Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber offensichtlich geht es der großen Koalition schon so schlecht, dass sie sich noch nicht einmal in diesem Punkt die neue Ehrlichkeit leisten kann.

Abgesehen davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht ein reales Wachstum von 1,3 % bei weitem nicht aus, um die strukturellen Probleme Schleswig-Holsteins zu lösen: die Massenarbeitslosigkeit, die Haushaltskatastrophe und die Probleme unseres Bildungswesens. Hinzu kommen die beginnenden Auswirkungen der Alterns der Bevölkerung, was die eben genannten Probleme noch weiter verschärfen wird.

Herr Minister Austermann, die spannende Frage ist doch angesichts der vielen Einzelheiten, die Sie hier vorgestellt haben und über die Sie sich meinetwegen auch freuen dürfen: Haben Sie, hat diese Landesregierung eine langfristige Strategie,

(Zurufe: Nein, nein!)

um genau die Probleme, die ich gerade genannt habe, auf Landesebene anzugehen? Und wenn Sie eine solche haben, warum haben Sie diese dann bis heute verschwiegen, und zwar auch in Ihrem Wirtschaftsbericht? Denn bis heute haben Sie hier keine langfristige Strategie erläutert, wie Sie die Lösung der Probleme wirklich in Angriff nehmen wollen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der der Union, natürlich wäre es übertrieben, das von der gesamten Landesregierung zu erwarten. FDP und im Übrigen bis vor einem Jahr auch die Union haben gesagt: Die SPD könne und später auch SPD und Grüne könnten es nicht und deshalb müssten sie abgelöst werden. Auf einmal war das die beste Wirt

schaftspolitik des Landes, die offensichtlich in den letzten siebzehn Jahren vollbracht wurde. Das finde ich ehrlich gesagt jedenfalls ein wenig komisch.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] - Unruhe)

- Herr Hentschel, das hat der Wirtschaftsminister der CDU gesagt.

(Zurufe)

- Kollege Kubicki, wir hätten erwartet, dass wenigstens die Union eine solche Wachstumsstrategie für Schleswig-Holstein vorlegt und in ihrem Wirtschaftsbericht formuliert.

Die Massenarbeitslosigkeit wollten Sie bekämpfen, Sie wollten Steuern und Lohnnebenkosten senken, um Schwarzarbeit unattraktiv zu machen und neue Anreize für Investitionen und Arbeit zu setzen. Womit hat dieser Wirtschaftsminister eigentlich angefangen? - Ich darf daran erinnern: Zunächst einmal wollten Sie den Wettbewerb auf der Schiene einschränken. Dann sagten Sie den Ausbau des Husumer Hafens ab. Seitdem hat sich herzlich wenig verbessert.

(Lars Harms [SSW]: Abbau statt Aufbau! - Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Austermann, Sie sprechen zwar immer viel von Ihren Leuchttürmen und Sie wollen SchleswigHolstein zum wachstumsstärksten Bundesland in Deutschland machen. Aber eine langfristige Strategie für mehr Investitionen, für mehr Arbeit und für dauerhaft höheres Wachstum haben Sie bis zum heutigen Tag nicht präsentiert. Solange Sie die nicht präsentieren, nehme ich Ihre ganzen Sonnenscheinreden nicht sonderlich ernst.

Dabei - das muss ich einräumen - unterscheidet sich der Wirtschaftsminister überhaupt nicht vom Eigenlob seines Vorgängers; der hat das immer genauso gemacht. Auch der legte die wirtschaftlichen Daten stets nach eigenem Gutdünken aus, damals zugunsten von Rot-Grün, und völlig unabhängig davon, was sie tatsächlich besagten.

Jetzt gucken wir uns einmal an, was sich wirtschaftspolitisch wirklich geändert hat. Zwei Redner der Regierungsfraktionen haben gesagt: Bürokratieabbau, eine ganz große Sache! Ja, ein kleines bisschen Bürokratie wurde abgebaut. Zum Beispiel darf man in Schleswig-Holstein jetzt wieder Knicks abholzen und Kormorane totschießen.

(Zurufe)

(Dr. Heiner Garg)

Herr Ritzek, das ist die einzig konkrete Maßnahme, die aus dem dicken Schlie-Papier bisher beschlossen wurde.

(Beifall bei der FDP - Zurufe)

Lieber Kollege Ritzek, unabhängig davon, wie man das politisch bewertet - glauben Sie ernsthaft, dass das in Zukunft wirtschaftliche Impulse auslösen wird? - Ich glaube das jedenfalls nicht.

(Beifall bei FDP und SSW - Zurufe)

Auch die CDU hat das bis vor kurzem übrigens nicht geglaubt.

Herr Schlie hat ein dickes Buch zum Abbau von Bürokratie geschrieben. Das Einzige, was Sie bislang abgebaut haben, sind die Gehälter der öffentlich Bediensteten - gegen die Wahlversprechen der Union. Das ist das Einzige, was Sie bisher getan haben.

Der Aufbau zusätzlicher Bürokratie ist geplant. Ihre merkwürdigen neuen Verwaltungsregionen zum Beispiel sind nichts anderes als eine weitere Verwaltungsebene, die zusätzliches Geld kosten wird. Dieses Geld muss aus der Wirtschaft, der schleswig-holsteinischen Wirtschaft gezahlt werden. Worin der geldwerte Zusatznutzen der Verwaltungsregionen für die Menschen und Unternehmen in Schleswig-Holstein liegt, bleibt komplett offen.

