Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Die neue Profiloberstufe, in der ein Teil des Unterrichts in festen Lerngruppen organisiert sein wird, garantiert zum einen, dass die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Neigungen und Interessen eigene Schwerpunkte setzen können. Wir stärken die Kernfächer auch im Stundenumfang, so, Herr Dr. Klug, wie Sie das positiv vermerkt haben, das heißt Deutsch, Mathematik, Fremdsprache und ein individuelles Profilfach, das wiederum einen Teil des Leistungsprofils darstellt. Das schließt doch aber nun wirklich nicht die Vermittlung von Sozialkompetenzen und von Kernkompetenzen im Sinne von Schlüsselqualifikationen wie Lernen des Lernens und diese Dinge aus. Im Gegenteil, das ist in jedem System möglich. Es kommt auf die Art des Unterrichts und die Vermittlung an.

Wir reagieren allerdings auch - das will ich ganz offen sagen - auf Kritik, die aus der Wirtschaft, von den Hochschulen und immer wieder auch von den Schülerinnen und Schülern selber formuliert wird, zum Beispiel die Kritik an der Studierfähigkeit, an der Ausbildungsfähigkeit, am Kenntnisstand in den so genannten Kernkompetenzen. Mancher, der meint, für ihn würde ein Grundkurs in Mathematik ausreichen, reibt sich die Augen, wenn er Psychologie oder Betriebswirtschaft studieren will und merkt, in welchem Umfang dafür Mathematik gebraucht wird.

Als Punkt 4 formulieren die Grünen: „Evaluation und Wettbewerb - aber keine zentrale Einheitsprüfung“, so als seien dies Widersprüche. Unsere Lehrpläne beschreiben seit langem keinen Stoff mehr, sie beschreiben Kompetenzen, die in vielen Fällen fächerübergreifend und im Rahmen von Projektunterricht vermittelt werden. Im Kurssystem ist aber Projektunterricht und fächerübergreifendes Arbeiten, wie man aus den Schulen weiß, extrem schwierig, weil immer unterschiedliche Gruppen betroffen sind. Deswegen wird auf Projektunterricht leider sehr häu

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

fig verzichtet. Im Rahmen von festen Lerngruppen ist dies organisatorisch wesentlich besser möglich.

Auch von einer Reduktion auf den Prüfungsgegenstand oder von einer Vernachlässigung von Team- oder Projektarbeit kann nicht die Rede sein, im Gegenteil.

In der Tat geht es aber um die Verbindlichkeit von bestimmten Lerneinheiten und Anforderungen, um mehr Vergleichbarkeit und um gleiche Voraussetzungen. Aber wer dies als Vereinheitlichung der Schülerleistungen beschreibt, ist wirklich auf dem Holzweg. Übrigens gibt es auch in Finnland ein zentrales Abitur und, wenn ich es richtig weiß, auch in Dänemark. Im Übrigen gibt es auch jetzt einheitliche Prüfungsanforderungen für das Abitur. Das muss auch so sein. Es ist selbstverständlich. Wenn die Studierfähigkeit in allen Bundesländern, an allen Universitäten gleichermaßen gegeben sein soll, dann muss es gleiche Anforderungen geben. Das ist die logische Konsequenz aus der Einführung von Vergleichsarbeiten, von bundesweiten Tests und der Orientierung an klaren Standards.

Unsere Schülerinnen und Schüler - das ist hier richtig gesagt worden - haben bei PISA in den Gymnasien sehr gut abgeschnitten. Die Leistungen der Hauptschüler - das will ich nebenbei sagen - sind im Durchschnitt erheblich schlechter als in den Realschulen und erst recht als in den Gymnasien. Das ist klar. Sie sind Besorgnis erregend. Es ist aber falsch, wie gelegentlich behauptet wird, dass unsere Hauptschulen am Ende aller Hauptschulleistungen in der Bundesrepublik stünden. Das ist nicht der Fall, auch nicht bei den Realschulen. In allen Schularten liegen wir im oberen Drittel der Bundesländer - wenn dieser Vergleich überhaupt so zulässig ist.

Unser Ziel muss es sein, diese Qualität nicht nur zu erhalten, sondern in den nächsten Jahren zu verbessern und, was das Gymnasium betrifft, die Zahl der Abiturienten deutlich zu erhöhen. 25 % Gymnasialquote bei den 15-Jährigen ist deutlich zu wenig. Wir liegen damit fast an letzter Stelle, vor Bayern. Ich glaube, das wird hier von allen Anwesenden geteilt.

Wenn Sie sagen, eine höhere Zahl an Schülerinnen und Schülern in der Oberstufe würde eine größere Schwankungsbreite in den Leistungen zur Folge haben, dann kann ich nur sagen: Dieses Argument halte ich für falsch. Baden-Württemberg zum Beispiel beweist, dass auch bei einer höheren Abiturquote die Gesamtqualität erhalten bleiben kann. Auch die PISA-Ergebnisse zeigen - schauen Sie sich das genauer an -, wie viele Überlappungen der Leistungen es im oberen Drittel der Realschüler und in der unteren Hälfte der Gymnasiasten schon heute gibt. Hier liegt

ein Potenzial, das wir nutzen müssen und auch nutzen wollen.

