Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

Landeszentrale für politische Bildung zukünftig beim Landtag ansiedeln

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2666

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Monika Heinold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landeszentralen für politische Bildung leisten bundesweit einen unverzichtbaren Beitrag zur politischen Bildung. Meist sind sie dem Bildungsministerium zugeordnet, in manchen Ländern - wie seit 2005 in Schleswig-Holstein - aber auch der Staatskanzlei. Mit unserem heutigen Antrag betreten wir Neuland, denn wir schlagen vor, die Landeszentrale zukünftig nicht mehr bei der Landesregierung, sondern beim Landtag anzusiedeln.

Dass es Veränderungsbedarf bei der Arbeit der Landeszentrale in Schleswig-Holstein gibt, zeigt auch der letzte Woche vorgelegte Bericht des Landesrechnungshofes. In dem Bericht wird festgestellt - ich zitiere -:

„Die Landeszentrale für politische Bildung hat keine klaren Ziele und handelt unwirtschaftlich.“

Die Landesregierung hat nun angekündigt, die Landeszentrale umzustrukturieren und unter einer anderen Leitung neu auszurichten. Lassen Sie uns diese

(Karl-Martin Hentschel)

Situation des Umbruchs nutzen, um einen kompletten Neuanfang zu wagen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Ansiedlung beim Landtag würde gut zu den wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben der Landeszentrale passen. Sie soll unabhängig und überparteilich arbeiten, für die Demokratie als Grundlage unseres Staatswesens werben und die Bürgerinnen und Bürger zur Mitgestaltung von Politik und Gesellschaft befähigen. Wie wichtig diese Aufgaben sind, zeigt ganz aktuell die geringe Wahlbeteiligung bei der Europawahl. Aus meiner Sicht würde eine Vernetzung der Öffentlichkeitsarbeit von Landtag und Landeszentrale und ein Ausbau der bestehenden Kooperationsprojekte die Schlagkraft der politischen Bildung in Schleswig-Holstein stärken.

Das Budget der Landeszentrale ist eng begrenzt. Mit dem Haushalt 2009 wurden sechs Stellen und ein jährlicher Zuschuss in Höhe von circa 500.000 € bereitgestellt. Das Angebot der Landeszentrale reicht von thematischen Veranstaltungen über Schülerwettbewerbe bis hin zur Erstellung von Broschüren und der Organisation von Studienreisen. Die Landezentrale arbeitet mit anderen Organisationen von der Europaunion über die Volkshochschulen und die Bundeszentrale für politische Bildung bis hin zum Schleswig-Holsteinischen Landtag gut vernetzt zusammen. So ist zum Beispiel die für November geplante Veranstaltung „20 Jahre nach dem Fall der Mauer“ ein Kooperationsprojekt von Landeszentrale und Landtag. Auch die Lesereihe „Politische Literatur im Landtag“ sowie die Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus laufen als gemeinsame Veranstaltungen erfolgreich.

Gerade in einem kleinen, hoch verschuldeten Land ist es unabdingbar, auf Vernetzung und Kooperation zu setzen, Aufgaben zu bündeln, Synergieeffekte zu nutzen und Prioritäten zu setzen. Auch deshalb schlägt meine Fraktion vor, die Landeszentrale für politische Bildung zukünftig beim Landtag anzusiedeln. Denkbar wäre eine Angliederung an den Landtag, wie sie bei den Beauftragten geregelt ist. Damit wäre die fachliche Unabhängigkeit der Landeszentrale garantiert. Räumlichkeiten des Landtags könnten verstärkt für das Angebot der Landeszentrale genutzt werden, um den Bürgerinnen und Bürgern einen authentischen Einblick in die parlamentarische Arbeit zu ermöglichen.

Außerdem wäre es gut, wenn die interaktiven Elemente der politischen Bildung durch diese Vernetzung gestärkt werden könnten, insbesondere um

junge Menschen für unsere Demokratie zu begeistern. Angebote wie „Jugend im Parlament“, das Planspiel „Model United Nations“ oder Diskussionsrunden von Schulklassen und Abgeordneten bieten eine gute Möglichkeit, Politik erfahrbar zu machen, denn im Vordergrund steht die Motivation, selbst mitzumachen.

