Herr Kollege Hentschel, sind Sie denn dafür, dem Gesetzeszwang Vorrang vor der Freiwilligkeit zu geben?
- Herr Kalinka, ich finde es immer gut, wenn eine Freiwilligkeitsphase vorangestellt wird. Diese ist übrigens, wie das Mecklenburger Urteil besagt, gesetzlich vorgeschrieben. Aber es muss auch eine klare Strukturvorstellung vonseiten der Landesregierung geben. Sonst könnte es passieren, dass sich Kreise herausbilden, die sehr groß sind, so beispielweise im Umkreis von Kiel und Plön. Hierüber wird ja auch in der SPD diskutiert. Wir bekommen möglicherweise Kreise mit 400.000 Einwohnern, aber möglicherweise sagen Kreise wie Dithmarschen: So aber nicht; wir bleiben ganz allein. Das wäre natürlich absolut unsinnig. Deswegen glaube ich, sollte man, ähnlich wie bei der Gemeindereform, wenn man eine Kreisstrukturreform beginnt, klare Vorstellungen darüber haben, wohin man will, dann aber durchaus Optionen offenlassen, Alternativen ermöglichen und der Freiwilligkeit eine Chance geben. - Reicht Ihnen das?
Herr Kollege, bei diesem Gesetzentwurf geht es genau um die von Ihnen, wie wir soeben gehört haben, grundsätzlich bejahte Freiwilligkeitsphase. Meine konkrete Frage lautet: Wenn sich also
- Ob ich das akzeptiere? Grundsätzlich akzeptiere ich, wenn sich zwei Kreise zusammentun. Im Fall von Ostholstein und Plön bin ich selber als Bürger des Kreises Plön und auch als Abgeordneter des Kreises Plön betroffen. Insoweit muss ich ganz deutlich sagen: Zwei Drittel der Einwohner des Kreises Plön wohnen im Kieler Umland in einem Abstand von 20 km zu Kiel. Diese Einwohner haben schon heute keinen Bock, zum Finanzamt nach Plön zu fahren. Früher konnten sie nach Kiel fahren.
Ich sage noch einen letzten Satz zur Beantwortung der Frage. Dann muss ich aber noch mit meiner Rede zu Ende kommen.
Herr Kalinka, zu Ihrer Frage: Ich finde Freiwilligkeit gut, aber ich habe natürlich beim Kreis Plön, wo ich selber betroffen bin, eine eigene Meinung. Ich hoffe, das respektieren Sie.
Wir haben gerade eine neue Form der Redezeitverlängerung kennengelernt. - Das Wort hat nun für den SSW im Landtag der Herr Abgeordnete Lars Harms.
Demokratische Legitimation droht auf der kommunalen Ebene inzwischen zu einem Luxusartikel zu werden: Immer mehr Entscheidungen fällen Verwaltungsangestellte oder Beamte. Die Bürgerinnen und Bürger werden aus den kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen herausgedrängt. Das ist
der Fluch der kleinteiligen Gemeindestruktur mit über 1.000 Gemeinden. Vereinfacht gesagt: Die Gemeinden sind weit überwiegend zu klein, um professionelle eigene Verwaltungsstrukturen aufbauen zu können. Das überlassen sie mehr und mehr den Ämtern, deren Entscheider allerdings nicht direkt gewählt werden. Das alles ist sattsam bekannt und hat uns gemeinsam mit den Grünen veranlasst, das Verfassungsgericht anzurufen.
Die Landesregierung hat diese Problematik von Fall zu Fall entweder verdrängt, verdreht oder ignoriert. Sie konnte und wollte keine transparente Aufgabenneuverteilung umsetzen. Stattdessen trieb sie eine Kreisgebietsreform voran, die letztlich am erheblichen Widerstand der Basis scheiterte, der sich an massiven, sachlichen Fehlern der Kieler Planer entzündete. Ich befürchte, dass dieser Crash die bereits bestehenden Vorbehalte der Ministerialbeamten gegenüber der lebendigen, selbstbewussten und selbstständigen Kommunalpolitik unseres Landes weiter geschürt hat. Denn der vorliegende Vorschlag, der den Namen „Reform“ völlig zu Unrecht trägt, ist von Misstrauen und Kontrollkonstrukten durchzogen. Der Vergleich mit einem Erlass von Oben liegt nahe.