Auch Ihre komische Gemeinde- und Ämterstrukturreform, wie Sie sie jetzt beschließen wollen, soll zu weniger Bürokratie für Menschen und Unternehmen führen.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Zum Thema!)

- Lieber Herr Fraktionsvorsitzender der CDU, das hat unmittelbar etwas mit dem Thema zu tun. Was Sie als Bürokratieabbau verkaufen ist in Wahrheit ein Aufbau von zusätzlicher Bürokratie. Das kostet und belastet die Wirtschaft zusätzlich.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Deswegen gehört das zum Thema. Ich hätte mich gefreut, der Wirtschaftsminister hätte deutlicher zum Thema gesprochen und hier nicht nur eine strahlende Sonnenscheinrede gehalten.

Was Sie tatsächlich machen: Sie wollen den Kommunen in dieser Wahlperiode 480 Millionen € wegnehmen. Wenn Rot-Grün beschlossen hätte, den Kommunen 480 Millionen € wegzunehmen, und ihnen damit das notwendige Geld fehlt, um zu investieren, hätte ich mir das Theater, wenn die CDU in der Opposition säße, gern angeguckt.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, insgesamt hat sich beim Thema Bürokratieabbau bis heute gar nichts geändert. Genauso wie die Vorgängerregierung reden Sie viel davon und tun im Prinzip genau das Gegenteil.

Was ist sonst noch übrig geblieben, was ist sonst noch gleich geblieben? - Eines der größten Probleme der alten Landesregierung bestand aus unserer Sicht darin, dass sie an ihre eigene Propaganda geglaubt hat. Bei Austermann bin ich mir nicht ganz sicher, ob er seine eigene Propaganda glaubt oder ob er nur so tut. Mittlerweile glaube ich, Herr Austermann glaubt seine eigene Propaganda.

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung das größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Problem unseres Landes richtig erkannt und benannt, nämlich die Massenarbeitslosigkeit. Bedauerlicherweise ist es allerdings beim Benennen und Erkennen geblieben, denn es fehlt bis heute ein schlüssiges Konzept zum Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein.

Herr Minister Döring, es ist richtig, dass die Arbeitslosigkeit saisonal und konjunkturell stark zurückgegangen ist. Aber ich glaube, selbst Sie würden mir nicht widersprechen, wenn ich sage: Die strukturelle Arbeitslosigkeit ist damit mitnichten gelöst. Das dickste Problem, das wir auf dem Arbeitsmarkt haben, ist mitnichten gelöst. Deswegen finde ich solche Reden, wie sie Ihr Kollege Austermann hier hält, schlichtweg unangemessen, auch angesichts der Tatsache, dass wir hier nach wie vor ein gewaltiges Problem haben.

(Zuruf des Abgeordneten Bernd Schröder [SPD])

- Lieber Kollege Schröder, Sie haben es wenigstens eingeräumt. Ihr Vorredner von der Union und vor allem Ihr Wirtschaftsminister räumen dieses Problem noch nicht einmal ein. Ich gebe ja zu, dass Sie das wenigstens eingeräumt haben. Wir müssen doch endlich anfangen, die Probleme konkret beim Namen zu nennen und da ist zu allererst die Landesregierung gefordert.

Was will die Bundesregierung in Zukunft tun? Sie will Arbeit und Geldverdienen in Deutschland noch unattraktiver machen mit dem höchsten Steuer- und Abgabenerhöhungsprogramm, das in dieser Republik jemals beschlossen wurde. Das senkt die Einkommen der Menschen und ihre Neigung zum Konsum. Zusätzlich wird die Konsumneigung dadurch geschwächt, dass Menschen in Zukunft für

(Dr. Heiner Garg)

ihre Altersversorgung stärker selbst vorsorgen müssen, obwohl man sie eigentlich gar nicht lässt.

Lieber Herr Minister Austermann, Sie haben aus Sicht meiner Fraktion heute die große Chance verpasst, nachdem die letzte Landesregierung im letzten Amtsjahr keinen Wirtschaftsbericht vorgelegt hat, aus dem CDU-Wahlprogramm

(Glocke der Präsidentin)

- mein letzter Satz, Frau Präsidentin -, das ich mir heute Mittag noch einmal sehr genau angeguckt habe, auch nur in Ansätzen irgend etwas, was Sie den Menschen in diesem Land im Landtagswahlkampf versprochen haben, in diesen Wirtschaftsbericht hineinzuschreiben.

Ich freue mich auf die Auseinandersetzungen über die nicht vorhandene Strategie im Wirtschaftsausschuss. Was Sie bis jetzt vorgelegt haben, ist gar nichts, Herr Austermann.

(Beifall bei FDP und SSW)

Herr Kollege Garg, auch Ihren Versprechungen zu glauben, fällt mir schwer, vor allem wenn Sie sagen, es käme jetzt der letzte Satz. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will gern mit dem anfangen, was der Minister in Bezug auf die vorherige Regierung angesprochen hat, nämlich die Frage Bürokratieabbau. Denn es scheint ja der Haupterfolg dieser Regierung zu sein, dass sie Bürokratie abgebaut hat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wo denn?)