Protokoll der Sitzung vom 08.05.2009

Wenn die Konjunktur schwächelt, dann sind plötzlich alle - oder fast alle - sozial.

(Zuruf von der SPD: Herr Kubicki nicht!)

Ich wage vorherzusagen: Wenn die Krise vorbei ist, dann sind diese guten Vorsätze schnell vergessen. Ich sage auch: Ein Zurück wäre fatal. Das wäre ein Rückschlag. Gerade jetzt muss die Europäische Union soziale Verantwortung beweisen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Der Soziologe Ulrich Beck warnt vor diesem Rückschritt und spricht sich für eine gemeinsame Finanzpolitik, eine gemeinsame Steuerpolitik und eine gemeinsame Industrie- und Sozialpolitik der EU aus. Er schreibt: Gerade diese Krise könnte verwandelt werden in eine Neubegründung der EU. Diese Neubegründung muss ein soziales Europa sein, zu dem auch eine starke europäische Bildungs- und Forschungspolitik gehört.

Wenn wir den Aufstieg durch Bildung wollen, wenn wir von den Menschen Mobilität verlangen und wenn wir sogar durch Förderprogramme die Voraussetzungen dafür schaffen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass alle diese Chancen nutzen können, dass alle dabei sind und dass alle Talente gefördert werden. Deshalb wollen wir ein europäisches Recht auf Weiterbildung. Wir wollen die sprachliche Bildung fördern. Wir wollen endlich die bessere Anerkennung von Bildungsabschlüssen aller Stufen. Wir wollen auch, dass die Bildungsprogramme der EU noch stärker als bisher Auszubildende und junge Berufseinsteiger einbeziehen. Hier gibt es noch viel zu tun. Die Antwort der Landesregierung belegt dies im Übrigen.

(Beifall bei SPD und SSW - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Wissen Sie, Herr Kubicki, wir wollen nicht nur alles, wir können auch alles. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das bezweifele ich!)

- Im Gegensatz zu manchem Besserwisser habe ich wirklich recht.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir eines von Europa lernen, dann ist es das: Wir brauchen mehr Betreuungsangebote für Kinder, mehr Ganztagsschulen und mehr gemeinschaftliches Lernen in unseren Schulen.

In der Antwort der Landesregierung wird auch auf die soziale Verantwortung von Unternehmen eingegangen. Das heißt, soziale und ökologische

Belange sind in der Unternehmenstätigkeit stärker zu berücksichtigen, wie dies von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wird. Ich begrüße es außerordentlich, dass die Landesregierung das europäische Konzept der Corporate Social Responsibility (CSR) unterstützt und finanziell fördert. Allerdings ist CSR noch freiwillig, das erscheint mir zu wenig. Hier würde ich mir eine stärkere europäische Initiative wünschen, die diese soziale und ethische Verantwortung der Unternehmen nachprüfbar einfordert und Verstöße auch ahndet.

(Beifall bei der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn der nationale Rahmen nicht mehr ausreicht, um die sozialen Rechte von Menschen zu schützen, dann müssen wir die gleichen Rechte auf europäischer Ebene einführen und absichern. Das ist übrigens nicht nur eine politische oder juristische Frage, das ist auch eine Frage der politischen Kultur. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch dieser Bereich der politischen Kultur immer dann bemüht wird, wenn eine Krise da war. Eigentlich ist dies ein Teil, den wir auch außerhalb einer Krise bemühen und intensiv diskutieren sollten, denn diese politische Kultur schafft Identität. Sie schafft auch in Europa den Frieden nach innen. Wenn ich darf, dann will ich die Chance nutzen, an Carlo Schmid zu erinnern, der genau diesen Aspekt als großer Europäer in seiner aktiven Laufbahn immer wieder betont hat. Ich glaube, es ist Zeit, auch einmal an diesen großen Europäer der Sozialdemokratie zu erinnern.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ein soziales Europa heißt für uns: Solidarisch finanzierte Sozialsysteme für die Absicherung im Alter und gegen Arbeitslosigkeit und Krankheit, für alle Bürgerinnen und Bürger zugängliche Dienste der öffentlichen Daseinsvorsorge und das Recht auf demokratische Mitbestimmung. Willy Brandt hat es 1979 so formuliert: Dieses Europa gehört uns allen. Es ist uns gemeinsam anvertraut. Was wir anstreben, ist eine Gesellschaft, die frei ist von Furcht, mit gleichen Chancen für alle Menschen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion der CDU hat Herr Abgeordneter Niclas Herbst das Wort.

