Protokoll der Sitzung vom 06.05.2009

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms und erteile das Wort für einen Beitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen.

Herr Kollege Hildebrand, Sie versuchen - aus meiner Sicht nicht sehr erfolgreich - demjenigen, der dieser Technik kritisch gegenübersteht, zu unterstellen, er würde jeglicher Technik kritisch gegenüberstehen. Wir kennen uns nun wirklich lange genug. Ich glaube, es ist nicht untertrieben, wenn ich mich als Technikfreak bezeichne und sage, dass ich

mich sehr viel mit Innovation in der Industrie und auf allen möglichen Gebieten beschäftige.

(Zurufe von der CDU)

Was die Gefahren angeht, so sagten Sie sehr richtig, dass im Bereich der Soja die Gentechnik sehr verbreitet ist. Worum geht es denn? Dort haben 80 % Resistenzen gegen Spritzmittel, die die interessierten Firmen verkaufen wollen. Das andere sind die BT-Sorten, wo also vom Bacillus Thuringiensis Genbestandteile auf Nutzpflanzen übertragen worden sind. Das ist ein entscheidendes Kriterium bei dieser Technik. Wir machen einen Artensprung. Wir holen aus anderen Arten Genmaterial und transferieren es in eine Art, die wir nutzen wollen.

Dann haben Sie noch von der sogenannten roten Technik in der Medizin gesprochen. Wenn wir in Kolibakterien Insulin produzierende Gene transferieren, dann ist das aus meiner Sicht eine verantwortbare Technik; denn wenn Sie diese Bakterien in den Reaktoren nur dem Licht aussetzen, das PHMilien oder Sauerstoff oder sonst etwas, überleben diese Bakterien Minuten, aber dann ist auch Schluss mit lustig.

Als wir das mit Raps gemacht haben, war eine der ersten Erfahrungen, dass trotz großmündiger Ankündigung, dass da nichts passieren werde, eine Freisetzung in Hederich erfolgte. Wenn wir an die Möglichkeit denken, Insekten toxisch zu vernichten, wenn sie an einer Pflanze saugen oder fressen, und wenn wir uns diesen Prozess mit einer Freisetzung in die freie Natur vorstellen, was wir in einem sehr komplexen Biomechanismus nie wieder einfangen können, müssen wir mit schlimmen Auswirkungen rechnen.

Wenn Sie sagen, es sei naiv und fortschrittsfeindlich, vor dieser Gefahr zu warnen, dann begreife ich die FDP nicht mehr, denn dann ist das sozusagen Fortschrittsblindheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir brauchen in technologieführenden Nationen auch eine auf hohem Niveau stehende Technikkritik. Sonst sind wir auch industriepolitisch nicht erfolgreich.

Formulieren Sie bitte Ihren letzten Satz.

(Lars Harms)

Die Gentechnik ist ein Feld, auf dem für Technikkritik viel Raum ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Landesregierung erhält Herr Minister Dr. Christian von Boetticher.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Matthiessen, wenn Ihr Antrag ein Schulaufsatz wäre, dann wären Sie bereits beim Abschreiben des Titels gescheitert,

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie doch nicht so arro- gant!)

was zugegebenerweise ein sehr früher Zeitpunkt ist. Hören Sie auch einmal zu, Herr Hentschel. Es tut Ihnen auch gut, einmal zuzuhören.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt gar kein Netzwerk gentechnikfreier Regionen in Brüssel. Das Netzwerk, das Sie vielleicht meinen, heißt „Netzwerk der europäischen regionalen und lokalen Gebietskörperschaften zur Koexistenz“. Das ist komischerweise etwas anderes.

Wenn man sich fragt, warum sich dieses Netzwerk so und nicht anders genannt hat, dann liegt das einfach an der Tatsache, dass die Kommission natürlich weiß, dass es verbindliche gentechnikfreie Regionen nicht gibt und auch gar nicht geben kann. Darum hat dieses Netzwerk wohlweislich darauf verzichtet, sich offiziell „Netzwerk gentechnikfreier Regionen“ zu nennen - so nennen Sie es vielleicht -, weil einer der Punkte, die dort gefordert werden, die Option ist, sich selbst zur genfreien Zone erklären zu können. Das ist eine Forderung. Dem Netzwerk war sehr bewusst, dass dieses Recht erst eingefordert werden muss, weil ein solches Recht derzeit überhaupt nicht existent ist.

