Protokoll der Sitzung vom 29.08.2003

Wenn Fachklassen in Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen konzentriert werden, steht zu befürchten, dass das bisherige gemeinsame Ziel der wohnortnahen Beschulung im schulischen Teil der Berufsausbildung über Bord geworfen wird, wie es sich bereits jetzt bei der Konzentration der Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen zeigt. Eine besondere Konzentration findet in Lübeck und in Kiel statt. Diese Entwicklung vernachlässigt bereits jetzt die strukturschwachen Regionen. Man muss befürchten, dass diese Entwicklung durch die Absicht der Landesregierung, vermehrt Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen einzurichten, verstärkt wird - zum Nachteil der strukturschwachen Regionen.

Jetzt noch zur Ausbildung bereite Betriebe werden keine Bereitschaft zur Ausbildung mehr zeigen, wenn sie ihre Auszubildenden in einen 100 km oder weiter entfernten Ausbildungsort schicken müssen, vom Zeitverlust und dem notwendigerweise zu erstattenden Fahrgeld einmal ganz zu schweigen. Deshalb

(Caroline Schwarz)

muss zunächst eine genaue Analyse der Auswirkungen bestehender und zukünftiger Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen auf die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe in den Regionen geprüft werden. Weiter ist eine genaue Analyse der Möglichkeiten einer ortsnahen Beschulung notwendig. So sollte zum Beispiel die Zusammenfassung der ersten Ausbildungsstufe mehrerer Berufe bei überwiegend gleichen Inhalten - ich nenne im Baubereich Tischler und Holzmechaniker oder im Bereich Nahrung Hotelfach und Restaurantfach - geprüft werden. Eine notwendige Differenzierung könnte dann in der zweiten oder dritten Fachstufe erfolgen.

Außerdem muss gerechnet werden. Welche Einsparungen gibt es im Bereich Lehrerkräfte? Welche Einsparungen haben die Schulträger im Abgleich zu den erheblichen Mehrkosten, die auf die Schulträger durch den Schullastenausgleich und den erhöhten Verwaltungsaufwand zukommen?

Leider ist davon auszugehen, dass Sie diese dringend notwendigen Analysen und Prüfungen gar nicht wollen - so nach dem Motto: Augen zu und durch! Wenn das so ist, bleibt der neue Organisationsplan der Landesregierung wieder einmal ein konzeptionsloses Stückwerk, das einzelne Regionen benachteiligt und nicht dazu beiträgt, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe in den einzelnen Regionen zu verbessern, sodass damit letztlich die Wirtschaftskraft der ohnehin schon strukturschwachen Regionen verringert wird.

Mit unserem Antrag, auf der Basis einer genauen Analyse des Istzustandes und des Sollzustandes ein Gesamtkonzept zu entwickeln, wollen wir genau dies verhindern. Deshalb bitte ich, auch wenn ich von einer anders lautenden Beschlusslage bei der SPDFraktion und den Grünen gehört habe, herzlich um Überweisung in den Fachausschuss.

(Beifall bei CDU und FDP - Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Jedem Dorf seine Be- rufsschule!)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Jacobs das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mai hat das Bildungsministerium im Auftrag der Arbeitsgruppe „Haushaltsprüfung“ des Finanzausschusses einen Bericht zur Einrichtung von Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen vorgelegt. Es geht dabei um die Umsetzung der schulgesetzlichen Verpflichtung, Frau Schwarz, nicht am