(Rolf Fischer)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der fortgeschrittenen Zeit möchte ich es nicht versäumen, mich auch beim Antragsteller dafür herzlich zu bedanken, dass er das Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Ich möchte mich aber auch bei der gesamten Landesverwaltung bedanken. Europa ist ein Querschnittsthema. Daher gehe ich davon aus, dass daran viele Ministerien beteiligt waren.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir haben hier eben nicht nur einen Hauch von Wahlkampf gespürt. Ich sage ausdrücklich, dass ich das in Ordnung finde. Wir sind im Wahlkampf, und es ist gut, wenn die Leute draußen das mitkriegen. Hier wehte sozusagen ein wenig der eisige Hauch des Klassenkampfes.

(Zurufe)

Ich will darauf hinweisen, dass wir gestern bereits auf das Niveau hingewiesen wurden, und zwar durch ein Kommuniqué des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes hat gesagt, dass er die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage grundsätzlich lobt. Er hat allerdings einen Teil herausgenommen und ihn auch benannt. Ansonsten sagt er, ich darf zitieren: Er, Deutschland, „vermisse nicht nur im Landtag eine anspruchsvolle Diskussion zu europäischen Fragen.“

Kollege Fischer, das sollten wir auf uns alle beziehen. Hier möchte ich ausdrücklich alle Kollegen verteidigen. „So sei die Debatte am gestrigen Mittwoch zum Europabericht der Landesregierung über ein bescheidenes Niveau nicht hinausgekommen. Und selbst Europaminister Döring habe die Gelegenheit nicht ausreichend genutzt …“ usw. „Er hoffe, so Deutschland, dass am morgigen Freitag“ - die jetzige Debatte ist gemeint - „der Landtag und die Landesregierung die Gelegenheit nutzen, die schwache Debatte vom Mittwoch wieder wettzumachen.“

Wir wissen also: Wir sind bei Peter Deutschland „Sucht den Superredner“, und die Jury besteht aus einem hauptamtlichen Apparat. Ich würde mich freuen, wenn wir in Zukunft darauf hinwiesen, dass wir nicht so übereinander urteilen sollten. Die SPD rühmt sich des guten Kontaktes zum DGB. Wir sollten lieber in direkten Kontakt miteinander eintreten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Einzelne Fragen aus der Großen Anfrage sind im Europabericht der Landesregierung eigentlich schon beantwortet. Ich will den Versuch wagen, diese „Glückskeksrhetorik“ zu vermeiden, die dem Motto folgt: Der Mensch und nicht der Markt muss im Mittelpunkt stehen. Dieser Meinung sind wir alle. Die Frage ist nur, wie wir das ausgestalten. Deshalb will ich meinen Beitrag zur „Glückskeksrhetorik“ bringen und sagen: Das größte europäische Sozialprogramm ist gerade für uns in Deutschland der Gemeinsame Binnenmarkt. Das hätte vielleicht auch in die Rede gehört.

(Beifall bei CDU, FDP und des Abgeordne- ten Holger Astrup [SPD])

In einer Zeit, in der wir alles gern auf Brüssel schieben, will ich einmal die Unterschiede deutlich machen, die uns vielleicht auch hier im Haus trennen. Ich denke, im Ziel sind wir uns einig. Hier bringt auch die Schärfe des Wahlkampfs wenig, die zum Beispiel von der SPD auf Bundesebene mit dem Haifisch eingebracht wurde. Vielleicht bin ich ein wenig empfindlich bei Tiervergleichen in der Politik. Wie dem auch sei, wir sollten darauf hinweisen, wo wir stehen.

Für meine Partei sage ich: Wir sind die Partei der Subsidiarität. Wir sind dort, wo es notwendig ist, für ein starkes Europa. Wir sind dort, wo es möglich ist, für eine starke Regionalebene. Europa braucht keinen Supersozialstaat. Hier unterscheiden wir uns, so glaube ich, denn auch die Ausführungen des Herrn Europaministers waren für mich nicht zustimmungsfähig. Das habe ich deutlich gehört. Wir brauchen keine europäische Sozialunion. Wir brauchen sie vor allen Dingen dann nicht, wenn sie in der Wertigkeit mit der Wirtschafts- und Währungsunion gleichgestellt ist. Das will ich ausdrücklich nicht.

Ich will nicht auf das Thema Mindestlohn eingehen. Ich will das kurz erklären, denn wir reden nicht über soziale Mindeststandards. Wenn man sich die Debatten im Europäischen Parlament anschaut, dann liegen wir im Endeffekt gar nicht so weit auseinander. Wir wollen keine vollständige oder weitgehende Harmonisierung der Sozialsysteme. Ich bin auch gar nicht sicher, ob Sie wissen, was Sie da sagen und welche Konsequenzen das hätte. Wenn Sie über eine europäische Sozialunion reden, dann denken Sie als Sozialdemokraten wahrscheinlich immer an Schweden, wobei sich in Schweden einiges tut. Bulgarien und Rumänien gehören aber auch zur Europäischen Union. Die dahinterstehenden Sozialphilosophien sind auch sehr unterschiedlich. Ob Sie wirklich zum Beispiel eine

Angleichung an die britische Sozialphilosophie wollen, wage ich stark zu bezweifeln. Am Ende heißt es wieder, die Tarifautonomie werde ausgehöhlt. Nein, ich denke, wir sollten hier etwas vorsichtiger sein.

