagt, arbeitet im Vollzeitberufsschulunterricht.
Der vierte Punkt - damit komme ich auf das, was Sie sagen -: Der Anteil der staatlichen Ausbildung wird immer größer gegenüber der beruflichen Ausbildung in den Betrieben; das heißt, es gibt eine ständige schleichende Verschiebung in diesem Bereich. Wenn man sich die Zahlen der Ausbildungsgänge, die staatlich finanziert werden, und der Ausbildungsgänge, die noch im dualen System sind, anschaut, kann man diese ständige Verschiebung feststellen. Nur deswegen haben wir überhaupt noch genügend duale Ausbildungsplätze.
Die Frage ist: Was folgt für uns daraus? Viele andere Staaten haben uns immer um unser duales Ausbildungssystem beneidet. Ich habe das Gefühl, das wird bald nicht mehr der Fall sein. Fast alle Industriestaaten haben mittlerweile ein staatliches Berufsausbildungssystem aufgebaut. In den USA gibt es die Ausbildung am College zum Beispiel von Krankenschwestern und KFZ-Mechanikern. Was bei uns Ausbildungsberufe sind, sind dort dreijährige Kurzstudiengänge.
Wenn in der Zeitung steht, dass in Japan 80 % aller Jugendlichen ein Studium absolvieren, dann kann man das natürlich nicht mit unserem Studium vergleichen, aber es sind staatliche Berufsausbildungsgänge, die von Staat und Großindustrie gemeinsam finanziert werden. Diese Entwicklungen laufen dort. Um qualifizierte Berufsausbildungssysteme zur Verfügung zu stellen, ist das in diesen Ländern notwendig geworden. Sie haben nämlich kein duales System.
Die Frage ist, ob unser bisheriges duales System in dieser Form überleben kann, wie es umgebaut werden kann und wie wir gerade auch in Kooperation mit der Industrie auch in Zukunft qualifizierte Ausbildungsgänge sicherstellen können. Ich glaube, dass sich die Debatte über die Krise und die Reform des betrieblichen Ausbildungssystems erst ganz am Anfang befindet; wir beginnen gerade damit. Ich denke, mit diesem Thema werden wir uns in den nächsten Jahren beschäftigen müssen.
Zuletzt möchte ich noch sagen: In Schleswig-Holstein ist eine Reihe von spannenden Initiativen angepackt worden. Ich kenne Hauptschulen, die direkt mit der Wirtschaft zusammenarbeiten wollen. Zu nennen ist auch das Bündnis für Ausbildung, das durch ein sehr großes Engagement vor Ort immer wieder für Ausbildungsplätze gesorgt hat. Ich möchte auch die Initiativen nennen, durch die Migrantenkinder eine Berufsausbildung erhalten sollen, und durch die Migrantenbetriebe - insbesondere türkische Betriebe - dazu veranlasst werden sollen, eine Berufsausbildung anzubieten. Diese waren recht erfolgreich. Auch das sind Bereiche, in denen Schleswig-Holstein wichtige Initiativen ergriffen hat.
Wir haben auch ein besonderes Betreuungssystem für die Jugendlichen eingerichtet, die von der Sonderschule oder aus dem Berufsbildungsjahr kommen und in die Ausbildung gehen, weil bei ihnen die Gefahr besonderes groß ist, dass sie ihre Ausbildung abbrechen. Es ist wichtig, dass eine Betreuung gewährleistet wird, sodass die Jugendlichen angesprochen werden und ihnen über die Klippen hinweggeholfen wird. Diese sind nämlich prädestiniert dafür abzubrechen.
In diesen Bereichen wird viel getan. Ich glaube aber, dass wir um die grundsätzliche Diskussion darüber, wie es mit dem dualen Ausbildungssystem weitergehen soll, nicht herumkommen. Ich denke, dass wir uns in den nächsten Jahren noch intensiv damit beschäftigen werden.
Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Sprecherin, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unterstützen die Berufsbildungspolitik der Landesre
gierung, die darauf setzt, im Konsens mit der Wirtschaft, den Kammern, den Verbänden, den Gewerkschaften und der Arbeitsverwaltung - im so genannten Bündnis für Ausbildung - allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen einen Arbeitsplatz anzubieten.
