Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist guter Brauch, dass nach dem alten Sozialhilfegesetz bedürftigen alten und behinderten Menschen in Einrichtungen zu Weihnachten eine Weihnachtsbeihilfe gezahlt wird. 34 €, das ist wahrlich nicht viel Geld, damit kann man keine großen Sprünge machen. Die 34 € waren für die betroffenen Menschen immer außerordentlich wichtig, quasi ein Geschenk zusätzlich zum monatlichen Taschengeld. Mit diesem Geschenk machten sie wiederum anderen Menschen eine Freude, ihren Kindern und Enkelkindern.
Ein Großteil der Menschen, über deren Lebenssituation wir hier heute sprechen, sind Frauen einer Generation, die nichts anderes kannten, als für andere zu leben, anderen eine Freude zu machen, es sich selbst vom Munde abzusparen, andere aber auch nicht fragen oder bitten zu müssen. Deswegen brauchten sie diese 34 € auch, um wenigstens ein Stück ihrer Würde zu wahren. Frauen, die gelernt hatten, ihre Familie in der Kriegs- und Nachkriegszeit unter schwierigsten Bedingungen zu versorgen, Frauen und Männer, die während ihres Lebens immer nur über kleine Einkommen verfügten; sonst wären sie im Alter ja auch nicht Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger in Heimen. Um diese Zielgruppe geht es.
Deswegen ist es ein Gebot der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Humanität unserer Gesellschaft, dass wir diese Weihnachtsbeihilfe weiter zahlen. Ich freue mich sehr über die breite Zustimmung hier im Parlament für diese sozialpolitische Einschätzung.
Ich weiß, dass die Frage im Raum steht, wie es sich mit der rechtlichen Situation verhält. Das Gute am alten Sozialhilfegesetz war, dass auf die Weih
nachtsbeihilfe - da gab es keinen Zweifel - immer ein Rechtsanspruch bestand. Die Weihnachtsbeihilfe gehörte zu den Pflichtleistungen, zum so genannten notwendigen Lebensunterhalt oder - anders formuliert, mit § 1 - zum Anspruch auf ein Leben in Würde. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 1984 noch einmal bestätigt und klargestellt: Die Weihnachtsbeihilfe ist eine Pflichtleistung der Hilfe zum Lebensunterhalt. Als solche wurde sie auch aus dem einschlägigen Titel jedes Jahr vom Sozialministerium und den kommunalen Trägern gezahlt.
Wir haben nun das Inkrafttreten des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Folge der Hartz-Gesetzgebung und hier in der Tat Änderungen. Die Regelsätze umfassen den gesamten Bedarf für den notwendigen Lebensunterhalt und einmalige Leistungen. Es gibt weiterhin einmalige Leistungen. Ich will sie auflisten: Nicht pauschalierte einmalige Leistungen werden noch erstattet für die Erstausstattung für die Wohnungseinrichtung einschließlich Haushaltsgeräte, Erstausstattung für Bekleidung bei Schwangerschaft oder Geburt und Übernahme der Kosten für mehrtägige Klassenfahrten.
Offensichtlich gab es bundesweit in den Ländern Zweifel, ob die Weihnachtsbeihilfe auch noch zu den einmaligen Leistungen gehört oder nicht. Diese Irritationen haben zu dieser wirklich etwas chaotischen Situation nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit in allen Ländern geführt.
Die Klärungen sind erst in den letzten Wochen erfolgt. Sie haben zu dem Ergebnis geführt, dass die Abdeckung des zusätzlichen Bedarfs für das Weihnachtsfest nicht in dem Barbetrag enthalten sind, dass aber weiterhin ein Anspruch auf diese Weihnachtsbeihilfe als Pflichtleistung der Sozialhilfe besteht. Diese Rechtsauffassung habe nicht nur ich vertreten, sondern vertreten auch einige andere Länder und die Bundesregierung, die ihre Rechtsauffassung inzwischen dem Petitionsausschuss des Bundestages mitgeteilt hat. Demnach gab und gibt es für die Landesregierung eine Basis zur Auszahlung dieses Geldes an die Bedürftigen unter den 60-jährigen und behinderten Menschen in den Einrichtungen.
Eine andere Frage ist - das macht die Sache so komplex –: Wie ist die Rechtsinterpretation von den kommunalen Landesverbänden aufgefasst worden? Sie haben die derzeitige, zugegeben, bundesweit unklare Situation genutzt, dies als freiwillige Leistung zu definieren und das Land aufzufordern, eine Gleichbehandlung von Menschen in Einrichtungen vorzunehmen. Hätten wir dies nicht ge
tan, hätten wir die Situation gehabt, dass es Menschen in Einrichtungen gibt, die Weihnachtsbeihilfe bekommen, und solche, die sie nicht bekommen.
