Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

(Beifall bei der CDU)

Herr Wirtschaftsminister Rohwer, ich appelliere an Sie. Wenn Frau Simonis hier wäre, würde ich auch an sie appellieren: Seien Sie sich der Verantwortung für den Landesteil Schleswig bewusst. Wovon soll dieser Landesteil im Zeitalter der LKW-Maut denn leben, wenn nicht vom Tourismus? Tourismus besteht nicht nur aus sauberen Übernachtungszimmern und freundlichen Bedienungen in der Gastronomie. Dazu gehören auch Infrastruktureinrichtungen für die Gäste, wenn wir mal nicht unser sprichwörtlich gutes Wetter haben, wie zum Beispiel das Erlebnisbad in Glücksburg und die Phänomenta in Flensburg.

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich bitte Sie, all das zu berücksichtigen. Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen im Wirtschafts- und im Bildungsausschuss.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Science Center sind derzeit der letzte Schrei unter den so genannten Mitmachmuseen. Der Besuch eines Science Centers soll auf spannende und unterhaltsame Weise über naturwissenschaftliche Phänomene informieren. Wissenschaft soll in diesen Einrichtungen be- und ergreifbar gemacht werden.

Wie wichtig es ist, insbesondere auch junge Menschen für die Naturwissenschaften zu begeistern, haben Bildungspolitik, Forschung und Wirtschaft in den letzten Jahren in unserem Land immer deutlicher erkannt. In den Schulen ist die Nachfrage nach Fächern wie Physik und Chemie zum Teil erschreckend gering. Sie ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren rückläufig gewesen. An den schleswig-holsteinischen Gymnasien haben - laut Antwort der Regierung auf eine von mir eingebrachte Kleine Anfrage - im vorletzten Schuljahr 6,4 % der Schüler Leistungskurse im Fach Physik belegt. Im Fach Chemie waren es sogar nur 3,4 %. An den gymnasialen Oberstufen der Gesamtschulen waren es lediglich 2,8 % beziehungsweise 2,5 %. Das zeigt, wie diese naturwissenschaftlichen Fächer - jedenfalls im Bereich der Leistungsspitze - zunehmend eine Randerscheinung in den Schulen zu werden drohen.

Bundesweit ist die Zahl der Vordiplome im Physikstudium von rund 4.000 im Jahr 1990 auf nur noch 1.500 im Jahr 2000 gesunken. Ein Land, dem die Naturwissenschaftler ausgehen, wird seine internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht halten können. Schon Werner von Siemens sagte 1883 - ich zitiere -:

Die Industrie eines Landes wird niemals eine leitende Stellung erwerben und sich erhalten können, wenn das Land nicht gleichzeitig an der Spitze des naturwissenschaftlichen Fortschritts steht. Dies herbeizuführen ist das wirksamste Mittel der Industrie.

Meine Damen und Herren, mit Einrichtungen vom Typ Science-Center wird nicht nur ein allgemeines Informationsangebot für die breite Bevölkerung geschaffen. Darüber hinaus geht es vor allem auch darum, Kinder und Jugendliche für Fachgebiete zu interessieren, deren Weiterentwicklung und Nachwuchspflege im Interesse von Staat und Gesellschaft liegen.

Grundsätzlich spricht deshalb auch alles dafür, dass das Wirtschaftsministerium die Möglichkeiten für solche Einrichtungen, gegebenenfalls auch für weitere Einrichtungen in Schleswig-Holstein auslotet und dazu eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hat. Neben dem genannten bildungspolitischen Ziel sollte durch ein Science-Center auch die Außendar

(Dr. Ekkehard Klug)

stellung Schleswig-Holsteins unterstützt werden. Touristische Attraktivität und wirtschaftliche Tragfähigkeit einer solchen Einrichtung sind natürlich weitere wichtige Ziele. Das sind gewiss hohe Ansprüche.

Die Sache wird zudem durch die Konkurrenz zwischen dem Projekt Science-Center und der bereits in Flensburg existierenden Phänomenta verkompliziert. Das ist ja auch der Ausgangspunkt des SSW-Antrags, wie wir jetzt gehört haben.

