Überzeugen sie nicht, so hilft auch das allergrößte Bemühen um eine bessere Kommunikation nichts. Da kann man noch so viele Klimmzüge veranstalten und PR-Arbeit machen. Wenn die Inhalte nicht überzeugen, ist eben die Bewertung durch die Bürger - und zwar aus nachvollziehbaren Gründen - eine eher negative.
Insoweit kommt es, wie gesagt, auf die Inhalte an. In jüngster Zeit gibt es eben positive Beispiele. Ich
denke etwa an die erfolgreiche Klage des Europäischen Parlaments vor dem Europäischen Gerichtshof, an den Beschluss des EuGH, der zur Frage der Übermittlung von Passagierdaten bei USA-Flügen das Recht der Bürger auf ihre Privatsphäre so hoch eingeschätzt hat, wie es, wie ich denke, aus demokratischen Überzeugungen heraus erforderlich ist. Wenn die Bürger sehen, dass ihre Rechte, dass der Datenschutz gewahrt wird, so ist das ein konkreter Beitrag, um eine positive Einstellung zur europäischen Politik zu begründen.
Meine Damen und Herren, zu Recht verweist das Weißbuch auf die Probleme einer fehlenden politischen Öffentlichkeit in Europa. Nach wie vor findet der politische Diskurs im Wesentlichen im nationalstaatlichen Rahmen statt. Auch bei europäischen Themen geht es oftmals nur darum, dass darüber berichtet wird, welcher jeweilige nationale Vertreter zu europäischen Themen Stellung nimmt.
Angesichts dieser Ausgangslage ist es sicherlich sinnvoll, in Brüssel darüber nachzudenken, beispielsweise moderne Kommunikationsmittel wie das Internet im Sinne einer mit Dialogmöglichkeiten versehenen Website für eine stärkere Einbeziehung der Bürger in die Diskussion über Vorhaben auf der europäischen Ebene einzusetzen. Man sollte sich dabei allerdings im Klaren darüber sein, dass die schiere Größe der Europäischen Union und die geographische Verteilung der 450 Millionen Einwohner praktisch über einen ganzen Kontinent auch bestimmte Grenzen setzt. Politische Kommunikation kann in diesem Rahmen natürlich nicht so stattfinden wie in einem relativ kleinen Staat. Die Distanz zwischen den Entscheidungsträgern und dem einzelnen Bürger ist nun einmal groß.
Deshalb haben sich auch große demokratische Staaten, die vor dem gleichen Problem standen, beispielsweise die USA, zu Recht darauf eingelassen, der zentralen obersten Ebene nur begrenzte Aufgaben und Zuständigkeiten zu übertragen. Vieles wird dort auf lokaler und regionaler Ebene geregelt. Ich denke, nach diesem Grundmuster müssen wir in Zukunft auch die Aufgabenverteilung in der Europäischen Union stärker regeln. Brüssel muss in gewisser Hinsicht mehr als bisher Selbstbeschränkung bei dem üben, was im Bereich der Brüsseler Verantwortung entschieden wird. Damit würde das Gewicht der nationalen Staaten und der regionalen Ebenen entsprechend steigen. Ein Europa der Regionen wäre damit in ganz anderer Weise möglich als bisher.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort, der seine Rede gerade zu Ende schreibt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern! hallt der Ruf, seit die Wählerinnen und Wähler in Frankreich und Holland die Verfassung gestoppt haben. Mit dem „Plan D - Demokratie, Dialog und Diskussion“ sollen die Bürger nun in eine weitreichende EU-Diskussion eingebunden werden und hinterfragen, wofür die Europäische Union da ist, wohin sie sich bewegt und wofür sie sich einsetzen sollte.
Ich habe allerdings Zweifel, ob das gelingt. Hierin bin ich mit meinen Vorrednern einig. Denn mit der „bürgernahen Sprache“ - Zitat aus dem Papier - hat das Papier selbst seine liebe Mühe. Von einer europäischen Charta zur Kommunikation ist dort die Rede, von Stakeholder-Foren und digital vernetzten Büchereien, die den Menschen das Gefühl der Distanz zu Brüssel nehmen sollen. Ich frage Sie: Animiert Sie das zur Diskussion? Sind Sie durch diese Debatte motiviert, sodass Sie jetzt alle für Europa stimmen?
