Protokoll der Sitzung vom 29.01.2009

Zweitens. Niedergelassene Ärzte, die viele Leistungen bei einzelnen Patienten - beispielsweise bei Krebspatienten - erbringen oder ein sehr hohes Patientenaufkommen haben, werden auf den wesentlich geringeren Fachgruppenschnitt heruntergebrochen oder durch eine Abstaffelungsregelung bestraft. Das trifft besonders die Ärztinnen und Ärzte, die im ländlichen Raum einen weiten Einzugsbereich bedienen. Es betrifft aber auch diejenigen, die besonders viel Spezialdiagnostik erbracht haben und ihre

Patienten eben nicht einfach weiter überwiesen haben.

Die Honorarreform ist bedauerlicherweise das Ergebnis des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Rechte der ärztlichen Selbstverwaltung sind mit diesem Gesetz systematisch beschnitten worden. Das hat für die Ärztinnen und Ärzte in SchleswigHolstein folgende Auswirkungen: Facharztleistungen, die mit einem hohen apparativen Aufwand verbunden sind, wird es bei der jetzigen Preisgestaltung in Schleswig-Holstein in der Fläche nicht mehr geben. Stattdessen werden künftig fachärztliche Leistungen in medizinischen Versorgungszentren erbracht, damit sie sich überhaupt noch rechnen.

Frau Ministerin, den Facharzt auf dem Land wird es in Zukunft in dieser Form schlicht und ergreifend nicht mehr geben. Patienten werden es künftig schwerer haben, einen Arzt zu finden, der Leistungen für seine Kasse erbringt. Denn künftig werden Allgemein- und Fachärzte über die Selektiv- und Direktverträge nach § 73 b und c SGB V leistungsorientierte Versorgungsverträge abschließen. Eine bunte Vertragslandschaft wird die Patienten unterschiedlicher Kassen vor das Problem stellen, einen Arzt zu finden, der sie über die Grundversorgung hinaus behandelt. Damit wird gleichzeitig das Ziel der Bundesgesundheitsministerin erreicht, die ärztliche Selbstverwaltung weiter auszuhöhlen und die Ärzte im Vertragswettbewerb gegeneinander auszuspielen.

Der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 15. Januar 2009 hat eine erste kleine Atempause gebracht, mehr ist dies allerdings nicht. Denn bis zum 31. Dezember 2010 muss in einem Konvergenzverfahren die schrittweise Anpassung der Regelleistungsvolumen erfolgt sein. Regionale Handlungsspielräume der ärztlichen Selbstverwaltung dürfen sich aber nicht darauf beschränken, für die nächsten Quartale extreme Honorarverwerfungen abzumildern. Die Zeit muss dafür genutzt werden, wieder regionale Handlungsspielräume zurückzugewinnen und zu definieren, wie diese regionale Handlungsspielräume eigentlich aussehen sollen.

Die Einführung regionaler Budgets wäre ein diskussionswürdiger Lösungsvorschlag, um die Honorare für die niedergelassenen Ärzte attraktiv zu gestalten. Ich bin ja an Ihrer Seite, wenn Sie sagen, dass dies primär Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung ist. Aber wenn dies so ist, dann darf man nicht einem Gesetz zustimmen, das die Rechte die

(Präsident Martin Kayenburg)

ser Selbstverwaltung dauerhaft beschneidet. So kann sie nämlich dieser Aufgabe nicht mehr gerecht werden.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind aufgefordert, die Interessen SchleswigHolsteins im Bund politisch zu vertreten und die Ärzte zu unterstützen. Ich sage ganz deutlich: Die wichtigste Aufgabe künftiger Gesundheitspolitik wird es sein, die Stärkung der Selbstverwaltung wieder sicherzustellen, damit die Selbstverwaltung genau das tun kann, wozu sie eigentlich da ist. Das ist ihr mit dem GKV-WSG, mit dem sogenannten Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, verwehrt. Insofern darf man sich dann auch nicht wundern, dass solche Verwerfungen auftreten.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Für die Fraktion der CDU hat Frau Abgeordnete Ursula Sassen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Risiken und Nebenwirkungen der Gesundheitsreform mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz und dem Gesundheitsfonds wurden zwar Ärzte und Apotheker befragt, aber man hat nicht auf sie gehört. Seit dem 1. Januar 2009 sorgt nun auch noch die Honorarreform für Unruhe in der Ärzteschaft. Die Erwartungen an diese Honorarreform waren sehr groß.

