Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

(Beifall)

Ich danke Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal fand ich beide Beiträge der Vertreter der Regierungsfraktionen, sowohl den Beitrag von Frau Franzen als auch Ihren Beitrag, Kollege Baasch, ausgesprochen mutig, weil Sie Kritikpunkte aufgegriffen haben, an die ich gern anknüpfen möchte. Die Antragsteller haben einen hohen Anspruch formuliert, und zwar, dass Schleswig-Holstein Vorreiter werden soll. Dem kann ich mich nur anschließen. Schleswig-Holstein sollte Vorreiter werden.

Nichts liegt näher, als dort anzufangen, wo das Land unmittelbare Einflussmöglichkeiten hat, nämlich im öffentlichen Dienst.

Da muss man sich die Frage stellen: Beschränkt sich denn der öffentliche Dienst nur auf den Landesdienst?

Wenn Schleswig-Holstein bei der Integration im öffentlichen Dienst eine Vorreiterrolle übernehmen will, hätte ich mir eigentlich ein paar Worte dazu gewünscht, wie dieser Anspruch von den Kommunen aufgenommen und umgesetzt werden kann und umgesetzt wird.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Das Problem ist - das hat der Kollege Baasch bei einem anderen Punkt angesprochen - bei der Frage von Frauen mit Behinderung. Das ist explizit so von Ihnen nicht abgefragt worden. Trotzdem hätte es aus unserer Sicht unmittelbar in diesen Bericht hineingehört.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht meiner Fraktion gar nicht darum, irgendwelche Quoten abzufragen, die von kommunalen Arbeitgebern erfüllt oder nicht erfüllt werden, sondern es muss darum gehen, welche Maßnahmen vor Ort zur Verbesserung der Ausbildungs- und der Beschäftigungsmöglichkeiten getroffen werden und

(Wolfgang Baasch)

welche Instrumente im Einzelnen zur Verfügung stehen.

Wenn die Integration von Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft eine Querschnittsaufgabe ist, dann sollte der Bericht mehr enthalten als die Darstellung von Maßnahmen, die eine Landesregierung als Arbeitgeber für sich in Anspruch nimmt.

Insoweit beschränkt sich der Bericht lediglich auf die Darstellung der Integration von Menschen mit Behinderung im Landesdienst und im Landesparlament. Er bezieht sich also nicht auf den gesamten öffentlichen Dienst in Schleswig-Holstein. Dass die Situation im gesamten öffentlichen Dienst des Landes dargestellt wird, war aber eigentlich die Intention der beiden Antragsteller, die Intention von Frau Franzen und von Herrn Baasch.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich finde, es ist ausgesprochen schade, dass hier die Chance verpasst wurde, einen umfangreichen Bericht mit einer Darstellung der Möglichkeiten, die wir im Zweifel hätten, vorzulegen.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Zusammenhang hätte auch die Gelegenheit genutzt werden können, darzustellen, welche Förderinstrumente zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit geeignet sind, Menschen mit Behinderung im öffentlichen Dienst zu integrieren, und wo nachgearbeitet werden muss. Mit Sicherheit wäre auch eine Darstellung sinnvoll gewesen, welche der Maßnahmen, die im November 2000 von einer interministeriellen Arbeitsgruppe beschlossen worden sind, bislang umgesetzt worden sind und wie, also mit welchem Erfolg sie umgesetzt worden sind. Ein Bericht darüber, welche der Maßnahmen sich bewährt haben und welche Maßnahmen im Laufe der letzten fünfeinhalb Jahre den Praxisanforderungen nicht genügt haben, hätte zu einem insgesamt besseren Verständnis für uns Abgeordnete beitragen können und uns vielleicht erkennen lassen, was wir selber in unserer Politik für Menschen mit Behinderung in Zukunft besser oder anders machen können.