Das ist auch der Grund dafür, warum sich Schleswig-Holstein nie selbst zur gentechnikfreien Zone erklärt hat, lieber Herr Matthiessen. Das ist auch während Ihrer Regierungszeit nicht geschehen. Sie haben genau gewusst, dass dies keine rechtsverbindliche Wirkung gehabt hätte. Im Gegenteil, Sie

haben selbst zugegeben, dass es auch während Ihrer Zeit nach der Unterschrift einer solchen Erklärung weitere Freisetzungsversuche hier in SchleswigHolstein gegeben hat. Darum haben wir eines gemacht: Wir haben im Rahmen unserer Regierungszuständigkeit gefragt, ob es sinnvoll ist, eine Person, die wir in Brüssel haben, für ein Netzwerk weiter arbeiten zu lassen, das keine Aussicht auf Erfolg hat. Wir haben lieber das gemacht, für das Sie uns Applaus gespendet haben. Die Person hat nämlich maßgeblich dabei mitgeholfen, das Netzwerk regenerativer Energien in Brüssel zu gründen, wofür wir alle hier im Haus viel Applaus bekommen haben. Das gehört an dieser Stelle zur ganzen Wahrheit.

(Beifall bei CDU und FDP)

Im Übrigen darf ich noch erwähnen, was Sie bereits sagten. Im Augenblick haben wir gar keine Freilandversuche in Schleswig-Holstein. Es ist vielleicht Ironie der Geschichte, dass es in der Zeit, als Sie noch Mitglied im Netzwerk waren, Freilandversuche gab, und dass es jetzt, in der Zeit, in der wir nicht mehr Mitglied sind, keine Versuche mehr gibt. Aber auch das sei an dieser Stelle nur noch einmal genannt.

(Beifall bei CDU und FDP - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Ihrer Zeit gab es auch Versuche!)

- Ich habe von dem heutigen Tag gesprochen. Wir kommen zurück auf MON810. Auch hier haben Sie - wie ich es kenne - in Ihrem Antrag nicht sauber gearbeitet. Sie sprachen davon, dass Frau Aigner von befürchteten Gesundheitsgefahren gesprochen habe. Das ist Unsinn. Es gibt nicht eine einzige Veröffentlichung von ihr, und es gibt im Übrigen auch nicht ein einziges wissenschaftliches Gutachten, das von gefürchteten Gesundheitsgefahren spricht. Das gilt bei allen Unterschieden, die es gibt. Auch von Frau Aigner wurde ganz ausdrücklich nur von einer möglichen Gefährdung von Nichtzielorganismen gesprochen. Das heißt, es wird befürchtet, dass es Auswirkungen auf Zweipunktmarienkäfer und auf eine Wasserflohart gibt.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Matthiessen ge- sagt!)

In der Frage, ob es Auswirkungen gibt, widersprechen sich im Moment die wissenschaftlichen Fachbehörden des Bundes. Ob es am Ende bei diesem Verbot bleibt, entscheiden also die dafür zuständigen Wissenschaftler. Es entscheiden nicht die Grünen oder die Umweltschützer, und - mit Verlaub

es entscheidet auch nicht der von ach so großem landwirtschaftlichem Sachverstand geprägte Vorsitzende der SPD-Fraktion. Wir alle entscheiden das nicht, sondern die Wissenschaft entscheidet an dieser Stelle durch gutachterliche Aussagen.

Frau Aigner hat nichts anderes getan, als diese Verdachtsmomente auf eine mögliche Drittauswirkung noch einmal in wissenschaftlichen Verfahren überprüfen zu lassen. Von einer Gesundheitsgefährdung gibt es also kein Wort. So etwas zu behaupten, ist an dieser Stelle eindeutig auf Boulevardniveau. Das hat mit realer Arbeit und auch mit einer Analyse der Unterlagen des Bundes nichts zu tun. Ich sage ganz deutlich: Anders könnte man gar nicht erklären, warum die Verwendung von MON810 als Futtermittel weiter gestattet ist. Das Ganze ist nur deshalb auch europarechtlich zulässig, weil es keine Gesundheitsgefahren gibt.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Art und Weise dieser Debatte sagen. Der Kollege Döring war gerade in Sibirien. Ich war vor einem Monat in New York, in Amerika. Jeder von uns, der diesen europäischen Kontinent verlässt und Nahrungsmittel zu sich nimmt, nimmt heute gentechnisch veränderte Organismen in sich auf. Eben wurde es schon gesagt: Beispielsweise sind 80 % der weltweiten Sojaproduktionen gentechnisch verändert. Wir sollten nicht so tun, als könnten wir uns in Deutschland, in Schleswig-Holstein, gegen die wissenschaftliche Entwicklung abschotten.

(Konrad Nabel [SPD]: Was ist das für ein merkwürdiges Politikverständnis?)

- In der Tat, Herr Kollege, das können wir nicht. Sie können gern etwas fragen. Ansonsten bin ich am Ende meiner Ausführungen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich danke Herrn Minister Dr. von Boetticher. - Zu einem Beitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel das Wort.

