Protokoll der Sitzung vom 27.02.2009

Verschiedenste Prognosen und Szenarien werden vor allem im Hinblick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und mögliche Zeitspannen diskutiert. Es gibt zwei wesentliche Arbeiten - das wurde schon erwähnt - die eine vom IPCC, vom Intergovernmental Panel on Climate Change, der UN-Umweltorganisation im Weltklimarat. Sie prognostiziert einen Meeresspiegelanstieg von 9 bis 88 cm zur nächsten Jahrhundertwende, 2100. Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung geht in einer jüngeren Studie davon aus, dass der Meeresspiegel in diesem Zeitraum um 50 bis 140 cm steigen wird.

Die großen Streuungen in den Vorausberechnungen und die Unterschiede in den Abschätzungen machen deutlich, wie unsicher die gegenwärtigen Meeresspiegelvorhersagen sind. Das liegt an den unterschiedlichen Methoden bei der Modellberechnung. Außerdem ist das Verhalten der großen Kontinentaleismassen in Grönland und der Antarktis nur schwer berechenbar.

Das Ausmaß des Meeresspiegelanstiegs in diesem Jahrhundert bleibt daher aus heutiger Sicht spekulativ oder schwer zu berechnen. Es wird davon abhängig sein, inwieweit es gelingt, den Ausstoß von Treibhausgasen zukünftig deutlich zu verringern und inwieweit die natürlichen Systeme - vor allem die Ozeane - in der Lage sind, weiterhin Treibhausgase aus der Atmosphäre zu binden. An welchen Werten orientieren wir uns dann, wenn solche unterschiedlichen Werte da sind?

Ein berühmter Wissenschaftler und Mathematiker hat einmal gesagt, dass Prognosen die Gemeinheit haben, dass auch der extremste Wert vorkommen kann. Daher ist es etwas fahrlässig, wenn ein Vertreter der CDU hier sagt, dass die Potsdamer wohl etwas danebenliegen.

(Jürgen Feddersen [CDU]: Das war die FDP!)

- So klang das, dass das sehr unangenehme Werte sind. Ich plädiere dafür, dass wir uns diese Experten einmal einladen und uns im Ausschuss erläutern lassen, wie diese Zahlen einzuordnen sind.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir erleben in der ganzen Klimadebatte ständig, dass sich die Politik an Mittelwerten orientiert, die offenbar nicht eingehalten werden, und wir uns in den Prognosen immer an der leider eher pessimistischen Entwicklung orientieren müssen. Das zeigen zumindest die Daten.

Mit diesem Thema müssen wir uns also in diesem Hohen Haus intensiv beschäftigen. Denn wir sind als eines der am meisten betroffenen Bundesländer auch mit unseren Bemühungen am stärksten in der Pflicht. Wir stehen an erster Stelle, Maßnahmen zum Küstenschutz und zum Klimaschutz zu ergreifen.

Meine Damen und Herren, dass die Landesregierung diese Bemühungen ernst nimmt, ist für mich in der Energiepolitik nicht zu erkennen. Der geplante Bau neuer Kohlekraftwerke wird den Kohlendioxidausstoß im Lande vervielfachen. Das haben wir gestern in der Energiedebatte noch einmal deutlich gemacht. Die Verkehrspolitik setzt immer noch lediglich auf neue Straßen, statt auf Verkehrssysteme mit dem geringsten Energieverbrauch pro Person und Tonnenkilometer.

Der Meeresspiegel wird ansteigen, und dies wird Folgen für unsere Küsten haben. Auch wenn der Sicherheitsstandard unserer Deiche heute so gut wie nie ist, und wir heute von einer festgelegten Küstenlinie sprechen können, was über viele Jahrhunderte nicht der Fall war, so wird dies doch aller Wahrscheinlichkeit nach keine Selbstverständlichkeit bleiben.