(Beifall bei der FDP)

In dem Bericht wird also insgesamt nicht deutlich, wie das Land als Arbeitgeber den Anspruch einer besseren Integration umsetzt. Ausweislich des Berichtes wurde im Innenministerium eine zentrale Erfassungsstelle für Bewerbungen arbeitsloser Menschen mit Behinderungen eingerichtet. Ich habe an den Innenminister oder die Landesregierung

diese Frage müssen wir im Zweifel im Ausschuss klären - die Frage: Hat sich dieser Stellenpool wirklich bewährt? Inwieweit hat zum Beispiel die Kritik von Uli Hase, dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, an der praktischen Umsetzung des Stellenpools zu Änderungen vonseiten der Landesregierung geführt? Wenn die Landesregierung hier etwas geändert hat, ist zu fragen, was sie geändert hat und welchen Erfolg diese Änderungsmaßnahmen hatten. Auch darauf geht der Bericht bedauerlicherweise nicht ein.

Ich vermisse auch eine Aussage dazu, warum aus Sicht der Landesregierung keine geeigneten schwer behinderten Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung stehen. In dem Bericht steht zwar, dass sie nicht zur Verfügung stehen. Ich würde nun aber gern wissen, warum das so ist. Frau Kollegin Franzen, sie haben dies auch angesprochen. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob möglicherweise der nicht barrierefreie Zugang zu Gebäuden von Landesdienststellen ein Kriterium ist, das davon abhält, Menschen mit Behinderung einzustellen. Die Frage der Barrierefreiheit ist in dem ganzen Bericht überhaupt nicht angesprochen. Es ist auch nicht geklärt worden, was in dieser Hinsicht nachzuarbeiten ist. Es ist auffällig - ich erwähne in diesem Zusammenhang Gesetzentwürfe meiner Fraktion -, dass die Frage der Barrierefreiheit in vorhandenen öffentlichen Gebäuden nach wie vor komplett ausgeklammert wurde. Aus unserer Sicht ist Barrierefreiheit ein wesentliches Kriterium dafür, Menschen mit Behinderung in das Arbeitsleben integrieren zu können.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Mangelnde Barrierefreiheit kann zum Beispiel bei vielen Behörden, aber auch bei Schulen aus unserer Sicht ein Grund dafür sein, dass geeignete Bewerberinnen und Bewerber mit Behinderung von vornherein gar keine Chancen haben, im öffentlichen Dienst zu arbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die letzte Frage, die ich aufgreifen will, ist die Frage, inwieweit die seit 2001 im SGB IX vorgesehenen Instrumente vollständig in die Schwerbehindertenrichtlinie des Landes eingearbeitet wurden.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

(Dr. Heiner Garg)

Ich komme gern zum Schluss. - Angesichts der Tatsache, dass hier kein Mensch von der Landesregierung sitzt, könnten Sie mir aber vielleicht noch 30 Sekunden Redezeit zugestehen. - Ich möchte also gern wissen, was sich durch die Einarbeitung der erwähnten Instrumente für die Betroffenen verändert hat. Ich glaube, wir haben im Sozialausschuss noch sehr viel nachzuarbeiten und noch etliche Fragen an die Landesregierung zu richten, um dem Anspruch, den wir haben, nämlich eine Vorreiterrolle zu spielen, auch wirklich gerecht zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Lieber Herr Kollege Dr. Garg, Ihnen wurde eine Minute mehr Redezeit zugestanden. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Heinold ist draußen bei der Demonstration der Bürgermeister gefordert. Deshalb übernehme ich ihren Redebeitrag. Ich möchte vorab eine kritische Anmerkung machen. Mir ist in den zwei Tagen, in denen ich hier sitze, eines aufgefallen: Die Landesregierung ist hier fast immer sehr dünn vertreten. Das war früher anders. Das muss man wirklich deutlich sagen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich erinnere mich hier an meine eigene Ministerzeit. Ich habe hier keinen Tag im Plenum versäumt, es sei denn, ich war krank oder durch Ministerkonferenzen - Kultusministerkonferenz, Frauenministerkonferenz, Bauministerkonferenz und dergleichen mehr - verhindert. Insofern hat sich jetzt etwas erheblich verändert, was das Verhältnis von Regierung und Parlament betrifft.

Das ist doch heute begründet worden.

