Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Die SPD-Fraktion ist überzeugt, dass die Neuregelung zweckmäßig und zielführend ist. Wir wollen, dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen eingeleitet werden können, wenn dies geboten ist. Die Unterlagen sollen nach Beendigung der Maßregel des Betroffenen unverzüglich vernichtet werden.

Wir halten den ursprünglichen Vorschlag der CDU, dies nur auf Antrag des Betroffenen zu tun, für unzureichend und bürokratisch. Die Vorschläge der CDU – die Sie zum Glück leicht korrigiert haben – hatten im Ursprungsantrag populistische Züge. Sie hörten sich prima an, brachten aber für die Praxis nichts, am wenigsten zusätzliche Sicherheit für die Bevölkerung.

Zu Beginn meiner Rede sagte ich, dass alles, was den Maßregelvollzug betrifft, vielfach emotional stark besetzt ist. Mit dem vorliegenden Änderungsantrag zum Maßregelvollzugsgesetz kommen wir gleich drei Zielen näher. Wir erhöhen die Sicherheit der Bevölkerung, erleichtern den Verfolgungsbehörden die Arbeit und greifen nur so weit wie nötig in die individuellen Rechte der im Maßregelvollzug Untergebrachten ein. Ich bitte um Zustimmung für den Änderungsantrag in der Fassung des Vorschlages des Innen- und Rechtsausschusses.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor cirka eineinhalb Jahren kam es zu Presseberichten über die Entweichung eines Patienten aus einer Maßregelvollzugsanstalt in Schleswig-Holstein. Seinerzeit war das größte Problem der Polizeibeamten vor Ort, den Flüchtigen ohne aktuelles Fahndungsfoto wieder schnell aufgreifen zu können.

Die CDU wäre nicht die CDU, hätte sie nicht gleich wie bei Pawlow reagiert und reflexartig einen Gesetzentwurf vorgelegt. Typisch war, dass sich die Union nicht auf die Möglichkeit zur Erstellung von Fotografien vor der Gewährung von Vollzugslockerungen beschränkte. Nein, die Union forderte gleich, erkennungsdienstliche Maßnahmen wie die Abnahme von Fingerabdrücken, die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale sowie Messungen vor der Gewährung von Vollzugslockerungen zum Verlassen der Vollzugseinrichtung Berechtigter obligatorisch zu machen. Es fehlen eigentlich nur noch DNAAnalysen und der Kontrollkatalog wäre komplett.

(Thorsten Geißler [CDU]: Darüber können wir reden!)

Der nun vorliegende Gesetzentwurf von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beziehungsweise die Fassung des Innen- und Rechtsausschusses ist eine entschärfte Version gegenüber dem CDU-Entwurf. Nach der vom Innen- und Rechtsausschuss beschlossenen Vorlage wird den Verantwortlichen ein Ermessen eingeräumt, die oben genannten erkennungsdienstlichen Maßnahmen durchzuführen. Aber selbst dieser mildere Entwurf ist aus unserer Sicht noch zu weitgehend.

Wir sehen uns in diesem Ergebnis auch durch die vom Innen- und Rechtsausschuss durchgeführte Anhörung bestätigt. Für uns hat die Anhörung ergeben, dass eine einzige Verschärfung im Bereich des Maßregelvollzugsgesetzes notwendig sein könnte, und zwar die regelmäßige Aufnahme von Lichtbildern. Das äußere Erscheinungsbild einer im Maßregelvollzug befindlichen Person ändert sich von Zeit zu Zeit.

Daher kann man darüber diskutieren, ob regelmäßige Lichtbildaufnahmen zweckmäßig sein könnten, um im Fall einer Flucht ein Aufgreifen der betreffenden Personen schneller möglich zu machen. Zusätzliche Möglichkeiten wie die Abnahme von Fingerabdrücken sind hingegen nicht sachgerecht, da sie in den meisten Fällen bei der Polizei ohnehin vorhanden

(Wolfgang Kubicki)

sind und sich mit der Zeit auch nicht verändern. So hat auch der Landesdatenschützer in seiner Stellungnahme zum CDU-Gesetzentwurf ausgeführt:

„Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit sollte auf die Ziffer 1 (Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken) verzichtet werden, zumal diese Daten bei den hier betroffenen Personen im Regelfall in den polizeilichen Unterlagen und Dateien vorhanden sein werden.“

Ähnliches gilt für die weiteren Maßnahmen, die der Gesetzentwurf der Union zunächst vorsah.

