Protokoll der Sitzung vom 20.06.2003

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Dr. Kerssenbrock als energiepolitischer Sprecher der CDU-Fraktion ist nicht da. Es ist ganz interessant, dass nicht subventionierte Atomkraft dort offensichtlich als Neubau ökonomisch nicht funktionieren wird, obwohl es durchgegangen ist, obwohl es politische Grundlagenbeschlüsse gibt - anders als in den meisten anderen europäischen Ländern.

Atomenergie ist ein im Aussterben befindlicher Dinosaurier, für den die nächsten Generationen keinen Artenschutz betreiben sollten.

Unsere Energiepolitik steht auf drei Säulen Einsparung, Effizienz und Einstieg in das solare Zeitalter. Wir wissen, dass wir, gerade die Grünen, kämpfen können, um den Atomausstieg europaweit weiter zu fördern, nicht zuletzt wegen der Begrenztheit der Uranvorräte.

In der Präambel der Verfassung heißt es:

„In der Gewissheit, dass Europa, ‚in Vielfalt geeint’, ihnen die besten Möglichkeiten bietet, unter der Wahrung der Rechte des Einzelnen und im Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber künftigen Generationen und der Erde dieses große Abenteuer fortzusetzen, das einen Raum eröffnet, in dem sich die Hoffnung der Menschen entfalten kann.“

Damit ist das, was wir hier im Landtag häufig unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ diskutieren, Bestandteil der zukünftigen europäischen Verfassung geworden, auch in den Grundsätzen, in der Präambel. Das ist gut so.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen haben ihre jeweiligen Schwerpunkte genannt. Das soll nicht überdecken, dass dieser weitere große Schritt einer weiteren Verfassungsgebung unser aller Anliegen ist und in seiner Gesamtheit getragen wird. Europa ist auf einem richtigen und guten Weg. Wie heißt es? - „Freude schöner Götterfunken“.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU braucht eine Reform. Das ist schon lange klar. Zum einen müssen die Mängel der alten EU der 15 ausgeräumt werden. Zum anderen muss der Rahmen an die neue EU der 25 angepasst werden. Schon der erste Punkt ist angesichts der über Jahrzehnte verfestigten Strukturen in Brüssel eine Herkulesaufgabe. Den meisten Bürgerinnen und Bürgern bleibt immer noch verborgen, was in der europäischen Politik geschieht. Kaum jemand kann sehen, wie die Entscheidungen gefällt werden und wovon sie beeinflusst werden.

Leider hat der Konvent in dieser Hinsicht nur bedingt Erfolge vorzuweisen. Der Konvent sollte die Fenster aufreißen, um Licht und Durchzug in das europäische Haus hineinzulassen. Letztlich hat er aber den Eindruck vermittelt, dass die Fenster zwar geöffnet, aber gleichzeitig die Gardinen zugezogen wurden. Der Konvent war für die Normalbürgerinnen und Normalbürger nicht durchschaubar. Sein öffentliches Bild wurde von einer Präsidentschaft geprägt, die offensichtlich die Diskussion, die Inhalte und die Empfehlungen stark dominiert hat. Das Ziel der Transparenz europäischer Politik wurde sowohl bei der Entscheidungsfindung wie bei den Beschlussvorlagen des Konvents verfehlt.

Es ist nicht ganz einfach, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was nun beschlossen wurde, was noch im letzten Moment gekippt wurde und was erst später entschieden werden soll. Zu meiner Ehrenrettung kann ich sagen, dass selbst der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker dem „Spiegel“ berichtet, er habe in Telefonaten mit seinen europäischen Kollegen vergebens darum gekämpft, herauszubekommen, was nun eigentlich in Thessaloniki Sache sei. Deshalb komme ich heute nur kurz auf einige Schlaglichter zu sprechen, die in der öffentlichen Debatte der vergangenen Tage und Wochen eine herausragende Rolle gespielt haben.

Jenseits aller Kritik an dem Kompromiss lässt sich feststellen, dass die Institutionen auf europäischer Ebene gestärkt werden. Es soll einen neuen Präsidenten des Europäischen Rates und einen Außenminister geben. Sie sind gemeinsam mit dem Kommissionspräsidenten für die Außenpolitik zuständig, was - sieht man von den daraus entstehenden Koordi

nationsproblemen ab - diesen Bereich auf europäischer Ebene aufwertet.

Das Europaparlament erhält die volle Mitentscheidung im Bereich der Gesetzgebung und des Haushalts und wählt zukünftig den Kommissionspräsidenten.

Zukünftig gibt es bis zu 27 Kommissare, aber nur 15 haben Stimmrecht und Ressorts. Damit werden die kleineren Länder geschwächt.

Auch die Reform der Entscheidungsabläufe stärkt die europäische Ebene. Die Gesetzgebung wird vereinfacht. Zukünftig ist das Mitentscheidungsverfahren von Rat, Parlament und Kommission die Regel.