Parlament vorbei - das steht so im Schulgesetz - und darum, Personal- und Sachmittel so effizient wie möglich zu verwenden, indem statt zu kleiner Berufsschulklassen regionale oder landesweite Einheiten gebildet werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in diesem Konzept ausführliche Informationen und Daten über Ausbildungsberufe und Berufsschulstandorte in Schleswig-Holstein erhalten, über Schülerzahlen, bestehende Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen, über das Verfahren zu ihrer Einrichtung, über Planstellenbemessung, Schulkostenbeiträge und Klassenbildung. Außerdem wurden Standorte und Berufe aufgelistet, die nur geringe Schülerzahlen haben. Im Ergebnis sind die Schulleitungen dem Auftrag zur Bildung von jahrgangs- und berufsübergreifenden Klassen nachgekommen. Das sei hier lobend hervorgehoben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das vom Ministerium mit dem Landkreistag, dem Städteverband und einzelnen Schulträgern erarbeitete Konzept sieht vor, im Herbst in einem mehrstufigen Verfahren Vorschläge für die Konzentration von Berufsschulstandorten für Berufe mit wenigen Auszubildenden für das Schuljahr 2004/2005 zu entwickeln. Ausbildungsbetriebe und -einrichtungen sollen frühzeitig eingebunden werden. Vor der endgültigen Festlegung der Standorte erfolgt das Anhörungsverfahren.

Ziele sind Sicherung und Steigerung der Unterrichtsqualität, effizienter Lehrereinsatz, zumutbare Schulwege, vertretbare Sachkosten und ein fairer Wettbewerb zwischen den Schulstandorten.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und - das ist vielleicht der wichtigste Punkt -: Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe soll nicht beeinträchtigt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Caroline Schwarz [CDU]: Wie wollen Sie das denn hinkriegen?)

- Weil es - das sage ich ja gerade - eine Rückkopplung mit den ausbildenden Betrieben vor Ort geben wird.

(Martin Kayenburg [CDU]: Prinzip Hoff- nung!)

Jede Einzeleinrichtung von Bezirksklassen musste auch in der Vergangenheit individuell geregelt wer

(Helmut Jacobs)

den. Dort sind stets flexible Lösungen gefunden worden. Auch die CDU kennt dieses schlüssige Konzept seit drei Monaten. Nun hat sie festgestellt, dass die Landesregierung Stückwerk plant. Sicher ist es das gute Recht der Opposition, alles schlecht zu finden, was aus dem Bildungsministerium kommt,

(Zurufe von der CDU)

und deswegen möglichst viel Sand ins Getriebe zu streuen. Deshalb wird wieder einmal ein weiteres Gesamtkonzept gefordert, das nur nach langwierigen wissenschaftlichen Untersuchungen erstellt werden kann.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD])

Das würde nicht nur Zeit, sondern auch eine Menge Geld kosten.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist ein Ding! Das Ministerium arbeitet ohne Gesamtkon- zept!)

- Wir haben es ja. Es gibt ein Gesamtkonzept, Herr Kayenburg. Ich habe gerade gesagt: Es liegt seit drei Monaten vor. Sie aber wollen noch mehr. Vielleicht haben Sie es nicht verstanden. Sie wollen wissenschaftliche Untersuchungen, Gutachter einschalten und Geld ausgeben, das wir angeblich haben.

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Und dann beschweren Sie sich über die Kosten!)

Im Antrag ist mehrfach von genauen Analysen und Prüfungen sowie von Stärken- und Schwächenanalysen die Rede, die doch ohnehin selbstverständlich sind und regelmäßig von den betroffenen Schulen in die Abstimmungsprozesse eingebracht werden. Außerdem wird eine Zusicherung verlangt, dass die eingesparten Stunden an den Berufsschulen verbleiben. Einer solchen Zusicherung bedarf es nicht, weil es im Konzept ausdrücklich heißt, dass die Umsetzung des Konzeptes die Unterrichtsversorgung der Berufsschulen verbessern soll. Außerdem wäre eine Verlagerung von ersparten Stunden auf die allgemeinbildenden Schulen schon deshalb kontraproduktiv, weil die duale Ausbildung immer stärker in die Berufsschulen verlagert wird. Die Zahl der berufsvorbereitenden Klassen und berufsqualifizierenden Vollzeitbildungsgänge wächst stetig. 1992 gab es in Schleswig-Holstein rund 400 berufsvorbereitende Vollzeitklassen; jetzt sind es bereits mehr als 500. Dieser Verschiebung zulasten des Landes lässt sich durch die Einrichtung von Bezirksfachklassen gegensteuern.

