Protokoll der Sitzung vom 15.07.2009

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Elftens. Wir brauchen eine regionale ÖPNV-Planung. Es kann nicht sein, dass jeder Kreis für sich allein plant, dass die Busse nicht über Kreisgrenzen

(Karl-Martin Hentschel)

fahren und Lübeck bis heute keinen Verkehrsverbund mit dem Umland hat. Das kostet unsinniges Geld. Der Verkehrsverbund in Kiel ist fast kostendeckend; in Lübeck ist es ein Subventionsgeschäft sondergleichen. Das muss aufhören!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und last but not least: Wir brauchen für die zentralen Verwaltungen und Ministerien eine strikte Budgetierung, die sie zu definierten Personaleinsparungen zwingt. Bei einer Fluktuation von 3 % jährlich - nach meiner Kleinen Anfrage in der letzten Legislaturperiode sind es sogar 3,5 % - sind 1,5 % Einsparungen realistisch. Das heißt, jede zweite frei werdende Stelle wird nicht besetzt.

Meine Damen und Herren, das sind 12 Beispiele, die diese Große Koalition anpacken könnte, wenn sie den Mut hätte und sich nicht ständig gegenseitig blockieren würde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das alles wird nicht reichen, aber das alles sind wichtige Schritte auf dem Weg zur Konsolidierung. Das größte Hindernis auf dem Weg dazu ist diese Koalition selbst.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Deswegen wiederhole ich im Andenken und nach der Methode des alten Cato mein Credo: Ceterum censeo foedus esse finiendum. Das heißt - für Nicht-Lateiner -: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass diese Koalition beendet werden muss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel. Das Wort für den SSW im Landtag hat deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist ein denkwürdiger Moment in der Geschichte des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Selten trat deutlicher zutage, dass zentrale Entscheidungen von wenigen Menschen in Hinterzimmern getroffen werden. Selten war so klar, wie wenig die Regierenden von der offenen Meinungsbildung im Parlament halten. Der Koalitionsausschuss hat den einstimmigen Landtagsbeschluss zur Schuldenbrem

se verworfen, und nun soll das Parlament seinen Beschluss wieder einsammeln. Die Landtagsdebatten der letzten Monate zu diesem Schicksalsthema sind damit Makulatur.

Für die Abgeordneten der CDU und der SPD ist es eine Pflichtübung - keine leichte, aber eine Pflichtübung -, diesem Antrag zuzustimmen. Für alle anderen ist er ungenießbar.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollen beschließen, dass wir nicht gegen die Schuldenbremse der Föderalismuskommission klagen und damit die neue Schuldenregelung akzeptieren. Eben dies hielten alle Abgeordneten in diesem Hause noch vor wenigen Wochen für völlig indiskutabel, und zwar aus guten Gründen. Die Schuldenbremse aus Berlin ist für Schleswig-Holstein eine finanzielle Zwangsjacke. Daran ändern auch die flexibleren Regelungen zur Ausgestaltung auf Landesebene nichts, die in diesem Antrag formuliert werden. Für den SSW geht es weiterhin darum, dass das Land seine Vorgaben selbst bestimmt. Deshalb stimmen wir auch mit dem Landtagspräsidenten völlig überein: Es gibt keine Alternative zur Verfassungsklage.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass es dem Parlament die Hände binden und das Land finanziell strangulieren wird. Insofern können wir auch grundsätzlich den Änderungsantrag der Grünen unterstützen. Genauer gesagt: Wir können den ersten und den letzten Teil vorbehaltlos mittragen. Es muss dargelegt werden, ob und wie das Land die Vorgaben der Föderalismuskommission erfüllen kann. Die Grünen schießen mit ihren detaillierten Vorgaben zu den Annahmen der Modellrechnung weit über das Ziel hinaus. Es bleibt aber die richtige Konklusion: Die CDU und die SPD sind jetzt den Beweis schuldig, dass SchleswigHolstein diese Schuldenbremse verkraften kann. Im Prinzip gestehen sie mit ihrer Forderung nach einem Altschuldenfonds ja selbst ein, dass dies nicht zu schaffen ist. Wir alle wissen aber, dass sich diese Hoffnung auf längere Sicht nicht erfüllen wird. Deshalb ist der einzige Ausweg der Gang zum Verfassungsgericht, den sich die Mehrheit in diesem Haus in einigen Minuten verbauen will.

Das Papier des Koalitionsausschusses enthält neben dem Verzicht auf die Klage gegen die Schuldenbremse weitere Punkte, die für den SSW nicht zustimmungsfähig sind. Wir sollen konkrete Zahlen

(Karl-Martin Hentschel)

für die Haushaltskonsolidierung der kommenden Jahre beschließen, deren Hintergrund wir gar nicht kennen. Sie beruhen auf Meinungsbildungsprozessen im Koalitionsausschuss, an denen wir ebenso wie die meisten anderen hier im Hause nicht teilgenommen haben und an denen man uns auch nachträglich nicht hat teilhaben lassen. Insofern geben sich die Koalitionäre erst gar nicht den Anschein, dass sich das Parlament in dieser Frage eine freie Meinung bilden soll.

