Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

(Anhaltender Beifall bei CDU und FDP)

Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten und teile den Fraktionen mit, dass für jede Fraktion eine neue Redezeit von 13 Minuten entstanden ist.

Ich erteile zunächst Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, der Ministerpräsident hat einen bemerkenswerten Beitrag geleistet.

(Beifall bei CDU und SPD)

Der Slogan „Global denken - lokal handeln“ war wenn ich mich richtig erinnere - der grüne Slogan zur Bundestagswahl 1986. Das ist schon etwas her. Ich finde, wenn wir heute so weit sind, dass er jetzt vom Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins verkündet wird, dann freut mich das. Das muss ich ehrlich sagen.

(Zuruf des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Weitere Zurufe - Dr. Christian von Boetti- (Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

cher: Das ist Beschlusslage von der Rio-Konferenz!)

Nun kommen wir weiter. Ich freue mich auch, dass wir von der Spaßdebatte weg und zu einer ernsthaften Diskussion gekommen sind.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

- Ich habe auch keine Konkurrenz zum Club of Rome. Ich freue mich über alle, die an dem gleichen Ziel mitarbeiten - auch über die Sozialdemokraten.

Ich möchte auf einige Punkte, die der Ministerpräsident genannt hat, eingehen. Das eine war die Frage: Was passiert bis 2040 beziehungsweise 2050, bis wir die vollständige Versorgung mit regenerativem Strom haben? In dieser Übergangszeit werden nach unseren Berechnungen noch bis 2023 Atomkraftwerke laufen. Das letzte, das abgeschaltet wird, ist Brokdorf im Jahr 2023. Danach werden noch bis 2040 oder sogar möglicherweise darüber hinaus fossile Kraftwerke weiterlaufen - Kraftwerke, die jetzt schon existieren. Die werden alle noch eine Zeit lang weiterlaufen und dann auslaufen. Die haben alle kein CCS.

Die einzige Frage, die sich stellt, ist: Brauchen wir den Neubau von Anlagen - von Kohlekraftwerken und fossilen Kraftwerken - noch, oder ist es jetzt sinnvoll, das gesamte Geld in regenerative Energien zu investieren und damit immer mehr regenerative aufzubauen, sodass wir 2023 über den kritischen Zeitpunkt des Abschaltens der Atomkraftwerke hinauskommen und dann mit dem Auslaufen der Kohle- und Gaskraftwerke denen jeweils ein regeneratives entgegenstellen? Nach unseren Berechnungen ist das möglich. Wir haben kein Problem, genügend regenerative Anlagen zu bauen. Das einzige Problem besteht darin, wenn wir sehr viel Wind- und Solarenergie im Süden haben und sehr viel Wasser im Norden - zum Beispiel in Norwegen -, dass wir sehr starke Stromleitungen brauchen und dass wir das Stromnetz ausbauen müssen. Darüber habe ich schon einmal geredet.

Herr Ministerpräsident, das ist also möglich, ohne neue Kohlekraftwerke zu bauen. Deswegen brauchen wir auch kein CCS.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der zweite Punkt: CCS würde uns nach allem, was ich zur Kenntnis bekommen habe, nichts nutzen. Ich habe auch mit den Wissenschaftlern hier aus der Meeresforschung gesprochen, die beim Thema CCS führend sind. Voraussichtlich steht CCS erst

2030 zur Verfügung, also zu einem Zeitpunkt, wo die kritischen Engpässe, die wir überhaupt bei der Umstellung auf regenerative Energien haben, bereits überwunden sind.

(Unruhe)

Der kritische Zeitpunkt ist 2023 die Abschaltung von Brokdorf. Dann steht aber CCS noch nicht zur Verfügung. Insofern ist es kein Beitrag zur Lösung unserer jetzigen Probleme.