Mehr Durchlässigkeit, Durchlässigkeit erhalten, einheitliche Anforderungen stellen bei hoher Selbstständigkeit im eigenen Schulprofil, klare Qualitätssicherung durch Vergleiche und zentrale Prüfungen werden zu diesem Ziel beitragen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Im Rahmen des verabredeten Zeitbudgets hat der Abgeordnete Hentschel einen Drei-Minuten-Beitrag angemeldet.

Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte mich für die ausgesprochen sachliche und interessante Debatte bedanken. Ich finde, so etwas könnten wir uns öfter leisten. Wir sind in einigen Punkten weiter auseinander, in anderen nicht sehr weit. Ich sehe zum Beispiel, dass wir in der Meinung, in den Oberstufen Profilschwerpunkte zu bilden, weitgehend beieinander sind. Ich glaube, dass mit der Auswahl von Profilen die Vorauswahl der Schwerpunktfächer bereits erfolgt ist. Somit wird durch eine Profilierung die Möglichkeit, in den Nebenfächern eine Kursauswahl vorzunehmen, meines Erachtens eher erleichtert denn erschwert. Ich sehe durchaus Möglichkeiten, das zu machen.

Ich wollte noch auf das Argument des ländlichen Raumes eingehen. Bei meiner Analyse der Größe der Schulen stelle ich fest, dass wir im ländlichen Raum häufig durchaus große Einheiten haben. Die kleinsten Gymnasien sind in Kiel zu finden. Um in den Schulen stärker zusammenzuarbeiten, um zum Beispiel, wie Herr Klug sagte, musisch-künstlerische Schwerpunkte zu bilden, ist eine verbindliche Zusammenarbeit der Oberstufen notwendig. Das heißt, es bedarf der Bildung von Oberstufenverbünden, um zu gewährleisten, dass benachbarte Schulen unterschiedliche Schwerpunkte anbieten und diese Schwerpunkte miteinander absprechen.

Auch innerhalb des naturwissenschaftlichen Bereichs gibt es Unterschiede. Es ist etwas anderes, ob ich einen Schwerpunkt auf Mathematik und Physik lege oder auf Chemie und Biologie. Das sind unterschiedliche Schwerpunkte, die sich auch an unterschiedliche Kreise wenden. Häufig sind diese Unterschiede auch geschlechtsspezifisch. Hier gibt es gute Möglichkeiten, in Zukunft den Schülern unterschiedliche Profile anzubieten. Das funktioniert aber nur, wenn in Form

(Karl-Martin Hentschel)

von Oberstufenverbünden oder ähnlichen Regelungen die Oberstufen gezwungen sind, sich miteinander abzusprechen, und nicht jeder das macht, wozu er lustig ist.

Ich glaube, dass man nicht unbedingt zu Oberstufenzentren kommen muss. Das kann sich aber in bestimmten Regionen, besonders im ländlichen Raum, anbieten. Auch die Berufsschulen liegen in den Kreisen zentral. Für einen Oberstufenschüler ist die Fahrt zu einem Zentrum meines Erachtens ein geringeres Problem, als häufig beschworen wird. Für kleinere Schüler gilt das natürlich nicht.

Zu den zentralen Abschlussprüfungen eine Anmerkung. Letztlich sind wir uns einig, dass wir die Qualität der Schulen bewerten und den Wettbewerb der Schulen wollen. Das ist auch richtig. Dazu braucht man aber nicht unbedingt eine zentrale Abschlussprüfung. Man kann es auch per Vergleichsarbeiten machen. Der Unterschied besteht darin, dass bei der Vergleichsarbeit die Schule benotet wird. Somit entsteht zwischen den Schulen ein Wettbewerb: Wie gut steht die Schule da und wie ist ihre Qualität? Wenn ich eine zentrale Abschlussprüfung mache, kann der einzelne Schüler unter Umständen darunter leiden, wenn er in dem einen oder anderen Fach nicht so einen guten Unterricht gehabt hat wie ein anderer Schüler. Das ist der Unterschied. Deswegen glaube ich, dass die Lösung, wie wir sie vorgeschlagen haben, besser ist.