Ich verstehe, dass diejenigen, die genannt wurden, heute nicht anwesend sind. Es gibt ja aber noch mehr Regierungsmitglieder.

Nun zurück zur Sache! Der vorgelegte Bericht beinhaltet kaum neue Informationen. Das haben alle Vorrednerinnen und Vorredner wortreich be

klagt. Ich kann mich dem anschließen. Ich kann auch die kritischen Bemerkungen nur unterstreichen, die in Bezug darauf gemacht wurden, dass nicht die Situation im gesamten öffentlichen Dienst dargestellt wurde und dass nicht dargestellt wurde, was die IMAG tatsächlich getan hat, seit der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung im letzten Jahr Kritik geäußert hat, die in dem Bericht, den wir schon letztes Jahr bekommen haben, auch dokumentiert ist.

Ich möchte auch zu der gesetzlich nicht vorgeschriebenen Marge von 5 % etwas Kritisches sagen, was unser Selbstverständnis im Hinblick auf Vorbilder angeht. Polizei und Schule sind zwei große Bereiche des öffentlichen Dienstes des Landes. In diesen Bereichen sind relativ wenig Menschen mit sichtbarer Behinderung tätig. In welcher Schule findet man zum Beispiel eine Lehrerin oder einen Lehrer im Rollstuhl? Es ist praktisch unmöglich, mit einer solchen Behinderung als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin eingestellt zu werden - und sei es auch nur im Angestelltenverhältnis. Was bedeutet das aber für die Vorbildfunktion für die Kinder? Es bedeutet: Solche Menschen gibt es nicht als Lehrerinnen oder Lehrer. Was bedeutet es auch für die Barrierefreiheit an Schulen? Neulich wurde in den „Lübecker Nachrichten“ erfreulicherweise dargestellt, dass eine Frau, die schwerhörig ist, einen hervorragenden Arbeitsplatz in einer Druckerei übernommen hat. Genauso gibt es natürlich in vielen anderen Bereichen - auch des öffentlichen Dienstes - Arbeitsplätze - ich denke etwa an die Telefonvermittlung -, wo eine Beeinträchtigung überhaupt nicht auffällt, sondern sogar von Vorteil sein kann. Insofern ist eigentlich nicht einzusehen, warum in dieser Hinsicht nicht mehr geschieht.

Ich denke, es wäre ein guter Ansatz, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen einig sind, im Ausschuss einmal zumindest diejenigen aus den verschiedenen Ressorts der Landesregierung anzuhören, die für die Personalpolitik verantwortlich sind.

Wir haben keine neuen Stellen, die zu besetzen wären. Ich weiß sehr wohl um die Schwierigkeiten. Es gibt aber genügend Fluktuation, um voranzukommen. Ich erinnere an die große Anstrengung, die wir im Rahmen der Politik zur Gleichstellung der Geschlechter gemacht haben. Auch dort hat man, wie es hier in dem Bericht nachzulesen ist, am Anfang gesagt: Die Landesregierung sieht gegenwärtig keine Möglichkeit, über die dargelegten Rahmenbedingungen hinaus weitere Maßnahmen zu ergreifen. - Dann folgt der Hinweis, dass man zum Beispiel bei der Landespolizei natürlich nicht Menschen einstellen könne, die sich nicht bewegen könnten. Mit