(Zuruf des Abgeordneten Claus Ehlers [CDU])

Trotzdem haben wir uns als Grüne gesagt, dass wir nicht gegen Forschung im Bereich CCS sind. Wir sind aber dagegen, dass jetzt bereits Lagerstätten gefüllt werden, ohne dass wir wissen, ob die Dinger überhaupt dicht sind.

Wir sind nicht gegen Forschung, weil wir uns vorstellen können, dass es möglicherweise 2040 oder 2050, wenn die Technologie ausgereift ist, möglich ist, aus Biomasse Kohlendioxid mithilfe der CCSTechnologie abzuscheiden, damit Kohlenstoff aus der Luft herauszuholen und die zu hohen Kohlendioxidbelastungen der Luft damit zu verringern. Ob das möglich ist, steht in den Sternen, aber wir sind nicht grundsätzlich gegen Forschung. Wir sind aber dagegen, jetzt eine unausgereifte Technologie einzusetzen. Wir sind gegen eine Legitimationsstrategie für Kohlekraftwerke, die uns nichts nutzt und die wir nicht brauchen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich möchte noch einmal auf die Haftungsfragen eingehen, die der Ministerpräsident angesprochen hat. Herr Garg hat das auch gesagt. Ich halte das für eine ganz entscheidende Frage. Wir wären sehr viel weiter in der Energiediskussion, wenn diejenigen, die ein Kraftwerk betreiben, auch eine Vollhaftung für das Kraftwerk übernehmen. Wir hätten kein einziges Atomkraftwerk in Deutschland, wenn es eine Vollhaftung gäbe.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Atomkraftwerke haben ein Haftungsrisiko, das man auf bis zu 5 Billionen € schätzt. Tatsächlich sind sie aber nur bis 5 Milliarden € versichert ich glaube, das ist der Stand. Das heißt, es gibt nur eine ganz kleine Teilhaftung, für den Rest haftet der deutsche Staat.

(Zuruf des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

(Karl-Martin Hentschel)

Es gibt unter Marktbedingungen kein einziges Atomkraftwerk, das versichert ist. Deswegen halte ich die Haftungsfrage für entscheidend. Ich habe Angst - ich sage das extra auch an den Ministerpräsidenten -, dass das Gleiche wie bei den Atomkraftwerken passiert, dass die Haftung vom Staat übernommen wird. So steht es auch in den Gesetzen drin. Die FDP hat sogar beantragt, diese Haftung ganz aufzuheben, weil man sonst nicht experimentieren könne. Ich finde das katastrophal. Das ist eine fatale Strategie. Wir müssen eine Vollhaftung für die Betreiber haben. Dann haben wir auch weniger Probleme.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Olaf Schulze [SPD])

Jetzt komme ich zu den Konsequenzen. Ich denke, wir müssen zwei Konsequenzen aus der heutigen Debatte ziehen, wenn wir uns alle einig sind. Die eine Konsequenz ist - und da wende ich mich auch wieder an Sie, Herr Ministerpräsident -: Wir müssen dafür sorgen, dass die Kohlekraftwerke in Brunsbüttel nicht gebaut werden. Ich fordere Sie auf, wenn Sie schon in dem Denkprozess, der bei Ihnen angestoßen worden ist, einen Schritt vorangekommen sind, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Frage der Kohlekraftwerke in Brunsbüttel noch einmal zu überdenken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fände es ausgesprochen gut, wenn der Bau der Kohlekraftwerke in Brunsbüttel nicht zustande kommt, weil das sonst bedeuten würde, dass wir für die nächsten Jahre mehr CO2 produzieren und nicht weniger. Das wäre katastrophal für die Klimabilanz in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der letzte Punkt, um den es geht, betrifft uns alle. Wir haben gehört, dass alle gegen die CCS-Lagerung sind, aber alle Probleme mit ihren Bundesparteien haben - Sie mehr als wir.

(Zuruf von der FDP: Haben wir nicht!)

