Mit der Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst würden Eltern oder sonstige Sorgeberechtigte verpflichtet, ihre Kinder zwischen dem 21. und 24. Lebensmonat gesundheitlich untersuchen zu lassen. Diese Gesundheitsuntersuchungen - da sind wir uns einig - können ein Weg sein, um den Missständen zu begegnen.
Ich möchte hier nicht weiter auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen - sie wurden hier schon dargelegt -, weise jedoch darauf hin, dass eine auf den ersten Blick erstrebenswerte Änderung des Gesetzes im Hinblick auf die Zielsetzung auch Fragen aufwirft. Wir danken Ihnen, dass Sie uns die Unterlagen des Wissenschaftlichen Dienstes haben zukommen lassen. Ich möchte daraus zitieren:
„Es ist im Interesse des Landesgesetzgebers, zum Wohle der betroffenen Kinder deren Gesundheitsuntersuchung sicherzustellen, um etwaige Erkrankungen, Vernachlässigungen oder Misshandlungen aufzudecken, sodass gegebenenfalls frühzeitig weitere Fürsorgemaßnahmen eingeleitet werden können. Der Gesetzgeber hat dabei auch die Frage nach der Geeignetheit und der Erforderlichkeit der Maßnahme in Bezug auf das Regelungsziel zu beantworten. Insbesondere ist zu Fragen, ob die Maßnahme tatsächlich geeignet ist, Fälle von Vernachlässigung aufzudecken¸ und ob eine Maßnahme, die alle Eltern und Kinder ohne konkreten individuellen Anlass belastet, erforderlich ist, um gegebenenfalls wenige Fälle von Vernachlässigung offen zu legen.
Wenn diese Fragen positiv beantwortet werden können, müsste auch die konkrete Regelung im Einzelnen so ausgestaltet werden, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird. Der Eingriff beziehungsweise die Belastung durch die Maßnahme und der mit dem Eingriff verfolgte Zweck müssen danach in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Wenn hier durch eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung der Schutz von Kindern vor schweren Vernachlässigungen sichergestellt werden soll, so erscheint die damit verbundene Belastung von Kindern und Eltern generell angemessen. Letztlich kommt es hier auf die konkrete Ausgestaltung der in Aussicht genommenen Maßnahme an.“
Die Frage nach der Finanzierbarkeit und ob und wie wir den gefährdeten Personenkreis überhaupt erreichen, ist noch offen. Die Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes könnte eine Möglichkeit sein, um Missstände bei der Betreuung und der Erziehung von Kindern aufzudecken.
Die CDU-Fraktion ist gern bereit, diesen Gesetzentwurf in den zuständigen Ausschüssen zu beraten. Darüber hinaus wäre auch über eine Bundesratsinitiative nachzudenken - sie ist, wie Sie schon sagten, in Hamburg und im Saarland auf den Weg gebracht -; denn die Rechtsgrundlagen für die Früherkennungsuntersuchungen sowie für den Datenaustausch werden ohnehin bundesgesetzlich geregelt.
Vorlaufzeit. Das wissen auch wir. Daher möchten wir schnell etwas tun, also nicht auf die lange Bank schieben.
Die CDU-Landtagsfraktion will ohne Zeitverlust dazu beitragen, dass parallel zu einer eventuellen Gesetzesinitiative so schnell wie möglich ein Handlungskonzept auf Landesebene entwickelt wird, das alle relevanten Kräfte und Institutionen einbindet.
Wir müssen alle Möglichkeiten der Hilfestellung für Eltern, Sorgeberechtigte und Kinder ausschöpfen, um gesundheitliche Störungen, Fehlentwicklungen, Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern frühzeitig zu erkennen mit dem Ziel, sie zu vermeiden.
Wenn es im Antrag „Vorfahrt für Kinder“ heißt, dass sich der Schleswig-Holsteinische Landtag dafür ausspricht, nicht auf eine bundesgesetzliche Regelung zu warten, sondern vorab und zügig in eigener Verantwortung zu handeln, stimmen wir zu. Ob das Ziel jedoch nur mit einer Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes erreicht werden kann, sollten wir diskutieren. Wir hoffen, dass wir noch vor dem 1. August einen Aktionsplan auf den Tisch legen können.
