Protokoll der Sitzung vom 12.12.2008

Damit sind wir wieder sehr schnell bei einer HartzIV-Kritik und ähnlichen Dingen. Darüber können wir uns auch fleißig streiten. Aber jetzt geht es darum, Strukturen zu schaffen, die es den Leuten erleichtern, Anträge zu stellen, die es ihnen erleichtern, die Leistungen, auf die sie einen Anspruch ha

(Dr. Heiner Garg)

ben, beantragen zu können. Das muss so gestaltet werden, dass sie es eben auch können.

Man muss immer daran denken: Es sind ganz normale Menschen und keine Leute, die jeden Tag einen Gesetzestext lesen. Diese Leute müssen sich durch die Anträge hindurchquälen. Ihnen müssen wir es leicht machen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: entweder auf gesetzlicher Ebene oder dadurch, dass man die Strukturen vor Ort so gestaltet, dass es nur noch eine Anlaufstelle gibt. Im Ausschuss muss man sich noch einmal darüber unterhalten, was der bessere Weg ist. Ich denke, dann werden wir das auch schaffen.

Ein letzter Punkt! Es wurde auch noch gesagt, wir müssten uns über die Erhöhung des Kindergelds unter dem Stichwort der direkten Anrechenbarkeit unterhalten. Das kann man sicherlich tun. Aber da der Bundesrat am 19. Dezember ohnehin über diese Dinge entscheiden wird, glaube ich nicht, dass wir noch einen direkten Einfluss haben werden. Insofern ist es sinnvoll, den Antrag im Ausschuss dahingehend zu beraten, dass man dieses konkrete Kompetenzgewirr abschafft. Wie man es macht, ob auf gesetzlichem Wege oder indem man Strukturen vor Ort ändert, muss man sehen. Aber ich denke, darüber werden wir uns sehr schnell einigen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung hat der Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herr Uwe Döring, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst begrüße ich natürlich jeden Antrag und jede Aktion, wenn es um die Interessen hilfebedürftiger Menschen geht. Ich möchte allerdings eines dazu sagen, Frau Birk. Ihre Kritik der Mitarbeiterinnen bei den ARGEn und bei den Optionskommunen erschien mir zu pauschal. Beide bemühen sich, gute Arbeit zu leisten, und dies unter schwierigen Bedingungen. Die Gesetze, die sie ausführen müssen, haben sie sich nicht ausgedacht, sondern die haben wir uns als Politiker ausgedacht.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP - Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir einer Meinung!)

Sie tun unter schwierigen Bedingungen das, was möglich ist. Daran sollten wir immer denken. Wenn

wir über die Kompliziertheit von Gesetzen diskutieren, so liegt eine Ursache darin, dass wir sehr viel Einzelfallgerechtigkeit hineinbringen können. Je mehr man an diesen Gesetzen ändert, habe ich einmal spitz formuliert, desto mehr gewinnen sie an Unzulänglichkeit, weil dann nämlich der nächste Einzelfall auftaucht, den man wiederum regeln muss. Deswegen ist es schwer, sich hinterher darüber zu beschweren, dass wir diese vielen Verfahren haben. - Dies wollte ich als Vorbemerkung sagen.

In der Sache haben sie recht. Das will ich auch nicht wiederholen. Natürlich wollen wir Hilfe aus einer Hand haben. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass wir ein vernünftiges Nachfolgemodell für die ARGEn bekommen und dass die Optionskommunen auf jeden Fall erhalten bleiben. Möglicherweise gibt es noch ein wenig Bewegung nach oben. Aber vielleicht müssen wir auch noch einmal sehen, was man noch zusätzlich aus einer Hand gewähren kann. Das ist, denke ich, wichtig dabei, damit die Menschen das auch richtig verstehen.

