- Ich habe die Zeitung gelesen und weiß, dass Sie sich gerne von Ihrer eigenen Aussage distanzieren, wenn es unangenehm wird.
Also, meine Damen und Herren von der Opposition, heulen Sie nicht mit den Berliner Wölfen, sondern kämpfen Sie gemeinsam mit uns für mutige Reformen. Trauen Sie sich, genauso wie wir es machen - und wir haben auf dem Parteitag wieder verloren; insofern sind wir sehr mutig -, gegen den parteipolitischen Trend zu schwimmen, und stimmen Sie zu, damit von Norddeutschland ein Signal ausgeht, das sagt, wir sind interfraktionell bereit, eine Umsteuerung zu machen, damit es mit Deutschland vorangeht. Ich finde es sehr, sehr schade, dass Sie diesen Mut im Gegensatz zu uns nicht aufbringen, sondern alte Argumente wiederholen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Monika Heinold, für deinen Beitrag und nicht zuletzt auch für deinen Schlusssatz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl erst Ende 2002 die Beiträge für die Renten- und Krankenversicherung wieder erhöht wurden, gibt es seit Wochen alarmierende Meldungen über dramatische Defizite in diesen Kassen. Das ging sogar so weit, dass Experten davor warnten, die Renten könnten schon im Herbst nicht mehr ausgezahlt werden. Trotz einer Nullrunde und trotz Leistungskürzungen haben auch die Krankenkassen wieder ein Millionenloch angesammelt. Die Arbeitslosenversicherung muss in diesem Jahr mit mehreren Milliarden Euro von der Bundesregierung unterstützt werden. Auch die Pflegeversicherung hat einen Millionenunterschuss zu verzeichnen.
Was noch schlimmer ist: Wenn sich die Konjunktur nicht schnell erholt und die Arbeitslosigkeit nicht entscheidend reduziert wird, dann müssen die Sozialversicherungen trotz der vielen Bemühungen der Bundesregierung wahrscheinlich am Jahresende wieder ihre Beiträge erhöhen. Es mehren sich die Stimmen, die von einem Offenbarungseid unseres Wohlfahrtsystems sprechen. Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Lage, das sind Tatsachen.
Jetzt können Sie natürlich, wie ein dänischer Politiker, sagen, wenn das die Tatsachen sind, dann verneine ich die Tatsachen. Aber sie sind es dennoch immer noch, denn die aktuellen Vorschläge sowohl von der Bundesregierung als auch von der Opposition zur Lösung dieser vielen Krisenherde in unserem Sozialsystem, von der Agenda 2010 bis zur Privatisierung des Krankengeldes, von der Erhöhung der Tabaksteuer bis hin zur Eigenleistung beim Zahnersatz, haben eines gemeinsam, sie sind ein mühsames Herumdoktern an einem todkranken Patienten und sie stellen weder die Struktur noch die Finanzierung unseres jetzigen Sozialsystems wirklich infrage. Genau das wäre aber nach Ansicht des SSW der richtigere Ansatz.
Immer noch basiert das Kernelement unseres Wohlfahrtsstaates auf jenem Modell, das einst vom Reichskanzler Bismarck in den 80er-Jahren des
19. Jahrhunderts etabliert wurde. Es knüpft an die Lohnarbeit der Industriegesellschaft an und an den festen Glauben an eine Wirtschaft, die immer wächst. Schon seit der Ölkrise in den 70er-Jahren, aber spätestens seit dem strukturellen Umbruch von der Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft sind die Voraussetzungen für dieses Modell nicht mehr gegeben. Dazu kommt noch die Veränderung der Altersstruktur unserer Gesellschaft, die dazu führt, dass immer weniger junge Menschen immer mehr älteren Menschen gegenüberstehen. Der blinde Automatismus der letzten Jahrzehnte, bei einem Defizit der Sozialkassen einfach die Sozialabgaben zu erhöhen, funktioniert nicht mehr, vielmehr verschärft er die Krise insbesondere am Arbeitsmarkt. Denn wir müssen erkennen, dass Sozialabgaben von über 40 % eigentlich schon einer Strafsteuer für Arbeit gleichkommen. Da muss ich SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Recht geben, wenn sie sagen, das wird nicht mehr funktionieren, und wenn sie sagen, dass die Renten- und Krankenkassenbeiträge nicht einfach weiter erhöht werden können. Allerdings hilft es auch nicht weiter, die paritätische Finanzierung in diesen Bereichen aufzuheben, um die Kosten allein auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzuwälzen.