Es wäre tatsächlich ein weiteres landespolitisches Eigentor, würde man in Schleswig-Holstein mit öffentlichen Fördermitteln ein Science-Center errichten, das der bereits erfolgreich arbeitenden Flensburger Phänomenta das Wasser abgräbt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu darf es nicht kommen.

Der Antrag des SSW impliziert allerdings, dass jede mögliche Initiative an einem anderen Ort unter allen Umständen die Flensburger Einrichtung in Gefahr bringt. Für eine solche Konklusion - um mit Anke Spoorendonk zu sprechen - ist es nach unserer Auffassung derzeit jedoch noch zu früh.

Die FDP-Fraktion legt aber großen Wert darauf, dass sich die Landesregierung an die Zusage hält, die Wirtschaftsminister Bernd Rohwer nach einem Bericht des Flensburger „Avis“ vom 16. Dezember letzten Jahres in der Fördestadt gegeben hat - ich zitiere aus der Zeitung -:

Die Landesregierung hat nicht die Absicht, der Phänomenta in Flensburg zu schaden. Ein neues Science-Center wird entweder durch die Erweiterung durch die Phänomenta in Flensburg entstehen

- hört! hört! -

oder andernorts so gebaut, dass es Flensburg nicht tangiert.

Wir erwarten also - das will ich für die FDP-Fraktion ausdrücklich unterstreichen -, dass die Landesregierung aus den schlechten Erfahrungen mit dem Thema Multimedia lernt. Es kann nicht sein, dass das Land mehrere Standorte in die gleiche Richtung marschieren lässt und am Ende vor der Situation steht, dass man mit öffentlichen Fördergeldern diverse, nebeneinander vor sich hinkümmernde Konkurrenzangebote hochgepäppelt hat.

Vor diesem Hintergrund ist von der Landesregierung auch zu erwarten, dass sie eine überzeugende Stellungnahme zu dem Ende Februar in Flensburg vorge

stellten Gutachten des Hannoveraner PestelInstituts abgibt. Auch das ist in der Debatte schon erwähnt worden. Nach diesem Gutachten könnte ein Science-Center in Lübeck oder Kiel der Phänomenta bis zu 58.000 der zurzeit 75.000 Besucher abjagen.

Angesichts etlicher in Flensburg bereits aus öffentlichen Kassen investierter Mittel wäre das in der Tat ein stichhaltiges Argument dafür, an anderer Stelle keine öffentlichen Gelder für eine solche Konkurrenz einzusetzen.

Nach Lage der Dinge erscheint der Einsatz öffentlicher Fördermittel an anderer Stelle überhaupt nur dann sinnvoll, wenn dort ein neues eigenständiges Konzept verfolgt wird, das sich zur Phänomenta nicht additiv, sondern komplementär verhält. Mit anderen Worten: Es dürfte sich von der Anlage her mit bestehenden Einrichtungen wie der Phänomenta in Flensburg oder dem Multimar-Wattforum in Tönning - auch eine hervorragende Einrichtung - nicht überschneiden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Ob dies möglich ist, mögen weitere Prüfungen ergeben. Erst dann lässt sich aus unserer Sicht eine abschließende Bewertung abgeben. Nach Auffassung der FDP-Fraktion sollte das Thema deshalb im Bildungs- und im Wirtschaftsausschuss des Landtags weiter aufmerksam erörtert werden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Entwicklungsgeschichte unserer Hochschulen mit den gerade erst erschienenen, zum Teil schmerzlichen Strukturvorschlägen durch die Erichsen-Kommission lässt sich zeitnah und eindrucksvoll ablesen, was passiert, wenn im edlen Wettstreit der Standorte und Ideen bei gleichzeitig chronisch knappen Geldmitteln zu viel Wünschenswertes errichtet wird, ohne gleichzeitig eine solide finanzielle Perspektive zu schaffen.

Als vor gut einem Jahr die Idee eines schleswigholsteinischen Science-Center durch die Medien rauschte, war eigentlich schon klar, dass verantwortliche Politiker sehr sorgfältig würden abwägen müssen, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollten,

(Irene Fröhlich)

leichtfertig mit Erwartungen und auch mit Geld umzugehen.