Überhaupt war die ursprüngliche Intention des CDUGesetzentwurfs auf die Anfertigung von Lichtbildern gerichtet, wenn man den damaligen Redebeitrag des Kollegen Geißler heranzieht. Da ist immer nur von der Notwendigkeit für Fahndungsfotos die Rede, nicht aber von Messungen und Fingerabdrücken.

(Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Positiv bewerten wir, dass zumindest in der Beschlussfassung des Innen- und Rechtsausschusses sichergestellt wird, dass die Verwertung der im Maßregelvollzug erhobenen und an die Polizei weitergeleiteten Daten nur zulässig ist, soweit dies für die Fahndung oder Identifizierung oder kriminalpolizeiliche Zwecke erforderlich ist. Diese Frage war im ursprünglichen Unionsentwurf noch offen gelassen worden.

Positiv - auch das wollen wir anmerken - ist in der Beschlussempfehlung auch, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen nach Erledigung der Maßregel automatisch vernichtet werden.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nach dem CDU-Entwurf war hierzu noch ein Antrag des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters notwendig.

Man muss es der Union immer wieder sagen: Maßstab und Voraussetzung für gesetzgeberisches Handeln, durch das in die Rechte Dritter eingegriffen wird, ist immer, dass dieser Eingriff erforderlich beziehungsweise verhältnismäßig ist. Dies gilt sowohl für die Erhebung von Daten als auch für die weitere Speicherung.

Auch Strafgefangene oder Insassen von Maßregelvollzugsanstalten haben einen Anspruch darauf, dass ihre Rechte bei einer solchen Abwägung verantwortungsvoll berücksichtigt werden. Es ist nicht so, dass sie diesen Anspruch gegenüber dem Gesetzgeber

durch den Eintritt in die Vollzugsanstalt verloren hätten.

Wir halten die meisten der vorgeschlagenen Regelungen im Gesetzentwurf für nicht erforderlich. Wir werden uns deshalb - ähnlich wie im Ausschuss - bei der Endabstimmung enthalten.

Ich will noch einen Satz zu dem Beitrag der Kollegin sagen, die vor mir gesprochen hat, und zur Union. Es ist ein Irrglaube, der nicht wahr wird dadurch, dass man ihn dauernd wiederholt, nämlich zu erklären, mit den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen werde die Sicherheit der Bevölkerung erhöht. Auch die Einführung und der Vollzug der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten hat die Sicherheit der Bevölkerung nicht erhöht. Das, was Sie erreichen, ist möglicherweise eine bessere Fahndung nach Taten. Aber dass Sie durch diese Maßnahmen die Sicherheit der Bevölkerung erhöhen und das zum Begründungselement Ihrer Vorschläge machen, halte ich - -

(Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

- Um auf Beiträge, die Sie gestern in einem anderen Zusammenhang geleistet haben, zu kontern, sage ich: Dies ist sehr hypothetischer Natur. Ich will mich darauf aber gar nicht weiter einlassen. Sie sollten nicht mit dem Erklärungsargument, Sie wollten die Sicherheit der Bevölkerung erhöhen, in Rechte Dritter eingreifen in der Erkenntnis, dass Sie die Sicherheit der Bevölkerung mit diesen Maßnahmen gar nicht erhöhen können.

(Beifall bei FDP und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine einigermaßen praktikable und vertretbare Lösung zur Identifizierung kranker Straftäter im Innen- und Rechtsausschuss gefunden. Der Maßregelvollzug betrifft kranke Menschen, die straffällig geworden sind. Strafvollzug und Maßregelvollzug sind schon aus diesem Grund nicht gleichzusetzen. Gleichwohl ist ein Interesse der Allgemeinheit an der Identifizierungsmöglichkeit auch von kranken Straftätern mit Recht vorhanden.

Wir müssen aber auch eines feststellen: Nicht alle im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen sind Mörder und Vergewaltiger, nicht alle im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen stellen eine ständige latente Gefahr für die Menschen draußen dar.

(Irene Fröhlich)

Entsprechend muss eine Differenzierung aller Maßnahmen möglich sein, die auf die Abwehr von Gefahren durch möglicherweise entflohene Insassen gerichtet sind.