Ich sage ganz klar: Aufgabe der EU ist es, zu koordinieren, zu fördern und Ländermaßnahmen zu unterstützen. Es gibt auch viele Beispiele, in denen das gut funktioniert. Ich will diese einmal aus der Großen Anfrage herausnehmen. Das Zukunftsprogramm Arbeit wurde genannt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass europäische Leitlinien in konkrete Programme umgesetzt wurden, und zwar mit europäischen Mitteln, die aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert werden und gute Ergebnisse bringen. So stelle ich mir das vor. Dazu brauchen wir keinen Supersozialstaat, der aus Brüssel einheitlich und harmonisiert alles regelt. Nein, das können wir vor Ort viel besser.

(Beifall bei CDU und FDP)

Man stelle sich einmal vor, wir müssten die Arbeitsmarktpolitik wirklich von Brüssel aus harmonisiert betreiben! Glauben Sie wirklich, dass die Arbeitsmarktentwicklung in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren mit der in Spanien vergleichbar ist und dass man da nicht andere Schwerpunkte setzen muss, gerade bei den extremen Situationen? Ich nenne Spanien als negatives Beispiel, seit dort eine sozialistische Regierung an der Macht ist.

Es gibt genügend weitere Beispiele, die es verdient hätten, stärker in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung beispielsweise - da kann man genau sehen, wie wir vor Ort die Lissabon-Strategie herunterbrechen - ist ein gutes Beispiel. Dafür brauchen wir keinen Supersozialstaat.

Das Subsidiaritätsprinzip muss gestärkt werden. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte damit keine Probleme kleinreden. Gerade die drei genannten Urteile stellen uns vor eine schwierige Situation bei der Abwägung zwischen Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerrechten, ohne Frage. Das beschäftigt uns in diesen Tagen auch konkret im Landtag, wenn wir an die Auswirkungen davon denken.

Wir brauchen beispielsweise eine konsequente Umsetzung der Entsenderichtlinie, nicht unbedingt eine neue. Das ist die Balance zwischen Freizügigkeit und Arbeitnehmerschutz. Das wird eine wichtige Aufgabe für das neue Europäische Parlament. Ich sage noch einmal als durchgehendes Motiv mei

ner Botschaft: Da können wir vor Ort viel mehr tun und regeln und im Sinne der Subsidiarität handeln.

Meine Damen und Herren, ich habe versucht aufzuzeigen, wo die wesentlichen Unterschiede liegen. Ich sage noch einmal: Wir sind uns sicherlich einig in dem Ziel, für die Menschen in Europa einen Wirtschaftsraum zu schaffen, der auch ein Sozialraum ist, in dem man gern lebt. Wir sollen uns das nicht zu einfach vorstellen. Europa lebt auch von den Unterschieden, und Europa lebt auch von dem Wettbewerb, durchaus auch vom Wettbewerb der Sozialsysteme. Dabei sollten wir bleiben. Wir sind damit eigentlich ganz gut gefahren. Die Fortschritte sind ja auch aufgezeigt worden. Wir sollten lieber daran arbeiten, die konkreten Fortschritte weiterzuentwickeln, als mit Wahlkampfrhetorik die Gemeinsamkeiten, die es da vielleicht gibt, zu gefährden.

In diesem Sinne freue ich mich auf eine Europawahl mit einer hohen Beteiligung, aber auch mit einem politischen Ergebnis, das den Supersozialstaat verhindert und stattdessen die Subsidiarität in Europa stärkt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich weiß nicht, was Peter Dieter Deutschland Bohlen zu meiner Rede jetzt sagt und wie er sie bewertet. Das ist mir aber - offengestanden - auch ziemlich egal.

Lieber Kollege Herbst, ich habe den Haifisch Ostern in Baden-Württemberg bewundern dürfen. Ich finde das gar nicht schlimm. Ich finde das sehr sympathisch. Erstens grinst der Hai. Zweitens habe ich noch nie so viel FDP-Wahlwerbemittel in Baden-Württemberg oder sonst wo gesehen. Insofern bedanke ich mich bei den Sozialdemokraten. Ich finde, das war eine gute Idee, uns zu plakatieren. Ich gehe davon aus, dass uns das mächtig Stimmenzuwachs einbringen wird.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel der europäischen Sozialpolitik ist es, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu fördern, ein hohes Beschäftigungsniveau,

(Niclas Herbst)