Mein Fazit für den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Vorrang für Kinder“ lautet: gute Gedanken, jedoch zu sehr auf die Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst fixiert. Wir, CDU und SPD, möchten gern alle Möglichkeiten ausloten. Unser Berichtsantrag „Früher wahrnehmen - schneller handeln - besser kooperieren zum Wohle unserer Kinder“ ist eine Herausforderung an alle Verantwortlichen und an die Bevölkerung. Es müssen Möglichkeiten und Wege gefunden werden, Schäden abzuwenden und den Eltern und Sorgeberechtigten Hilfestellung zu geben.
Der von uns angeforderte Bericht möge unter anderem Auskunft darüber geben, wie wirksam Gesetzesänderungen auf Landes- oder Bundesebene beurteilt werden und welche finanziellen und personellen Auswirkungen für unser Land dahinter stehen. Darüber hinaus erwarten wir - losgelöst von langwierigen Gesetzgebungsverfahren - ein Handlungskonzept, das mit Kooperationen und Netzwerken von Ärzten, Ämtern und Behörden, sozialen Diensten, Kitas, Schulen, freien Trägern der Ju
Wie gestern in der „Landeszeitung“ berichtet, nehmen die Ärzte eine Schlüsselposition ein. Dr. Andreas Claaß, Chefarzt der Kinderklinik Kiel, nennt typische Indikatoren für Vernachlässigung und andere Misshandlungen, warnt jedoch davor, Eltern mit einem begründeten Verdacht aggressiv zu konfrontieren. Sein Grundsatz ,,Hilfe statt Strafe" muss auch in unsere Konzepte einfließen.
Wichtig ist auch, dass die Wachsamkeit der Bevölkerung geweckt wird, um die Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern schnell aufzudecken und Schaden abzuwenden.
Das Thema - auch hier teilen wir die Meinung - ist zu ernst für parteipolitische Machtspiele. Daher sind wir einverstanden, wenn heute nicht über unseren Berichtsantrag hier entschieden wird, sondern dieser ebenfalls an den Ausschuss überwiesen wird, damit alle Fraktionen Gelegenheit haben, sich einzubringen.
Dies alles entlässt jedoch weder die Landesregierung noch uns aus der Pflicht, jeden Tag aufs Neue vorbildlich Werte zu leben und uns für Schwache zu engagieren. Fangen wir damit an: Früher wahrnehmen - schneller handeln - besser kooperieren zum Wohle unserer Kinder!
Ich danke der Frau Abgeordneten Ursula Sassen und erteile das Wort für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Jutta Schümann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf kaum ein Thema reagiert die Öffentlichkeit zu Recht so sensibel wie auf den Schutz von Kindern vor Missbrauch, Ausbeutung, Vernachlässigung und Gewalt. Immer wieder stehen Parlamente vor der Aufgabe, die Wirksamkeit von entsprechenden Gesetzen zu überprüfen. Eine große Anzahl von Ämtern, Verbänden, Ärzten, Pädagogen und Initiativen kümmert sich um die Opfer von Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt, auch in SchleswigHolstein, und sie leisten eine engagierte und gute Arbeit. Es gibt Beratungs- und Unterstützungsangebote seit vielen Jahren. Der Kinderschutzbund lei
stet zum Beispiel seit vielen Jahren auch hier eine sehr gute, engagierte Arbeit und insbesondere eine sehr gute Öffentlichkeitsarbeit.
Dennoch besteht Handlungsbedarf mehr denn je. Die Fallzahlen steigen, die Schicksale von Jessica in Hamburg und Tim in Elmshorn sind erschütternde Beispiele. Ich möchte anmerken, nicht alle Kinder, die unter ungünstigen psychosozialen Bedingungen und vielfältigen Belastungen aufwachsen, entwickeln eine seelische und gesundheitliche Störung. Dennoch zeigt sich immer mehr, dass insbesondere Kleinkinder in Benachteiligten- und Problemfamilien ein höheres Risiko haben, psychisch und physisch zu erkranken.