Insofern begrüße ich den Antrag des SSW, wenn ich auch die Rede von einem regionalen Kraftzentrum ein wenig euphemistisch empfinde, den ich aber einem gewissen Lokalpatriotismus, der sich im nördlichen Landesteil leicht einstellt, zugute halte.

Die von Minister Rohwer in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass zwar der wirtschaftliche Erfolg in Lübeck und Kiel deutlich wahrscheinlicher ist, Flensburg aber unbestreitbar im Vorteil ist, weil sich hier bereits ein erfolgreiches Modell einen Namen gemacht hat, also entsprechendes Wissen und Erfahrung zur Durchführung eines solchen Vorhabens vorhanden sind.

Obwohl mein Herz natürlich für die Westküste schlägt und ich sehr gern sähe, wenn auch in Tönning noch weitere Möglichkeiten realisiert werden könnten,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

muss ich doch zugeben, dass ich die Flensburger Phänomenta eher unter dem Aspekt von Authentizität und Wissenschaftsnähe auch am Hochschulstandort Flensburg vorziehe.

Ich sage jetzt nichts weiter zum Multimar Wattforum in Tönning, obwohl ich das eigentlich gern getan hätte. Vielmehr lautet mein nächster Satz: Alternativ statt additiv. Das ist seit Jahren das Motto, mit dem wir überall strengste Maßstäbe anlegen. Immer wenn ein Projekt zusätzliche Mittel verlangt, müssen wir gleichzeitig an anderer Stelle schmerzhafte Abstriche machen. Das bitte ich auf jeden Fall zu bedenken.

Am Hochschulstandort Flensburg mit seinem Grenzverkehr und seiner sozialen und historischen Nähe zu Dänemark konnte sich aber offenbar ein Phänomen wie die Phänomenta entwickeln. Wer einmal dort war, wird das Erlebnis geheimnisvoller Licht- und Geräuscheffekte, faszinierender und spielerischer Gleichgewichts- und Bewegungsexperimente nicht so leicht vergessen. Sehr gut kann ich mich jedenfalls auch noch an die wochenlange Aktion eines völlig verdunkelten Cafés erinnern, in dem blinde Menschen den eigentlich Sehenden Service und Betreuung anbieten konnten. Auch das stand, glaube ich, unter dem Signum der Phänomenta.

Flensburg ist anscheinend allerdings als Touristenattraktion noch nicht so attraktiv wie zum Beispiel Lübeck oder die Westküste. Gerade hier scheint auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eher noch in den Kinderschuhen zu stecken. Aber wir haben gar keine andere Wahl, als diesen Faktor zu

verstärken und auszubauen, um die regionalen Entwicklungspotenziale zu nutzen.

Insofern wird man auch den dritten Punkt des SSWAntrags noch einmal überprüfen müssen. Mindestens die vom Wirtschaftsministerium beauftragten Gutachter Petri und Tiemann haben von dieser grenzüberschreitenden Möglichkeit offenbar noch nichts gewusst.

Aber Gutachter müssen auch nicht allwissend sein, auch Politiker nicht. Ich sage nur: Die Phänomenta darf jedenfalls nicht gefährdet werden, selbst wenn womöglich ein Science-Center neben dem Haus der Geschichte und dem Multimedia-Center SchleswigHolstein Gestalt annehmen sollte. Doch wir sollten uns hüten, Seifenblasen auf die Reise zu schicken.

Flensburg hat jedenfalls mit seiner Phänomenta einen ersten Schritt getan und unter Beweis gestellt, dass es in der Lage ist, mit seinen örtlichen Kräften eine solche Einrichtung zu einer wesentlichen Bereicherung des Stadtlebens zu machen. Wir sollten solche Entwicklungen unterstützen und pflegen und nicht durch Konkurrenz erschweren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Mir liegt eine Reihe von Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen vor, sodass ich zunächst Herrn Minister Professor Rohwer das Wort erteilte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal ist es in Schleswig-Holstein gar nicht so einfach, eine neue Idee zu diskutieren und zu prüfen, was möglich ist. Denn sehr schnell kommen Befürchtungen auf, dass das Neue zulasten von etwas Altem geht. Das ist ein legitimes Bedenken. Aber es sollte nicht an erster Stelle stehen.