Vor diesem Hintergrund galt es den bundesweit vorhandenen Konflikt der Rechtsunsicherheit nicht auf dem Rücken der Schwächsten auszutragen, sondern zu einer klaren Entscheidung zu kommen. Ich hätte es begrüßt, wenn die Kommunen - so habe ich es auch formuliert –, die sich in der Lage sehen und diese Rechtsauffassung teilen, ihren Auftrag so übernehmen, dass sie an die über 60-Jährigen die Weihnachtsbeihilfe auszahlen, dass sie sich auch der Spenden, die in unserem Land eingegangen sind, zusätzlich bedienen und wir gemeinsam diesen Kraftakt bewältigen, damit die betroffenen Menschen im Land die 34 € bekommen, bevor wir im nächsten Jahr die Rechtsklarheit bekommen.
Das alles war in der Kürze der Zeit nicht herbeizuführen. Deshalb habe ich diese Entscheidung getroffen. Ich gestehe zu, dass es ein ungewöhnliches Verfahren war. Herr Döring hat gerade gesagt, es sei ein kreatives Verfahren; aber das ist zu positiv formuliert. Staatssekretär Körner hat sich für das ungewöhnliche Verfahren entschuldigt. Wir haben aus dieser Situation gelernt und werden dafür Sorge tragen, dass im nächsten Jahr Klarheit herbeigeführt wird. Nichts lag uns ferner, als die Rechte des Parlaments zu beschneiden. Es ging schlicht und ergreifend darum, in der Kürze der Zeit eine Entscheidung für die Schwächsten der Schwachen zu treffen. Das habe ich auf der Basis der Rechtsinterpretation unseres Hauses getan. Diese Rechtsinterpretation war nicht eigenwillig. Ich weiß inzwischen von sieben anderen Ländern, dass sie die Weihnachtsbeihilfe ebenfalls ausgezahlt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt geht es darum, Rechtsklarheit auf Bundesebene herbeizuführen. Das Ziel muss meines Erachtens klar sein: dass eine Weihnachtsbeihilfe für die Schwächsten der Schwachen, also für die bedürftigen alten und behinderten Menschen in Einrichtungen, weiter auszuzahlen ist. - Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.
Ich danke der Frau Ministerin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Beratung.
Ich lasse zunächst über den Antrag von CDU und SPD abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktionen CDU und SPD, Drucksache 16/426, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/448, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 16/426 mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und SPD angenommen ist.
Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/431
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und SPD, Drucksache 16/480 (neu), vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abgeordneter Anne Lütkes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine demokratische rechtsstaatliche Zivilgesellschaft erkennt man auch an ihrem Umgang mit den Gefangenen. Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten ist die eine Aufgabe. Aber Ziel jeglicher Vollzugsarbeit ist die Resozialisierung eines jeden Gefangenen.
Die konkurrierende Gesetzgebung nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes ist mit Bedacht auf das Strafrecht und den Strafvollzug bezogen, ebenso auf das Recht der Untersuchungshaft und des Jugendstrafvollzugs.
Die Föderalismusreform wird gegenwärtig ein wenig als Allheilmittel gefeiert. Entflechtung und Stärkung der Länder sind die Zauberworte. Wie schon im Herbst dieses Jahres ist bei der Debatte aber nicht außer Acht zu lassen, dass es im Bundesstaat Deutschland Prinzipien gibt, die eine Bundes
zuständigkeit erfordern. Gleichwertige Lebensverhältnisse zu garantieren ist die Aufgabe etwa von Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7 des Grundgesetzes - Fürsorgegesetzgebung – und ebenso ist das der Verfassungswille für den Strafvollzug.
Im letzten Herbst hatte die Ministerpräsidentin der alten Landesregierung schon einen entsprechenden Antrag für Schleswig-Holstein in der Föderalismuskommission quasi in der Tasche. Nur durch das Scheitern der Kommission ist diese deutliche Stellungnahme Schleswig-Holsteins damals verhindert worden.
Die zunächst gebannt erschienene Gefahr lebt nun wieder auf. Der Vertrag der großen Koalition von Berlin will den Ländern erneut die Zuständigkeit für den Strafvollzug geben. Aber, meine Damen und Herren, dafür gibt es keinen vernünftigen Grund.
In ungeahnter Weise haben sich Berufsverbände, die mit Strafrecht und Strafvollzug zu tun haben, in einem Ton gemeldet, der nicht zum Alltag der Kommunikation bei Juristenverbänden, Gewerkschaften und Beamtenorganisationen gehört. „Grotesk“, „unverantwortlich“, „Abbruchunternehmen“ bis hin zu „abenteuerlich“ waren die Formulierungen.
Dabei ging es nicht etwa um Standespolitik oder Lobbyarbeit. Es ging um die Besorgnis, der Strafvollzug in Deutschland könne sich auf dem Niveau einer „Bananenrepublik“ einpendeln, wenn das, was SPD und CDU in Berlin vereinbart haben, umgesetzt wird.
Das Entsetzen, das sich hier artikulierte, war groß, weil jegliche vernünftige Begründung für den Vorschlag fehlt. Die Änderung würde den Ländern die Möglichkeit geben, den Strafvollzug nach Kassenlage zu gestalten. Der Resozialisierungsgedanke würde auf der Strecke bleiben. Wenn die Mittel für die Straffälligenarbeit dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden - ohne Verfassungskorrektur –, gibt es letztlich keine Chance mehr. Es fehlt dann die politische und öffentliche Unterstützung. Der alte Vorsatz, dem Sicherheitsgedanken im Strafvollzug den Vorrang zu geben, bekäme wieder Aufschwung.