Nach den schweren Sturmfluten 1962 und 1976 ist im Küstenschutz viel investiert worden, wobei Deiche, Sperrwerke und großflächige Vordeichungen zunächst ausschließlich darauf ausgerichtet waren, menschliche Behausungen und Kulturland zu schützen. Naturverträglichkeit spielte zunächst keine Rolle, sodass gerade durch die großen Vordeichungen besonders wertvolle Schlickwattbereiche in den Buchtenlagen verloren gingen.

Heute hat sich ein Bewusstseinswandel durchgesetzt. Das wurde durch den Vortrag des Ministers sehr deutlich. Herr Minister, ich konnte allerdings nicht erkennen, dass das, was Sie hier vorgetragen haben, auch in Ihrer Fraktion auf ein gesteigertes Verständnis stößt. Das Gegenteil war der Fall.

(Jürgen Feddersen [CDU]: Sie haben Wahr- nehmungsstörungen!)

Es soll also keine Eindeichungen mehr zur Landgewinnung geben. An einigen ausgewählten Orten wurde sogar begonnen, die starre Grenze zwischen

(Detlef Matthiessen)

Wattenmeer und eingedeichtem Marschland durchlässig zu machen. An der Wurster Küste, der Insel Neuwerk und dem Langwarder Groden wurden und werden Sommerpolder kontrolliert geöffnet, um die Gezeiten ein- und ausschwingen zu lassen, offensichtlich zum Missvergnügen des Fachsprechers der CDU-Fraktion, meine Damen und Herren.

Die Uferkanten der Halligen sind mit Steindeckwerken geschützt. Vor den Vorlanden liegende ausgedehnte Lahnungsfelder und sandige Küsten werden mit Steinen, biotechnischen Maßnahmen oder Sandvorspülungen geschützt. Dies alles geschieht mit einem erheblichen technischen und finanziellen Aufwand.

Das bedeutet aber auch, dass insbesondere das Wattenmeer nicht dynamisch auf den Meeresspiegelanstieg reagieren kann. Das Sediment reagiert auf die immer größer werdende Strömungs- und Wellenenergie, kann sich aber nur in geringem Maße umlagern, wie es durch die quasi fest zementierte Küstenlinie und den menschlichen Eingriff möglich ist.

Zu befürchten ist dabei, dass es bei einem Mangel an Sediment zu einer verstärkten Ausräumung des Wattenmeeres kommt, sodass die sandigen Küsten zunehmend erodieren werden.

Der Erhalt des Wattenmeeres muss neben dem Schutz der Menschen ein wesentliches Ziel unserer Bemühungen um den Küstenschutz sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich brauchen wir ein Vorland vor dem Deich, um den Wellenangriff rechtzeitig und langfristig vorgelagert brechen zu können. Es nutzt wenig, allein weiter Deiche zu verstärken und Uferlinien zu befestigen, wenn gleichzeitig das Wattenmeer vor der Küstenlinie nach und nach verschwindet. Dies würde auch die Sicherheit der Küstenbevölkerung erheblich einschränken.

Eine trilaterale Arbeitsgruppe von Deutschen, Dänen und Niederländern hat die Zusammenhänge erforscht und kommt zu dem Ergebnis, dass es einen kritischen Punkt des Meeresspiegelanstiegs gibt. Wenn dieser überschritten wird, könnte das Wattenmeer den Sedimentverlust nicht mehr ausgleichen, und in den Tidenbecken würde dann eine Lagunenbildung zu beobachten sein. Es wurden verschiedenste Gegenmaßnahmen diskutiert wie Dünenund Salzwiesenmanagement, Sandvorspülungen, Muschelbänke, Seegrasfelder, die Öffnung von Sommerpoldern und so weiter. Zum Teil wird dies

vor den Außenküsten Föhr und Sylt seit Jahren praktiziert und beobachtet.

