Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

(Beifall bei der FDP)

Über eine Reihe von Punkten, die im Zusammenhang mit der Initiative der Grünen im Detail zu erörtern sein werden - das eine oder andere ist schon angesprochen worden -, werden wir im Ausschuss diskutieren. Ich freue mich auf die Beratungen und hoffe sehr, dass diese Landtagsmehrheit der noch existierenden Großen Koalition in der Lage sein wird, hier in einem erkennbar mit Handlungsbedarf verbundenen Punkt zu einer Entscheidung zu kommen, und zwar noch in dieser Wahlperiode.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Großkonzernen helfen, aber den anderen nicht! - Zuruf des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie der Kollege Dr. Klug gerade sagte, stellt eine Studie im Auftrag der Zeitschrift „Eltern“ bei einer bundesweiten Untersuchung fest, dass Eltern mit einem Jahreseinkommen von unter 25.000 € für den Besuch ihrer Kinder in einer Kindertagesstätte in Schleswig-Holstein am meisten bezahlen. Das ist das absolut verkehrte Signal.

Geringverdiener sollen in den Genuss der sogenannten Sozialstaffel kommen. Die legt nach den Bedarfsgrenzen des SGB XII der jeweilige örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe fest. In acht Kreisen müssen die Betroffenen überhaupt keine Kita-Gebühren bezahlen. Ohne Bürokratie und umständliches Verfahren sind die Eltern von der Zahlung befreit. In anderen Landkreisen hört man im

(Dr. Ekkehard Klug)

mer wieder Beschwerden über intransparente Antrags-, Bewilligungs- und Ermäßigungsverfahren, wenn Eltern beispielsweise nur mittels eines Neuantrags in den Genuss von zwischenzeitlich bewilligten Ermäßigungen kommen.

Die Bürgerbeauftragte hat ebenfalls auf dieses Problem hingewiesen. Sie schreibt in ihrem Bericht:

„Im Teilbereich Kindertagesstättengesetz ergab sich eine gewisse Häufung von Anfragen zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sowie zur Kostenbeteiligung …“

Dabei erläutert sie, dass neben der Sozialstaffelregelung eben auch eine Regelung in unserem Kindertagesstättengesetz dazu führt, dass bei HartzIV-Empfängern nur 85 % der Regelsätze der Sozialhilfe für die Ermittlung von Belastungsgrenzen herangezogen werden können. Mehrere Kreise haben diese Möglichkeit angewandt, was dazu geführt hat, dass betroffene Eltern mit einem geringen Einkommen oder ausschließlich Hartz-IV-Leistungen trotzdem noch Kindergartenbeiträge zahlen mussten. So schließt man Kinder von der adäquaten Betreuung und von einem guten Einstieg ins Bildungssystem aus. Das können wir uns nun wirklich nicht leisten.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert ebenfalls die rigorose Handhabung der Zuzahlungsregelungen in Schleswig-Holstein. So müsse eine berufstätige Mutter, die 540 € monatlich verdient und zusätzlich Hartz IV erhält, in einem nicht genannten Kreis 60 € Kita-Beitrag zahlen. An diesem Einzelfall zeigt sich die ganze Kurzsichtigkeit bürokratischer Regelungen. Würde die Mutter nämlich auf ihre Berufstätigkeit verzichten, würde sie die 60 € sparen und dabei besser dastehen. Genau das soll aber nicht das Ziel sein.

Das sind unhaltbare Zustände, die dazu führen, dass Armut weitervererbt wird. Da sich arme Eltern den Kita-Besuch mit den entsprechenden fördernden Angeboten nicht leisten können, hat ihr Kind bereits bei der Einschulung schlechtere Karten. Das könnte der Beginn einer Armutskarriere sein. Dieser Kreislauf muss endlich unterbrochen werden. Familien mit geringem Einkommen können nicht warten, bis der Besuch der Kindergärten, Kinderkrippen oder Horte beitragsfrei ist. Sie sind jetzt, 2009, darauf angewiesen, dass ihre Kinder diese Einrichtungen besuchen können.

Über einen fast gleichlautenden Antrag zur landesweit einheitlichen Sozialstaffel haben wir bereits vor einem Jahr debattiert. Der Kollege Klug hat es erwähnt. Die Kollegen der FDP hatten damals einheitliche Kriterien für die Sozialstaffel gefordert. Bislang wurde das allerdings nicht umgesetzt. Sie forderten die Landesregierung auf, bei den örtlichen Trägern für einheitliche Kriterien bei der Sozialstaffel zu werben. Es stellt sich schon die Frage, warum die Große Koalition dieses Gesprächsangebot bislang nicht gemacht hat.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ausdrücklich weise ich darauf hin, dass es nicht darum gehen sollte, von Kiel aus in die örtlichen Zuständigkeiten hineinzuregieren, weil tatsächlich sowohl die Preise in den Kindergärten wie auch die Bedingungen, was die Stundenzahl angeht, unterschiedlich sind. Der SSW will die Argumente der Sozialhilfeträger zunächst anhören und dann bewerten. Keineswegs sollten wir uns mit dem derzeitigen Zustand zufriedengeben, sondern alles in Bewegung setzen, damit Geringverdiener und Arbeitslose die Angebote der hiesigen Kindertagesstätten für ihre Kinder nutzen können und nicht an undurchsichtigen Verfahren scheitern. Hierbei müssen wir dann auch § 25 des Kindertagesstättengesetzes hinterfragen, in dem die Höhe der Belastungsgrenze für Betroffene auf 85 % gesenkt wurde. Dazu sollten wir die Sozialverbände und die Bürgerbeauftragte hören.