Die Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Rat erleichtert die Entscheidungsfindung.

Die Regelung einer doppelten Mehrheit, das heißt Staatenmehrheit und zwei oder drei Fünftel der Bevölkerung, stärkt aber die bevölkerungsreichen Länder auf Kosten der Kleinen.

Die Kompetenzabgrenzung zwischen Staaten und EU wird aus unserer Sicht nicht bedingungslos besser, aber zumindest anders strukturiert. Eine klare Aufgabenteilung, wie wir sie uns seit langem wünschen, findet nicht statt. Andererseits verfügt die EU künftig aber nur über Zuständigkeiten, die ihr explizit übertragen wurden; der Rest obliegt den Mitgliedstaaten.

Die Subsidiaritätsprüfung soll in Zukunft auch die regionale und lokale Ebene umfassen. Das begrüßen wir. Weitere Kriterien für die Prüfung konnten aber leider nicht verankert werden.

In einigen Bereichen wird die Zuständigkeit der EU ausgeweitet. So werden zum Beispiel in der Innen- und der Justizpolitik zusätzliche Kompetenzen und Instrumente geschaffen. Wir sehen mit Sorge, dass die Kompetenzen von EUROPOL und EUROJUST ausgeweitet werden sollen und dass die Rechtsgrundlage für die Harmonisierung strafrechtlicher Normen weiter geht.

Das Vetorecht bei Kultur und Bildung wird aufgehoben. Es gilt aber weiterhin ein Harmonisierungsverbot für die entsprechenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Auch hier möchte ich eine gewisse Skepsis nicht verhehlen.

Der größte Streitpunkt wird noch die Außen- und Sicherheitspolitik sein, für die der Konvent bislang kein abschließendes Votum vorgelegt hat. Die Staats- und Regierungschefs beraten heute offensichtlich nur auf der Grundlage eines Entwurfs des Präsidiums - was nochmals die zweifelhafte Dominanz der Spit

(Anke Spoorendonk)

zenleute um Giscard d'Estaing in diesem Gremium belegt.

Der Streit um den Irak-Krieg hat einerseits verdeutlicht, dass wir eine gemeinsam abgestimmte Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Anderseits hat er aber auch deutlich gemacht, dass es Grenzen der Gemeinsamkeiten gibt. Deshalb bin ich skeptisch, ob es wirklich sinnvoll wäre, hier durch überqualifizierte Mehrheitsentscheidungen eine einheitliche europäische Linie zu erzwingen.

(Rolf Fischer [SPD]: Die dänische Rolle im Irakkrieg war auch nicht gerade - -!)

- Lieber Kollege Fischer, darum geht es nun gar nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich habe gesagt, wir müssen das abstimmen. Ob der jetzt vorliegende Vorschlag uns aber wirklich weiterhilft, wage ich zu bezweifeln.

Die neuen Mehrheitsbeschlüsse werden ergänzt durch die Ermöglichung eines so genannten Kerneuropas, einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten, wobei einige Länder sich entschließen können, gemeinsam weiter zu gehen als die Gesamtunion. Dieses Instrument ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits erlaubt es Ländern, nicht der Mehrheit zu folgen und eigene Wege zu gehen, was wir befürworten, andererseits ist es nicht ungefährlich, denn wenn sich einige von der Gruppe entfernen, bleibt den anderen später nur, sich dem konkret gewählten Weg der vorpreschenden Länder anzuschließen, im Abseits zu bleiben oder aus der EU auszutreten.

Schon in Verbindung mit dem Konvent hat sich wieder beispielhaft gezeigt, dass die Vertreter großer Länder nicht unbedingt von sich aus den Weg des Kompromisses mit den kleinen suchen. Wenn der Einigungszwang entfällt, könnte das zu einer Spaltung führen statt zu einem Ausleben von Gemeinsamkeiten. Wir begrüßen grundsätzlich die Übernahme der Grundrechtecharta in die Verfassung, weil so verbindliche einklagbare Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der EU geschaffen werden.

Eine Frage, die uns natürlich besonders am Herzen gelegen hat, ist die Absicherung der Rechte und der Vertretung der Minderheiten auf europäischer Ebene. Der Landtag hat in einer Resolution an den Europäischen Konvent und die Bundesregierung gefordert, den Schutz und die Förderung von Minderheiten in der EU-Verfassung explizit zu berücksichtigen. Weder das Konventpräsidium noch die Bundesregierung

haben diesen Wunsch berücksichtigt. Im Entwurf steht jetzt lediglich, dass die EU die sprachliche Vielfalt wahrt. Das ist zu wenig. Wir brauchen einen eigenen Artikel, der Schutz und Förderung von Minderheiten garantiert.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der FDP)