Von mehr Gerechtigkeit und Transparenz ist in einer Mitteilung der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt an die Mitglieder der Regierungsfraktionen des Bundestages die Rede. Sie betont, dass das Honorarsystem für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte unter der zentralen Ärzteschaft gemäß der Gesundheitsreform von diesen selbst entscheidend mitentwickelt wurde. Das Honorarverteilungsmodell der Kassenärztlichen Vereinigung sah anders aus, wurde aber abgelehnt, sodass diese sich im Hinblick auf eine Mitwirkung nicht so recht ausleben konnte.

Die Reform soll laut Ulla Schmidt den Ärztinnen und Ärzten im Vergleich der Jahre 2007 und 2009 bundesweit einen geschätzten Honoraranstieg von mindestens 2,75 Milliarden € beziehungsweise rund 10 % bringen, wird, wie meine Vorredner schon

sagten, für Schleswig-Holstein aber wesentlich geringer sein.

Dass es zu Honorarverwerfungen innerhalb der Ärztegruppen kommen würde, zeichnete sich schon deutlich ab. Auch die Bundesgesundheitsministerin schließt nicht aus, dass es sich im Zeitablauf zeige, dass einzelne Ärzte tatsächlich gewisse Einbußen zu verzeichnen hätten. Allerdings sei davon auszugehen, dass es eine sehr große „schweigende Mehrheit“ gebe, die von der nun faireren Honorarsystematik nicht nur planerisch, sondern auch direkt finanziell erheblich profitieren werde.

Ich habe bei der Ärztedemonstration in Meldorf am 13. Dezember 2008 einen anderen Eindruck gewonnen, nämlich den, dass eine unverhältnismäßig große Zahl von Ärztinnen und Ärzten nicht nur geringe, sondern existenziell bedrohliche Einnahmeverluste befürchtet. Neben einigen Hausärzten sind vor allem Fachärzte betroffen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Von einem gerechteren Honorarsystem im Hinblick auf die individuellen und patientenbezogenen Leistungen kann nicht - noch immer nicht - die Rede sein.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Während die Verhandlungskompetenzen seit dem 1. Januar 2009 fast ausschließlich durch den Bewertungsausschuss auf Bundesebene wahrgenommen werden und damit der regionale Handlungsspielraum stark eingeschränkt ist, legt das Bundesgesundheitsministerium die Verantwortung für die konkrete Vergütung der Ärzte in die Hände der jeweiligen Vertragspartner, und das sind die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen. Dort sieht man auch die Hauptverantwortung für „problematische Verteilungseffekte“.

Die notwendige Überprüfung der Rechtmäßigkeit obliegt dem jeweiligen Landesministerium für Gesundheit und Soziales als zuständiger Aufsichtsbehörde. Damit entsteht der Eindruck, dass vor allem die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein und das Gesundheitsministerium den Schwarzen Peter haben.

Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein hat sich nach dem Inkrafttreten der Honorarreform unverzüglich an die Ärzte gewandt, Bescheide herausgeschickt und Vergleichsrechnungen erstellt, sodass die Missverhältnisse der Honorarverteilung schnell zutage traten und folglich auch in Schleswig-Holstein schon sehr früh zu Protesten in der

(Dr. Heiner Garg)

Ärzteschaft geführt haben, die es auch in anderen Bundesländern gibt.

Dieser Protest hat Bewegung in das unausgegorene Honorarverteilungssystem gebracht. Auf Initiative Schleswig-Holsteins wurde erreicht, dass die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen für eine Übergangszeit von zwei Jahren einen größeren regionalen Spielraum erhalten und zumindest extreme Honorarverwerfungen abmildern können. Da allerdings nicht mehr Geld in das System fließt, stellt dies eine Herausforderung an die Solidarität der Ärzte untereinander dar, weil es einer Umverteilung von den Profiteuren zu den Verlierern der Honorarreform bedarf. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die andere Gruppe aufschreit.