Wir meinen also, dass die Agenda 2010 und die vielfältigen Überlegungen der Union viel zu kurz greifen, weil sie die versicherungsbasierte Finanzierung der Sozialsysteme nicht in ihrer Grundausrichtung ändern. Aus unserer Sicht gibt es angesichts dieser Fakten nur eine Konsequenz zu ziehen: Wir müssen uns vom Sozialstaat bismarckscher Prägung verabschieden.
Auch in der öffentlichen Debatte der letzten Monate gibt es Überlegungen in dieser Richtung. So hat der Berater der Bundesregierung, Professor Rürup, kürzlich vorgeschlagen, die Pflegeversicherung ganz abzuschaffen und diesen Bereich neu zu organisieren. Ich sagte gestern schon, dass auch die Ministerpräsidentin in ihrem neuen Buch eine radikale Reform des Sozialstaates mit einer steuerfinanzierten Grundrente fordert. Alle diese Signale geben Anlass zur Hoffnung, dass die Zeit in Deutschland reif ist, nach neuen Wegen einer sozialstaatlichen Ordnung zu suchen.
Da kann es in diesem hohen Haus niemanden überraschen, dass sich der SSW bei der Suche nach Lösungsmodellen zur Überwindung der Krise des Sozialstaates nach Skandinavien orientiert; denn dort ist es - auch das sind Tatsachen - trotz des gleichen
Strukturwandels und der gleichen globalen Herausforderungen sowie einer ähnlichen Altersstruktur der Bevölkerung durch Reformen gelungen, den Sozialstaat im Kern zu erhalten. Natürlich sind wir dabei nicht so naiv zu glauben, dass alles, was unsere nördlichen Nachbarn machen, unbesehen positiv ist. Wir glauben auch nicht daran, dass man einfach das skandinavische Sozialsystem in Deutschland einführen kann. Das glauben wir wirklich nicht.
denn es zeichnet sich durch relativ hohe Sozialleistungen, durch niedrige Lohnnebenkosten und eine geringe Arbeitslosenquote aus. Dabei ist insbesondere die Finanzierung des Wohlfahrtssystems interessant. In Dänemark haben wir einen Mehrwertsteuersatz von 25 %. Die Einkommensteuersätze bewegen sich zwischen 40 und 50 % und es gibt viele ökologische Steuerarten, die wir bei uns in der Bundesrepublik überhaupt nicht kennen. Auch das gehört zum Modell.
Dennoch verdient ein dänischer Arbeitnehmer im Schnitt bei gleichem Lohn nicht weniger als sein deutscher Kollege: Vergleicht man die Abgaben- und Steuerlast der beiden Länder, gibt es kaum größere Unterschiede.
- Es sind sehr viele Vergleiche und Analysen durchgeführt worden. Sie sollten sich einmal mit Ihren Kollegen zusammensetzen. Ich empfehle Ihnen, sich zum Beispiel einmal das anzuschauen, was das Institut für Grenzregionsforschung erarbeitet hat.
Der entscheidende Unterschied liegt bei den Lohnnebenkosten der Unternehmen. Während die deutschen Firmen bei einem Beschäftigten auf rund 80 % Lohnnebenkosten zusätzlich zu den Lohnkosten kommen, liegen diese in Dänemark etwa zwischen 40 % und 50 %.
Diese Fakten sind zusammen mit dem flexibleren Kündigungsschutz eine der Hauptursachen, warum in Dänemark die Einstellungsschwelle für Arbeitslose viel geringer ist als bei uns. Selbstverständlich ist auch das dänische System nicht ohne Probleme und die Klagen der Menschen über hohe Steuern haben in den letzten Jahren zugenommen. Aber das Interessante ist: Wenn es denn zu Steuererleichterungen - wie in
diesem Jahr - kommt, dann sagen die Menschen: Wir wollen nicht 200, 300 oder 400 Kronen weniger Steuern im Monat zahlen, sondern wir wollen stattdessen die Sicherheit dafür haben, dass unsere Schulen weiterhin funktionieren, dass die Kinderbetreuung funktioniert und dass für unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger weiterhin das zur Verfügung steht, was angemessen ist. - Das ist interessant. Es geht also nicht um Steuersenkungen auf Deubel kommt raus, sondern um ein Abwägen.