Das ist nicht nur dem SSW aufgefallen. Auch der Gemeindetag hat die „restriktiven Vorgaben“ des Entwurfs kritisiert. Das Land traue den Kommunen nicht zu, dass sie ohne staatliche Eingriffe in die Kooperationsfreiheit zu Rande kämen. Andererseits verweigert sich das zuständige Ministerium seiner Aufgabe, nämlich eine neue, tragfähige Aufgabenverteilung zu entwerfen, die einerseits den geänderten Aufgabenprofilen gerecht wird und anderseits die Bürgerinnen und Bürger einbindet. Der Minister macht nicht einmal den Versuch einer Neusystematisierung, sondern schiebt Aufgabenpäckchen willkürlich hin und her. Das ist Flickwerk und keine Reform.
Zu einzelnen Punkten. Erstens. Professor Hesse hat in seinem Gutachten die Option der sogenannten punktuellen Anpassung der Kommunalstruktur entworfen, bei der im Prinzip - bis auf kleinste Änderungen - alles beim Alten bleibt. Nicht zufällig geht es lediglich um die Einkreisung bislang kreisfreier Städte, um zumindest einigen der erkennbaren demografischen, entwicklungspolitischen und haushalterischen Probleme Herr zu werden. Mehr wird man mit einer Hochzeitsprämie keinesfalls erreichen. Dass diese bereits bei den Ämtern zu unerwünschten heterogenen Strukturen geführt hat, wie der Minister im Entwurf selbst einräumt, scheint im Innenministerium niemanden zu interessieren.
Zweitens. Die Grenze von 20.000 Einwohnern bei der Übertragung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ist willkürlich und in der Gesetzesbegründung nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgesetz schreibt bereits die Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Ortsnähe als Kriterien vor. Damit ist das meiste geregelt. Im Übrigen hat diese Einwohnergrenze bei der Amtsreform überhaupt keine Rolle gespielt. Da kann man sehen, dass je nachdem, was man durchsetzen will, zweierlei Argumentationsstränge genutzt werden, die sich dann später widersprechen. Wenn hier von 20.000 Einwohnern als Mindestgrenze geredet wird, dann sind die meisten Ämter und erst recht die meisten Gemeinden viel zu klein.
Drittens. Die übertragbaren Aufgaben sind völlig beliebig. Es ist nicht zu verstehen, nach welchen Kriterien die Aufgaben in den Entwurf hineingeraten sind: Umwelt ja, Jugend aber nicht. Warum können die Ämter beispielsweise die Kfz-Papiere nach einem Umzug nicht ändern, aber dem Bürger in Sachen Baumschutz Vorschriften machen? Es fehlen einerseits klare und fürs gesamte Land geltende Regelungen, andererseits blickt doch kein einziger Bürger mehr durch, wer warum für welche Genehmigung, Registrierung oder Ausnahme zuständig ist. Wenn jemand noch eines Beispiels bedurfte, wie Bürokratie entsteht: Hier ist es! Die Landesregierung arbeitet nicht an der Lösung der Entbürokratisierung, sie ist ein wesentlicher Teil des Problems der zunehmenden Bürokratisierung.
Viertens. Die Regierung traut ihrer Reform selbst nicht. Wie sonst könnte man erklären, dass der Entwurf eine „Zurück-auf-Start“-Option enthält, falls sich die Erledigung der Aufgaben auf kommunaler Ebene als unwirtschaftlich erweist. Man kann das im besten Fall als pragmatischen Realismus der Landesregierung ansehen. Tatsächlich ist es aber wohl eher so, dass die Landesregierung von ihren eigenen Vorschlägen nicht überzeugt ist.
Zum Schluss möchte ich auf ein zentrales Anliegen des SSW zurückkommen: die Behebung der demokratischen Defizite der Amtsreform. Die avisierte Aufgabenübertragung im vorliegenden Entwurf findet wieder unter Ausschluss der kommunalen Selbstverwaltung statt, sprich: Keine der aufgeführten Aufgaben soll als Selbstverwaltungsaufgabe an die Gemeinden übertragen werden. Es müssen sogar ausdrücklich Weisungsaufgaben bleiben, da die Verwaltungen vor Ort nicht durchgängig demokratisch legitimiert sind. Dies ist und bleibt der kardinale Webfehler aller Strukturänderungen der kommunaler Ebene dieser Großen Koalition.
