Protokoll der Sitzung vom 18.06.2003

Deshalb wurde von Beginn an, noch vor Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes, auf Bundes- und Landesebene die Diskussion darüber geführt, welche Rechtsgrundlage für diese polizeiliche Erstintervention notwendig ist. Die Innenministerkonferenz vom Mai 2001 etwa vertrat die Auffassung, dass die bestehenden polizeirechtlichen Befugnisse ausreichen, um im Rahmen akuter Krisenintervention wirksam vor häuslicher Gewalt zu schützen. Die Konferenz hielt aber auch Anpassungen in den Polizeigesetzen für möglich. Eine ganze Reihe von Bundesländern haben das inzwischen getan, aber beileibe nicht alle.

Unsere Landesregierung vertritt die Auffassung, dass sich in Schleswig-Holstein die Eingriffsermächtigung für eine Wegweisung aus der polizeilichen Generalermächtigung des § 176 Landesverwaltungsgesetz ergibt.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubi- cki [FDP])

Diese Auffassung wurde Ende April 2003 durch einen Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts eindeutig bestätigt.

Dennoch, Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister, gibt es eine gewisse Verunsicherung in den Reihen der Polizeibeamten. Ich habe sie bei meinen Gesprächen vor Ort selbst registriert und unter diesem Eindruck bereits in meiner Rede im Oktober hier im Landtag eingeräumt, dass wir zu gegebener Zeit die Frage vertiefen sollten, ob sich die Erlassregelung bewährt hat, ob sie ausreicht oder ob nicht doch eine Gesetzesänderung angebracht wäre.

Die Forderung der Beamtinnen und Beamten nach optimaler Handlungssicherheit auch über die Generalklausel hinaus ist ernst zu nehmen. Ich denke, mögliche verbleibende Unsicherheiten dürfen nicht zu Lasten der Polizeikräfte gehen.

Wir sollten uns im Ausschuss nach nun eineinhalb Jahren Erfahrung mit der Wegweisung berichten lassen, auch aus Sicht der Polizei. In diesem Sinne gehe ich - ich denke, mit meinen Kolleginnen und Kollegen - sehr offen in die Diskussion.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schlosser-Keichel, man sollte nicht das

einzige Markenzeichen, bei dem ich zugebe, dass es eines ist, einer liberalen Rechts- und Innenpolitik dieser Landesregierung mit Patina belegen.

In Bezug auf den Antrag der Union will ich mit einer Lebensweisheit beginnen: Wenn man zugleich zwei Werke tut, dann werden selten zweie gut. - So liegt es hier. Die CDU will mit ihrem Entwurf zum Landesverwaltungsgesetz eine spezielle Bestimmung für das so genannte Wegweiserecht für gewalttätige Ehegatten schaffen und mischt in diese Problematik zugleich das so genannte Aufenthaltsverbot mit hinein, welches eine völlig andere Materie regelt.

Kommen wir zunächst zum Wegweiserecht. Verkürzt dargestellt, regelt es die Fälle, in denen bei häuslicher Gewalt der Täter bis zu 14 Tagen aus der mit dem Opfer gemeinsamen Wohnung verwiesen werden kann. Es wird damit sichtbar, dass häusliche Gewalt kriminelles Unrecht ist und dass im Rahmen von Gewaltbeziehungen der Täter weichen muss und nicht das Opfer zu flüchten hat.

Vor knapp drei Jahren haben wir hier im Parlament mit einem interfraktionellen Antrag die Einführung eines Modellversuchs beschlossen, der aufgrund der geltenden Bestimmungen mit untergesetzlichen Ausführungsbestimmungen den Erfolg des so genannten Wegweiserechts testen sollte. Dieser Modellversuch wurde am 1. Dezember 2001 in der PD Nord gestartet. Wie die Landesregierung in ihrem Bericht vom August letzten Jahres zutreffend dargelegt hat, sind die Erfahrungen mit diesem Modellversuch positiv; er ist erfolgreich verlaufen. Immerhin wurden im Bereich der PD Nord in acht Monaten knapp 59 Wegweisungen verfügt. Es bedarf daher auch keiner Diskussion mehr, dass es bei uns nicht beim Modellversuch bleiben darf. Vielmehr muss das Wegweiserecht für prügelnde Ehe- oder Lebenspartner landesweit eingeführt werden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Eingriffsermächtigung für die Wegweisung besteht bereits heute. Es gibt die polizeiliche Generalermächtigung in § 176 Landesverwaltungsgesetz. Liebe Frau Schlosser-Keichel, ich habe noch keinen Polizeibeamten gesehen, der in das Landesverwaltungsgesetz guckt, bevor er eine polizeiliche Maßnahme ergreift. Die Leute sind alle so gut ausgebildet, dass sie von ihren polizeilichen Hoheitsrechten aufgrund der Ermächtigungsnorm Gebrauch machen können, die bereits bestehen, ohne dass wir die Zweifel, die bei dem einen oder anderen von uns möglicherweise noch vorliegen sollten, auf die polizeilichen Schultern verlagern müssen.