Der SSW teilt die grundlegende Auffassung, dass die Konsolidierung des Haushalts höchste Priorität haben muss und dass zu einer soliden Sanierung des Landeshaushalts auch ein erheblicher Abbau von Stellen in der Landesverwaltung gehört. Aber wir kennen nicht die Grundlage des Koalitionsausschusses, 4.800 Stellen im Landesdienst zu streichen. Der entsprechende Personalabbauplan soll erst im ersten Quartal 2010 vorliegen. Von einer soliden Strukturreform, die Aufgaben und Personal in Einklang bringt, ist gar nicht die Rede.

Insofern bin ich auch nicht weiter neidisch auf die Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD, die gleich die Hände für etwas heben sollen, von dem sie gar nicht wissen können, wie es konkret aussieht und welche Konsequenzen es hat. Hier wird mit dem Rasenmäher Personalpolitik gemacht, ohne dass eine konkrete Vorstellung dahintersteht, wie sich die Landesverwaltung entwickeln soll, Hauptsache es werden weniger. Die Landesregierung hat die Daten des Landesrechnungshofs über die Mitarbeiter genommen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Sie hat sich demografische Daten angesehen, und aus beidem hat sie dann ein Sparpaket geknüpft.

Der gemeinsame Antrag von CDU und SPD spricht von strukturellen Änderungen, aber er begreift sich hauptsächlich als das Wegschneiden von Arbeitsplätzen und Aufgaben, ohne ein schlüssiges neues Gesamtbild zu zeichnen. Ich gebe ausdrücklich Minister Döring recht, der am Wochenende öffentlich eine Zielrichtung für den Sparkurs vermisst hat.

Kreative politische Ansätze, die das Land nicht nur aushungern, sondern auch weiterentwickeln, vermisst man im Sparpaket nahezu völlig. Es werden lediglich Stellen nicht wiederbesetzt. Es werden Löcher gerissen, ohne eine Vorstellung davon, wie das Übriggebliebene neu verknüpft werden kann.

(Beifall beim SSW)

Die Konsequenzen dieser Politik wird man nicht nur bei den Aufgaben spüren, die künftig wegfallen

sollen. Dies wird auch verheerende Folgen für die Übriggebliebenen in den Ministerien, Behörden und Einrichtungen haben. Ich glaube kaum, dass wir nachher mit motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dastehen, wenn einfach Stellen entfallen und andere die übrig gebliebene Arbeit erledigen müssen. Die Idee, Hierarchien in den Ministerien abzubauen, indem Abteilungsleiter auch ein Referat übernehmen sollen, ist logisch und gut. Aber die meisten Stellen verschwinden ohne Ersatz und ohne Konzept.

Um trotz und gerade wegen der Einsparungen möglichst viel für die Bürgerinnen und Bürger herauszuholen, brauchen wir aber motivierte Mitarbeiter. Ein zentrales Personalmanagement mag zwar helfen, Personal abzubauen und herumzuschieben. Wenn wir den übrig gebliebenen Landesbediensteten nicht vermitteln können, wie die Verwaltung nachher aussehen und arbeiten soll, wird die ganze Reform aber kaum mehr als ein Rangierbahnhof für Landespersonal sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kür besteht darin, nicht nur Aufgaben wegzuschneiden, sondern die Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung so neu zu organisieren, dass die Bürgerinnen und Bürger trotz weniger Ressourcen noch möglichst viel von unserem Land haben.

Es ist schon bezeichnend, dass das einzige wirkliche Reformprojekt auf Regierungsebene, die Zentralisierung der Justizverwaltung, jetzt gescheitert ist. Hier hätte diese Landesregierung einmal vorleben können, wie durch die Neustrukturierung eine moderne Landesverwaltung entstehen kann, die durch eine neue Arbeitsweise effektiver und effizienter wird. Mit der gemischten Schlachtplatte, die uns heute von der Großen Koalition serviert wird, bleibt aber nur die Leistungskürzung.

Dies gilt nicht nur für die Landes- und Kommunalverwaltungen, sondern auch für das soziale und kulturelle Leben im Land. Es spricht absolut nichts dagegen, die vielfältigen finanziellen Leistungen des Landes zu überprüfen. Allerdings ist dies auch nichts Neues. Es hat in den vergangenen Jahren schon viele Sparvorschläge gegeben. Es gab reichlich Berichte des Landesrechnungshofs, es gab eine Liste der kommunalen Landesverbände, es gab eine Giftliste der Ministerien, und es gab die sinnlose Vollzeitbeschäftigung eines Entbürokratisierungsstaatssekretärs. Vorschläge gab es reichlich, verständigen konnte man sich aber auf so gut wie gar nichts. Ich weiß nicht, woher man den Glauben nimmt, jetzt damit weiterzukommen. Das wird man nicht.