Meine Damen und Herren! Es gab in der Zeit, als ich anfing, mich bei den Grünen zu engagieren, eine Debatte über Chemikalien und über die Frage, welche Auswirkungen Chemikalien haben. Damals wurde immer gesagt, das alles sei ungefährlich. PVC und so weiter seien Stoffe, die kaum Auswir

kungen auf die Umwelt hätten und so weiter. Im Laufe der Zeit hat diese Debatte eine Kehrtwendung gemacht. Heute wissen wir, dass wir in der Umwelt 40.000 Chemikalien haben, die niemals getestet worden sind. Von diesen Chemikalien rufen viele erhebliche Allergien hervorrufen. Mittlerweile leidet ein Drittel der deutschen Bevölkerung unter Allergien. Betroffen sind insbesondere Kinder. Die Eltern, die damit zu tun haben, verfluchen diese Chemikalien und diese Entwicklung in die Hölle, das kann ich Ihnen sagen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Hans Müller [SPD])

Die gleiche Debatte haben wir jetzt in der Frage der Gentechnik. Ich sage Ihnen, es geht nicht um die Forschung. Es geht nicht um rote Gentechnik, es geht auch nicht um graue Gentechnik, weil es sich hier um geschlossene Prozesse handelt. Es geht um die grüne Gentechnik, in der gentechnisch veränderte Organismen in der Natur freigesetzt werden und sich anschließend vermehren und ausbreiten können. Das Problem ist: Wenn diese erst einmal freigesetzt werden, dann sind sie nicht mehr zurückzuholen, weil es frei lebende Organismen sind, die sich vermehren. Wir können sie nicht wieder einfangen, weil wir gar nicht wissen, wo sie überall sind. Sie können sich auch auf andere Arten übertragen. Das ist das Problem. Es mag sein, dass es 100 dieser Organismen gibt, die ungefährlich sind. Wenn aber der 101. und der 102. oder der 303. Organismus nach 300 Organismen ein gefährlicher Organismus ist und Allergien oder Krankheiten hervorruft oder sonstige Folgen hat, dann hat das gravierende Auswirkungen auf die Menschheit. Wir schaffen wieder einmal eine Zeitbombe, die über Jahrhunderte nicht einzufangen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mit Leichtsinn wollen wir ein paar Verbesserungen hervorrufen. Der Hunger in der Welt wird nicht durch Gentechnik bekämpft. Das ist völliger Unsinn. Amartya Sen hat eine wahnsinnig gute Studie über den Hunger in der Welt geschrieben, die ich jedem empfehle. Er ist ein ökonomischer Experte, der dafür den Nobelpreis bekommen hat. Er hat dargestellt, dass der Hunger in der Welt mit Armut zu tun hat und dass er immer eine Folge von Armut ist. Viele der Länder, in denen es Hunger gibt, sind Länder, die viel dünner besiedelt sind als Deutschland oder Europa. Trotzdem herrscht in diesen Ländern Hunger, obwohl es dort große Agrarflächen gibt. Der Grund ist, dass dort Armut herrscht und

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

dass dort eine falsche Agrarpolitik gemacht wird. Der Grund ist, dass die Waren nicht gekauft werden und dass die Bauern somit nichts verdienen. Das ist nur ein Beispiel, darüber kann man viel reden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Bei der Amflora-Kartoffel, über die wir jetzt reden, handelt es sich nicht um ein Nahrungsmittel. Es geht gar nicht um Ernährung, es geht um Stärkeproduktion für die Industrie, Herr Minister. Wenn die entsprechenden Gene aber freigesetzt werden, dann können sie auf andere Organismen übergreifen. Anschließend haben wir Resistenzen gegen Antibiotika, die dazu führen, dass Menschen in Krankenhäusern nicht mehr behandelt werden können. Das ist die Konsequenz, wenn sich solche Dinge ausbreiten. Wollen Sie das? - Ich bin gern bereit, eine fachliche Debatte zu führen. Bei den Grünen wurde diese fachliche Debatte intensiv geführt. Wir haben vor vielen Jahren in der Regierung eine intensive Enquetekommission zu diesem Thema gehabt und Diskussionen dazu geführt. Wir haben durchaus kontrovers diskutiert.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Entschuldigung, ich bin so begeistert, dass ich überhaupt nicht auf die Uhr gucke. Entschuldigung. Ich bin nicht gegen Fachdebatten, aber die Blauäugigkeit, mit der Leute über diese Themen reden, und die Art, wie ein Minister mit diesen Dingen umgeht, nämlich mit platter Polemik, machen mir Angst.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen gibt es nicht. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/2646 federführend an den Umweltund Agrarausschuss und - als Angebot - mitberatend an den Europaausschuss zu überweisen. Nein, er soll nur an den Umwelt- und Agrarausschuss überwiesen werden. Wer so entscheiden will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.