Wir lehnen den CDU-Antrag ab, weil in ihm Forderungen aufgestellt sind, die bereits Bestandteil des im

Mai herausgegebenen Konzepts der Landesregierung sind. Unser Antrag setzt sich für einen effizienten Einsatz von Ressourcen in der beruflichen Bildung ein und bestärkt die Landesregierung darin, bei der Einrichtung von Bezirksfachklassen der Ausbildungsbereitschaft höchste Priorität einzuräumen. Ich bitte, über die Anträge heute im Parlament abzustimmen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorab eine Bitte an die Kollegen der anderen Fraktionen und insbesondere der beiden Koalitionsfraktionen: Ich möchte Sie dringend darum bitten, die beiden Anträge an den Bildungsausschuss zu überweisen, damit wir über einige Punkte im Zusammenhang mit dieser sehr ins fachliche Detail hineingehenden Materie noch einmal reden können.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Ich glaube, dass es auf diese Weise möglich wäre, bestimmte Fehlentwicklungen zu verhindern, ohne dass Sie den zugegebenermaßen mit einem relativen Aufwand verbundenen Antrag der Union mittragen. Ich finde, dass man in der Sache über einige Dinge reden muss und dass es Verbesserungen am bisher vorliegenden Konzept der Landesregierung über die Einrichtung von Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen geben kann und geben muss.

Vordergründig klingt es natürlich sehr plausibel, wenn man sagt, es sollen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit vermehrt Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen dort eingerichtet werden, wo man sozusagen in kleinen Ausbildungsberufen nur geringe Schülerzahlen hat, also eine Konzentration an Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen. Mit starren Vorgaben geht das Konzept der Landesregierung jedoch an der Realität im Bereich der Berufsschulen schlichtweg vorbei. Das betrifft insbesondere die Tatsache, dass Bezirksfachklassen immer dann einzurichten sind, wenn in den ersten beiden Jahren in einem Ausbildungsberuf die Mindestzahl von 30 Berufsschülern nicht erreicht werden kann. Es wird hier also praktisch eine Mindestklassenstärke von 15 Schülern vorgeschrieben. Weshalb das auch im Sinne eines wirtschaftlichen Mitteleinsatzes, Frau

(Dr. Ekkehard Klug)

Kollegin Heinold und die anderen Kollegen aus der Haushaltsprüfgruppe, nicht unbedingt eine sinnvolle Vorschrift ist, will ich Ihnen kurz an einem Beispiel erläutern, das nicht fiktiv ist, sondern das Sie in der Realität der Berufsschulen dieses Landes wieder finden können. Schule A erreicht in einem Ausbildungsberuf die Mindestklassenstärke 15. Weil die Schüler dort aber sehr unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen mitbringen, muss der fachpraktische Unterricht zum Teil differenziert erteilt werden. Das heißt vom Lehrerstundeneinsatz her: Acht Berufsschulstunden werden gemeinsam unterrichtet, und zweimal vier Stunden berufspraktischer Unterricht werden in getrennten Lerngruppen erteilt. Dies bedeutet, für diese 15 Berufsschüler werden 16 Lehrerwochenstunden eingesetzt. In einer anderen Berufsschule gibt es in der Klasse des gleichen Ausbildungsberufs 12 Schüler. Weil diese jedoch ähnliche Bildungsvoraussetzungen mitbringen, können sie alle gemeinsam unterrichtet werden. Das heißt, für 12 Schüler werden 12 Lehrerwochenstunden eingesetzt.

Ich denke, für jeden, der rechnen kann, dürfte klar sein, dass es Unsinn wäre, der zweiten Schule ein solches Bildungsangebot zu verbieten, und zwar mit dem Argument der Wirtschaftlichkeit. Ich finde, dass auch die hochgeschätzten Mitglieder der Haushaltsprüfgruppe des Finanzausschusses, wenn man etwas tiefer in die Materie einsteigt, erkennen müssten, dass man bei den Bestrebungen des Landes zu einem wirtschaftlichen Mitteleinsatz eine etwas größere Flexibilität zugrunde legen sollte und dass mit diesen starren Vorschriften das Gegenteil von dem erreicht werden könnte, was eigentlich angestrebt wird, nämlich ein wirtschaftlicher Mitteleinsatz.