Der Kollege Höppner ist nicht mehr da. Ich wollte nur anmerken: Ich bin natürlich nicht einverstanden, dass wir die Diskussion erst dann führen, wenn das Schulgesetz vorliegt. Ich denke, wir sollten die Diskussion jetzt beginnen, weil das Sache des Parlamentes ist. Wir machen die Gesetze.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deswegen sind wir der Souverän und sollten die Diskussion schon jetzt führen und nicht darauf warten, von der Regierung die Erlaubnis zu bekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/313 dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer dem so zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig beschlossen worden, den Antrag an den Ausschuss zu überweisen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 45 auf:

Weiterentwicklung der Beruflichen Schulen unter besonderer Berücksichtigung der Regionalen Berufsbildungszentren (RBZ)

Landtagsbeschluss vom 29. September 2005 Drucksache 16/274 (neu) 2. Fassung

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/346

Ich erteile der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ministerin Erdsiek-Rave, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das deutsche System der dualen Berufsausbildung ist für unser Land zu einem Wettbewerbsfaktor geworden. Das wird nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit so gesehen. Es leistet nach wie vor einen guten Einstieg in die berufliche Entwicklung des Einzelnen und ist immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Ausbildung im dualen System entwickelt sich ständig weiter, stärker und anders übrigens als im allgemein bildenden Schulwesen.

(Unruhe)

Frau Ministerin, entschuldigen Sie bitte. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Hochachtung davor, wie Sie sich bemühen, sich leise zu unterhalten. Aber es stört dennoch. Ich bitte um Aufmerksamkeit für die Ministerin.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

Ich soll aber nicht noch einmal von vorn anfangen, Frau Präsidentin? - Nein.

Ich wollte gerade begründen, warum im dualen System eine ständige Veränderung notwendig und auch in Gang ist, nämlich im Bereich Aufgabentechniken, Instrumente, Materialien. Traditionelle Berufsbilder verschwinden, ständig entstehen neue. Die Beruflichen Schulen stehen also unter einem ständigen Innovationsdruck, könnte man sagen. Damit sie darauf angemessen reagieren können, brauchen sie entsprechende Handlungsräume, brauchen sie Entwicklungsmöglichkeiten, brauchen sie Eigenständigkeit und Eigenverantwortung.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Die Schulen selbst, aber auch die Kammern, die Verbände, die Arbeitgeber und die Arbeitsverwaltung haben dies in der Vergangenheit verstärkt eingefordert. Wir haben darauf reagiert und in den vergangenen drei Jahren an insgesamt 14 ausgewählten Beruflichen Schulen die Möglichkeit erprobt, zu einem Regionalen Berufsbildungszentrum - und zwar mit einem neuen Rechtsstatus - zu kommen und sich dahin zu entwickeln. Mehr als ein Drittel aller Beruflichen Schulen in Schleswig-Holstein hat diesen Weg der Erprobung beschritten. Wir haben damit Neuland betreten und bundesweit sehr viel Aufmerksamkeit, viel Interesse und sehr viel Zuspruch erfahren. In vielen Bundesländern geht es in eine ähnliche Richtung.

Nach dieser dreijährigen Erprobungsphase liegt nun ein Eckpunktepapier vor. Ich habe diesen zweiten Baustein der großen Schulgesetznovelle bereits im Kabinett und in der Öffentlichkeit vorgestellt. Herr Hentschel, diese Art der Präsentation der einzelnen Teile der Schulgesetznovelle, bevor das eigentliche Gesetz vorliegt, soll genau dazu dienen, dass hierüber schon in der Phase vor der Gesetzespräsentation diskutiert werden kann. Ich glaube, das ist ein guter und sehr demokratisch gemeinter Weg.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN - Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind wir beide uns ja einig! - Weitere Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ich unterstütze das Parlament, wie könnte ich als Parlamentarierin seit so vielen Jahren auch anders! - Ich will die Eckpunkte in aller Kürze vorstellen.

Erstens. Die Schulträger können ihre Beruflichen Schulen entsprechend dem neuen Schulgesetz in rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts umwandeln. Das heißt, sie werden eigenverantwortlich handelnde, rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Bildungseinrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit werden. Voraussetzung für eine solche Umwandlung sind ein entsprechender Beschluss des Schulträgers und die Zustimmung durch die Landesregierung.

Zweitens. Die staatliche Schulaufsicht - so muss es sein, weil es einen grundgesetzlichen Auftrag gibt - bleibt erhalten.

Drittens. Die Organisationsstruktur, die Art, die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten der Gremien werden im Schulgesetz beschrieben. Die Zusammensetzung der Gremien - das haben Sie dem Eckpunktepapier sicher entnommen -, also des Verwaltungsrates, obliegt dem Schulträger. Natürlich werden die Sozialpartner im Verwaltungsrat vertreten sein. Ich

glaube, das ist vor dem Hintergrund des Auftrages der Beruflichen Schulen auch notwendig.

Viertens. RBZ und Ministerium schließen Zielvereinbarungen über Leistungen und Ressourcen.

Fünftens. Qualitätsentwicklung geschieht über ein besonderes Qualitätsmanagement und Kennzahlencontrolling.

Sechstens. Die RBZ sollen künftig über ein Gesamtbudget verfügen, das aus Mitteln des Landes, des Schulträgers und eigenen Einnahmen besteht - natürlich mit getrennten Rechnungskreisläufen. Die Geschäftsführung erstellt einen Wirtschaftsplan und einen Geschäftsbericht. Wir prüfen derzeit auch, den RBZ budgetierte Mittel für die Fortbildung der Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])