pauschalen Aussagen macht man es sich ein bisschen zu einfach. Ich denke, wir sollten denjenigen, die Verantwortung tragen, im Ausschuss auf den Zahn fühlen. Nur wenn man konkret wird, ändert sich etwas.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bei meinem letzten Argument komme ich kritisch auf die Situation zu sprechen, dass man sich als Landesregierung genauso freikaufen kann wie andere Arbeitgeber auch, beispielsweise indem man Arbeitsplätze in Werkstätten für Menschen mit Behinderung fördert. Auch wenn ich die Unterstützung der Werkstätten an dieser Stelle natürlich unterstreiche, so bleibt doch zu sagen, dass dies eigentlich auf die Dauer nicht der richtige Weg ist. Wenn in diesem Bericht noch nicht einmal die Zahlen über die Ausfüllung der Quoten mit Bezug auf die Werkstätten für Menschen mit Behinderung genannt werden können, wird man doch etwas nachdenklich und fragt sich, ob es vielleicht selbst mit dem Freikaufen nicht so genau genommen wird. Insofern gibt es im Ausschuss noch viel zu tun. Ich freue mich sehr darüber, dass alle hier im Haus, die sich fachpolitisch mit diesem Thema befasst haben, dies ähnlich sehen. Schauen wir einmal, was wir zusammen bewegen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Birk. - Für den SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung listet in ihrem Bericht eine beeindruckende Anzahl von Maßnahmen auf, mit denen die Zahl von Beschäftigten mit Behinderung erhöht werden soll. Zu diesen Maßnahmen gehört ein Pool interessierter schwerbehinderter Bewerber, den das Innenministerium führt. Darüber hinaus ermutigen die Landesbehörden Menschen mit Behinderung ausdrücklich zu einer Bewerbung. Praktika sollen Interessenten die Möglichkeit verschaffen, den öffentlichen Dienst kennen zu lernen. Schließlich sollen Führungskräfte dafür sensibilisiert werden, dass Menschen mit Behinderung genauso leistungsfähig sein können wie ihre Kolleginnen und Kollegen ohne entsprechende Behinderung.

Der Erfolg bleibt nicht aus: Der Anteil der Menschen mit Behinderung im öffentlichen Dienst ist laut Bericht zwischen 2001 und 2004 kontinuierlich gewachsen. Mit großer Genugtuung habe ich festgestellt, dass der Landtag seine Quote nicht nur übererfüllt, sondern hier fast jeder siebte Beschäftigte zu den Schwerbehinderten zählt. Der Landtag ist ein gutes Beispiel für eine leistungsfähige Verwaltung mit einem hohen Schwerbehindertenanteil. Das steht dem Parlament gut zu Gesicht. Menschen mit Behinderung sind keine Belastung, sondern erfüllen die an sie gestellten Anforderungen vorzüglich.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die größte Beschäftigtengruppe sind im Land naturgemäß die Lehrerinnen und Lehrer. Der Anteil an schwerbehinderten Beschäftigten liegt hier besonders niedrig. Er bildet mit 3,76 % das Schlusslicht. Bezüglich der Lehrerinnen und Lehrer wird der Bericht allerdings tendenziös, weil er Selbstverständlichkeiten infrage stellt. Natürlich kann es nicht darum gehen, schwerbehinderte Bewerber mit einer erheblich geringeren Qualifikation einzustellen. Natürlich müssen Lehrkräfte über einen Hochschulabschluss verfügen. Und genau das tun die Menschen mit Behinderung laut Bericht nicht.

Da lohnt sich die Nachfrage. Wenn zu wenig Schwerbehinderte den Hochschulabschluss erlangen, ist wahrscheinlich bereits die Zahl der schwerbehinderten Lehramtsstudenten zu niedrig. Ich frage die Landesregierung, warum das so ist. Wo liegen die Gründe - in einer behindertenfeindlichen Ausstattung der Hochschulen oder in fehlenden Wohnmöglichkeiten für schwerbehinderte Studenten oder etwa in einer Benachteiligung bei der Studienförderung? Insoweit besteht weiterer Aufklärungsbedarf. Darüber müssen wir uns im Ausschuss unterhalten.

Denn niemand wird in diesem Plenum meinen, dass sich Schwerbehinderung und Studium automatisch ausschließen. Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen konnte durch gezielte Förderung den Anteil schwerbehinderter Wissenschaftler innerhalb kürzester Zeit auf 11 % erhöhen. Einfallsreichtum, im vorliegenden Fall ein Modell der Tandem-Ausbildung, führt zu Erfolgen.

Wenn 2.686 Beschäftigte 4,8 % ausmachen, dann fehlen nach Adam Riese noch 112 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung, um die Fünfprozentquote zu erfüllen. Das muss doch zu schaffen sein. Voraussetzung ist natürlich, dass das Land bei seinen Bemühungen nicht nachlässt. Ist es der Landes