In dem Fall, den Sie geschildert haben, haben Sie die Kompliziertheit richtig dargestellt. Das Ganze beruhte auf einer Anweisung vom 21. August 2008. Diese ist aber inzwischen aufgehoben; seit dem 21. November gibt es sie nicht mehr. Jetzt gilt die Verfahrensregelung, dass zur Geltendmachung eines vorrangigen Anspruchs, wie es so schön heißt, die anderen Leistungen zunächst weitergezahlt werden. Das heißt also: Durch diese neue Geschäftsanweisung wird jetzt ein nahtloser Übergang ermöglicht, und voraussichtlich mit der Gesetzesänderung, die am 1. Januar erwartet wird, wenn das erste Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes in Kraft tritt, wird dies auch gesetzlich verankert. Dann zahlt ein Leistungsträger weiter, bis die andere Leistung gewährt wird. Damit wird man künftig nicht mehr ins Leere fallen.

Was den Erhalt von zusätzlichen Vergünstigungen anbelangt, so kann man hierüber sehr gut streiten. Das reicht von der Gebührenbefreiung bis zur kostenlosen Nutzung von Bibliotheken und Sportanlagen. Nur, ich bitte, immer auch daran zu denken, dass es Menschen in vergleichbaren Situationen im ungeförderten Niedriglohnbereich gibt. Diesen Menschen, die solche Leistungen letztlich nicht bekommen, muss man das auch erklären.

Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Heute Morgen war ich in einem Betrieb, in dem 400 Menschen ihre Arbeit verlieren. Das ist ein Zulieferer der Autoindustrie in Hohenlockstedt. Wir haben erreicht, dass diese Arbeitnehmer zunächst in eine

(Lars Harms)

Auffanggesellschaft kommen, aber sie sind wieder akut von Arbeitslosigkeit bedroht. Deshalb möchte ich als Arbeitsminister am Schluss nur sagen - das gehört in diesen Kontext -: Gute Politik darf nicht nur darin bestehen, dass wir uns über die Höhe von Transferleistungen streiten, sondern gute Politik heißt, Menschen von Transferleistungen unabhängig zu machen.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/2364 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Klimaschutzziele nicht verwässern

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2347

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wegen der absehbaren Wirtschaftskrise und der Verkaufseinbrüche bei der Autoindustrie haben sich CSUbeziehungsweise CDU-Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Seehofer und der niedersächsische Ministerpräsident Wulff sowie der CDU-Wirtschaftsrat für eine Verwässerung beziehungsweise zeitliche Verschiebung der Klimaschutzziele ausgesprochen. Es wird so getan, als sei der Klimaschutz ein Thema unter vielen, das aufgrund kurzfristiger Überlegungen von der Tagesordnung genommen werden kann.

Der Report von Sir Niclas Stern beruht auf einer entscheidenden Erkenntnis: Nur eine an ökologischen Zielen orientierte Wirtschaftspolitik ist mittel- und langfristig auch ökonomisch. Stern hat festgestellt, dass in Klimaschutz sofort, hier und heute und nicht irgendwann und anderswo, investiert werden muss; sonst wird Klimaschutz irgendwann nicht mehr bezahlbar sein. Je früher und zielgerich

teter investiert wird, desto ökonomischer, desto vorteilhafter ist es für die Volkswirtschaft.

Stern rechnet vor, dass Investitionen, die heute unterlassen werden, in der Zukunft den fünf- bis zehnfachen volkswirtschaftlichen Aufwand erfordern werden.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Besonders traurig ist es, dass die Kanzlerin jetzt in dasselbe Horn stößt und Klimaschutz hinten anstellen will. Sie will sich gegen Klimaschutz wenden, es sollen keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Damit übernimmt Angela Merkel nach ihren Ministerpräsidenten eine Argumentationslogik, die der bisherige Präsident der Vereinigten Staaten immer gepflegt hat. Die Bundeskanzlerin „verbusht“ sozusagen.