Was die Betroffenen benötigen, ist eine transparente, überall gültige Lösung. Deshalb muss es hier schnell zu einer Initiative kommen, die das Land gemeinsam mit den Trägern der Sozialstaffel in Gang setzen muss. Insofern macht es Sinn, den Antrag im Ausschuss noch einmal ganz genau zu beraten. Allerdings - auch das sage ich - müssen wir schnell beraten, damit wir noch in dieser Legislaturperiode eine wirklich vernünftige Regelung erhalten.

(Beifall beim SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Das Wort für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Ute Erdsiek-Rave.

(Lars Harms)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit einer Sozialstaffel kann man nicht allein daran festmachen, ob die Grenze für die Beitragsbefreiung bei 85 % oder bei 100 % liegt. Diese einfache Rechnung würde nämlich nur dann aufgehen, wenn es ein landesweit einheitliches System gäbe, also wenn die Anspruchsvoraussetzungen, die Berechnungsgrundlagen und die Staffelungen in den Kreisen und kreisfreien Städten einheitlich wären. Das ist bekanntermaßen nicht der Fall. Das ist bedauerlich. - Das sage ich ganz klar. Unser Land ist klein, aber vielfältig, habe ich bei einer früheren Diskussion um ein ähnliches Thema hier gesagt. Vielfältig - übersetzt man dieses Wort politisch - heißt, dass sowohl die Versorgungsdichte in Schleswig-Holstein als auch das will ich ausdrücklich sagen - das soziale Engagement von Kreisen und Gemeinden für die Entlastung der Betroffenen sehr unterschiedlich ist.

Der Landesrechnungshof und die Bürgerbeauftragte haben auf diese Schieflage hingewiesen. Es ist so, dass bei gleichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen je nach Wohnort Beitragsermäßigungen zwischen null und 100 % da sind. Wir haben mancherorts die wirklich schwer vermittelbare Situation, dass Empfänger vom Arbeitslosengeld II keine Beiträge zahlen, während Erwerbstätige mit gleichem Nettoeinkommen zur Kasse gebeten werden.

Hinzu kommt, dass die 85-%-Regel - das wissen Sie auch - streng genommen in Reinkultur nur noch in einem Kreis gilt, das ist der Kreis RendsburgEckernförde. Alle anderen wenden sie entweder nicht an oder schwächen sie inzwischen ab. Das gilt für die beiden anderen Kreise mit einer 85-%-Regelung, Lauenburg und Stormarn - wobei der Kreis Stormarn gewiss nicht zu den ärmsten Kreisen dieses Landes gehört.

Die meisten Kreise nutzen - das betone ich ausdrücklich - aus eigenem Antrieb ihren Gestaltungsspielraum, um die Beitragsbefreiung zu erweitern. Die 85 % des Regelsatzes für die Beitragsbemessung sind übrigens die absolute Untergrenze. Sie orientieren sich an 100 % der früheren Sozialhilfebedarfsgrenze.

Liebe Frau Heinold, Sie haben auf die Entstehung der Gesetzgebung 2004 hingewiesen. Ich kann mich an diese Debatte noch ziemlich genau erinnern. Ich kann mich auch daran erinnern, dass wir schon damals eine sehr prekäre Haushaltslage hat

ten. Letztlich haben Sie der Gesetzesänderung aber zugestimmt.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das habe ich hier auch nicht ver- schwiegen! Sonst hätten wir die hier nicht!)

Ich will damit nur sagen: Man kann sich in der Opposition von dem verabschieden, was man früher mitgemacht hat. In der Situation, in der man einen Beschluss fasst, hat man in einer Demokratie auch die Verantwortung. Sonst muss man die Dinge beenden. So ist das.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Weil das sonst nicht zustande gekom- men wäre!)

- Ja, gut. Wir können das Zustandekommen von Beschlüssen für Haushalte in der Vergangenheit hier gern aufarbeiten. Ich finde, das ist eigentlich kein guter Stil.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Das Ziel Ihres Antrags ist eine landesweit einheitliche Lösung für die Entlastung von einkommensschwachen Familien. Dieses Ziel lässt sich nur über eine gemeinsame Sozialstaffel oder - besser gesagt: Sozialstaffelsystem - der Kreise und kreisfreien Städte erreichen. Erst dadurch kommt man überhaupt zu einer echten Vergleichbarkeit.

