Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Lassen Sie mich zum Schluss nicht ganz ohne Stolz sagen: Unter Grüner Regierungsverantwortung durchlebten die Kommunen in Schleswig-Holstein, verglichen mit den Zeiten der CDU-Regierungsverantwortung, geradezu rosige Zeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vorsitzenden das Wort, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die eindrucksvolle Demonstration der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor dem Landtag heute Vormittag hat gezeigt, wie sehr der geplante Eingriff des Landes in den kommunalen Finanzausgleich die kommunale Basis aufregt und wie empfindlich er die kommunalen Finanzen trifft. Wenn sich schon Hunderte von Bürgermeistern aus dem ganzen Land zum ersten Mal in der Geschichte des Landes auf diese Weise zu Wort melden, dann

muss das wirklich seine Gründe haben. Was die kommunale Basis insbesondere auch von CDU und SPD so aufregt, ist ja vor allem, dass der Eckpunktebeschluss, der unter anderem einen Eingriff in die kommunalen Finanzen von jeweils 120 Millionen € für die Jahre 2007 und 2008 bedeutet, eine Abweichung vom Koalitionsvertrag darstellt.

Es gibt ein dänisches Sprichwort - ich habe es in letzter Zeit aus guten Gründen mehrfach verwendet -, das frei übersetzt lautet: „Es ist leichter, um Vergebung als um Erlaubnis zu bitten.“ Ich denke, der Ministerpräsident versucht so vorzugehen; ich finde nicht, dass er damit durchkommen sollte.

(Beifall bei SSW und FDP)

Denn vor einem Jahr hieß es noch von CDU und SPD, dass das Land seinen Haushalt nicht zulasten der Kommunen sanieren will und darf. Diese Aussage ist nunmehr Makulatur und deshalb demonstriert ja auch die Basis von CDU und SPD vor dem Landeshaus. Die Bürgermeister demonstrieren aber nicht nur für sich selbst, sondern für die Menschen in ihren Gemeinden, denn vor dem Hintergrund der schweren Haushaltslage der Kommunen in Schleswig-Holstein wird der Eckpunktebeschluss weitreichende Folgen für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort haben.

Der SSW hatte daher einen Antrag eingebracht vielen Dank, lieber Kollege Lehnert, dass Sie das auch noch einmal angesprochen haben -, der die Landesregierung auffordert zu berichten, auf welcher Grundlage sie einen Eingriff in die kommunalen Finanzen plant und welche Auswirkungen dieser Beschluss voraussichtlich haben wird. Leider wurde unser Ursprungsantrag in einer von CDU und SPD abgewandelten Form beschlossen und daher sind wir auch nicht zufrieden mit dem heute vorliegenden Bericht der Landesregierung über die Finanzsituation der kommunalen Gebietskörperschaften.

Wir hatten zum Beispiel auch eine Bewertung der Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit der Kommunen gewünscht. Dieser wichtige Aspekt fehlt nun. Denn de facto werden die kommunalen Investitionen zugunsten des Schuldendienstes des Landes reduziert. Dies bedeutet in der Konsequenz weniger öffentliche Aufträge für die heimische Wirtschaft und damit weniger Wachstum sowie eine schlechtere Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger.

(Lars Harms [SSW]: Genau!)

Der SSW hatte ebenfalls darum gebeten, die Situation der Kommunen nach Größenklassen geglie

(Monika Heinold)

dert dargestellt zu bekommen. Dies wäre wichtig gewesen, um sich ein Bild darüber machen zu können, ob der pauschale Landeseingriff nicht auf eine sehr differenzierte kommunale Praxis trifft, die ein differenziertes Vorgehen erfordern würde. Diese wichtigen Informationen fehlen nun leider im Bericht. Dennoch möchte ich auf einige Argumente der Landesregierung eingehen.

