Protokoll der Sitzung vom 26.03.2009

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum zweiten Komplex: Inwieweit sind die Ämter dafür demokratisch legitimiert? Das wesentliche repräsentative Organ der Ämter ist der Amtsausschuss. Die Frage ist also: Sind die Amtsausschüsse demokratisch gewählt, und ist ihre Zusammensetzung repräsentativ für den Wählerwillen?

Um das zu beantworten, habe ich die Große Anfrage in Verbindung mit der Wahlstatistik der Kommunalwahl 2008 auswerten lassen. Ich betrachte zunächst die Zusammensetzung der Gemeindevertretungen und danach die der Amtsausschüsse. In den Gemeindevertretungen ist festzustellen, dass in 448 Gemeinden des Landes, also fast der Hälfte, gar keine konkurrierenden Listen zur Wahl standen. Das sind meist die Gemeinden mit unter 1.000 Einwohnern. Dort kandidiert meist nur eine einzige Wählergemeinschaft. Die politische Ausrichtung der einzelnen Kandidaten auf der Liste dürfte vielen Bürgern deshalb kaum bekannt sein. In einem weiteren Viertel der Gemeinden gab es zwei Listen, überwiegend eine Wählergemeinschaft und die CDU, manchmal die SPD, manchmal auch eine andere Konstellation. In einem Fünftel der Gemeinden kandidieren eine Wählergemeinschaft und beide großen Parteien.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja, und?)

Betrachtet man die kleinen Parteien, dann stellt man fest, dass sie in Gemeinden mit unter 1.000 Einwohnern zusammen auf 0,7 % der Sitze kommen, also praktisch nicht vorhanden sind. Wo sie aber kandidieren, da kommen sie häufig auf Stimmanteile von über 10 %. Auch bei den Kreistagswahlen haben die kleinen Parteien in den Gemeinden unter 1.000 Einwohnern zusammen einen Anteil von 35,2 % bekommen, also mehr als ein Drittel aller Stimmen.

Schauen wir uns die Zusammensetzung der Amtsausschüsse an, dann spiegelt sich dort die Benach

(Karl-Martin Hentschel)

teiligung der kleinen Parteien entsprechend wider. Es gibt aber noch eine Besonderheit: Dadurch, dass jedes Dorf, egal wie viele Einwohner es hat, im Amtsausschuss vertreten ist, kommt es in vielen Amtsausschüssen zu einer dramatischen Verzerrung zulasten der Zentralorte. Die große Menge der Sitze in den Amtsausschüssen wird nämlich nicht nach d’Hondt auf die Parteien und Listen aufgeteilt, sondern wird durch die Bürgermeister der kleinen Dörfer gebildet. Genauer: Von den 1.634 Vertretern in den Amtsausschüssen sind 1.039, also 64 % aller Vertreter, Bürgermeister, die qua Amt im Amtsausschuss sitzen. Nur ein Drittel sind die gewählten weiteren Mitglieder.

Auf diese Weise sind nicht nur die kleinen Parteien fast nicht vorhanden. Noch gravierender ist, dass die Zentralorte erheblich unterrepräsentiert sind. Darüber hat es bei der Diskussion über die letzte Änderung der Amtsverfassung auch erhebliche Klagen gegeben.

Dazu zwei Beispiele: Im Amt Bordesholm gibt es zwei Orte mit über 2.000 Einwohnern, nämlich Bordesholm und Wattenbek. In diesen beiden Orten wohnen fast drei Viertel aller Einwohner des Amtes, genau 73 %. Im Amtsausschuss dagegen haben die restlichen zwölf Dörfer mit ihren zwölf Bürgermeistern die Mehrheit.

Im Amt Eiderstedt gibt es zwei Gemeinden mit über 2.000 Einwohnern, nämlich St. Peter-Ording und Garding. In den beiden Orten wohnen 60 % der Einwohner von Eiderstedt. Im Amtsausschuss sieht es aber völlig anders aus. Hier haben die 14 umliegenden Dörfer mit ihren Bürgermeistern eine Zweidrittelmehrheit.

Als Konsequenz aus diesen Strukturen ergibt sich, dass die von den Bürgern gewählten Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter auf einen erheblichen Teil der Aufgaben ihrer Gemeinden keinen Einfluss mehr haben, da dieser auf das Amt übertragen wurde. Von einer demokratischen Repräsentanz kann also nicht die Rede sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch problematischer ist die Struktur in den Gemeinden und Ämtern, die gar keine eigene Verwaltung mehr haben, sondern stattdessen eine Verwaltungsgemeinschaft eingegangen sind. Sind schon die Entscheidungen der Amtsausschüsse undurchsichtig und schlecht legitimiert, dann gilt das für die Steuerungsgremien der Verwaltungsgemeinschaften umso mehr. Das Gleiche gilt auch für die Steuerung von Unternehmen, an denen Gemeinden und Ämter beteiligt sind.

