Protokoll der Sitzung vom 25.09.2003

Wir sind der Auffassung, dass die Kreise und kreisfreien Städte seit Jahren, und zwar mit erheblichem Mittelaufwand unter Beteiligung des Landes Strukturen aufgebaut haben, Hilfesysteme aufgebaut haben für Arbeitslosenhilfeempfänger und sie in den Arbeitsmarkt vermittelt haben. Die kommunale Ebene hat die erforderlichen Kompetenzen dafür und sie hat diese Aufgaben übernommen, weil sie sich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar verantwortlich fühlt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Es spricht eigentlich alles dafür, so zu verfahren. Deswegen wird Schleswig-Holstein morgen im Bundesrat erneut dafür plädieren und dies auch deutlich machen. Wir setzen diese Position also nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch bei den Beratungen im Bundesrat noch einmal um.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Nun schließt eine kommunale Trägerschaft nicht aus, dass nicht Teilbereiche in einem abgestimmten Netzwerk durch andere Träger und Stellen, beispielsweise die Arbeitsämter, wahrgenommen werden. Sie kritisieren, dass die Vorsorge dafür noch nicht getroffen ist und dass keine Vorkehrungen getroffen worden sind. Es ist aber auch noch nichts entschieden.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Wir glauben, dass es dabei natürlich Übergangsfristen geben muss, dass die notwendigen Strukturen dafür in Schleswig-Holstein aber geschaffen werden können.

Voraussetzung - auch das ist nichts Neues - für die Wahrnehmung dieser Aufgaben auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte ist allerdings ein Ausgleich der Mehrkosten, die dadurch entstehen. Über einen solchen Ausgleich hinaus - auch das ist Position der Landesregierung - muss die Gemeindefinanzreform zu einer spürbaren und nachhaltigen Verbesserung der Gemeindefinanzen führen. Die Vorschläge der Bundesregierung, die dazu bisher auf dem Tisch liegen, halten wir für unzureichend. Auch das stehe ich nicht an, hier noch einmal zu sagen. Das ist ein zweites Thema, das mit diesen Fragen unmittelbar zusammenhängt.

Lassen Sie mich nun zu den Zielen der Arbeitsmarktpolitik - natürlich in Abstimmung mit meinem Kollegen Rohwer, der heute nicht hier sein kann, mit dem ich mir sonst die Redezeit geteilt hätte - Folgendes sagen. Wir setzen auf eine differenzierte Strategie. Natürlich gilt als Generallinie, dass die Unternehmen durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in die Lage versetzt und motiviert werden müssen, wieder mehr zu investieren und für mehr Beschäftigung zu sorgen. Das ist gewissermaßen die Generalüberschrift. Aber gleichzeitig muss auch - das ist das Anliegen der Landesregierung auf allen Politikfeldern - die Bereitschaft zu Existenzgründungen, zum Aufbau eines eigenen Unternehmens gestärkt werden. Dafür muss es Impulse aus allen Politikfeldern geben. Auch hier gibt es eine Berührung zur Bildungspolitik. Es fängt im Grunde in der Schule an. Sie wissen, es gibt viele Initiativen dafür.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- Ja, alles fängt in der Familie und in der Schule an. - Die Bereitschaft dafür muss auf allen Politikfeldern gestärkt werden. Das gilt für die Schule, das gilt für die Hochschule. Auch da ist die Bereitschaft, Existenzen zu gründen, noch nicht weit verbreitet. Dafür müssen wir in Deutschland etwas tun. Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung halten wir nur dann für sinnvoll, wenn mit ihnen Perspektiven für den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt verbunden sind - ich sage: Perspektiven verbunden sind. Reguläre Arbeitsplätze dürfen dadurch nicht gefährdet werden. Auch dies will ich hier gern noch einmal bestätigen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Landesarbeitsmarktpolitik muss effektiv und effizient sein. Man klatscht dazu, aber der Teufel liegt

im Detail, bei den vielen Gesellschaften, die wir haben, bei der Frage, welche Aufgaben sie wahrnehmen, ob das, was sie tun, in den ersten Arbeitsmarkt eingreift. Ich glaube, da haben wir noch schwierige Entscheidungen vor uns.