Auch die Altersstruktur der Bevölkerung und damit der mögliche zukünftige Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ist natürlich ein Problem, das heftig diskutiert wird. Sicherlich werden auch die skandinavischen Länder in Zukunft nicht alle Errungenschaften des Sozialstaates erhalten können. Der globale Wettbewerb - ich sagte es bereits - fordert auch hier seinen Preis. Schaut man sich die Entwicklung der letzten 20 Jahre an, dann stellt man fest, dass man zum Beispiel in Schweden schon Ende der 80er-Jahre angefangen hat, die Sozialleistungen zu reduzieren. Das Gleiche hat man in Dänemark getan. In den 80erJahren gab es die berühmte Kartoffelkur, die zu entsprechenden Ergebnissen geführt hat. Auch in Norwegen wird darüber diskutiert, was gemacht werden muss.
Oft wird in der öffentlichen Debatte darauf hingewiesen, dass man unbedingt die wirklich Schwachen schützen muss und nicht Sozialleistungen an die Mittelklasse des Landes verteilen sollte. Diese Diskussion stößt jedoch sehr schnell an Grenzen, weil zu den Merkmalen dieses Modells sowohl ausgeprägte Transparenz als auch die Forderung nach gleichem Recht für alle gehört. Aber die Diskussion läuft. Parteiübergreifend besteht aber große Einigkeit dahin gehend, dass das soziale Grundmodell unbedingt erhalten werden muss.
Unser Hauptargument, warum man sich auch von deutscher Seite einige Elemente des skandinavischen Sozialsystems aneignen sollte, ist insbesondere, dass sich dieses Modell sehr schnell neuen Herausforderungen anpassen kann. Das ist in Wirklichkeit das Wichtigste. Man kann auf Veränderungen schneller reagieren. Vergleicht man die Diskussionen nördlich und südlich der Grenze, dann stellt man fest, dass das der wesentlichste Unterschied ist.
Der SSW fordert also einen grundlegenden und sozial gerechten Umbau des Sozialstaates mit einer steuerfinanzierten sozialen Grundsicherung bei der Alters- und Krankenversorgung, wie sie in den skandinavi
schen Ländern praktiziert wird. Dabei muss der Kernpunkt einer Umstellung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sein, die in einem ersten Schritt ausschließlich - ich betone: ausschließlich - zur Entlastung der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung benutzt wird.
Wir begrüßen es, dass die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen in Schleswig-Holstein das ähnlich sehen; das haben wir heute schon gehört.
Das werde ich tun, Frau Präsidentin. - Aber leider müssen Ihre Parteikolleginnen und -kollegen in Berlin noch überzeugt werden.
Des Weiteren fordern wir in unserem Antrag, dass das System, soweit es in Zukunft noch teilweise beitragsfinanziert bleiben sollte - realistischerweise werden wir nicht von heute auf morgen das paritätische System abschaffen können -, in einem zweiten Schritt durch eine Verbreiterung der Finanzierungsgrundlage gestärkt wird. Damit meinen wir, dass alle Bürgerinnen und Bürger - und nicht nur die Arbeitnehmer - zur Finanzierung der Sozialsysteme herangezogen werden sollten. Das ist im Übrigen ein Grundprinzip eines steuerfinanzierten Sozialsystems.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Es ist schon gesagt worden: Der SSW wird dem Antrag der Regierungsfraktionen zustimmen. Wir werden die Anträge von FDP und CDU ablehnen.
Mir liegt eine ganze Reihe von Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen vor, sodass ich zunächst einmal Herrn Minister Dr. Stegner das Wort erteile.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die öffentlichen Haushalte sind in einer extrem schwierigen Situation. Das hängt mit dem fatalen Kreislauf von zu wenig Steuer- und Beitragseinnahmen und zu hohen sozialen Transferzahlungen zusammen, der sich aus Massenarbeitslosigkeit und den Problemen unserer sozialen Sicherungssysteme ergibt. Deshalb ist der Reformdruck auf diesem Feld so groß und deshalb sind nicht die Steuern, sondern die Abgaben, die die Arbeit verteuern, unser zentrales Problem. Aus diesem Grund nimmt Schleswig-Holstein mit seiner Forderung nach einer Umsatzsteuererhöhung, die gleichzeitig zu einer Senkung der Lohnnebenkosten führt, erneut eine Vorreiterrolle wahr.
Ich weiß, dass der Kollege Neugebauer, der den Antrag für die SPD-Fraktion mit formuliert hat, gerne hier wäre. Aber er ist im Krankenhaus. Ich wünsche ihm von hier aus gute Besserung.