Ich bin allerdings völlig entspannt, was das Schicksal dieses Entwurfs angeht. Er wird sang- und klanglos im Ausschuss verschwinden. Denn es glaubt doch wohl niemand, dass sich die Mehrheitsfraktionen noch vor dem Wahlkampf auf irgendwelche Strukturänderungen einigen werden. Und selbst, wenn dies geschieht, wird es aufgrund der Klage der Grünen und des SSW vor dem Landesverfassungsgericht sowieso wieder zu gravierenden Änderungen kommen, die dieses Gesetz wieder hinfällig machen. Deswegen sehe ich dieses Gesetz wirklich ganz entspannt.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Werner Kalinka.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf die Bemerkung des Kollegen Harms kann ich nur sagen: Der Innen- und Rechtsausschuss hat bisher alle Arbeiten erledigt, und in der Innenpolitik hat die Koalition auch viel erledigt. Seien Sie ganz versichert, dass wir auch dieses Thema geklärt kriegen.
Aber ich habe mich eigentlich zu Wort gemeldet, um auf den Kollegen Hentschel einzugehen, denn was er hier gesagt hat, ist schon bedeutsam und gehört festgehalten.
- Das ist wohl wahr, es hat lange Zeit gedauert, bis er einmal etwas gesagt hat, aber diesen Punkt will ich festhalten. Auf die konkrete Frage, ob er für eine Fusion von Ostholstein und Plön freiwillig sein Ja geben würde, hat er geantwortet: Grundsätzlich sei er für Freiwilligkeit, aber in dem Fall bittet er um Verständnis, dass er es anders haben möchte. Herr Kollege Hentschel, ich finde, das ist ein bedenkliches Verständnis im Verhältnis zur kommunalen Selbstverwaltung. Freiwilligkeit nur, soweit es meinem eigenen politischen Bild entspricht dies ist unglaubwürdig.
Wenn Sie wirklich für Freiwilligkeit wären, müssten Sie auch akzeptieren, dass dabei eine Lösung herauskommt, die Ihnen politisch oder persönlich nicht gefällt. In Wahrheit steht bei Ihnen die Sorge dahinter, wenn eine freiwillige Lösung käme, hätten Sie in der Tat nicht mehr die Möglichkeit, in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten einzugreifen. Ich finde aber, wer die Freiwilligkeit bejaht, muss auch die Freiwilligkeit im konkreten Einzelfall akzeptieren, auch wenn sie ihm persönlich nicht gefällt.
Ich denke, es ist notwendig, noch einmal auf Herrn Werner Kalinka einzugehen. Ich will ein Beispiel bringen: Wenn ich Ämter oder Gemeinden zusammenlege, bin ich grundsätzlich dafür, dass das geschieht und dass sie auch eine demokratische Verfassung kriegen. Trotzdem habe ich mich konkret gegen Kragenämter ausgesprochen, wo der Zentralort ausgespart wird, und - noch schlimmer - Brezelämter, über die wir auch eine Diskussion hatten, weil das dem Strukturprinzip, dass der Zentralort und die Umgebung zusammengefasst werden, widerspricht. Deswegen glaube ich, dass man Freiwilligkeit erreichen kann, dass man aber schon Kriterien vorgeben sollte. Das ist übrigens von Ihrer Regierung auch bei der Kommunal- und Ämterreform so praktiziert worden, auch aus sinnvollen Gründen. Man hat auch Mindestgrößen vorgeschrieben und so weiter. So sollte es auch bei einer Kreisreform sein.
Jetzt konkret zum Kreis Plön: Natürlich kann ich Entscheidungen akzeptieren, die anders lauten, als ich sie gern haben möchte. Aber Sie können mir nicht untersagen, dass ich bei der Diskussion solcher Entscheidungen meine eigene Meinung vertrete. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist die Meinung der überwiegenden Zahl der Bürger des Kreises Plön.
Ich bin überzeugt davon, dass die Bürger meines Kreises - und ein großer Teil der Bürger wohnt nun einmal im Kieler Umland - keine Lust haben, anschließend statt nach Plön auch noch nach Eutin zu fahren. Herr Kalinka, Ihr Konzept mag zwar gut
sein für die Bürger von Mucheln oder ähnlichen Gemeinden in der Nähe von Plön, es ist aber nicht gut für die Mehrzahl der Bürger des Kreises. Und Sie können mir nicht untersagen - das ist auch nicht undemokratisch -, dass ich in einer solchen Debatte meine persönliche Meinung vertrete. Ich denke, das ist ein Bestandteil der Demokratie.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratungen. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/2632 dem Innenund Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Dem haben genug Abgeordnete zugestimmt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Dann setzten wir die Sitzung mit Tagesordnungspunkt 41, Europäischer Verbraucherschutz, fort. - Wir bemühen uns, für bessere Temperaturen zu sorgen.