(Beifall)

Ein Wort zu den langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfängern. Wir setzen darauf, dass die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sehr schnell zu einer spürbaren Verbesserung der Eingliederungschancen dieses Personenkreises führen wird. Wir sind uns aber bewusst, dass zumindest in einer Übergangsphase in das neue Leistungssystem auch die Landesarbeitsmarktpolitik gefordert sein wird. Auch hier gilt aber: Die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hat grundsätzlich Vorrang.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Meine Damen und Herren, das Prinzip „Fördern und Fordern“ ist hier mehrfach genannt worden. Es ist schon fast als begrifflicher Zusammenhang abgegriffen, es wird auch in der Bildungspolitik immer wieder genannt. Das ist ein solcher Gemeinplatz; alles kann man darin unterbringen.

Zum Thema Fördern zählen natürlich die Anreize zur Aufnahme der Arbeit, das auf höchsten 24 Monate befristete Einstiegsgeld, die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit, die um eine Familienkomponente erweitert wurden, der Kinderzuschlag für Eltern, deren Einkommen etwa in der Höhe der neuen Leistung liegt oder diese um höchstens 200 € überschreitet. Zum Thema Fordern gehören natürlich auch Sanktionen, das ist klar. Die vorgesehenen Regelungen ermöglichen auch flexible Sanktionen.

Aber ich sage hier ganz deutlich: Der generelle Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wird nicht in jedem Fall möglich sein. Es gibt einen Grundsatz, der für uns gilt: Wenn Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in „Bedarfsgemeinschaften“ - wie es so schön im Amtsdeutsch heißt - zusammenleben, muss der Lebensunterhalt mindestens über Sachleistungen gewährleistet sein. Ich finde es gut, dass dies hier heute noch einmal betont wurde, dass überhaupt die Kinder ins Blickfeld der Debatte geraten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Ihrem Antrag - das muss ich leider kritisch anmerken - kam es nicht vor, Herr Kalinka. Ich gestehe gern zu, dass man nicht alle Aspekte in einem Antrag abhandeln kann. Ich fand es gut, dass das hier heute

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

noch einmal so deutlich gesagt wurde. Wir haben in Deutschland 1,1 Millionen Kinder, die Sozialhilfeempfänger sind, die größte Gruppe überhaupt. Das müssen wir bei allem, was wir tun, was wir neu regeln, immer im Blick haben. Die Situation von jungen Alleinstehenden ist damit nicht zu vergleichen.

Für junge Alleinstehende oder junge Erwerbsfähige allerdings, die sich weigern, an ihrer eigenen Integration mitzuwirken, die Angebote nicht annehmen und die von einer Familiensituation in eine Sozialhilfekarriere hineinrutschen, ist eine komplette Streichung der Leistungen vorgesehen. Ich finde das auch richtig. Hier muss es auch einen Druck und einen Zwang zur Aufnahme von Arbeit geben; sonst produzieren wir sozialen Sprengstoff und persönliche Karrieren, die wirklich unverantwortlich sind.

(Beifall bei CDU, FDP und des Abgeordne- ten Bernd Schröder [SPD])

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel: Die Sozialhilfe muss neu gefasst und vereinfacht werden. Natürlich wollen wir auch in Zukunft in einem Sozialstaat mit menschlichem Antlitz leben. Das gilt insbesondere für die Situation von Kindern und Familien. Dass es dafür hier ein Mindestmaß an Übereinkunft gibt, begrüße ich.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, zunächst einmal Respekt. Ich finde es in Ordnung, wenn ein Regierungsmitglied in einer Rede von sich aus Fehler in der Vergangenheit einräumt, Fehler, die wir bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik seit zehn Jahren immer wieder aufgezeigt haben. Ich finde es gut, dass Sie heute eingeräumt haben, dass in der Vergangenheit da nicht alles richtig gelaufen ist. Dafür wirklich Respekt von unserer Seite.

Ich habe mich wegen der Beiträge der Kolleginnen Spoorendonk und Birk noch einmal zu Wort gemeldet. Wenn Sie eine Untersuchung der Handelskammer Hamburg aus dem Jahr 1999 angucken, werden Sie sehen, dass die Gruppe der so genannten Langzeitarbeitslosen keine homogene Gruppe ist, sondern eine sehr heterogene Gruppe. Die ist grob aufzuteilen in ein Drittel, das Sie bei einer effizienten Arbeits

vermittlung sofort vermitteln könnten, wenn die Arbeitsvermittlung ordentlich funktioniert. Ein zweites Drittel braucht eine ordentliche Qualifikation und hat dann exzellente Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder eine Beschäftigung zu finden. Auch das gilt immer unter der Voraussetzung, dass man den tatsächlich notwendigen Qualifizierungsbedarf erkennt, anhand dieses Bedarfs qualifiziert und dann eine vernünftige und gut funktionierende Vermittlung besteht, um diese Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen.