Natürlich muss der Strafvollzug kostenbewusst arbeiten. Er tut es auch. Aber Haftvermeidung ist das Entscheidende, nicht etwa Einschränkung der bundesgesetzlich vorzugebenden Standards.
Untersuchungshaft beim Bund belassen wollen, während der Erwachsenenstrafvollzug offensichtlich in 17 Einzelregelungen gegossen werden soll. Das hat 17 einzelne Kommentierungen und 17 einzelne Gesetze zur Folge. Man kann sich vorstellen, dass die Wahrung der Grundrechte von Gefangenen zukünftig von 16 Verfassungsgerichten überprüft werden, wenn nicht gar von 17 Gerichten. Dadurch würde Geld, das für Resozialisierungsmaßnahmen benötigt würde, in Bürokratie und Verfassungsgerichte gesteckt.
Meine Damen und Herren, ich habe mich immer, auch schon in der alten Landesregierung, für die Föderalismusreform eingesetzt, auch in Übereinstimmung mit diesem hohen Haus in alter Zusammensetzung. Dazu gehört natürlich die Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Bundesländer, wo es sinnvoll ist. Aber es gibt keine regionalen Besonderheiten des Justizvollzugs. Die Anforderungen an Sicherheit und Resozialisierung müssen denen des Grundgesetzes entsprechen, ob in Flensburg oder in München. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind auch für Gefangene zu sichern. Dieses Feld einer Kleinstaaterei zu überlassen würde das Ende einer rationalen Kriminalpolitik bedeuten.
Insofern bitten wir, unserem Antrag zuzustimmen. Den Änderungsantrag, der nun auf dem Tisch liegt, muss man mir erst einmal erklären. Ich habe den qualitativen Sprung, der in dem Antrag offensichtlich enthalten sein soll, bis jetzt nicht verstanden. Vielleicht können Sie mir das gleich noch erklären. Wir sind gern bereit, dann noch einmal nachzudenken.
Wir danken der Frau Abgeordneten Lütkes. - Das Wort für die SPD-Fraktion erhält die Frau Abgeordnete Anna Schlosser-Keichel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon in der Vergangenheit waren Überlegungen, die Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder zu verlagern, von Kritik begleitet. Auch Schleswig-Holstein hat sich explizit gegen dieses Vorhaben ausgesprochen, auch wenn dies schließlich nicht mehr ins Verfahren eingebracht werden konnte. Umso bedauerlicher ist für uns, dass es nun laut Koalitions
Nur wenige Wochen nach Bekanntwerden der Koalitionsvereinbarungen liegt eine große Zahl von Stellungnahmen oder Appellen von renommierten Personen und Organisationen aus Praxis und Wissenschaft vor, von Berufsverbänden, Richtern, Anwälten und so weiter. Unisono und sehr eindrucksvoll warnen sie vor diesem Schritt. So unterschiedlich ihre Anliegen und ihre Bewertungen einzelner Regelungen des Strafvollzugs sind, alle vertreten die Auffassung, dass der Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland einheitlichen gesetzlichen Standards genügen muss. Immer wieder wird in den Stellungnahmen auf die Europäisierung auch im Bereich des Strafvollzugs verwiesen; Lothar Hay ist in seiner gestrigen Rede zum Haushalt bereits darauf eingegangen. Parallel dazu in Deutschland nun in Kleinstaaterei zurückzufallen wäre wohl ein Schildbürgerstreich.
Schon heute ist es den Bundesländern möglich, eigene Schwerpunkte im Strafvollzug zu setzen. Man denke an die Bestrebungen zur Privatisierung in Hessen oder an die positive Ausrichtung in Schleswig-Holstein auf einen behandlungsorientierten Vollzug.
Leider existieren bereits heute erhebliche Ungleichheiten in den Bundesländern, was zum Beispiel die Bereiche Resozialisierung und Entlassungsvorbereitungen angeht, also den offenen Vollzug und Vollzugslockerungen. Eigentlich sollte man bestrebt sein, zu mehr Einheitlichkeit zu gelangen; denn es darf doch wohl keine Rolle spielen, in welchem Bundesland jemand seine Strafe verbüßt. Bei Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder wird jedoch das Gegenteil der Fall sein; das kann man sich an den Fingern einer Hand abzählen.
Strafvollzug ist kein Gewinnerthema in der Politik. Anders als für viele andere Politikbereiche gibt es dafür keine starke Lobby. Umso nötiger ist es, dafür zu sorgen, dass wichtige Weichenstellungen bezüglich der Standards im Strafvollzug, aber auch bezüglich grundsätzlicher Fragen, beispielsweise der, ob der Resozialisierungsgrundsatz weiter Vorrang haben soll, nicht vor dem Hintergrund wechselnder landespolitischer Orientierung oder gar mit Blick auf leere Landeskassen stattfinden. Diesbezüglich gebe ich Frau Lütkes uneingeschränkt Recht.