Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

Ich danke Herrn Abgeordneten Astrup und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder eine Potenzialanalyse. Wie schon für viele Provinzflughäfen erstellt, gibt es auch für Jagel so etwas wie eine Potenzialanalyse - das ist ja schon zitiert worden -, die hohe Zuwachsraten bei den Passagierzahlen prognostiziert. So etwas hatten wir schon für Kiel-Holtenau. Für das Jahr 2006 waren die Ausbaubefürworter von 320.000 Passagieren ausgegangen. Die damalige Potenzialanalyse sprach sogar von deutlich positiven Betriebsergebnissen schon 2006.

Die Realität sieht nun bekanntermaßen ganz anders aus. Auch die Flughäfen Schwerin-Parchim sowie Rostock-Laage standen vor einer glänzenden Zukunft. Heute sprechen die Medien von Millionengräbern und Parchim und Laage stehen ständig kurz vor der Insolvenz.

Mit Jagel wird alles ganz anders und die FDP hat hier ihr Thema gefunden. Der Parteivorsitzende Jürgen Koppelin spricht von einem ungeschliffenen Diamanten für die ganze Region. Es soll Investorenzusagen über 51 Millionen € geben und eine Anzahl von bis zu 800.000 Passagieren wird als machbar bezeichnet. Die Pläne der AIRGATE Schleswig-Holstein für eine zivile Mitnutzung des Militärflughafens Jagel werden auch von der IHK Flensburg unterstützt. Der CDU-Landtagsabgeordnete Johannes Callsen fordert das Land auf, das privat finanzierte Infrastrukturprojekt zu unterstützen.

Jagel war schon einmal in den Schlagzeilen. Im August 2004 wurde von dem damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten und Spitzenkandidaten zur Landtagswahl Carstensen der Plan für einen großen Frachtflughafen vorgestellt. Jagel sollte für einen 24-Stunden-Betrieb ausgebaut werden. In der Endstufe könnten bis zu 15.000 Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region entstehen. Selbst wenn die Zeitung einen Druckfehler enthält und die Zahl um eine Zehnerpotenz geringer ist, ist das sehr optimistisch gewesen. Man muss es sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: 15.000 neue Arbeitsplätze.

Der Traum platzte sehr schnell. Die Lufthansa stellte klar, dass sie keinerlei Interesse an einem neuen Frachtflughafen hat, egal, an welchem Standort. Der Journalist Christian Hauck schrieb in der „Landeszeitung“ vom 28. August 2004 einen bissigen

Kommentar zur Vision von Peter Harry Carstensen mit der schönen Überschrift: „Blindflug im Nebel“.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW] - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist er dann Pressesprecher geworden!)

- Die Karriere des Kollegen zeugt doch von Größe des Ministerpräsidenten.

Minister Austermann hat am 4. Mai 2006 im „Hamburger Abendblatt“ erklärt - ich zitiere -:

„Es gibt das Einverständnis, dass wir in Norddeutschland einen großen Flughafen haben, und das ist Hamburg. Die Vorstellung, man könne daneben Alternativen aufbauen, ist unrealistisch. Kiel wird ein kleiner Regionalflughafen bleiben.“

Da hat Minister Austermann Recht. Wir folgen im Wesentlichen auch den Ausführungen, die Sie heute gemacht haben, genauso wie denen des Kollegen Astrup.

Meine Damen und Herren, wenn sich der Ausbau von Holtenau nicht lohnt, weil das Passagieraufkommen zu gering ist, wie soll dann Jagel funktionieren? Kiel-Holtenau kann das Potenzial der K.E.R.N.-Region nutzen und hat trotzdem keine Chance gegen den Hamburger Airport. Die Billigflieger haben ihre Heimatflughäfen gefunden. Außer Ryanair bevorzugen alle anderen Billiganbieter zentrale Flughäfen. Germanwings, Air Berlin, HLX, dba und EasyJet fliegen von Hamburg. Der Erfolg des Ryanair-Stützpunktes Hahn im Hunsrück ist nach unserer Einschätzung so nicht wiederholbar. Ab Hamburg fliegen 65 Fluggesellschaften zu 110 Zielen in 39 Länder. Dieses Angebot war die Ursache für die Einstellung des Flugbetriebes von Kiel nach Frankfurt am 23. Dezember 2005.

Im Gutachten von UniConsult vom Dezember 2005, was man ja wohl als recht aktuell bezeichnen kann, zu den Entwicklungsperspektiven der Flughäfen der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg gibt es einen kurzen Text zu Schleswig-Jagel:

„Jagel konkurriert mit den Flughäfen Hamburg, Lübeck und Billund, die in dem Marktsegment Charter und Low-cost etabliert sind. Der Flughafen Jagel muss also über ein innovatives Geschäftsmodell mit einer attraktiven Entgeltstruktur verfügen, um bereits in Norddeutschland operierende Fluggesellschaften nach Jagel ziehen zu können beziehungsweise neue Flugverbindungen zustande kommen zu lassen.“

Der Gutachter hegt also erhebliche Zweifel, ob das gelingt. Es gibt daher keinen Grund, öffentliches Geld in das Projekt zu schießen. Die bestehende Fluginfrastruktur deckt den Bedarf.

Wir werden die weitere Entwicklung abwarten. Jeder in diesem Land darf Anträge stellen. Wenn private Investoren so mutig sind, in Jagel zu investieren, dann tragen diese auch das Risiko.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Was denn sonst? - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das ist immer so im Geschäftsleben! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Da drüben sitzen die hervorragenden Wirtschaftsexperten!)