Unser Antrag gibt bewusst kein fertiges Konzept vor. Er ist ein Gesprächsangebot an die anderen Fraktionen und ein Vorschlag, Kräfte und Ressourcen zu bündeln sowie bestehende Angebote zu optimieren, um die politische Bildung in SchleswigHolstein insgesamt zu stärken. Ich würde mich freuen, wenn Sie offen dafür wären, dies konstruktiv miteinander zu diskutieren, zumal die Landesregierung ohnehin dabei ist, eine neue Konzeption zu erarbeiten. Es ist elementar, dass wir als Abgeordnete dabei mitwirken. Wir müssen mitplanen, wie unabhängige politische Bildung in Schleswig-Holstein zukünftig organisiert werden soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion der CDU hat Frau Abgeordnete Sylvia Eisenberg das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grundsätzlich ist der Antrag der Grünen als Auftakt zur Diskussion um den Stellenwert und die Zuordnung der Landeszentrale für politische Bildung begrüßenswert. Dabei ist die Ansiedlung der Landeszentrale an den Landtag bedenkenswert, vielleicht auch wünschenswert, aber zunächst nicht mein Hauptanliegen.

Vielmehr geht es uns um eine Neuaufstellung sowie eine Reform der Struktur und der Inhalte der Landeszentrale für politische Bildung. Gerade das historisch-politische Erinnerungsjahr 2009 zeigt uns, wie notwendig es ist, sowohl die Geschichte als auch die Gegenwart aufzuarbeiten und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen deutlich zu machen, wie wir geworden sind, was wir jetzt sind.

Fragen Sie einmal Jugendliche nach den Ereignissen, die sich um die Jahre 1919, 1929, 1939, 1949 und 1989 ranken; selbst der 17. Juni 1953 ist fast vergessen. Auch die Erwachsenen und Senioren werden Ihnen kaum Antworten geben können. Noch komplizierter wird es, wenn Sie nach den Entwicklungen fragen, die zu diesen Ereignissen

(Monika Heinold)

geführt haben. Auch die Personen, die zu diesen Zeiten Hauptakteure waren, sind den Jugendlichen meist unbekannt, wie eine Studie zur politischen Bildung gerade im letzten Jahr bewiesen hat.

Auf der anderen Seite stehen hohe Einschaltquoten bei historischen, aber auch bei politischen Sendungen im Fernsehen. Historische Romane haben hohe Auflagen und politische Talk-Shows viele Zuschauer. Es ist also politisches Interesse vorhanden. Aber wollen wir dieses Thema wirklich den Medien überlassen? - Nein!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies würde auch nicht reichen, wie man an der mangelnden Wahlbeteiligung bei der Europawahl gesehen hat.

Obwohl sie nicht in der Landesverfassung verankert ist, kann es auch Aufgabe des Landes sein, zur politischen Bildung beizutragen, in welcher Form und Struktur auch immer. Das war jedenfalls bisher die Auffassung aller im Landtag vertretenen Parteien. Allerdings haben sich die im Jahr 2003 beschlossene neue Struktur der Landeszentrale und ihre inhaltliche Ausrichtung nicht bewährt. Das ist den Protokollen des Steuerungsausschusses und des Kuratoriums zu entnehmen, aber auch der Prüfung des Landesrechnungshofes.

Was ist zu tun? - Der Eigenbetrieb der Landeszentrale - so der Landesrechnungshof - ist aufzulösen, messbare Ziele sind neu zu bestimmen. Die Durchführung von Studienreisen, die Ausbildung europäischer Lehrkräfte und litauischer Polizeikräfte gehören laut Landesrechnungshof jedenfalls nicht zu den Aufgaben der Landeszentrale. Beratungs-, Unterstützungs- und Informationsaufgaben würden laut Landesrechnungshof von den Weiterbildungsverbünden und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung wahrgenommen. Doppelstrukturen sind zu vermeiden.

Was also gehört zum Kernbereich der politischen Bildung? - Da gibt es einmal die zentralen Themen der historisch-politischen Bildung wie Freiheit und Verantwortung, Menschenrechte und Diskriminierung, Krieg und Frieden, Wahlrecht und Zensur, Individualität und Solidarität sowie Mehrheit und Minderheit. Außerdem gibt es den Anspruch aller Bevölkerungsteile auf Teilhabe an politischer Bildung, also die Forderung nach dezentraler Vermittlung historisch-politischer Inhalte. Das konnte die Landeszentrale bisher nicht leisten, und das wird zukünftig aufgrund beschränkter finanzieller Mittel auch nicht zu leisten sein.

Deshalb sollten wir auch die im Land vorhandenen dezentralen, flächendeckenden Strukturen nutzen, um den Menschen, insbesondere aber den Jugendlichen die zentralen historisch-politischen Fragestellungen nahezubringen; das muss von Leck bis Lauenburg und von Brunsbüttel bis Glückstadt geschehen. Inwiefern eine direkte Zuordnung der Landeszentrale zum Landtag zur Erfüllung dieser Aufgaben besser geeignet ist, bedarf einer gründlichen Erörterung, für die wir uns im Ausschuss Zeit nehmen sollten, allerdings nicht zu viel Zeit. Denn die überaus kritischen Bemerkungen des Landesrechnungshofes beziehen sich zwar auf das Jahr 2007, und jetzt haben wir 2009. Zwischen 2007 und 2009 hat sich in der Landeszentrale aber nicht viel verändert.

