Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Wie man sieht, können die Rollen, auf die man trifft, recht unterschiedlich sein, abhängig von Zeit, Selbstverständnis und der Seite des Schalters, auf der man steht. Wir haben uns zwar weitgehend vom obrigkeitsstaatlichen Denken verabschiedet, das insbesondere den wilhelminisch-deutschen Staat kennzeichnete. Rudimente dieser Prägung sind jedoch immer noch zu finden. Das zeigen auch die internationalen Vergleiche mit anderen Ländern, die in Bezug auf ein modernes Dienstleistungsverständnis durchaus weiter sind.

Neben diesem historischen Erbe tragen allgemeine Tendenzen von Organisationen negativ zum Verhältnis Behörde-Bürger bei. Man schottet sich von der Umwelt ab. Man verfällt zu sehr in seelenlose Routine. Oder auch einseitige Anreizstrukturen führen zu abstrusen Ergebnissen. Im Falle der Sozialverwaltung sind die Leidtragenden solcher Tendenzen Bürger, die sich nur schwer dagegen wehren können. Wir haben vom Landesrechnungshof aber auch attestiert bekommen, dass die Sozialämter in den Kommunen chronisch unterbesetzt sind und außerdem ein geringes Ansehen innerhalb der Kommunalverwaltung haben. Auch die Bürgerbeauftragte hat auf diesen Punkt immer wieder aufmerksam gemacht. Hier besteht durchaus ein Zusammenhang. Es gibt also auch ein handfestes strukturelles Problem auf der kommunalen Ebene.

Was also tun? - Die Einführung von verbindlichen Standards für Bürgerfreundlichkeit und Kundenorientierung ist sicherlich eine Maßnahme, die Problematik bewusst zu machen und negativen Tendenzen entgegenzuwirken. Die modellhafte Erprobung von Beschwerdestellen mit einem Beschwerdemanagement kann diese Einführung sinnvoll begleiten beziehungsweise kann helfen, sie zu implementieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anke Spoorendonk)

Ich möchte aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass eine nachhaltige Lösung der Problematik nur gelingen kann, wenn eine möglichst direkte Rückkopplung zwischen den Anliegen der Bürger, dem Verhalten der Verwaltung und einer souveränen Ressourcenentscheidung vor Ort hergestellt werden kann. Nur so kann bürokratischen Auswüchsen effektiv Einhalt geboten werden.

Daher spricht sich der SSW konsequent für eine Einheit von Verwaltung, Aufgaben- und Ressourcenkompetenz sowie politischer Vertretung aus. Diese Diskussion hatten wir gestern. Dazu fehlen der großen Koalition anscheinend sowohl die Fantasie wie der Mut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

In meinen Augen - das will ich auch deutlich machen - sind die engagierten Kommunalpolitiker aller Parteien die bürgerfreundlichsten Beschwerdemanager, die man sich vorstellen kann. Man muss die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und ihnen dann die Instrumente an die Hand geben, ihren Aufgaben gerecht werden zu können. Aber auch das ist die Diskussion, die wir gestern hatten.

Letzte Bemerkung! Wir hätten uns eine Überweisung an den Ausschuss gewünscht. Ich finde, dass Herr Kollege Garg deutlich gemacht hat, was in diesem Anliegen an Substanz enthalten ist. Wir werden dem Antrag zustimmen, falls in der Sache abgestimmt werden soll, nicht weil wir mit allem einverstanden sind, sondern weil wir finden, es muss deutlich gemacht werden, dass das Anliegen gerechtfertigt und wichtig ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme beruflich aus einem großen internationalen Dienstleistungsunternehmen. In solchen Firmen ist es absolut selbstverständlich, dass es ein organisiertes Beschwerdemanagement gibt. Es gehört zur Professionalität einer solchen Firma, wie man mit seinen Kunden umgeht. Denn Kundenservice ist eines der wichtigsten Standbeine einer solchen Firma. Das

muss vernünftig funktionieren. Sonst kann eine solche Firma nicht überleben.

Der Staat als das größte Dienstleistungsunternehmen unseres Landes kann sich daran durchaus ein Vorbild nehmen. Andere Staaten haben ein ausgeprägtes Ombudswesen, das keineswegs bürokratiegewaltig ist. Vielmehr gewährleistet es häufig, dass unnötige bürokratische Angelegenheiten eher kritisch betrachtet werden.

Ich zitiere jetzt aus dem Bericht der Bürgerbeauftragten:

„Oftmals berichten Bürgerinnen und Bürger, dass sie sich im Umgang mit Ämtern und Behörden wie in einem ‚Feindesland’ fühlen. Ihre berechtigte Erwartung, dass konstruktiv mit Ihnen gemeinsam Probleme gelöst, Sachverhalte erörtert und bestmögliche Lösungen im bestehenden gesetzlichen Rahmen gesucht werden, wird durch das tatsächliche behördliche Handeln enttäuscht.

Die Bürgerbeauftragte ist der Überzeugung, dass die Verwaltungseinheiten sich zukünftig verstärkt auch als lernende Organisationen verstehen müssen. Dazu brauchen sie…

Derzeit besteht der einzige Weg, einen der beschriebenen Beschwerdetatbestände zu klären, darin, eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei dem jeweiligen Dienstvorgesetzten einzulegen. Damit ist die Beschwerde zwar verwaltungstechnisch ‚platziert’, die oftmals dann leider festzustellende abwehrende Bearbeitung durch die jeweiligen Verwaltungen ist aber für alle Beteiligten wenig hilfreich und trägt oftmals noch zur weiteren Verhärtung der Fronten bei.“

Sie führt auch zu unnötiger Arbeit in der Bürokratie, mit erheblichen Arbeitsaufwänden.

„Die Bürgerbeauftragte hält es deshalb weiterhin für dringend geboten, in einer Verwaltungseinheit in Schleswig-Holstein im Rahmen eines Modellvorhabens ein aktives Beschwerde- und Ideenmanagement aufzubauen.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Ziel muss es sein, die Beschwerden, Verbesserungsvorschläge und Ideen der Bürgerinnen und Bürger als Möglichkeit und Chance zu sehen, das Verwaltungshandeln zu verbessern und zur Förderung und Entwicklung einer guten Verwaltungspraxis zu nutzen. Dies setzt vor allem aufseiten der

(Karl-Martin Hentschel)

Verwaltungen den Willen voraus, einen echten Paradigmenwechsel vom Herrschen zum Dienen vorzunehmen.“

Wenn die beiden Regierungsparteien nicht einmal bereit sind, den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der dem Votum der Bürgerbeauftragten entspricht, überhaupt im Ausschuss zu behandeln, dann stellen sich die beiden Regierungsparteien ein Armutszeugnis aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag erteile ich dem Oppositionsführer, dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte hier eigentlich nicht weiter eingreifen, aber die großen Beiträge der beiden großen Fraktionen zwingen mich dazu, noch etwas zu sagen.

Zunächst einmal, Herr Kollege Hentschel, habe ich gar nicht gewusst, dass die Grünen ein großer Dienstleister sind. Vielleicht darf ich darauf hinweisen, dass - wenn Sie ein privates Unternehmen meinen, das sich dadurch vom Staat unterscheidet, dass die Bürger von einem privaten Unternehmen etwas kaufen wollen, während in aller Regel die Bürger vom Staat eigentlich in Ruhe gelassen werden wollen -

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

die bürgerfreundlichste Verwaltung die ist, die es nicht gibt. Das ist die, die es nicht gibt. Das ist der ganze Sinn des Bürokratieabbaus, den wir uns auf die Fahnen schreiben.

(Zurufe)

Genauso geht es. Ich würde nach einer Baugenehmigung nicht fragen, wenn ich das nicht müsste. Ich weiß auch nicht, ob es einen Unterschied macht, wenn wir einen biometrischen Pass bekommen, ob der Beamte bei der Ausstellung lächelt oder nicht lächelt. Das ist mir relativ egal. Ich sage noch einmal, es gibt Bereiche, in denen die Bürger - das ist übrigens auch in der Steuerverwaltung so - sehr viel dafür übrig hätten, wenn es die Verwaltung gar nicht gäbe.

Dann habe ich von dem Kollegen Puls vernommen, dass man keine Standards bei der Frage, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern umgehen soll

ten, braucht. Ich trage seit geraumer Zeit immer an meinem Herzen - das hängt bei uns in der Fraktion in allen Räumlichkeiten - ein Leitbild der Landesregierung. Ich kann es noch einmal nach oben und nach unten falten.

(Hartmut Hamerich [CDU]: Das hast du dir gerade bringen lassen! - Heiterkeit)

- Ich habe mir ein zweites bringen lassen, weil ich denke, dass es bei der Union dafür noch Bedarf gibt. - Darin ist enthalten, dass die Landesregierung - übrigens damals von SPD mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeinsam geführt - ein Leitbild nach gemeinsamer Erarbeitung, langen Konferenzen, herausgegeben hat, in dem steht, wofür unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst da sind. Hier steht: Sie sind für die Menschen in unserem Land da. - Wer hätte das gedacht! - Sie verpflichten sich, erreichbar zu sein, zügig und termingerecht zu arbeiten und freundlich zu sein. Sie verpflichten sich, Konflikte fair und konstruktiv auszutragen, andere so zu behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Das hat ja relativ viel Geld gekostet.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hat Herr Aus- termann auch schon so ein Leporello?)

- Moment. Nun weiß ich nicht, ob der jetzige Innenminister, damals als Staatssekretär im Sozialministerium, seine soziale Kompetenz eingebracht hat, oder als Staatssekretär im Bildungsministerium bei der Formulierung im Deutschen etwas beigetragen oder als Finanzminister das Ding bezahlt hat - das war ja nicht preiswert. Wir wollen aber jetzt von ihm als Innenminister einen Bericht darüber haben, was denn die Ergebnisse dieser Leitbildfortbildung sind. Das könnte uns dann unter Umständen auch bei der Beratung im Ausschuss weiterhelfen.

Ich möchte für meine Fraktion sagen - vielleicht sagt der Innenminister gleich auch etwas dazu, was denn die Ergebnisse dieses finanziellen Aufwands gewesen sind -: Wir würden im Ausschuss das Thema gern weiter beraten. Falls das nicht möglich sein wird, werden wir uns beim Sachantrag enthalten, und zwar deshalb - der Kollege Garg hat das gesagt -, weil wir die Festlegung von Standards im Bereich der öffentlichen Verwaltung, die dann auch noch überprüft werden sollen, für ein Stück aus dem Tollhaus halten. Das würde zu mehr Bürokratie und Unverständnis als zur Verbesserung des Situation führen.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD])

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Stegner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst einmal möchte ich sagen, das, was die Frau Kollegin Heinold als Ideale für die Frage beschrieben hat, wie denn die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes die Bürgerinnen und Bürger betrachten sollten, kann ich nur unterstreichen. Diese Auffassung teile ich ausdrücklich. Insofern verstehe ich die Kritik immer nicht, die ich höre, wenn ich sage, wir machen die Verwaltungsstrukturreform nicht für Verbandsfunktionäre, sondern für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die das bezahlen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

An der Stelle also Zustimmung.

Ich sage aber auch, selbstverständlich gibt es überall da, wo Menschen arbeiten - egal wo -, Gründe für Beschwerden der Hilfe suchenden Bürgerinnen und Bürger. Kein Mensch, auch keine Mitarbeiterin oder kein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, ist unfehlbar. Gleichwohl glaube ich, dass dieser vorliegende Antrag überflüssig ist. Denn er ignoriert, dass es zahlreiche bereits vorhandene Instrumente und Möglichkeiten im Sinne von mehr Bürgerfreundlichkeit auf allen Ebenen gibt: Alles das, was Sie erwähnt haben, von der Rechts- und Kommunalaufsicht über Fachaufsicht, die Zweckmäßigkeit des Handels, die Dienstaufsichtbeschwerde nicht nur in der Sache, sondern auch bei persönlichem Fehlverhalten, bis hin zum Umgang mit Beschwerden und Petitionen in der Kommunalabteilung meines Hauses. Aber auch der Petitionsausschuss - ich habe hier gestern den ehemaligen Abgeordneten Poppendiecker gesehen und, Herr Kollege Buder, in Ihre Richtung kann man das auch sagen - ist durchaus jemand, der erfolgreich gearbeitet hat, um bestimmte Missstände, wenn es sie gibt, mit großem Nachdruck abzustellen.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich möchte auch die erfolgreiche Arbeit der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten, Frau Wille-Handels, und ihres Teams von Fachleuten hervorheben. Ich bin froh, dass sie hier von niemandem im Hause mehr infrage gestellt wird. Das finde ich sehr schön.