Auf solche Risiken und Entwicklungen gilt es, mit einem Bündel unterschiedlicher Maßnahmen und Kontrollen zu reagieren. Sie müssen gerichtet sein auf die körperliche und seelische Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen, auf das direkte persönliche und weitere soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen und sie müssen auch gerichtet sein an die Eltern und weiteren Familienangehörigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns liegen zur Diskussion heute zwei Anträge zur Kindergesundheit und Frühförderung sowie ein Änderungsgesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst vor. Beide Anträge haben das gemeinsame Ziel, Möglichkeiten und neue Wege zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden und Entwicklungsstörungen bei Kindern auszuloten und konkret zu beschließen.
In unserem Berichtsantrag fragen wir nach einzelnen Maßnahmen und Möglichkeiten, um dem Problem in seiner gesamten Komplexität begegnen zu können: Möglichkeiten zur Verbesserung der Frühförderung, Hilfestellung für Familien, Maßnahmen gegen Überforderung von Eltern, soziale und gesundheitliche Frühwarnsysteme, gesetzliche Regelungen auf Landes- oder Bundesebene für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen, Kooperationsformen zwischen Ämtern, Behörden, Kitas, Schulen, Polizei, Trägern der Jugendhilfe und - ein ganz wichtiger Aspekt - Sensibilisierung der Bevölkerung zur Stärkung der Mitverantwortung. Natürlich muss auch über die Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten geredet werden.
Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bezieht sich im Besonderen auf verbindliche und verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen und seine kurzfristigen Realisierungsmöglichkeiten in Schleswig-Holstein durch Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes. Zugrunde liegen diesem Antrag besonders die nach SGB V geregelten Früherken
nungsuntersuchungen, umgangssprachlich als Vorsorgeuntersuchungen bekannt. Diese Untersuchungen U1 bis U9 und J1 sind Bestandteil der Kinderrichtlinien des SGB. Niedergelassene Kinderärzte, aber auch Hausärzte, Ärzte für Allgemeinmedizin dürfen sie durchführen und abrechnen. Die Teilnahme an diesen Untersuchungen ist freiwillig. Nach Aussage der Krankenkassen liegt die Inanspruchnahme 2004 bei circa 75 %. Bundesweite Vergleichszahlen aus 2001 zeigen und belegen, dass in Schleswig-Holstein weniger Kinder an den Untersuchungen teilgenommen haben als im Bundesdurchschnitt. Daran müssen wir arbeiten, um das zu verbessern, denn das muss sich ändern.
Die Intention des Antrages der Grünen und insbesondere der vorgelegte Gesetzentwurf sind für uns nachvollziehbar. Einige Fragen sind aber offen, zum Beispiel: Wie soll verfahren werden, wenn sich Eltern trotz Verpflichtung verweigern und sich auf ihr Elternrecht, das ja Verfassungsrang hat, berufen? Was geschieht, wenn Vernachlässigung und Defizite bei den Kindern festgestellt werden? Welche verbindlichen Unterstützungs- und Hilfesysteme für Kinder und Eltern haben wir und stehen sie überhaupt überall und wohnortnah zur Verfügung? Wie verbindlich sind diese Hilfen? Und natürlich die Frage in diesem Zusammenhang: Welche Kosten entstehen und wer soll die Kosten übernehmen?
Selbst wenn ich dem Grundsatz Frau Heinold zustimme, es soll uns etwas kosten, Kinder zu schützen und Kindern einen guten Start, insbesondere gesundheitlich, in dieses Leben zu ermöglichen, muss ich bedenken: Morgen diskutieren wir über Palliativmedizin und über andere Themen, die sozialpolitisch und gesundheitspolitisch auch notwendig und erforderlich sind. Dahinter stehen Zielgruppen, die unserer Unterstützung bedürfen. Insofern müssen wir auch über Kosten und über Reduzierung von Kosten offen und engagiert reden.