Die Landesregierung behauptet zum wiederholten Male, die Kommunen in Schleswig-Holstein seien nicht so sehr verschuldet wie das Land. Daher müsse zwischen Land und Kommunen umverteilt werden. Diese Argumentation ist aus drei Gründen falsch. Zum einen hat die zentrale beziehungsweise zentralere Ebene die Aufgabe, die kurzfristigen und konjunkturellen Einnahmeausfälle beziehungsweise Ausgabesteigerungen selbst aufzufangen. Das kann nicht die Aufgabe der dezentralen Ebene sein, also die der Kommunen. Zum anderen haben die Kommunen bei der gegebenen Aufgabenverteilung die das Land im Rahmen der Verfassung bestimmt - ihre Aufgaben mit einer geringeren Kreditaufnahme bewältigt als das Land. Drittens sind die prognostizierten Steuereinnahmen des Landes für die Jahre 2006 bis 2009 seit der Koalitionsvereinbarung im letzten Jahr deutlich gestiegen.

Auch die im Bericht aufgestellte Behauptung, dass sich die Kommunalfinanzen in den letzten zehn Jahren um 10 % erhöht hätten und die des Landes nur um 2,4 %, kann nicht unwidersprochen bleiben. Nach Angaben der kommunalen Landesverbände sind diese Zahlen verkehrt. Denn die tatsächlichen Einnahmesteigerungen der letzten zehn Jahre sind 5,05 % für das Land und 5,1 % für die Kommunen. Dazu verschweigt die Landesregierung, dass die kommunale Finanzausgleichsmasse im Jahr 2001 nur 926 Millionen € beträgt. Dies ist die schlechteste Einnahmesituation der Kommunen in Schleswig-Holstein seit elf Jahren.

Die Landesregierung kann im Bericht überhaupt nicht belegen, welche politischen Ereignisse sie seit dem letzten Jahr dazu gebracht hat, den Koalitionsvertrag zu brechen.

(Wortmeldung des Abgeordneten Holger As- trup [SPD])

Frau Abgeordnete Spoorendonk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Im Moment nicht, lieber Herr Kollege Astrup. - Die schlechtere finanzielle Situation des Landes kann es ja eigentlich nicht sein. Denn diese hat sich doch seit dem letzten Jahr um einiges verbessert, auch wenn die finanzielle Handlungsfähigkeit des Landes natürlich immer noch äußerst angeschlagen ist.

Aufgrund der Steuerrechtsänderungen auf Bundesebene und aufgrund der Mai-Steuerschätzung kann das Land mit Mehreinnahmen für die Jahre 2006 bis 2009 von 829 Millionen € rechnen. Vor diesem Hintergrund stellt sich schon die Frage, warum das Land ausgerechnet 120 Millionen € pro Jahr bei den Kommunen sparen will. Aus unserer Sicht gibt es dafür weder eine sachliche noch eine politische Begründung.

Nach eigenen Aussagen des Landes haben die Kommunen ihre Aufgaben fachlich korrekt und zufrieden stellend gelöst. Durch den Eingriff des Landes werden aber die Tüchtigen, die ihre Aufgaben im Rahmen ihrer Finanzen bewältigt haben, bestraft und das Land, das seine Aufgaben und Strukturprobleme nur durch verfassungswidrige Schuldenaufnahme bewältigen kann, wird belohnt. Nicht volksund finanzwirtschaftlicher Sachverstand, sondern das Prinzip „oben sticht unten“ führt hier Regie.

Die Aussage, „die Kassenkredite pro Einwohner der Kommunen in Schleswig-Holstein sind deutlich geringer als die der Flächenländer“, ist ebenfalls zu relativieren. Denn der Anstieg der Kassenkredite der schleswig-holsteinischen Kommunen in der zugrunde gelegten Periode betrug über 900 %, also das neunfache, während sich die Kassenkredite der Kommunen der Flächenländer „nur“ verdoppelten.

Es rächt sich, dass das Land bisher keine Funktionalreform durchgeführt hat. So sind viele Aufgaben noch in Landeshand, statt als Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung kostengünstig durch die Kommunen und Kreise wahrgenommen zu werden. Die Berichte der Landesregierung lassen befürchten, dass eine richtige Funktionalreform noch lange auf sich warten lässt.