Im Ergebnis kann man feststellen: Die Zusammensetzung der Amtsausschüsse in Schleswig-Holstein entspricht nicht dem Wählerwillen. Obwohl sie in erheblichem Umfang Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen, sind sie dafür nicht legitimiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Humboldt-Schule, Kiel, sowie Mitglieder der Seniorengruppe aus Neumünster. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Wilfried Wengler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hentschel, Sie haben sich so schön über den „Zahlenfriedhof“ in dieser Umfrage beschwert, aber ich muss sagen, die Nennung der Zahlen in Ihrer Rede ging an die Grenze meiner intellektuellen Fähigkeiten - obwohl ich nicht behaupte, dass sie besonders groß sind. Aber ein Fazit habe ich aus Ihrer Rede gezogen: Unser Gemeinwesen in den Gemeinden und in den Ämtern funktioniert offenbar auch ohne die entsprechende Beteiligung der kleineren Parteien und insbesondere der Grünen. Ich glaube, bisher habe ich wenig Klagen in diese Richtung gehört.

Meine Damen und Herren, die Antwort der Landesregierung auf diese Große Anfrage ist mit ihren 1.036 Seiten inklusive Anhang sicherlich keine Nachttischlektüre. Sie bietet aber einen weitreichenden Überblick über den gegenwärtigen Stand der kommunalen Aufgabenverteilung. Den ganz überwiegenden Teil nehmen mit 1.016 von diesen 1.036 Seiten die Eigenauskünfte der Kommunen und Zweckverbände ein. Im Einzelnen geht es um die Aufgabenwahrnehmung der Ämter für die Gemeinden, um die von Kreisen auf Ämter und Gemeinde übertragenen Aufgaben sowie um die Zweckverbände.

So liefert uns die Antwort der Landesregierung beispielsweise die Information, dass in Schleswig-Holstein 21 Kommunen eine andere Verwaltung zur Durchführung ihrer kompletten Verwaltungsgeschäfte in Anspruch nehmen. Im Kern geht es hier also nicht zuletzt um die Frage, welche Form der Aufgabenwahrnehmung jeweils am besten unsere

(Karl-Martin Hentschel)

Anforderungen an eine effektive, wirtschaftliche und bürgernahe Verwaltung erfüllt.

Dieser Frage müssen wir uns ganz konkret bei unseren aktuellen Überlegungen zur innerkommunalen Funktionalreform stellen. Denn im Zug der Verwaltungsstrukturreform auf Ebenen der Gemeinden und Ämter wurde die Zahl der Verwaltungen deutlich reduziert. Die Zahlen sind hier bereits erwähnt worden. Durch Zusammenschlüsse wurde die Verwaltungskraft der Ämter und amtsfreien Gemeinden verstärkt. Daher können sie nun möglicherweise Aufgaben übernehmen, die bisher auf Kreisebene angesiedelt sind.

Nach den aktuellen Überlegungen des Innenministeriums - ich erwähne hier die Unterrichtung 16/184 vom 17. Dezember 2008, den Gesetzentwurf zur innerkommunalen Funktionalreform - soll die Landesregierung dazu ermächtigt werden, die Aufgaben der unteren Bauaufsicht sowie weitere Aufgaben aus den Bereichen Verkehrsaufsicht und des Naturschutzes durch Rechtsverordnung auf die kreisangehörigen Verwaltungen zu übertragen. Soweit kleinere Verwaltungen nicht in der Lage sind, die zu übertragenden Kreisaufgaben wirtschaftlich und professionell wahrzunehmen, soll ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, durch aufgabenbezogene Kooperationen mit anderen Kommunen eine hinreichende Verwaltungskraft zu erreichen.

Die Aufgabenübertragung soll auf Antrag der Gemeinden und Ämter eines Kreises erfolgen, sobald diese Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Die Übertragung der Aufgaben soll mittelfristig landesweit erfolgen. Da es bei den zu übertragenden Kreisaufgaben um fachlich anspruchsvolle und komplexe Sachverhalte geht, sollen diese Aufgaben nach der Entwurfsfassung für mindestens 20.000 Einwohner durch eine Verwaltung wahrgenommen werden.

Wir werden aber beispielsweise noch erörtern müssen, ob die Mindestgröße von 20.000 Einwohnern für die Aufgabenwahrnehmung durch eine Verwaltung ausreicht.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Vordergrund muss die Fähigkeit zur wirtschaftlichen und professionellen Aufgabenerledigung stehen. Auch über die Vorgabe, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen pauschal alle zehn in der Entwurfsfassung aufgelisteten Aufgaben übertragen werden müssen, werden wir uns noch gründlich Gedanken machen müssen.