Aus unserer Sicht ist das Bündnis für Ausbildung erfolgreich. Fast in jedem Jahr ist es gelungen, genügend Ausbildungsplätze für junge Menschen zu finden. Wir wissen auch, dass Weiterbildung und lebenslanges Lernen die Schlüssel für die Arbeitswelt von morgen sind. Am Anfang dieses lebenslangen Lernens steht nach dem Schulabgang oft eine berufliche Ausbildung. Ich glaube, dass wir in SchleswigHolstein mit der Leistung in diesem Bereich auf einem guten Weg sind.
Mit dem Konzept der Regionalen Berufsbildungszentren bekommen die einzelnen Regionen in Zukunft einen Hebel in die Hand, mit dem sie in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft die grundlegende Berufsausbildung mit der Weiterbildung verzahnen können. Angebot und Nachfrage werden so vor Ort besser in Übereinstimmung gebracht. Natürlich muss dieses Konzept im Detail noch auf die vorhandenen regional unterschiedlichen Strukturen angepasst werden. Ich denke beispielsweise daran, dass die Flächenkreise andere Probleme und Herausforderungen in der Berufsausbildung haben als die kreisfreien Städte. Im Prinzip steht der SSW zum Konzept der regionalen Berufsbildungszentren.
Leider ist - das wissen wir auch - auf dem Arbeitsmarkt aber nicht alles Gold, was glänzt. Auch wenn es Schleswig-Holstein in diesem Jahr wieder geschafft hat, fast alle Ausbildungssuchenden zu vermitteln, so müssen wir konstatieren, dass sowohl die Gesamtnachfrage nach Ausbildungsstellen als auch die gemeldeten Ausbildungsstellen im vierten Jahr in Folge zurückgingen. Nach Angabe der Bundesanstalt für Arbeit - Landesarbeitsamt Nord - in der Oktoberausgabe der Presseinformation ging die Zahl der den Arbeitsämtern gemeldeten betrieblichen Lehrstellen um fast 1.100 auf 17.600 zurück.
Das Arbeitsamt erklärt, dass die rückläufigen Bewerberzahlen trotz leicht gestiegener Schulabgängerzahlen unter anderem damit zu erklären sind, dass es eine zunehmende Neigung gibt, weiterführende Schulen zu besuchen. Wenn dies so zutrifft, dann ist es natürlich nicht unbedingt negativ zu sehen. Allerdings gibt es im steigenden Maße das Problem, dass es viele offene Ausbildungsstellen gibt, die nicht besetzt wer
den. Insbesondere das Handwerk klagt darüber, dass man nicht genügend geeignete Auszubildende beziehungsweise Berufsanfängerinnen und -anfänger bekommt.
Die Klage über die schlechten schulischen Kenntnisse der Auszubildenden im Handwerksbereich kennen wir seit Jahren. Gerade auch bei der Diskussion über die Stärkung der Hauptschule haben diese Klagen eine wichtige Rolle gespielt. Auch wenn der SSW der Auffassung ist, dass die Hauptschulen ganz abgeschafft werden sollten, sind wir der Meinung, dass die vom Bildungsministerium eingeleiteten Maßnahmen zur Stärkung der Hauptschule und damit zur Verbesserung der Qualität der Hauptschülerinnen und -schüler Schritte in die richtige Richtung sind.
Natürlich ist es dabei von besonderer Bedeutung, dass es zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Schulen und den Ausbildungsbetrieben kommt. Die Schülerinnen und Schüler sollten schon im Unterricht gezielt mit den Gegebenheiten des Erwerbslebens konfrontiert werden. Aber auch hier fangen wir nicht bei Null an. Es gibt vor Ort bereits viele erfolgreiche Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft. Es ist sicherlich richtig, dass man diese Modelle flächendeckend ausbauen sollte.
Trotz einiger Probleme sind wir in SchleswigHolstein mit unserem Bündnis für Ausbildung auf dem richtigen Weg. Dennoch bleibt abzuwarten, wie sich die aktuelle Wirtschaftskrise - insbesondere auch im Baubereich - im nächsten Jahr auf das Angebot an Ausbildungsstellen auswirken wird. Auf diese Problemstellung sollte sich das Bündnis in naher Zukunft konzentrieren, damit auch in 2003 alle jungen Menschen, die es wollen, eine Ausbildungsstelle erhalten.
Ich denke, es wird sinnvoll sein, dass sich die Ausschüsse, die sich mit diesem Thema zu befassen haben, auf diese Frage konzentrieren.