(Wolfgang Kubicki)

Der vom Innenministerium in Abstimmung und Zusammenarbeit mit dem Justizministerium sowie dem Generalstaatsanwalt erarbeitete Erlass zur Durchführung der Wegweisung hat sich aus unserer Sicht bewährt. Insofern stellt sich für uns die Frage, ob und warum wir hierzu eine spezialgesetzliche Regelung brauchen, bisher nicht. Diese Frage ist für uns nicht abschließend geklärt. Aber vielleicht erfahren wir Neues von der Union dazu, warum es einer entsprechenden spezialgesetzlichen Norm überhaupt bedarf. Wir sehen das Anliegen grundsätzlich positiv, behalten aber unsere Bedenken in dieser Frage bei.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Anders, Kollege Kalinka, verhält es sich beim von der CDU beabsichtigten neuen § 201 Abs. 3 des Landesverwaltungsgesetzes. Hier soll ein Aufenthaltsverbot von bis zu zehn Wochen für einen Bereich ausgesprochen werden können, der ein ganzes Gemeindegebiet umfassen kann, beispielsweise die Stadt Kiel, die Stadt Lübeck, Plön, Mölln und andere.

(Zuruf von der CDU)

- Ich komme gleich darauf zurück, weil ja auch Politiker gelegentlich in die Gefahr geraten, verdächtigt zu werden, künftig Straftaten begehen zu können. Jedenfalls unterstellt das die Bevölkerung heute den meisten Politikern von ihrem Lebensansatz her.

Voraussetzung hierfür sollen Tatsachen sein, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Person in diesem Bereich eine Straftat begehen wird. Das muss die Union einmal genauer erklären. Definieren Sie bitte einmal, ab wann Sie diese Voraussetzungen für gegeben halten. Wir haben hier erhebliche rechtsstaatliche Bedenken. Selbst bei Platzverweisen, die zu einem Aufenthaltsverbot für einen bestimmten Ort für einen wesentlich kürzeren Zeitraum führen können, wird zumindest eine im Einzelfall unmittelbar bevorstehende Gefahr verlangt. Herr Kollege Geißler, auch mir ist bereits ein Platzverweis zuteil geworden,

(Thorsten Geißler [CDU]: Zu Recht! - Hei- terkeit)

nämlich als ich anlässlich der letzten Kieler Woche einen Streit schlichten wollte und der junge Polizeibeamte aus Eutin einfach mit der Situation überfordert war

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Das glaube ich nicht!)

und mir erklärte: Sie haben jetzt diesen Ort zu verlassen. - Es handelte sich um junge Beamte aus Eutin - nicht alle Polizeibeamten sind überfordert -, die mit

einer solchen Konfliktsituation nur schwer fertig werden konnten.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

- Dass er mich nicht kannte, Werner Kalinka, kam erschwerend hinzu. Selbst meine Erklärung, dass ich Wolfgang Kubicki sei, hat keinen Eindruck hinterlassen.

(Heiterkeit und Beifall)

Ich musste die Hilfe des mit mir unterwegs befindlichen Amtsrichters des Amtsgerichts Kiel in Anspruch nehmen, damit die Situation weiter deeskaliert werden konnte.