Meine Damen und Herren, mit dem Instrument des Personalbemessungsverfahrens, das ja die Lehrerstellenzuteilung an die Kopfzahlen der Schüler bindet, haben wir ein Instrumentarium, das die Schulen von vornherein dazu zwingt, mit den ihnen zugeteilten Ressourcen möglichst wirtschaftlich umzugehen. Sonst könnten sie ja überhaupt nicht über die Runden kommen. Die Schulen haben dies - das ist schon von Herrn Jacobs erwähnt worden - in der Praxis in der Vergangenheit dadurch bewiesen, dass sie in kleinen Ausbildungsberufen, wo immer das möglich ist, Ausbildungsberufe zusammenlegen oder - darauf haben Sie hingewiesen - dass jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. Die berufsbildenden Schulen haben sich also sehr verantwortungsvoll verhalten. Das ist durch die Praxis in der Vergangenheit bewiesen. Sie haben mit dem Konzept der regionalen Berufsbildungszentren den Weg einer größeren Eigenverantwortung der Schulen beschritten. Wenn jetzt wieder für alle berufsbildenden Schulen sozusagen durch eine Verord

nung des Landes ein sehr starres Raster, das möglicherweise in der Praxis das Gegenteil dessen verursacht, was eigentlich angestrebt ist, nämlich Wirtschaftlichkeit, eingeführt wird, dann widerspricht das auch dem Ansatz eines eigenverantwortlichen sinnvollen Umgangs mit den vom Land nach bestimmten rationalen Kriterien zugewiesenen Ressourcen.

Man sollte darüber nachdenken, ob das so, wie es angedacht ist, also in dieser Vorschriftenstruktur, wirklich sinnvoll ist. Deshalb bitte ich noch einmal um Überweisung in den Bildungsausschuss. Ich weise auch darauf hin - das ist bereits erwähnt worden -, dass natürlich für die Schulen vor Ort, und nicht nur für die Schulen, die Präsenz eines regionalen Ausbildungsangebotes ein großer Wert ist. Wenn in einem Ausbildungsberuf durch Bildung einer Bezirksfachklasse ein Angebot erst einmal aufgelöst worden ist, dann wird das so schnell nicht wieder eingerichtet. Möglicherweise haben die Schulträger dann für die Ausstattung ihrer Berufsschule Investitionen - in manchen technischen Berufen auch relativ kostspielige Investitionen - in den Sand gesetzt. Wenn Unterricht in dem Bereich nicht mehr stattfindet, ist das im Grunde genommen eine Investition, die man in den Sand gesetzt hat. Es kann auch durchaus für das Ausbildungsplatzangebot allen Versicherungen zum Trotz vor Ort zu einem Problem werden, weil sich mancher Auszubildende sagt, dass er sich einen Ausbildungsplatz dort sucht, wo man ein Berufsschulangebot findet. Das wäre eine Entwicklung, die gerade für den ländlichen Raum in Schleswig-Holstein nicht sinnvoll wäre.

Mit anderen Worten: ein klares Bekenntnis zu einem wirtschaftlichen Mitteleinsatz aber bitte mit vernünftigen Instrumentarien und mit der Flexibilität, die dem Verantwortungsbewusstsein, das unsere berufsbildenden Schulen im Lande in einem hohen Maße in der Vergangenheit an den Tag gelegt haben, gerecht wird.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hentschel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, wir führen im Moment eine sehr konstruktive Debatte. Es handelt sich um ein ernstes Problem. Wir haben die Situation, dass wir eine zunehmende Zahl von Berufen, abnehmende Schülerzahlen und gleichzeitig einen wachsenden Anteil von Vollzeitschülern

(Karl-Martin Hentschel)