Es ist enttäuschend, dass die Bundesregierung mit Blick auf Frankreich, Spanien und Griechenland davon abgesehen hat, einen eigenen Vorschlag einzubringen, obwohl der Bundeskanzler und auch der Außenminister den Minderheiten entsprechende Zusagen gemacht haben. Die Minderheitenpolitik der EU ist aber unglaubwürdig, wenn sie einerseits von den Beitrittsländern die strenge Einhaltung des Minderheitenschutzes fordert, während andererseits einige alte EU-Länder weiterhin die Existenz nationaler Minderheiten im eigenen Land leugnen und eine gemeinsame Minderheitenpolitik blockieren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der SSW hat auch Vorschläge von Konventmitglieder unterstützt, wenigstens einen Beirat für nationale und ethnische Minderheiten in der Europäischen Union einzurichten. Das wäre ein gutes Signal zu einem Zeitpunkt gewesen, an dem Länder mit einer Vielzahl von Minderheiten in die EU aufgenommen werden. Aber auch dieser Vorschlag bekam nie eine Chance. Bei einer europäischen Verfassung geht es nicht darum, etwas zu schaffen, was über den nationalen Verfassungen steht, es geht um Spielregeln für die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Das begrüßen wir. Ich warne allerdings vor überzogenen Erwartungen. Letztlich geht es nicht um einen Selbstzweck, sondern um die Menschen in Europa. Wer es ernst meint damit, dass sich die Bevölkerung mehr mit der Demokratie auf europäischer Ebene identifizieren soll, der muss nicht nur Entscheidungswege transparent machen, er muss die Menschen auch mitredenlassen. Das bedeutet eben nicht nur die Ermöglichung von Bürgerbegehren auf europäischer Ebene, wie es der Konvent anstrebt, das bedeutet auch, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland endlich die Chance bekommen müssen, über einen so wichtigen Meilenstein der europäischen Integration direkt mitzuentscheiden. Solange ihnen diese Möglichkeit verwehrt wird, darf es niemanden verwundern, dass das ehrgeizige Projekt Europa der Politiker nicht bei den Menschen ankommt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Greve das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Ich möchte meine Bemerkungen auf Herrn Matthiessen beziehen. Sie haben in einer sehr polemischen Form die bayerische Politik angegriffen. Ich möchte betonen, dass das eigentlich eine Position ist, die auch in unserem Parlament durchaus diskutiert werden muss, und zwar wie subsidiär die Praxis ist. Wer sich die alten Dokumente des europäischen Einigungsprozesses anschaut, der findet jede Menge Beispiele, dass Subsidiarität ständig betont wird. Aber man kann auch links blinken und rechts fahren oder umgekehrt. Wenn Sie sich die Praxis anschauen, sehen Sie nämlich, dass sich die EU in kleinen Schritten immer weitere Aufgaben buchstäblich gekrallt hat, die jetzt in Bereiche hineingehen - Sie nannten auch den Sport -, für die ich null Verständnis habe.

Ich möchte ein ganz konkretes Beispiel bringen. Vor wenigen Wochen ist uns ein Tourismuspapier aus der Europäischen Union in die Hand gekommen, Hunderte von Seiten. Ich frage Sie: Ist Tourismus nicht eine ursprünglich lokale und regionale Aufgabe? Was hat Tourismus in Brüssel zu suchen? So heißt das also, dass wir durchaus immer sehen müssen: Was gehört zu Europa, was gehört in die nationalstaatliche Kompetenz und was gehört in die jeweils darunter stehenden Komponenten?

Ich möchte das noch einmal an einem Beispiel betonen. Es heißt wörtlich im Entwurf, dass die Union nur tätig sein soll, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können. Klarer kann man das eigentlich nicht sagen. Ich frage Sie: Braucht man dazu eigentlich teure europäische Tourismuspapiere von Hunderten von Seiten? Nur um einmal dieses eine Beispiel zu erwähnen.

Es gibt noch viele andere Beispiele, die zeigen, dass wir hier einen Aushöhlungsprozess haben, der aus einem anderen Gedankengang, den Sie in diesem Entwurf auch nachlesen können, resultiert. Dort steht drin: Die Union behält sich so genannte „Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen“ für alle möglichen Bereiche vor. Diese Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen ergreifen immer neue Bereiche auch der Kommunen und der Länder. Deshalb bin ich der Ü

berzeugung, dass es richtig ist, wenn auch aus Bayern einmal kritische Worte kommen, die sagen, dass Europa das tut, was Europa tun muss, dass aber Subsidiarität immer heißt, dass das kleinere Organ, das niedere Organ immer das alles tun muss, was es kann, und dass oben nur das getan wird, was unbedingt dort getan werden muss. Das ist echte Demokratie und darauf wollte ich nur hinweisen.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe damit die Beratungen. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung dem Europaausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer dem so zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so angenommen.

Ich rufe noch einmal Tagesordnungspunkt 24 auf: