Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

wird. Man kann dies auch einfacher ausdrücken: Aus Abfällen und Müll werden Lebensmittel kreiert. Dabei hätten genau diese kriminellen Machenschaften gar nicht passieren dürfen.

Wir haben im Lebensmittelrecht über 200 Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, die uns eigentlich vor genau diesen Manipulationen schützen sollten. Herr Minister, auf dem Papier haben wir ein lückenloses Netz an Kontrollen und Überwachungsmöglichkeiten sowohl innerhalb der verarbeitenden Betriebe als auch durch ordnungsbehördliche Instanzen von außen. Darüber hinaus wird diese umfangreiche Kontrolle durch die Vergabe von Gütesiegeln und besonderen Qualitätszertifikaten ergänzt. Die Frage lautet allerdings, ob dieses Kontrollnetz tatsächlich auch funktioniert. Aufgrund der vielen schlechten Nachrichten könnte man daran wirklich Zweifel haben.

Es lässt sich nicht einfach wegdiskutieren, dass es einer schleswig-holsteinischen Firma möglich gewesen ist, insgesamt 84 t, also keine kleine Menge, die eine alte Frau einfach in der Handtasche transportiert, sondern vier LKW-Ladungen verdorbenes oder überlagertes Putenhackfleisch aus Dänemark erst nach Schleswig-Holstein und dann von Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen zu importieren. Niemand - weder eine genehmigende noch eine kontrollierende Behörde - will davon offensichtlich etwas mitbekommen haben.

Herr Minister, deshalb stellen sich folgende Fragen: Erstens. Darf Putenhackfleisch überhaupt importiert werden? - Nein, das darf es grundsätzlich nicht. Dafür brauchen Sie eine Sondergenehmigung.

Zweitens. Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen sind diese Ausnahmen überhaupt möglich? Welche Auflagen müssen erfüllt werden, um überhaupt eine Sondererlaubnis erhalten zu können? In diesem Zusammenhang wäre die Antwort auf die Frage auch spannend, wer die Sondergenehmigung erteilt.

Drittens. Wer hatte davon Kenntnis gehabt? Ich sage es nochmals: Wie kann eine Menge von 84 t an allen zuständigen Kontrollinstanzen vorbei über Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen verschickt werden? Genau deswegen haben wir beantragt, dass im Innen- und Rechtsausschuss über den Fortgang der eingeleiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die es gibt, informiert wird, Herr Minister von Boetticher.

Viertens. Für uns als Parlament ist ferner die spannende Frage, welche Konsequenzen aus diesem Vorfall gezogen werden müssen. Der Vorfall zeigt eines: Die Informationsstrukturen der Kontrollbe

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

hörden untereinander sind durch kleinteilige Strukturen weder effizient noch ausreichend koordiniert oder vernetzt. Das passt insofern gut zum letzten Tagesordnungspunkt. Die derzeit geltenden Gesetze und Überwachungsstrukturen sind oftmals veraltet und können das derzeitige Dilemma mangelnder Überwachung nur bedingt lösen.

Viele dieser Strukturen stammen noch aus einer Zeit, in der die Fleischwirtschaft weitgehend regional und handwerklich, beziehungsweise mittelständisch strukturiert war. Da konnte man beispielsweise mit der so genannten Hackfleischverordnung einzelnen Metzgern und Fleischverkäufern sehr wohl auf die Finger schauen und bei entsprechenden Verstößen sofort dagegen vorgehen.

Was aber ist mit großen Discountern, Ketten und Großhändlern, die einen entsprechenden Betrug am Verbraucher weit weg von der Fleischtheke organisieren und vornehmen? Da greift nämlich die so genannte Hackfleischverordnung überhaupt nicht mehr. Sie greift schlichtweg ins Leere. Deshalb ist der Ruf nach einem umfassenden Verbraucherinformationsgesetz durchaus konsequent und richtig.

Der Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit genau dieser Forderung nach einer entsprechenden Initiative ist eine sinnvolle Ergänzung unseres Antrages. Ich erinnere daran, dass in der letzten Legislaturperiode beide Oppositionsfraktionen, also Union und FDP, einen entsprechenden Gesetzentwurf abgelehnt haben. Dass jetzt ein Verbraucherinformationsgesetz kommen soll - es ist angekündigt –, finde ich richtig. Gleichwohl darf eine Oppositionsfraktion dies wohl in einem entsprechenden Änderungsantrag formulieren und fordern, ohne dass wir gleich wieder zu hören kriegen: „Brauchen wir alles nicht, es steht irgendwas im Koalitionsvertrag“, oder: „Irgendwas ist in Berlin schon in der Mache“.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Diese Art und Weise, mit Initiativen umzugehen, ist unparlamentarisch.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlamentsverständnis ist mittlerweile unglaublich!)

- Es ist unmöglich!

Die schwarzen Schafe in dieser sensiblen Branche lassen sich am ehesten davon abschrecken, wenn sie sich dem Licht der Öffentlichkeit ausgesetzt sehen. Transparenz schützt auch die weitaus überwiegende Mehrzahl derjenigen Anbieter, die nicht nur

auf die Herkunft der Lebensmittel, die sie veräußern, sondern auch auf die Qualität der Produkte achten. Transparenz, wie sie in einem Verbraucherinformationsgesetz gefordert wird, schützt solche Anbieter übrigens nicht nur, sie muss auch in ihrem eigenen Interesse liegen. Denn dann lohnt sich eine eigene Personal- und kostenaufwendige Qualitätssicherung als entscheidender Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz.

Ein solches Gesetz ist dann allerdings auch nur so gut wie dessen Überwachung. Denn die Rufe nach mehr Transparenz nutzen nichts, wenn eine entsprechende Überwachung vor Ort ins Leere läuft oder - noch schlimmer - gar nicht erst stattfindet. Diese Grundlagen wollen wir mit unserem Antrag schaffen. Verbraucherschutz kann nur dann gewährleistet werden, wenn wir die faktischen Kontrollen und die Kontrollmöglichkeiten vor Ort verbessern, Herr Minister. Genau das ist originäre Landesaufgabe, Herr Minister. Es geht nämlich nicht nur um mehr Überwachung, sondern um ein schnelles Verwaltungshandeln und einen umfassenden Informationsaustausch zwischen den einzelnen Behörden.

Dass es hier hierzu erheblichen Handlungsbedarf gibt, zeigt - ich gebe zu, dafür waren Sie damals noch nicht zuständig oder verantwortlich - die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion aus dem Juni 2004, in der die Landesregierung zur Lebensmittelüberwachung in Schleswig-Holstein sagt: „In Schleswig-Holstein gibt es in 15 Behörden bei den Kreisen und kreisfreien Städten 99 Stellen“, die irgendwie mit der Lebensmittelüberwachung beschäftigt sind. In der Antwort auf die Kleine Anfrage stellt die damalige Landesregierung erheblichen Handlungsbedarf in der Lebensmittelüberwachung fest.

Die Fragen sind jetzt: Wie sind diese Behörden miteinander vernetzt? Ist es bei uns ebenfalls üblich, dass es Wochen oder Monate dauert, bis entsprechende Kontrollmitteilungen weitergeleitet werden, wie beispielsweise kürzlich aus Bayern? Wer koordiniert die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden? Oder sind hier in Schleswig-Holstein die Informationsflüsse innerhalb des Landes so voneinander getrennt, dass der eine Landkreis möglicherweise von den Kontrollergebnissen seines Nachbarkreises keine Informationen erhält, geschweige denn das zuständige Landesministerium?

Der Verdacht, dass irgendeine schleswig-holsteinische Firma Gammelfleisch, womöglich sogar mit Wissen der Behörden, importiert haben könnte und diese nicht rechtzeitig reagiert haben, wiegt

(Dr. Heiner Garg)

schwer. Genau deswegen fordern wir die Aufklärung, die Sie offensichtlich so empörend gefunden haben, dass Sie sich hier entsprechend geäußert haben.

Wir sind der Meinung, dass weniger als 60 Lebensmittelkontrolleure in Schleswig-Holstein die geforderte Arbeit in Schleswig-Holstein nicht leisten können. Aus der Tatsache, dass bundesweit bereits im letzten Jahr jede fünfte der überprüften Fleischproben durch Lebensmittelkontrolleure aufgrund hygienischer Mängel oder mit Mängeln in der Kennzeichnung beanstandet worden ist, wird deutlich, dass zwar im Einzelnen hervorragende Arbeit geleistet wurde, dass es aber bedauerlicherweise aufgrund der Vorfälle schlicht und ergreifend noch an entsprechenden Überwachungskapazitäten mangelt, auch in Schleswig-Holstein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann nicht sein, dass sowohl die zuständigen Behörden als auch die Verbraucher erst aus Zeitungen erfahren müssen, wie es um die Qualität der Lebensmittel steht. Ich bin der Auffassung, dass wir eine intensive und sachgerechte Debatte oder Diskussion in den Ausschüssen, und zwar über beide vorliegende Anträge, in toto, führen sollten, darüber, wie wir hier Abhilfe schaffen könnten, wie wir beispielsweise eine Bundesratsinitiative konkret ausformulieren könnten beziehungsweise mit welchen Inhalten Sie diese füllen wollen.

Nach der Debatte, die wir im Sozialausschuss über die Zuständigkeit des Verbraucherschutzes geführt haben, Frau Vorsitzende Tenor-Alschausky, beantrage ich hiermit für die FDP-Fraktion die Überweisung auch des Berichts des Herrn Ministers federführend an den Sozialausschuss und mitberatend an den Agrar- und Umweltausschuss.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Frau Kollegin Frauke Tengler.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Garg, mit diesem Antrag von Ihnen oder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mussten wir rechnen. Ein Skandal tut sich auf, wie auch immer begründet, wer auch immer dafür verantwortlich, reflexartiger Antrag, der

suggeriert - das ist das, was ich Ihnen etwas übel nehme –: Die Lebensmittel in Schleswig-Holstein sind nicht sicher genug, der Verbraucherschutz ist nicht gewährleistet. - Das kann, unbegründet, Angst erzeugen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist doch ein Fakt! - Mo- nika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das Gammelfleisch hat mehr Angst geschürt! - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie das abstreiten oder was?)

- Ich streite das bei weitem nicht ab. Aber genau wie bei dem Problem der Vogelgrippe sollten wir in diesem Land keine Angst schüren.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Frau Kollegin, darf ich Ihre bisherige Rede so verstehen, dass Sie der Auffassung sind, dass elementare Problem des Verbraucherschutzes, die die Menschen in diesem Land wirklich interessieren, wie das Problem der Vogelgrippe, wie das Problem des Gammelfleisches, lieber stillgeschwiegen werden sollen, dass in diesem Parlament nicht darüber geredet werden soll, dass das ein Beitrag zum Verbraucherschutz ist?

- Lieber Herr Kollege Garg, das habe ich nicht gesagt.

(Claus Ehlers [CDU]: Er ist auf der falschen Veranstaltung!)

Sie haben bisher drei Sätze meiner Rede gehört. Sie sollten die Rede in Ruhe zu Ende hören.

(Claus Ehlers [CDU]: So ist es!)

Liebe Kollegen von der FDP, für die Koalitionsfraktionen sind sichere Lebensmittel seit Jahren ein unabdingbares Muss. So auch für den lebensmittelproduzierenden und –verarbeitenden Bereich.

Immerhin konnte das Gütesiegel „Hergestellt und geprüft in Schleswig-Holstein“ kürzlich hier in diesem Haus sein 40-jähriges Jubiläum feiern. Es ist

(Dr. Heiner Garg)

das älteste deutsche Qualitätssiegel. Schleswig-Holstein war hier Vorreiter bei Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung.

(Beifall bei der CDU)

Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch verbessert werden kann.

Jetzt konkret zu Ihrem Antrag!

Zu Punkt 1: Die Forderungen der FDP sind in Schleswig-Holstein gängige Praxis. Der Vollzug ist Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte, die Fachaufsicht liegt beim Land. Die Fachaufsicht sorgt für einheitliche Aufgabenabwicklung. Es ist gebündelt und koordiniert.

Zu Punkt 2: Die Lebensmittelüberwachung ist sachgerecht, die Kontrollen erfolgen ordnungsgemäß. In welchem Ausmaß, darüber hat der Minister hier berichtet. Schleswig-Holstein setzt eine inhaltliche Verbesserung des Überwachungssystems vor weiterer Personalaufstockung. Die Überwachung soll künftig stärker risikoorientiert gestaltet werden.