(Anke Spoorendonk)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist der letzte große Wurf der Großen Koalition. Er reicht immerhin weit genug, um nicht, wie sonst in den letzten vier Jahren üblich, den Urhebern direkt auf die Füße zu fallen. Aber diese Vorschläge halten auch nur deshalb länger als ein paar Wochen, weil sie erst dann greifen, wenn die Landtagswahl längst überstanden ist. Der Finanzminister hat angekündigt, dass die Beschlüsse des Koalitionsausschusses in die mittelfristige Finanzplanung eingearbeitet werden. Dieser Prozess soll vor Ende des Jahres abgeschlossen sein, weil vorgesehen ist, in der Dezember-Tagung des Landtages im Plenum eine überarbeitete Finanzplanung und ein Konzept für den Schuldenabbau vorzulegen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es noch völlig offen ist, ob die abstrakten Zahlen des Koalitionsausschusses überhaupt in konkrete Handlungen umgesetzt werden können.

Daher sage ich: Dieser Antrag ist nicht in erster Linie Finanzpolitik, sondern reine politische Propaganda. Er soll im kommenden Landtagswahlkampf den Eindruck verhindern, dass Peter Harry Carstensen beim Sparen nichts erreicht hat. Es gehört zu den Webfehlern der Großen Koalition, dass die CDU und die SPD zu gemeinsamen konzeptionellen Reformen nicht in der Lage sind. Dazu liegen die Vorstellungen viel zu weit auseinander. Dieser Beschluss ist nur deshalb zustande gekommen, weil die Sozialdemokraten im Bund und in SchleswigHolstein momentan geschwächt sind. Peter Harry Carstensen hat einer gelähmten SPD überzeugend mit Neuwahlen drohen können und sie so gezwungen, zentrale finanzpolitische Positionen aufzugeben. Die Unterschrift des SPD-Kollegen unter diesem Antrag wurde unter massivem Druck geleistet. Dass dies ein gelungener Auftakt zu einem zukunftweisenden Reformprozess ist, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann niemand ernsthaft glauben.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Das Wort für die Landesregierung hat nun der Herr Ministerpräsident Peter Harry Carstensen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will auch mit meinem Horoskop aus meiner Lieblingszeitung anfangen:

„Sehr einfühlsam und intelligent bei Verhandlungen, das bringt ihm den gewünschten Erfolg.“

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Ich will aber, Herr Stegner, auch etwas Ernstes sagen. Ich wäre schon sehr dankbar gewesen, wenn Sie auf die Bitte des Kollegen Wadephul eingegangen wären und zu Ihren Twittern Stellung genommen hätten, nicht zu dem, was Engholm aufgeklärt hat; da haben wir sicherlich einige unterschiedliche Auffassungen.

(Zuruf)

(Zuruf: Aufgeklart!)

- Aufgeklart, das ist richtig, da haben Sie recht. Das konnte ich nicht lesen. Das ist manchmal so. Aber vielleicht sagen Sie doch noch etwas zu dem Vorwurf, der da drinsteht, wenn Sie von dem Stil im Schleswig-Holstein der 70er- und 80er-Jahre sprechen, bevor Engholm aufgeklart hat. Mich trifft das schon sehr.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, wie wir sie noch nie erlebt haben. Die Lage dürfte allen bekannt sein. Im Maschinenbau etwa liegen die Auftragseingänge im Vergleich zum Vorjahr bei minus 48 %, in der Elektroindustrie bei minus 40 % und in der Bauindustrie bei minus 40 %. Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft sind auf Wachstum angewiesen. Deswegen, Meine Damen und Herren, ist die Lage ohne Zweifel sehr ernst.

Die Lage ist ernst, und das bildet sich auch im Landeshaushalt ab. Die Einnahmen des Landes werden rapide sinken. Ich habe das Gefühl, dass manch einem hier offensichtlich noch nicht klar ist, was dort auf uns zukommt. Für 2009 müssen wir die Neuverschuldung infolge der Krise nochmals um 490 Millionen € erhöhen. 2010 werden es sogar 980 Millionen € sein. Wenn Sie bedenken, dass wir bis Mai noch zusätzliche Steuereinnahmen gehabt haben, wir aber in der Summe damit rechnen, dass wir einen Einbruch von gut 500 Millionen € in diesem Jahr haben werden, dann werden wir in den beiden letzten Quartalen einen dramatischen Einbruch haben und dies merken.

Die Politik trägt nun mehr denn je eine doppelte Verantwortung. Zum einen heißt es, um jeden gefährdeten Arbeitsplatz zu kämpfen, und zum anderen müssen wir auf die Schuldenbremse treten, um

(Anke Spoorendonk)