Die Regelung über das Gesundheitsdienstgesetz mag ein Weg sein, den wir im Ausschuss noch einmal intensiv diskutieren sollten. Wenn man sich das Gutachten durchliest, bietet das Gesundheitsdienstgesetz in der Tat möglicherweise eine Chance, zusätzlich an dieser Stellschraube mitzudrehen. Da bedarf es natürlich der umgehenden Diskussion und nicht einer Verschiebung.
Allerdings - das scheint ein Missverständnis zu sein - ein Berichtsantrag muss erstellt werden. Und wenn er so umfangreich ausgerichtet ist wie unser Berichtsantrag, dann soll er gründlich und grundsätzlich erarbeitet werden. Ich glaube, das kann man parallel erledigen. Insofern würde ich vorschlagen, umgehend im Sozialausschuss über die Ansätze zu diskutieren und dann gleichermaßen den Berichtsantrag zu einem späteren Zeitpunkt mit einfließen zu lassen. Das Ministerium muss an dieser Stelle ja nicht nur aus dem eigenen Ressort arbeiten, sondern auch mit Partnern diskutieren.
Aus unser Sicht bevorzugen wir deshalb zum jetzigen Zeitpunkt eher eine bundeseinheitliche Regelung für Früherkennungsuntersuchungen und deshalb unterstützen wir auch die Ministerin bei ihrem Vorstoß zu einer bundesgesetzlichen Regelung, wie sie in Hamburg bereits vorgeschlagen wurde. Rechtsgrundlagen für die Früherkennungsuntersuchungen bestehen bundesrechtlich im Rahmen der Gesundheitsvorsorge und deshalb sollte die verbindliche Ausgestaltung auch auf dieser Ebene erfolgen. Da - das müssen wir uns auch vergegenwärtigen - ist es natürlich auch möglich, eventuell über die Kostenfrage eine neue Regelung herbeizuführen. Insofern sollte dieser Vorstoß unterstützt werden. Gleichermaßen wissen wir: Bundesratsinitiativen und Initiativen auf Bundesebene insgesamt insbesondere wenn sie auf den Gesundheitsbereich ausgerichtet sind - bedürfen langer Zeit und sind auch nicht immer von Erfolg gekrönt.
Ich begrüße die heute Morgen angekündigte Absicht der Bundesfamilienministerin, ein Frühwarnsystem in Form von Modellen auszuprobieren. Sie hat angedeutet, dass sie dieses insbesondere im norddeutschen Raum erproben möchte. Ich meine, wir sollten uns darum bemühen. Schleswig-Holstein sollte in diesem Zusammenhang aktiv werden und wir alle sollten unsere Ministerin heute auffordern, in Berlin bei ihrer Kollegin vorstellig zu werden. Vielleicht schaffen wir es, dass SchleswigHolstein ein Modellland zur Erprobung eines Frühwarnsystems wird, in das zum Beispiel Hebammen, Kinderärzte und so weiter einbezogen werden. Das wäre ein völlig neuer Ansatz. Es wäre sicherlich hilfreich, wenn wir auch dies mit erproben könnten.
Insofern glaube ich, dass wir dieses Missverständnis zunächst ausgeräumt haben. Es besteht kein Anlass, sich bei diesem Thema parteipolitisch zu streiten. Wir alle haben das große Ziel, für Kinder und Jugendliche zu sorgen. Die zwei Namen Jessica und Tim, die ein Synonym für ein großes Problem und ein großes Dunkelfeld sind, können uns nur gemeinsam vorantreiben und ruhelos machen. Es ist
dringend erforderlich, dass wir die Diskussion nicht auf die lange Bank schieben, sondern alle Maßnahmen sofort erörtern. Was wir umsetzen können, sollten wir umsetzen.
Ich danke Frau Abgeordneter Jutta Schümann und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.