Meine Damen und Herren, aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Erosion und die Vergrößerung von Tidenrinnen im nördlichen Teil des nordfriesischen Wattenmeeres eine deutlich größere Rolle als im südlichen Teil oder in Dithmarschen spielen. Gerade im Bereich zwischen Röm und Sylt haben Eindeichungen und Begradigungen in den vergangenen Jahrhunderten bewirkt, dass landnahe Schlickbuchten und Salzwiesen verloren gingen und dass stark verkleinerte Tidenbecken und geschützte Sedimentationsräume, in denen sich von Sturmfluten aufgewirbelte Sedimente wieder ablagern können, verloren gegangen sind.

Durch gezielte Sandvorspülungen auf den QuasiRückseiten der Inseln könnte man für eine positive Sedimentbilanz sorgen und die Auswirkungen in einem Pilotprojekt, wie es unter anderem vom Naturschutzverein Schutzstation Wattenmeer eingefordert wird, untersuchen.

Die Herausforderungen des Klimawandels zwingen uns, neue Wege zu gehen, meine Damen und Herren. Noch bleibt Zeit, dies in Ruhe und mit Bedacht zu erforschen. Ich fordere die Landesregierung auf, zum einen endlich ernst zu machen mit dem Klimaschutz und entsprechende wirksame Maßnahmen zu ergreifen, zum anderen sich im Küstenschutz auch auf den Erhalt des Wattenmeeres zu konzentrieren. Nicht, dass wir in hundert Jahren eine Fläche haben, die zwar Weltnaturerbe heißt, wir das Wattenmeer aber gar nicht mehr haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den SSW hat nun der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass aufgrund der vorliegenden Antwort der Landesregierung auf die umfangreiche Große Anfrage das Thema Küstenschutz wieder im Landtag debattiert wird. Schließlich hat der Küstenschutz eine jahrhundertelange Tradition und ist von immenser Bedeutung für unser Land. Aus diesem Grund hat der Küstenschutz den notwendigen Vorrang in Bezug auf andere Nutzungen und Ansprüche, der ihm auch gebührt. Dazu hat sich Schleswig-Holstein immer bekannt, auch wenn es um den Nationalpark geht. Dies haben wir uns

(Detlef Matthiessen)

auf die Fahnen geschrieben, weil das Leben und das Hab und Gut der Menschen hinter den Deichen uneingeschränkt geschützt werden muss.

Die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Sicherheit in Bezug auf die Deiche geht. Die schweren Sturmfluten an der Westküste haben zwar nicht zugenommen, aber die Entwicklung der Jahreshöchstwasserstände ist signifikant gestiegen. Unter diesem Aspekt ist auch der Anstieg des Meereswasserspiegels zu sehen. Es wird deutlich, dass wir bis zum Ende des Jahrhunderts von einem mittleren globalen Anstiegswert von 20 bis 60 cm ausgehen müssen.

Zu diesem Ergebnis kommt der vierte Klimabericht des IPCC. Zwar sind die Vorhersagen des IPCC hierzu mit mehreren Unsicherheiten behaftet, aber ich glaube, dass wir trotz allem von diesen Untersuchungsergebnissen ausgehen können. Damit stehen wir in Schleswig-Holstein im Übrigen nicht allein. Dies ergab ein Vergleich im Rahmen des INTERREG-Projektes SAFECOAST. Demnach legen alle Nordsee-Anrainerstaaten vergleichbare Werte zugrunde.

Daher schüren Szenarien, die wissenschaftlich nicht untermauert sind und die darlegen, dass der Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen werde, unnötigerweise Panik. Solche Aussagen tragen nicht zum sachlichen Umgang mit dem Thema und zur fachlichen Weiterentwicklung des Küstenschutzes bei.

(Beifall beim SSW)

Die Erkenntnisse des IPCC werden in den Generalplan Küstenschutz einfließen. Derzeit geht der Generalplan, der auch vom SSW mitgetragen wird, von einem Meeresspiegelanstieg von 30 bis 50 cm bis zum Jahr 2100 aus, auch vor dem Hintergrund der Erwartung, dass die Meeresangriffe auf die schleswig-holsteinischen Küsten stetig zunehmen werden. Das bedeutet, dass wir uns darauf einstellen müssen, die Deiche und Sperrwerke zu erhöhen und zu verstärken. Wir wissen, dass dies mit enormen Kosten verbunden sein wird. Angesichts der finanziellen Herausforderungen, vor denen wir in den kommenden Jahren stehen, sollten wir davon absehen, Küstenschutzmaßnahmen mit Ausgleichszahlungen zu belasten.