Ich gehe davon aus, dass auch die vorliegende Antwort der Landesregierung uns bei dieser Aufgabe einige konkrete Anregungen aus der kommunalen Praxis liefern kann. Daher schlage ich eine Überweisung in den Innen- und Rechtsausschuss vor, damit die umfangreichen Informationen dort weiter ausgewertet und erörtert werden können. Es wird sich zeigen, welche Erkenntnisse sich dann aus den gesammelten Auskünften ergeben.

(Beifall bei der CDU)

Das Präsidium bedankt sich für das ausgezeichnete Zeitmanagement.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich namens der SPD-Landtagsfraktion beim Innenminister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für die ausführliche Beantwortung der Großen Anfrage bedanken.

(Vereinzelter Beifall)

Ich selbst gehöre ja bekanntlich, Herr Minister, zu den vermutlich nur noch wenigen Abgeordneten, die mit der Mengenangabe 18 MB eher wenig anfangen können. Das verhält sich aber genauso mit den 150 oder wie viel auch immer Items, Herr Kollege Hentschel, in Ihrer Rede. Gleichwohl lässt allein der Respekt heischende Umfang der parallel verteilten 1.036-seitigen papierenen Vorlage auch für mich den Arbeitsaufwand erkennen, der mit der Antwort verbunden gewesen sein muss.

Wer kritisiert, dass die Antwort der Regierung umfänglich, aber nicht umfassend und vollständig sei Herr Kollege Hentschel -, weil nur etwa 50 % der befragten Ämer - 45 von 87 haben Sie ausgezählt sich mit eigenen Angaben beteiligt haben, den bitte ich dann doch zu bedenken, dass sich auch bei vollständiger Rückmeldung der Ämter vermutlich die grundsätzlichen Fragen, die sich in Auswertung des Tabellenmaterials und für die politisch möglicherweise daraus zu ziehenden Konsequenzen ergeben, nicht besser oder anders beantworten ließen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

(Wilfried Wengler)

Auf die grundsätzlichen Fragen ist der Minister eingegangen: Erstens. Wir teilen die Auffassung des Innenministers, dass nach der Verwaltungsstrukturreform auf Ämterebene, mit den nur noch 145 statt vormals 225 hauptamtlichen Gemeinde-, Stadt- und Amtsverwaltungen die Voraussetzungen für eine professionelle, kostengünstige und bürgerfreundliche Kommunalverwaltung insgesamt erheblich verbessert worden sind.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir bedauern, dass andere im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien als Zielvorgabe enthaltene Verwaltungsreformversuche am Beharrungsvermögen der Ministerialbürokratie zum einen und einer Verweigerungshaltung auf Kreisebene andererseits gescheitert sind. Wir hoffen aber, dass wenigstens im kreisangehörigen Raum die von Herrn Wengler angesprochene Verlagerung von Kreisaufgaben vor Ort in die größeren Städte und Gemeinden noch in gesetzgeberisches Handeln umgesetzt werden können. Auf Amtsebene sind die Reformpläne der Landesregierung und der regierungstragenden Parteien umgesetzt worden.

Zweitens. Wir teilen die Auffassung des Innenministers, dass die Straffung der Amtsverwaltungsstrukturen nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung geführt hat.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Günther Hildebrand [FDP])

Wir haben nach wie vor 1.116 selbstverwaltete Gemeinden in Schleswig-Holstein. Die SPD-Landtagsfraktion hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass die kommunalpolitische Selbstverwaltung und Entscheidungssouveränität auch unserer kleineren Gemeinden erhalten und unangetastet bleibt

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Jürgen Feddersen [CDU])

und dass eben nur ihre Verwaltungsleitungen und Verwaltungsleistungen dort zu reformieren, neu zu strukturieren und besser zu organisieren sind, wo dies im Rahmen der Amtsordnung oder auch des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit die Effizienz der Verwaltung fördert oder fördern kann. Das geschieht in Schleswig-Holstein.

Drittens. Zusammenarbeit in Zweckverbänden oder anderen gemeinsamen Einrichtungen mehrerer Gemeinden ist freiwillig und sollte das auch bleiben.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, FDP und des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Auch die Ämter bereiten im Einvernehmen mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der amtsangehörigen Gemeinden die dortigen Beschlüsse lediglich vor, und sie führen die bei den amtsangehörigen Gemeinden verbleibenden Selbstverwaltungsaufgaben lediglich durch. Darüber hinaus können amtsangehörige Gemeinden ebenfalls durch souveränen Beschluss der Gemeindevertretung Selbstverwaltungsaufgaben auch auf das Amt übertragen. Wir teilen nicht die Kritik an der tatsächlich zunehmenden Ausnutzung dieser Möglichkeit zur Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter und sind auch insofern der Auffassung des Innenministers, dass es für die demokratische Legitimation von Amtsausschussentscheidungen in übertragenen Selbstverwaltungsangelegenheiten einer unmittelbaren Gremienwahl für die Ämter nicht bedarf.