Die dritte Gruppe - das ist die schwierigste, über die unterhalten wir uns heute vor allem - sind Menschen, die nicht zu qualifizieren sind, aus welchem Grund auch immer. Da greift eine Qualifizierung nicht mehr und auch die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt ist höchst problematisch und wird in aller Regel nicht funktionieren.

Frau Kollegin Spoorendonk, Sie haben das Prinzip „Fordern und Fördern“ noch einmal aufgegriffen. Was heißt denn Fordern? Wir müssen tatsächlich einmal fragen, wer fordert, der muss dann auch sagen, was er fordert. Ich habe den Kollegen Kayenburg genauso wie den Kollegen Kalinka so verstanden, dass gerade für diese Menschen ein Arbeitsangebot gemacht werden muss, das dahinter stehen muss.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Es ist nämlich nutzlos, auf der einen Seite irgendetwas zu fordern, einen Beitrag zu fordern, wenn auf der anderen Seite nicht ein entsprechendes Angebot zum Beispiel in dem viel zitierten gemeinnützigen Sektor besteht. Das ist ein zentrales Element. Sonst funktioniert dieser - wie Frau Ministerin es nannte - „Allgemeinplatz“ nicht. Sonst funktioniert das nicht und es bleibt beim Allgemeinplatz und die Gesellschaft bleibt dann selbstverständlich unzufrieden.

Lassen Sie mich abschließend eines sagen: In der Bundesrepublik gilt immer noch Artikel 20 Grundgesetz, in dem der soziale Rechtsstaat festgeschrieben ist. Hüten wir uns alle davor, den Sozialhilfebezug weiter zu stigmatisieren! Es gibt ein Recht darauf.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dieses Recht haben im Übrigen nicht nur Familien mit Kindern, sondern jeder, der unverschuldet in Not geraten ist. Ich will, dass das auch weiterhin deutlich gesagt werden darf, auch in so einer Debatte.

(Beifall im ganzen Haus)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. - Doch, zur Geschäftsordnung, Herr Oppositionsführer!

Zum Verfahren! Wir haben zwei Anträge vorliegen, zum einen den Antrag - -

(Lothar Hay [SPD]: Wir können Sie leider nicht verstehen!)

Ich danke dem Herrn Oppositionsführer, dass er hier nach vorn gekommen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwei Anträge vorliegen, zum einen den CDU-Antrag, zum anderen den Antrag der SPD. Der Kollege Baasch hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir leider keine Zeit mehr für eine Beratung in den Ausschüssen haben, weil die Terminierung so ist, dass vorher der Bundesrat tagen wird. Von daher haben wir überlegt, ob wir Ihrem Antrag zustimmen könnten. Allerdings nach den Wortbeiträgen von Frau Birk und auch von Frau Spoorendonk haben wir ein wenig Zweifel, ob unsere Positionen wirklich so vergleichbar sind; denn bei Ihnen ist deutlich geworden, dass das Fördern für Sie im Vordergrund steht und dass das Fordern doch nicht gleichrangig zu sehen ist. Das Fördern ist für uns selbstverständlich und das soziale Netz ist nach unserer Auffassung gegeben.

Was nicht gegeben ist, ist die andere Seite, das Fordern. Vor dem Hintergrund schlagen wir vor, dass wir versuchen, alternativ abzustimmen, würden aber - deshalb habe ich mich vor allem gemeldet - gern Ihrer Nummer 7 zustimmen. Die sollten wir herausnehmen und darüber gesondert abstimmen sowie im Übrigen alternativ abstimmen mit der Bitte, dass sich die Ausschüsse gleichwohl damit befassen.

(Beifall)

Dann treten wir jetzt in die Abstimmung ein. Ich lasse zunächst über Nummer 7 - das ist der ehemalige SSW-Antrag, der damit erledigt ist - des Antrages der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW abstimmen, Drucksache 15/2935. Wer dieser Nummer 7 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Jetzt lasse ich alternativ über die beiden Anträge abstimmen. Ich komme zunächst zur Abstimmung über den erstgestellten Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/2892. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Dann lasse ich abstimmen über den Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 15/2935. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Diesem Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW zugestimmt.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich die nächsten Besuchergruppen auf der Tribüne begrüßen. Das sind Besucher der Hauptschule Nortorf, der Jörgnsby-Skolen, Flensburg, und des SPD-Ortsvereins Gladebrügge. - Herzlich willkommen!

(Beifall)