Insgesamt betrachtet müssen sowohl das Vergütungssystem als auch die für Schleswig-Holstein herangezogenen Basisdaten auf den Prüfstand gestellt werden.

(Beifall bei der CDU)

Theorie und Praxis klaffen zu weit auseinander. Die Leidtragenden werden im wahrsten Sinne des Wortes die Patienten sein.

Die Leistungsansprüche in der GKV wachsen stetig, und die Finanzierung hält nicht Schritt. Darin liegt das Problem. Zur Lösung des Konflikts zwischen Leistungsanspruch und Leistungsfinanzierung nennt Professor Beske drei Voraussetzungen: erstens einen bedarfsgerechten Leistungskatalog, zweitens eine bedarfsgerechte Finanzierung des Leistungskatalogs und drittens eine leistungsgerechte Honorierung der Leistungserbringer.

Auch wenn ein Teilbereich des FDP-Antrags durch Nachverhandlungen bereits erledigt ist, steht weiterhin die Kernfrage im Raum, welche Auswirkungen die Umsetzung der Honorarreform 2009 auf die medizinische Versorgung in Schleswig-Holstein hat. Auch aufgrund der Ausführungen der Ministerin sind wir damit noch nicht ganz am Ende. Denn die Honorarreform ist ja nur ein Teil der Auswirkungen auf die ärztliche Versorgung. Eine gerechte Honorierung der ärztlichen Leistungen ist neben vielen anderen Faktoren der Schlüssel für eine ortsnahe haus- und fachärztliche Versorgung.

Daher wird meine Fraktion weitere Initiativen ergreifen und alle Bemühungen unterstützen, um das Ziel, durch motivierte Ärzte eine gute flächendeckende ambulante Versorgung zu haben, weiterzuverfolgen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD hat Frau Abgeordnete Jutta Schümann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Umsetzung der Honorarreform 2009 hat in den vergangenen Wochen in den Medien hohe Wellen geschlagen. Das Finanzierungssystem ist sehr komplex, und deshalb ist es im Rahmen der heute zur Verfügung stehenden Redezeit sicherlich kaum möglich, eine inhaltliche Debatte vernünftig zu Ende zu führen.

Zunächst einige Feststellungen in Kürze. Seit Januar 2009 gelten bundesweit einheitliche Honorare für Ärzte. Allerdings: Wer zuvor viele Patienten behandelte, bekommt nach dem neuen System viel Geld erstattet, während jener, der weniger Patienten mit teuren Geräten behandelt hat, weniger bekommt. Herr Kollege Garg hat darauf hingewiesen. Das bedeutet, dass in jeder Facharztgruppe ein Teil der Ärzte gewinnt. Das sind jene, die jetzt natürlich nicht protestieren. Das bedeutet aber auch, dass ein anderer Teil verliert, und zwar so viel, dass diese Mediziner um ihre Praxis und um die Versorgung ihrer Patienten fürchten.

Es gibt Ärzte, die darauf hinweisen und davon überzeugt sind, das erste Quartal 2009 nicht überstehen zu können. Insofern ist nachvollziehbar, dass Ärzte und natürlich mit ihnen die KV SchleswigHolstein sehr nachhaltig und deutlich Nachbesserungen in der Honorarvergütung gefordert haben. Sie fordern, dass die im Moment sich abzeichnenden gravierenden Honorarverwerfungen zukünftig besser abgefedert werden und weiterhin eine flächendeckende ärztliche Versorgung, besonders in ländlichen Regionen, sichergestellt werden muss. Dazu benötigen die Kassenärztlichen Vereinigungen dringend regionale Handlungsspielräume. Diese haben sie inzwischen, nach einer entsprechenden Initiative der KV SH, auf Bundesebene erhalten. Damit haben die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen für die Dauer von zwei Jahren zumindest die Möglichkeit erhalten, extreme Honorarunterschiede unter den Arztpraxen besser abzumildern. Diese Neuverteilung der Honorare ist nur im Einvernehmen mit den Krankenkassen umzusetzen.