Politische Bildung ist nicht umsonst zu haben, aber es ist auch nicht verboten, Synergieeffekte zu nutzen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies wäre mit einer Ansiedlung an den Landtag, verbunden mit der Nutzung dezentraler Strukturen wie die der Volkshochschulen und der politischen Bildungsstätten im Land, gegeben.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Hans Müller das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben beantragt, die Zuständigkeit für die Landeszentrale für politische Bildung von der Landesregierung auf den Landtag zu verlagern. Das wird mit der verstärkten Rolle des Landtags in der politischen Bildungsarbeit begründet. Eine Anbindung der Landeszentrale würde Doppelangebote vermeiden.

Ein Blick durch die Länder zeigt, dass die Zuordnung der Landeszentrale zu den jeweiligen Landesregierungen Standard ist. In den meisten Ländern ist die Landeszentrale dem Bildungsministerium zugeordnet, so in Hamburg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern, so wie es bis 2005 auch in diesem Land war.

(Sylvia Eisenberg)

Eine verbreitete Alternative dazu ist die Anbindung an die Staatskanzlei. So wird außer bei uns auch in Hessen, Baden-Württemberg, Bremen, Thüringen und Sachsen-Anhalt verfahren. Nordrhein-Westfalen hat sich etwas besonders Apartes einfallen lassen: Dort ist die Landeszentrale an das Ministerium für Gesundheit, Familie, Frauen und Integration angebunden.

Die Frage des rechtlichen Status und der Anbindung ändert nichts an den gemeinsamen Grundsätzen aller Landeszentralen - der rechtliche Status ist landesunterschiedlich. Das Münchner Manifest 1997 legt fest, dass auf Pluralismus, Überparteilichkeit, die Stärkung von Demokratie und aktiver gesellschaftlicher Teilhabe, die Aufarbeitung der Geschichte, die Zukunftsorientierung und die Methodenpluralität zu achten ist.

Schleswig-Holstein geht mit dem seit 2005 gewählten Verfahren in der Praxis im Grunde keinen Sonderweg - wie beschrieben. Wir als SPD-Fraktion wollen an einer Landeszentrale festhalten. Dabei ist uns natürlich klar, dass die Landeszentrale nur eines von weiteren Angeboten der politischen Bildung ist. Das Spektrum beginnt mit dem Elternhaus, zieht sich über Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen bis zu neuen Medien hin. Nicht zu vergessen sind die gesellschaftlichen Organisationen wie Parteien, Gewerkschaften und Verbände.

Die Landeszentralen für politische Bildung können keine Monopolstellung in der politischen Bildung für sich beanspruchen - das ist auch nicht beabsichtigt -, sondern nur andere Angebote ergänzen und vertiefen. Ihr Erfolg ist dabei davon abhängig, inwieweit sie insbesondere den Bereich der Geschichte und den der Politik des eigenen Landes und seiner Regionen erkennen, besetzen und einem breiten Publikum näherbringen. Dabei haben geschichtliche Aufarbeitungen ebenso Platz wie die Beschreibung und Bearbeitung aktueller Entwicklungen.

Wir haben Sympathien für den Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sagen aber: Vor einer endgültigen Festlegung ist eine Erörterung und entsprechende Anhörung im Ausschuss unverzichtbar. Wenn man eine so weitreichende Entscheidung gegen Ende einer Legislaturperiode treffen will, bedarf es eines breiten Konsenses im Landtag. Es gibt auch keinen besonderen Eilbedarf.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Der Antrag fällt mit den Bemerkungen des Landesrechnungshofes zusammen, der sich zu Recht

sehr kritisch mit der Tätigkeit und mit der Rechtsstellung als Landesbetrieb auseinandersetzt. Auch die Bemerkungen des Landesrechnungshofs gehören in die Debatte, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angestoßen hat. Lassen Sie uns die Diskussion im Bildungsausschuss fortsetzen. Wir beantragen Entsprechendes.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat große Sympathie für die Anregung, die Landeszentrale für politische Bildung beim Landtag anzubinden. Das ist übrigens ein Vorschlag, den wir im zurückliegenden Jahr auch schon einmal im Rahmen von Haushaltsberatungen selber unterbreitet haben. Ich finde es auch gut, dass der Antrag der Grünen so formuliert ist, dass er eine offene Diskussion zu diesem Punkt in Gang setzt. Ich kann meinen Redebeitrag dazu relativ kurz halten.

Erste Position. Das Land Schleswig-Holstein braucht eine Landeszentrale für politische Bildung.

(Beifall)