Wie schwierig es überhaupt ist, Daten von den Kreisen und kreisfreien Städten zu bekommen, habe ich in der Vergangenheit hier mehrfach dargestellt. Davon abgesehen geht Ihr Vorschlag zur Finanzierung leider ins Leere. Wenn das so leicht wäre, könnten wir das sozusagen im Zuge der jetzigen Gesetzesänderung machen. Wir könnten ein einheitliches Sozialstaffelsystem einführen und sagen: Das finanziert sich sozusagen von selbst.

(Holger Astrup [SPD]: Von wegen!)

Es gibt im Zuge des beitragsfreien Kita-Jahres nämlich keine Einsparungen der Kreise und kreisfreien Städte bei der Sozialstaffel. Das Land ersetzt nur das, was die Eltern bisher gezahlt haben. Die Kreise und kreisfreien Städte bringen also ihren Finanzierungsanteil, den sie bisher über die Sozialstaffelermäßigung erbracht haben, weiterhin in die Finanzierung der Elternbeiträge ein. Das war unser Ziel und bleibt unser Ziel. Das Land entlastet die Eltern und nicht die Kreise und kreisfreien Städte. So ist es.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Es gibt ein präzises Abrechnungssystem. Das ist hier in der Vergangenheit doch alles erläutert worden. Wir können darüber im Ausschuss aber gern noch einmal weiter beraten und das erklären. Es bleibt also der Weg über einheitliche Maßstäbe und Grundlagen in den Sozialstaffeln.

Ich will hier ausdrücklich noch einmal sagen: Eigentlich müssten die Kreise selbst ein Interesse an gleichen Bedingungen haben. Hier geht es schließlich um Transparenz, um Familienfreundlichkeit und Verwaltungsvereinfachung. Es geht um genau das, was Sie auch gesagt haben. Herr Harms, Ihnen wollte ich das zurückmelden: Es geht um Familienfreundlichkeit, Transparenz und Verwaltungsvereinfachung. Es geht auch um eine notwendige Verständigung auf die Maßstäbe für das soziale Handeln, die in der kommunalen Selbstverwaltung angelegt werden. Hier gibt es die Verpflichtung zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung.

Nun will ich einmal sagen, wie die Gespräche mit den kommunalen Landesverbänden dazu verlaufen sind. Es hat mehrere Gespräche dazu im sogenannten Lenkungsausschuss gegeben, in dem alle Beteiligten beraten. In der vergangenen Woche war das vorläufig letzte dieser Gespräche vor dieser Debatte. Die kommunalen Landesverbände haben noch einmal deutlich gemacht, dass sie derzeit nicht an einer Vereinheitlichung mitwirken wollen. Ich finde das enttäuschend. Aber damit ist klar - das war Gegenstand der Diskussion dort -: Jeder Versuch, landeseinheitliche Bedingungen herzustellen, ließe Konnexitätsforderungen erwarten. Sie sehen also, wir haben Gespräche geführt, die Sie mit dem Antrag einfordern. Die können durch den Bildungsausschuss gern fortgesetzt werden. Vielleicht hilft das, eine größere Bereitschaft herzustellen. Allerdings muss ich wirklich sagen: Ich hätte mir andere Ergebnisse gewünscht.

Eines will ich abschließend sagen. - Herr Dr. Klug, Sie hören mir offenbar absichtlich nicht zu; aber ich spreche Sie jetzt trotzdem an. - Es ist ja nicht so, dass im dritten Kindergartenjahr - dies ist meiner Ansicht nach ein ganz wichtiges und entscheidendes - die Kinder von Geringverdienenden oder sozial Benachteiligten nicht in den Kindertageseinrichtungen wären. Wir sind dort ja schon bei knapp 95 % aller Kinder angelangt. Aber die restlichen 5 % sind die, um die es uns geht. Diese wollen wir erreichen, indem wir die Gebührenbefreiung im dritten Kita-Jahr auf den Weg bringen, und zwar für die Eltern aller Kinder, insbesondere aber für die Geringverdiener, die nicht von der Sozialstaffel, über die wir heute diskutieren, profitieren.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich verstehe nicht, warum Sie das kleinreden. Damit steigen wir jetzt ein. Ich bin zutiefst davon überzeugt, das müssen wir durch eine Befreiung von den Gebühren in allen Kindergartenjahren fortsetzen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke der Frau Ministerin. - Es ist eine neue Redezeit von zwei Minuten entstanden. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/2669 dem Bildungsausschuss federführend und dem Sozialausschuss mitberatend zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich formell bekanntgeben, dass sich der Herr Abgeordnete Andreas Beran für den Rest der Sitzungszeit krank gemeldet hat. - Auch ihm wünschen wir gute Besserung.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Güterkraftgewerbe stärken - Maßnahmen zur Senkung der Lkw-Maut ergreifen