Das Land bedient sich also finanziell bei den Kommunen und vertröstet auf die Wunderwerke der Schlies’chen Arbeitsgruppe. Dies hat was von Durchhalteparole an sich. Auf jeden Fall sind es ungedeckte Schecks. Aus Sicht des SSW ist es jedenfalls äußerst problematisch, den Kommunen mit dem Versprechen in die Taschen zu greifen, das Land werde durch weise und kluge Entscheidungen im Laufe des Jahres die Auswirkungen mildern. Wenn das Vertrauen in die klugen Entscheidungen so groß wäre, dann müsste die Milderung doch

(Anke Spoorendonk)

auch für den Landeshaushalt gelten. Es sind jedoch keine Struktur verändernden Reformen in Sicht, die den Landeshaushalt entlasten und die die kommunale Selbstverwaltung wirklich stärken. Die Landesregierung selbst glaubt auch nicht daran. Der Vorschlag, die Standards in den Kindergärten abzuschaffen, ist zum Glück erst einmal von Tisch und hätte die Kommunen finanziell auch nicht wirklich entlastet.

Auch in Bezug auf den Schleswig-Holstein-Fonds wird sehr deutlich, dass konzeptlos ein Loch durch das Aufreißen eines neuen gestopft wird. Immer mit dem Effekt des Verlustes an Planungs- und Investitionssicherheit für die Kommunen und damit zulasten der Bürgerinnen und Bürger vor Ort.

Insgesamt kann man den Eingriff in die kommunalen Finanzen und die im Bericht angeführten Gründe wirklich nur als Taschenspielertricks und leere Versprechungen bezeichnen - nach der Devise: Die große Koalition wird den Eingriff schon durch den Landtag boxen. Der SSW fordert daher die regierungstragenden Fraktionen auf, im Zuge der Haushaltsberatungen den Eingriff in die kommunalen Finanzen zu überdenken. Trotz der großen finanziellen Probleme des Landes können wir unseren Haushalt nicht auf Kosten anderer sanieren. Das müssen wir schon selbst in Angriff nehmen. Dazu gehörten zum Beispiel eine wirkliche Kommunal- und Verwaltungsstrukturreform und eine Überprüfung der Einnahmeseite des Landes.

Eine echte Sanierung des Landeshaushaltes liegt in weiter Ferne. Auch das müssen wir sagen. Nur wenn wir die Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen enormen Kosten in den Griff kriegen, können wir auch den Landeshaushalt sanieren. Hier brauchen wir gemeinsame Anstrengungen aller gesellschaftlichen Gruppen.

(Jürgen Feddersen [CDU]: Auf dem Weg sind wir doch! - Zuruf von der CDU: Genau richtig!)

Ich bin seit 1996 Mitglied dieses Hauses und habe in dieser Zeit schon viele Vorstöße zur Haushaltskonsolidierung mitgemacht, auch mitgetragen. Hätten wir - Parlament, Regierung unter Einbeziehung der kommunalen Ebene - uns für ein Zehnjahreskonzept entschieden, hätten wir eine Vereinbarung getroffen, wären wir heute weiter. Hätten die Länder und die Kommunen der Bundesregierung im Jahr 2000 den finanzpolitischen Stuhl vor die Tür gestellt und hätten Bund und Länder rechtzeitig eine aktive Arbeitsmarktpolitik beschlossen, bräuchten wir diese Debatte heute nicht zu führen.

(Beifall beim SSW)

Das, was wir hier haben, ist also das Ergebnis von Politik und nicht von irgendwelchen Naturkatastrophen.

(Beifall beim SSW)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Oppositionsführer, dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von mir sehr geschätzte politische Freund Ralf Stegner mag mich heute nicht mehr, nur weil ich vorhin vor den Bürgermeistern und Landräten gesagt habe: Erst hat der Finanzminister Ralf Stegner die Landesfinanzen ruiniert, jetzt ruiniert der Kommunalminister die Kommunen.

(Beifall bei der FDP - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Neue Offenheit!)