Meine Damen und Herren, wir - in erster Linie natürlich die europapolitischen Sprecher der Fraktionen - loben und begrüßen Europa in Sonntagsreden, im Alltag allerdings setzt sich die Politik bei jeder Gelegenheit von der Europäischen Union ab und führt Debatten darüber, was sich die Europäische Union wieder Schlimmes ausgedacht hat. Ich denke nur an unsere lebhaften Debatten über den Naturschutz und über die FFH- und Vogelschutzrichtlinien. Dies sind übrigens alles Richtlinien, die nicht von Grünen verabschiedet worden sind. Es waren nicht grüne, sondern es waren schwarze Mehrheiten, die diese Richtlinien in Brüssel verabredet haben. Aber nun sollen sie vor Ort umgesetzt werden, und es wird vor Ort ein Sturm der Entrüstung darüber entfacht, was alles wieder von der Europäischen Union über das Land gebracht wird.
nierung hat die EU erlassen, drei hätten in Deutschland schon umgesetzt werden müssen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Was ist passiert? CDU und - in diesem Falle - auch FDP - das muss man einmal deutlich sagen - haben dies jedes Mal blockiert und verhindert, dass es zu einer vernünftigen Antidiskriminierungsgesetzgebung in Deutschland kam.
Bei der Politik geht es übrigens nicht um Sonntagsreden - die hören die Bürger sowieso nicht -, sondern um den Alltag. Da geht es um das alltägliche Handeln, wie man sich zu dem stellt, was in der Europäischen Union gemacht wird und was wir selber oder die eigenen Parteikollegen beschlossen haben. Wenn man sich dazu nicht stellt und sagt, das, was man selber beschlossen hat, sei Mist, weil es von der Europäischen Union komme, und es dem Bürger vor Ort nicht mehr verkauft, dann darf man sich nicht wundern, wenn eine Stimmung aufkommt, die EU sei an allem Schuld.
Deswegen will ich Ihnen heute sagen, warum ich für Europa kämpfe. Europa hat viel für Umwelt, hat viel für Frauen, hat viel für die Antidiskriminierung und hat viel für den Verbraucherschutz getan.
Europa hat in den Mitgliedsländern Schritt für Schritt die Armut beseitigt. Europa hat ein Jahrtausend der Kriege und Grenzstreitigkeiten in Europa beendet und sogar langsam ein gemeinsames Bewusstsein unserer Historie und unserer Kultur geschaffen, auf das wir manchmal sogar stolz sind.
dann bin ich stolz, dass ich bei allen Problemen, die wir haben, die Früchte dieser Jahrhunderte alten Kultur in Frieden und relativem Wohlstand genießen kann.
Meine Damen und Herren, dieses Europa, welches wir haben, hat so eine Ausstrahlungskraft, dass immer mehr Menschen in der ganzen Welt von Asien
über Afrika bis hin zu den beiden Teilen Amerikas nach Europa blicken. Im Prozess der Europäischen Union sehen Menschen in aller Welt ein Vorbild für eine zukünftige Einigung der Welt. Ich finde, das sind wirklich gute Gründe, für Europa zu stehen.
Ich möchte am Schluss noch sagen - weil mir das gerade einfiel, habe ich eben eine Notiz gemacht, Herr Präsident; Sie haben Recht, ich will zu meiner Rede noch etwas ergänzen -: Ich glaube, wir brauchen in Europa spannende Debatten, die auf Europa konzentriert sind. Ein Problem ist, dass die Europäische Union und die Akteure der Europäischen Union nicht in den Europawahlen gewählt werden. Wenn es so wäre, dass wir in den Wahlen zum Europäischen Parlament gleichzeitig die Europäische Regierung, die Kommission, wählen würden und gleichzeitig den Europäischen Präsidenten wählen würden und so weiter, dann würden die Medien ganz anders auf das fokussiert sein, was sich in Europa abspielt. Dann würde das Ganze spannend werden, und dann würden sich die Bürger auch mehr damit identifizieren.
Wir brauchen also eine europäische Demokratie, wir brauchen eine europäische Kommunikation, wir brauchen eine europäische Presse. Letzteres haben wir aber nicht, solange die Masse der Journalisten in Berlin sitzt, obwohl die Entscheidungen in Brüssel getroffen werden. Die Journalisten müssen nach Brüssel und dort berichten. Dann werden wir Europa haben. Ich glaube, daran müssen wir ganz entscheidend arbeiten. Als ersten Schritt dahin brauchen wir übrigens die Verfassung. Wir brauchen auch Schritte darüber hinaus. Ich glaube auch, dass wir das schaffen werden, weil wir gar keine Alternative haben. Denn die Alternative zu Europa ist ein Rückfall Europas in ein Europa von Nationalstaaten, was wir alle nicht wollen und was ich mir nur grausam und furchtbar vorstellen kann.
Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Reißen wir uns alle am Riemen, wenn wir über Europa reden!
Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich Mitte der 80er-Jahre erstmals die Europäische Kommission besuchte,
- ja, ich war mit einer Gruppe dort -, sah ich einen Werbefilm der Europäischen Kommission. Er stellte die Entwicklung Europas von Karl dem Großen bis zur Gegenwart dar. Europa wurde immer zivilisierter und Gipfel der Zivilisation war die Entstehung der Europäischen Union. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kann man nicht für Europa werben, wobei der Begriff Europa allmählich auch mir, ich hätte fast gesagt, zum Halse heraushängt.
Denn Europa ist eine geographische Bezeichnung, die man geographisch einordnen kann. Vielleicht sollte man ein bisschen konkreter werden und von der Europäischen Union sprechen.
Nicht nur die Volksabstimmungen in Frankreich und Holland, sondern gerade auch die erregte öffentliche Diskussion um die so genannte Dienstleistungsrichtlinie oder um die Hafen-Richtlinie der EU haben deutlich gemacht, wie groß die Kluft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Europäischen Union bereits geworden ist. Daher ist es im Grunde genommen zu begrüßen, dass sich die EU in einem Weißbuch mit den Defiziten ihrer Kommunikationspolitik beschäftigt.
Auch ich möchte aber zu bedenken geben, dass die beste Kommunikationsstrategie nun wirklich nichts nützt, wenn das politische Produkt nicht gut genug ist. Es kommt somit also nicht nur auf die Verpackung oder die Vermittlung der Brüsseler Politik an, sondern die Politik muss auch einen wirklichen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger in Europa, vor Ort haben. Dabei ist es, finde ich, erst einmal lobenswert, dass die Europäische Kommission auch offen anspricht, welche Probleme es in ihrer Kommunikationspolitik bisher gegeben hat.
Weniger lobenswert - und da teile ich voll und ganz die Auffassung des Ministers - ist der Ansatz der zuständigen Kommissarin Wallström, die praktisch auch eine PR-Strategie entwirft und von einem embedded Journalismus spricht. Man will also nicht den freien, unabhängigen und kritischen Journalismus, sondern man will, dass Botschaften transportiert werden. Ich denke, so werden wir keinen Schritt weiterkommen.
Lobenswert ist wiederum, dass die EU-Kommission selbstkritisch sagt, dass sie sich in den letzten Jahren viel zu wenig damit beschäftigt hat, den Menschen zuzuhören. Die Folge ist, dass viele Menschen den Eindruck haben, dass wir kaum an der Diskussion über die Zukunft Europas teilnehmen dürfen oder teilnehmen können. Vor diesem Hintergrund will man dann jetzt auch - so lautet ja die Vorlage - diesen so genannten Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion in Gang setzen. Man will also den Dialog zwischen den europäischen Institutionen und den Menschen in Europa fördern. Die Europäische Kommission schlägt dann in dem Weißbuch darüber hinaus eine ganze Reihe von Initiativen vor, die diesen Dialog dann unterstützen sollen. Das sind auch alles gute Ansätze, kann man sagen. Aber im Weißbuch - und das ist, finde ich, interessant - wird darüber hinaus auch darauf hingewiesen, dass dieser Dialog eigentlich nur dann in Gang gebracht werden kann, wenn die nationalen und regionalen Regierungen zusammen mit den Parlamenten und Institutionen vor Ort daran mitwirken. Die EU-Kommission selbst kann diese Aufgabe nicht allein bewältigen. Dass es so nicht laufen kann, ist natürlich ganz klar.
Hier ist, denke ich, der Punkt, wo der Landtag aus Sicht des SSW ansetzen muss. Denn genau dies gehört heute aus unserer Sicht zu den Kernaufgaben eines Parlaments. Dass die Diskussionen in der Bundesrepublik über die Zukunft Europas weiterhin nur im kleinen Kreis der Politiker, der Verwaltungsfachleute und der Experten stattfindet, ist ja auch schon mehrfach angesprochen worden und das wissen wir alle. Ich bin davon überzeugt, dass dies damit zusammenhängt, dass es in Deutschland keine Volksabstimmungen über wesentliche europäische Fragen gegeben hat und dass solche Volksabstimmungen auch nicht zugelassen sind.