Bisher war es gesetzlich nicht vorgesehen, von Straftätern, die im Maßregelvollzug untergebracht sind, Fotos, Fingerabdrücke und die Messung äußerer Merkmale vorzunehmen. Diese können aber zum Beispiel nach einer Flucht erforderlich werden und wären möglicherweise - Herr Kubicki, so begegne ich Ihrem Einwand - schneller greifbar, wenn sie noch einmal gemacht worden sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Fotos sind gar kein Thema!)

- Ich komme in meiner Rede noch dazu, wie wir uns dazu stellen.

Die CDU hatte im Februar letzten Jahres einen Antrag eingebracht, der eine in der Praxis vermutlich schwer zu handhabende Regelung beinhaltete, nämlich die obligatorische Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen insbesondere bei erhöhter Fluchtgefahr oder vor der Gewährung von Vollzugslockerungen. Der Datenschutzbeauftragte hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob eine derart selektive erkennungsdienstliche Behandlung im Maßregelvollzug fachlich tragbar wäre. Dem haben wir uns angeschlossen. Wir haben uns also nach etlichen Beratungen schließlich auf eine Lösung geeinigt, die der Vollzugsbehörde ein Ermessen einräumt, ob die Daten erhoben werden.

Auch bei der Frage der Aufbewahrung und Vernichtung der Akten haben wir - Herr Kubicki hat es schon gesagt - noch Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag vorgenommen. Diese halte ich für besonders bedeutsam.

Wir haben den CDU-Entwurf und den zwischenzeitlich entstandenen SPD/Grünen-Entwurf schließlich zusammengegossen. Ich freue mich, dass wir im Innen- und Rechtsausschuss fast einvernehmlich zu einer praktikablen Lösung gekommen sind, die im Einzelfall eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Rechten der Betroffenen ermöglicht.

Nun liegt es allerdings an den Kliniken, diese Regelung im Sinne unserer Intention umzusetzen. Wir sollten uns in absehbarer Zeit anschauen, ob die Regelungen praktikabel sind, wie die Menschen damit zurechtkommen, auch wie die Klinikleitungen mit dieser neuen Regelung zurechtkommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn psychisch kranke Straftäter entweichen, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, dann müssen sie so schnell wie möglich wiedergefunden werden. Man braucht aktuelle Fotos, damit die Flüchtigen erkannt werden und durch die Polizei aufgegriffen werden können. Das ist logisch. Dieser Logik haben sich alle anschließen können.

Die Speicherung von persönlichen Daten wie Fingerabdrücken, Fotos oder anderen Körpermerkmale stellt aber einen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre der Menschen dar. Das gilt für alle, sowohl für Straftäter als auch für andere Menschen. Deshalb können wir nicht ständig alle Menschen fotografieren, die irgendwann einmal auf die schiefe Bahn geraten sind. Das wäre nicht nur ein verschwenderischer Umgang mit Fotomaterial und Grundrechten. Eine pauschale Verdächtigung aller untergebrachten Menschen widerspricht auch dem Ziel des Maßregelvollzugs, der Besserung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Unser Rechtssystem baut auf dem Grundsatz auf, dass Straftäter wieder zu einem straffreien Leben in Freiheit befähigt werden sollen. Dieses Ziel verträgt sich nicht mit dem Gedanken, dass alle Straftäter auch während des Vollzuges fortwährend erkennungsdienstlich erfasst werden sollen, weil sie potenziell gefährlich sein können.

Wenn es um die Sammlung personenbezogener Daten geht, dann gilt für uns als oberstes Prinzip das Gebot der Datensparsamkeit. Es soll nur erhoben werden, was unbedingt erforderlich ist. Die Rechte der Betroffenen sollen so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig eingeschränkt werden. In diesem Sinne ging uns der Gesetzentwurf der CDU zu weit. Der Zweck der Datensammlung und die Regelungen zur Datenlöschung waren zu unbestimmt. Deshalb haben wir den im Ausschuss beschlossenen Alternativentwurf begrüßt.

Es ist besser und richtig, die Erhebung von erkennungsdienstlichen Daten als eine Kann-Vorschrift zu formulieren und nicht als verbindliche Maßnahme für alle Untergebrachten des Maßregelvollzugs vor

(Silke Hinrichsen)

zuschreiben. Denn bei weitem nicht alle der circa 300 in Schleswig-Holstein im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen stellen auch eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.