Aber man muss Wahrheit ertragen können, auch wenn sie schmerzt. Ich bin ganz begeistert darüber, dass der Kollege Lehnert mit seiner Bemerkung, er wolle 120 Millionen €, die man den Kommunen jetzt im Rahmen des Eingriffs in den kommunalen Finanzausgleich wegnimmt, zu 100 %, also komplett, dadurch kompensieren, dass man Kommunen von den entsprechenden Aufgaben entlastet, LaolaWellen ausgelöst hat. Dabei wird verschwiegen das ist die Frage, die ich hier stellen will; ich erwarte, dass der Kommunalminister jetzt eine Antwort darauf gibt -, dass nicht nur Entlastungseffekte für 120 Millionen €, sondern für 240 Millionen € geschaffen werden müssen. Ich rede nicht von zwei Jahren, sondern von 240 Millionen € pro Jahr. Denn die Operation des Eingriffs in den kommunalen Finanzausgleich jetzt war nur der erste Schritt. Dem muss noch einer folgen. Sie müssen in spätestens zwei Jahren noch einmal 120 Millionen € oben drauflegen, sprich dem kommunalen Finanzausgleich 240 Millionen € pro Jahr entnehmen, weil sie sonst die Einsparziele, die der Finanzminister vorgegeben hat, nicht erreichen können.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Finanzminister, sollen 600 Millionen € pro Jahr eingespart werden. Mit der jetzigen Operation sparen wir insgesamt 300 Millionen € pro Jahr ein. Will man also 600 Millionen € pro Jahr einsparen, muss man das verdoppeln. Entweder sagt der Finanzminister jetzt, wo er die anderen 300 Millionen € herbekommen will, oder der Innenminister als Kommunalminister

(Anke Spoorendonk)

erklärt uns jetzt definitiv, einen weiteren Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich über die 120 Millionen € hinaus wird es nicht geben.

Da bin ich sehr gespannt. Ich bin weiterhin gespannt, Herr Innenminister, wie Sie es rechtfertigen wollen, im Landesvorstand der SPD, dem Sie auch angehören, einen Beschluss zu fassen, dass es keine Veränderungen in den dort skizzierten Bereichen geben darf. Ich würde gern wissen, wo denn sonst gespart werden soll, wenn nicht in diesen Bereichen.

(Beifall bei der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Oppositionsführer hat gesagt, man müsse die Wahrheit auch ertragen können. Zur Wahrheit gehört in der Tat, dass der Kollege Kubicki es meisterhaft versteht, den Applaus von Demonstranten zu gewinnen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Dazu gehört aber auch, dass die jahrzehntelange Oppositionstätigkeit der FDP praktisch zum Verlust der Regierungsfähigkeit geführt hat. Alternativen sind Sie seit Jahrzehnten schuldig geblieben, Sie, Herr Kollege Kubicki, ebenfalls seit vielen Jahren. Das ist auch heute nicht anders gewesen. Man soll aber auch nicht zu viel verlangen, Herr Kubicki. Insofern will ich das hier nicht weiter kritisieren, sondern nur feststellen.

Ihre Rechenkünste sind wirklich beeindruckend. Bei Ihren Rechenkünsten ist es so ähnlich wie bei Ihren Wahlprognosen. Wir brauchen leider jährlich 120 Millionen € zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen. Ihre Gegenvorschläge helfen uns nicht weiter. Sie haben davon gesprochen, dass sich die Summen addieren. Ich halte nichts von Versprechungen, die man nicht einhalten kann. Wir müssen vielmehr nach Lösungen suchen, die die Kommunen in der Tat in die Lage versetzen, zurechtzukommen.

Ich will Ihnen eine andere Prognose nennen. Die Kommunen werden trotz eines Eingriffs in Höhe von 120 Millionen € in den kommunalen Finanzausgleich im Jahre 2007 mehr an Einnahmen haben als im Jahre 2006. Das wird auch im Jahre 2008 der Fall sein, Herr Kubicki. Insofern taugt der Vorschlag mit der Gegenfinanzierung nichts.