Darüber hinaus ist das von der Union vorgeschlagene Aufenthaltsverbot schlichtweg nicht vollziehbar. Voraussetzung hierfür wäre nämlich, dass die Polizei imstande ist, ein solches Verbot zu überwachen. Haben Sie sich überhaupt einmal Gedanken darüber gemacht, was dies im Einzelfall für Kräfte binden kann? Es müssten im schlimmsten Fall Beamte dafür abgestellt werden, ein Gebiet von einer ganzen Gemeinde für einen Zeitraum von zehn Wochen dahingehend zu überwachen, ob sich eine bestimmte Person dort aufhält. Das würde dann für eine Person gelten, die möglicherweise, vielleicht, theoretisch einmal eine Straftat - eine Beleidigung oder was auch immer - begeht. Das kann nicht ernst gemeint sein. Das wäre auch völlig unverhältnismäßig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das stärkt auch nicht das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, sondern mehrt höchstens die Zweifel an der innen- und rechtspolitischen Kompetenz der Union.

Uns ist bekannt, dass es beispielsweise in Hessen - dort übrigens von der FDP, was uns verwundert hat - oder in Nordrhein-Westfalen - dort unter anderem von der SPD, was uns in gleicher Weise verwundert hat - konkrete Initiativen oder Überlegungen für vergleichbare Gesetzesinitiativen gibt oder gegeben hat. Wir kennen auch die dazugehörigen Begründungen.

Da war zunächst von der effektiven Vorgehensweise gegen „Klaukinder“gegen „aggressive Bettelei“gegen „Angehörige offener Drogenszenen“ die Rede. In einem anderen Gesetzentwurf wurde die so genannte Hütchenspielerproblematik angesprochen, die durch eine solche Regelung gelöst werden sollte.

Wir haben dies, wenn wir gefragt wurden, immer

(Wolfgang Kubicki)

scharf kritisiert. Das Ordnungsrecht ist für uns kein Mittel, soziale Missstände zu bekämpfen.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Dabei werden wir auch bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorweg zu sagen: Über Absatz 2 des vorgelegten Gesetzentwurfs könnten wir nachdenken. Darüber muss man wohl reden. Absatz 3 kann man - auch nach den Ausführungen, die Herr Kollege Kubicki gerade gemacht hat - nur kompromisslos ablehnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist eine völlige Ungeheuerlichkeit, jemanden unter dem Verdacht einer Straftat bis zu zehn Wochen von seinem Wohnort fern zu halten. Das finde ich ungeheuerlich. Das stellt das Rechtsverständnis der CDUKollegen auf den Kopf. Thorsten Geißler, ich frage Sie: Was haben Sie gemacht, als dieser Antrag durch Ihre Fraktion ging? Ich bin da, ehrlich gesagt, sprachlos.

Damit wir uns richtig versehen: Ich rede jetzt nur über Absatz 2. Als wir das letzte Mal im Landtag über das so genannte Wegweiserecht beraten haben, war auch die CDU mit uns einig, dass mit dem Modellversuch zur Wegweisung bei häuslicher Gewalt der richtige Weg beschritten wurde. Das war im Oktober letzten Jahres anlässlich eines Zwischenberichts zu dem Modellprojekt, der von der Justizministerin gegeben wurde. Wir waren uns damals auch einig, dass mit der neu geschaffenen Ausführungsbestimmung in Verbindung mit der Generalklausel des Landesverwaltungsgesetzes ein rechtliches Instrumentarium geschaffen wurde, das die Möglichkeiten der Polizei zumindest für den Modellversuch ausreichend erweitert.

Daher sehe ich es als unerlässlich an, dass wir eine Beurteilung dieses Modellversuchs auf etwas breitere Füße stellen als auf die - nicht unbedingt repräsentative - Bewertung durch Studentinnen und Studenten der Polizeifachhochschule. Ich bin mir sicher, dass die Justizministerin eine Evaluierung des gesamten Modellprojekts vorgesehen hat und dabei auch die Frage unter die Lupe nehmen wird, ob sich die vor

handene Rechtsgrundlage in der Praxis als ausreichend erwiesen hat. Das hat schließlich nicht nur die Polizei zu bewerten, sondern an der Bewertung haben auch die anderen daran beteiligten Akteurinnen und Akteure mitzuwirken.

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass auch die geltende Rechtsprechung des Landes, ein Verwaltungsgerichtsurteil dieses Landes, das Problem nicht sieht, sondern ausdrücklich bestätigt, dass für die Wegweisung die Generalklausel des Landesverwaltungsgesetzes ausreicht.