Ich fordere Sie auf - und ich denke, das ist der entscheidende Punkt -: Arbeiten Sie an Ihren Bundesparteien, dass in Berlin die gleichen Entscheidungen zustande kommen wie hier in Schleswig-Holstein!

Das Wort für einen weiteren Beitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Hentschel, ich nehme Ihre Einladung zur ernsthaften Diskussion gern an, weil man sich mit Ihnen über Energiepolitik -

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

- Ich habe mit dem Kollegen Hentschel gesprochen, Kollege Weber. Ich habe ernsthaft über die Einladung des Kollegen Hentschel gesprochen, weil es ein sehr differenziertes Positionspapier der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur CCS-Technologie gibt.

Ich wollte Sie fragen, ob Sie auf folgender Grundlage und unter folgenden Voraussetzungen, die die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufzählt, auch bereit sind, hier mit uns über ein völlig neues CCS-Gesetz zu sprechen. Ich darf daraus zitieren:

„Angesichts der immer alarmierenderen Vorhersagen über die Auswirkungen des Klimawandels wäre es leichtfertig, eine Technologie zur CO2-Reduzierung von vornherein auszuschließen, auch wenn noch viele Fragen offen sind und sie das Problem nicht grundsätzlich behebt. Völlig offen ist auch, ob Staaten wie China und Indien ihren Anteil an den Klimaschutzanstrengungen leisten können und wollen, wenn ihnen diese Technologie nicht zur Verfügung stehen wird. Ebenso offen ist, ob sie überhaupt auf diese Technologie setzen wollen.

Wir sind dafür, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der ermöglicht, die CCS-Technologie kritisch zu prüfen und großtechnisch zu erproben, und der Gefahren für Mensch und Umwelt abschätzt und ausschließt.“

Das ist aus dem Positionspapier der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich finde das ausgesprochen vernünftig; und es entspricht genau dem, was wir in Schleswig-Holstein wollen und was wir gern auch in unsere Bundestagsfraktion einbringen wollen.

Dann hat die Bundestagsfraktion folgende Bedingungen aufgestellt: CCS nur unter klaren Rahmenbedingungen. Ich sage das auch, weil vorhin entweder der Kollege Matthiessen oder Sie, Kollege Hentschel, gesagt haben: keine öffentliche Förderung!

(Karl-Martin Hentschel)

Folgende Rahmenbedingungen unter der Überschrift: CCS nur unter klaren Rahmenbedingungen. Erstens. Moratorium für Kohlekraftwerke. Ich finde, man kann und sollte ernsthaft darüber reden, wobei ich an der Stelle auch ganz deutlich sage: Mir wären die geplanten und kommenden Kohlekraftwerke mit CCS-Technologie in Brunsbüttel die Grundstücksverkäufe sind bereits vom Landtag abgesegnet worden - lieber als Kohlekraftwerke, die das gesamte CO2 in die Luft blasen. Das sage ich auch ganz deutlich.

(Beifall bei FDP und CDU)

Also ein Moratorium für Kohlekraftwerke.

Zweitens. Öffentliche Finanzierung von CCS-Forschung nur mit strengen Kriterien. Drittens. Vollständige Übernahme der Kosten für Nachsorge und Risiko durch die Energiewirtschaft. Ich glaube, bei diesem Punkt trennt uns gar nichts. Viertens. Verbindliche Öffentlichkeitsbeteiligung und maximale Transparenz beim Verfahren statt Bergrecht. Fünftens. Keine CO2-Einlagerung im Meer. Sechstens. Neben der Endlagerung muss auch der Transport des CO2 klar geregelt werden. - Trennung von Netz und Betrieb. Siebtens. Keine Beeinträchtigung von alternativen Nutzungen. Achtens. Einlagerung nur bei einer CO2-Reinheit von mindestens 98 %. Neuntens. Verpflichtende Geruchskennzeichnung zur Risikominimierung bei Handling und Transport.