Das Verwässern der Klimaschutzziele ist aus ökonomischer Sicht der falsche Weg. Wenn die deutsche Automobilindustrie nicht schnell von ihren hohen CO2-Emissionen wegkommt, dann werden Autos „made in Germany“ zu Ladenhütern. Die Kanzlerin wird an der Seite von Mercedes, Audi, BMW und VW zur Totengräberin unserer Autoindustrie. Mit ihrer Lobbyarbeit für die Autokonzerne wird die Bundeskanzlerin genau das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Die Industrie wird nicht gestärkt durch weniger Klimaschutz, sondern sie wird auf Dauer geschwächt, weil der Innovationsmotor abgestellt wird. Die von der Bundesregierung beschlossene Steuerbefreiung für Neufahrzeuge ist ein finanzpolitischer, wirtschaftspolitischer und ökologischer Unfug.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Völlig undifferenziert gilt die Steuerbefreiung für alle Neuwagen, egal, wie viel Sprit sie verbrauchen. Es ist eine Schande, dass wir in Deutschland Kinder aus armen Familien in die Suppenküche schicken, während dem Käufer eines neuen Audi Q7 mit 500 PS, der pro Kilometer 300 g CO2 ausstößt, ein Steuergeschenk von 1.800 € gemacht werden soll.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das war doch Ihr Koalitionspartner!)

Das ist kein Konjunkturprogramm.

Herr Kollege Matthiessen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

(Minister Uwe Döring)

Bei all den Höflichkeiten des Kollegen kann ich gern darauf verzichten. All diese Schlaumeierei kann er irgendwo anders austoben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er will eine Frage stellen! - Weitere Zurufe)

- Ja, aber es reicht irgendwann einmal. Außerdem haben wir das Fest der Liebe vor uns.

(Zurufe)

Das Gleiche passiert übrigens auch auf EU-Ebene: Das ursprüngliche Ziel, den Durchschnittsausstoß der Flotte ab 2012 auf 120 g CO2 zu begrenzen, gilt nicht mehr. Es gibt Übergangsregelungen, es gibt Ausnahmeregelungen, es gibt Flottenverrechnungen, und erst ab 2019 gibt es Strafzahlungen - erst 2019! Wo ist da der Anreiz für Innovationen?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So wird Frau Merkel zur Totengräberin der deutschen Automobilindustrie.

Ganz anders läuft es im Übrigen jetzt in den USA. Dort werden die Vorstände nach Hause geschickt und müssen Konzepte vorlegen. Offensichtlich haben sie mit neuen Konzepten noch nicht überzeugen können. Dort wird es offensichtlich der Markt richten müssen.

Ich hoffe nicht, dass wir mit der neuen amerikanischen Regierung in die Situation kommen, dass dort Klimaschutz ganz oben auf die Agenda kommt und wir hier eines Tages mit amerikanischen Autos herumfahren müssen, die CO2-effizienter sind.

Schleswig-Holstein gewinnt bei der Umsetzung der Klimaschutzziele der Bundesregierung, die sie sich selber auf die Fahne geschrieben hat, und Schleswig-Holstein profitiert doppelt. Es ist von der Kanzlerin verkehrt zu behaupten, dass Arbeitsplätze durch Klimaschutz gefährdet werden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Branchen, die in den Bereichen erneuerbare Energien und Klimaschutz tätig sind, sind diejenigen, die am wenigsten von der derzeitigen Krise betroffen sind. Bestellen Sie einmal eine Windmühle bei der Firma Nordex in Norderstedt!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Definitiv nicht!)

Da sind mehrere Hundert Arbeitsplätze. Sie dürfen sich einkaufen auf eine Bestellliste, um irgendwann einmal das Recht zu bekommen, wenn Sie an der Reihe sind, eine Windmühle in Empfang zu nehmen - so sieht es in der Branche aus -,

Herr Kollege Matthiessen, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

- während unsere überdimensionierten Autos

Achten Sie bitte auf Ihre Redezeit!