(Beifall beim SSW)

Dies ist eine alte Forderung der Westküste und des SSW. Unser Antrag wurde seinerzeit von allen

Fraktionen im Landtag vehement bekämpft und abgelehnt. Gleichwohl ist er immer noch richtig und sachgerecht. Ich hoffe auf neue Mehrheiten im Hinblick auf dieses Projekt.

(Beifall beim SSW)

Der Küstenschutz wurde über Jahrhunderte hinweg immer wieder weiterentwickelt und verbessert. Von diesem Weg darf Schleswig-Holstein nicht abweichen. Die notwendige Willenserklärung geht auch aus dem Generalplan hervor. Doch derzeit sieht es so aus, dass die effizienteste und umweltverträglichste Küstenschutzmaßnahme zur Stabilisierung von sandigen Küsten nur die Sandersatzmaßnahmen sind. Zu diesem Ergebnis kommt auch die niederländische Deltakommission nach Prüfung aller möglichen Alternativen.

Aus diesem Grund sollte nach unserer Auffassung seinerzeit von der Landesregierung geprüft werden, inwieweit das unbelastete Baggergut aus dem Nord-Ostsee-Kanal genutzt werden kann, um Auskolkungen im Meeresboden vor den Inseln aufzufüllen, um somit weitere Sandabbrüche zu vermindern, statt das Baggergut nutzlos in die Natur zu kippen. Wer nach dem Orkan Kyrill die Ausmaße der Schäden an der Hörnum Odde auf Sylt gesehen hat, hat eine Vorstellung davon, welche Mengen benötigt werden, um derartige Schäden immer wieder zu beheben. Leider konnte sich die Landesregierung nicht dazu durchringen, das Baggergut als Alternative dort einzubringen. Möglicherweise ist das aber etwas, das man zukünftig bedenken kann.

Uns geht es nicht darum, auf Teufel komm raus neue Küstenschutzmaßnahmen in Schleswig-Holstein zu initiieren, solange diese nicht erprobt und bestätigt sind. Es geht uns auch darum, die Forschung, Erprobung und wissenschaftliche Begleitung von alternativen Küstenschutzmaßnahmen zu fördern, damit wir in Zukunft überhaupt Alternativen haben, zwischen denen wir abwägen können. Aber dafür muss vor Ort weiter geprobt und untersucht werden.

Die Nutzungsansprüche, die an den Küstenraum gestellt werden, sind überaus vielfältig. Darauf weist auch die Große Anfrage hin. Diese unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen - wenn auch nicht immer vollständig -, stellt eine große Herausforderung dar. Dass solche Probleme lösbar sein können, setzt den Lösungswillen aller Beteiligten voraus.

Ein gutes Beispiel, dass dies gelingen kann, zeigt das Vorlandmanagementkonzept. Durch diese Maßnahme wurde es möglich, die Interessen des

(Lars Harms)

Naturschutzes, des Küstenschutzes sowie der Landwirtschaft zu vereinen. Im Kern geht es darum, vorhandenes Vorland zu erhalten und vor Schardeichen neu zu gewinnen.

(Beifall beim SSW)

Noch in den 80er-Jahren wurden 90 % der Salzwiesen intensiv beweidet. Die Fraß- und Trittschäden wurden aus Sicht des Naturschutzes kritisch gesehen. Da Salzwiesen ein wichtiger Bestandteil der Landschaft sind und aus Sicht des Naturschutzes wertvolle Lebensräume darstellen, wurde die Beweidung zurückgenommen und extensiviert. Ein Drittel der Flächen ist heute unbeweidet.