Mit der Honorarreform sind in Schleswig-Holstein 60 Millionen € mehr geflossen. Es ist aber davon auszugehen, dass leider keine weiteren zusätzlichen Finanzmittel zu erwarten sind. Davon müssen wir ausgehen. Deshalb muss es uns jetzt darum gehen,

(Ursula Sassen)

die vorhandene Geldmenge gerechter zu verteilen. Das führt in Einzelfällen sicherlich auch dazu, dass aufgrund der Honorareinbußen bessere oder andere Praxisorganisationen oder auch Organisationsformen eingeführt werden müssen, um diese Einbußen kompensieren zu können.

Wir werden sehen, wie es sich danach weiterentwickelt. Es darf aber nicht dazu kommen, dass wir im ländlichen Raum die ärztliche Versorgung ausbluten lassen. Diese neue Organisation obliegt in erster Linie der Kassenärztlichen Vereinigung gemeinsam mit den Krankenkassen. Es ist natürlich zu begrüßen, dass das Ministerium diesen Prozess konstruktiv begleitet.

In den nunmehr eingeräumten sieben Quartalen als Konvergenzphase wird auszuloten sein, inwieweit die doch sehr zentralistisch organisierte Honorarreform sich auswirkt und ob sie sich bewährt.

Die jetzt ausgehandelten Übergangsregeln werden die Proteste zwar abmildern, aber mit Sicherheit nicht ganz verstummen lassen, denn nach wie vor ist nicht auszuschließen, dass an der einen oder anderen Stelle für die ärztlichen Leistungen keine angemessene Honorierung erfolgen wird. Dies hat seine Ursache auch darin, dass die Gesamtvergütung für Ärzte und ihre Verteilung sich in den einzelnen KV-Bezirken rückwirkend unterschiedlich entwickelt haben. In allen Ländern annähernd gleiche Versorgungsverhältnisse auf der Basis möglichst gleicher Vergütung zu schaffen, steht im Gegensatz zu den bisher gewachsenen Besitzständen. Angemessene gleiche Vergütungen zu schaffen, ist das ursprüngliche Ziel der Honorarreform. Wir werden dieses in seiner Weiterentwicklung kritisch betrachten müssen. Falls das ursprünglich angestrebte Ziel nicht erreicht werden kann, müssen wir dann auch eine erneute Überprüfung des Gesamtansatzes in Erwägung ziehen.

Ich denke, das sollten wir dann auch gemeinsam tun. Ich glaube, von der Zielrichtung her - soweit ich die bisherigen Beiträge der Kollegen verstanden habe - sind wir uns da einig. Wir müssen dies kritisch begleiten, und es darf nicht wieder so sein, dass Schleswig-Holstein oder unsere Ärzte hier in Schleswig-Holstein Schlusslicht in der Versorgung und im bundesweiten Vergleich sind. Da sind wir uns alle einig.

(Beifall bei der SPD sowie vereinzelt bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder sind die Selbstverwaltungsorgane aus dem Gesundheitswesen heillos zerstritten, und Arztpraxen drohen mit Insolvenz. 3 Milliarden € mehr fließen bundesweit 2009 in die Vergütung der niedergelassenen Ärzte, aber scheinbar gibt es nur Verlierer. Von bis zu 30 % Mindereinnahmen für einzelne Arztpraxen in SchleswigHolstein ist die Rede.

Scheinbar gibt es niemanden, der durch die Honorarreform bessergestellt wird. Jedenfalls sagt das niemand laut.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Trotzdem wissen wir, es gibt Gewinnerinnen und Gewinner. Profiteure sind zum Beispiel die neuen Bundesländer, die ganz bewusst einen höheren Budgetzuwachs erhalten. Denn bisher rangierten sie eher am unteren Ende der Vergütung. An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, es hat vor einigen Jahren eine ähnliche Auseinandersetzung gegeben, die allerdings nicht so laut geführt wurde. Damals ging es um die Honorare für die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die so niedrig eingestuft wurden, dass es in den sowieso schon völlig unterversorgten neuen Bundesländern - in der DDR-Zeit kannte man diese Berufsgruppe dort kaum - völlig psychotherapeutenfreie Zonen gibt.