Für den SSW erhält Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon genug Leute ge- sehen, die später Geld haben wollten! - Wolf- gang Kubicki [FDP]: Nennen Sie mir ein In- vestment von Ihnen, das sich gelohnt hat!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl sich die Kollegen Hentschel und Kubicki noch unterhalten, möchte ich meine Rede halten.

(Heiterkeit und Beifall)

Nachdem die Landesregierung nach langem Hin und Her schlussendlich und glücklicherweise dem Ausbau des Flughafens Kiel-Holtenau eine Abfuhr erteilt hat, keimt im Norden des Landes immer mehr die Hoffnung auf, den Militärflugplatz in Jagel auch zivil mit zu nutzen; Kollege Astrup sagte bereits, dass es seit mittlerweile 16 Jahren keimt.

Angesichts der durchaus guten infrastrukturellen Lage - das muss man ehrlich zugeben - mit der direkten Autobahnanbindung, der Bundesstrasse und der Bahnlinie in unmittelbarer Nähe ist nachvollziehbar, dass eine zivile Mitnutzung des Militärflugplatzes in Jagel durchaus attraktiv erscheinen kann.

Ebenso scheint es für die strukturschwache Region Schleswig-Jagel wirtschaftlich reizvoll, wenn es dort zu einer zivilen Mitnutzung des Flugplatzes käme. Schließlich verspricht die Betreibergesellschaft Investitionen in Millionenhöhe und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dagegen kann man ja nichts haben.

Angesichts der Tatsache, dass die AIRGATE SH immer damit wirbt, dass dies alles mit privaten Mitteln geschehen soll - zumal auch die Zusage von zwei Investoren über 51 Millionen € vorliegt -, sind dies natürlich viel versprechende Argumente. Aber wenn es nur das wäre, brauchten wir uns heute nicht darüber zu unterhalten.

Nun ist die Planung für das Projekt Jagel Airport nahezu abgeschlossen. Hierzu gehörte unter anderem, dass die AIRGATE SH einen Vorvertrag und nicht mehr - mit der Bundeswehr über die Mitnutzung erfolgreich abgeschlossen und die umliegenden Gemeinden für das Projekt gewonnen hat. Die AIRGATE SH hat hier durchaus erfolgreich für ihr Projekt geworben.

Die im Januar von der AIRGATE SH in Auftrag gegebene Potenzialanalyse sollte nun ausloten, inwiefern Jagel als Flugplatz für Charter- und Linienverkehr von der Bevölkerung angenommen würde. Dies galt für die AIRGATE SH dann auch als K.-o.-Kriterium, sofern die Analyse negativ ausfiele. Damit wären dann alle Bestrebungen hinfällig und man würde das Projekt nicht weiter fortführen.

Hierbei wurde eine repräsentative Umfrage unter einem Teil der 1,2 Millionen Einwohnern sowie den Unternehmen, die eine Autostunde vom Flugplatz angesiedelt sind, durchgeführt. Das Ergebnis der Umfrage hat logischerweise ergeben, dass die Bürger den Flughafen annehmen würden, sofern das Angebot stimmt. Mit einem anderen Ergebnis war wohl kaum zu rechnen gewesen. Schließlich ist es doch so: Wenn man eine Analyse in Auftrag gibt, dann will man doch das Ergebnis erhalten, das man sich wünscht. Und eine Potenzialanalyse ist in Jagel nicht anders als in Kiel-Holtenau. Da war sie auch schon verkehrt. Warum soll sie dann in Jagel richtig sein?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Günther Hildebrand [FDP]: Das ist aber sehr leichtsinnig! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann brauchen wir keine Gutachten mehr!)

Lieber Herr Kollege Kubicki, ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Wenn ich eine Autostunde von Jagel gen Süden fahre, dann bin ich fast in Hamburg. Warum in aller Welt sollte ich dann nach Jagel fahren, um von dort in den Urlaub zu fliegen, obwohl der moderne Hamburger Flughafen zum Greifen nahe ist?

Im Übrigen gilt dies auch für das Potenzial aus dem Raum Kiel. Auch hier wird man sich aufgrund der guten Anbindung nach Hamburg für den Hamburger Airport entscheiden. Herr Kollege Astrup hat gerade die Destinationen von Hamburg vorgelesen.

(Detlef Matthiessen)

Diese finden wir zwar in Hamburg, aber diese werden wir nie in Jagel finden. Das sind die attraktiven Sachen, die ich eben nur in Hamburg bekomme.

Gleiches gilt für potenzielle Kunden, die aus dem nördlichen Bereich - sprich Dänemark - kommen. Auch dort ist eher davon auszugehen, dass man sich Richtung Billund oder Sønderborg orientiert.

Daher halte ich das Einzugsgebiet mit 1,8 Millionen Menschen - dies sind nahezu 60 % der Bevölkerung ganz Schleswig-Holsteins -, das für die Potenzialanalyse zugrunde gelegt wurde, für völlig überdimensioniert. Somit sind die weiteren Zahlen nicht nachvollziehbar, die auf der Grundlage dieser Potenzialanalyse erhoben wurden. Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl von 800.000 Fluggästen in wenigen Jahren erreicht und somit schwarze Zahlen geschrieben werden könnten. Diesem gesteckten Ziel sehe ich äußerst kritisch entgegen.

Woher sollen all diese Fluggäste kommen? - Es bleibt also zu befürchten, dass der Unterschuss dann von der öffentlichen Hand getragen werden soll.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie denn? Das ist doch völliger Quatsch!)

Dies kann nicht im Sinne der AIRGATE SH sein und ist auch nicht in unserem Sinne.

Der ausschließliche Nutzen der zivilen Mitnutzung des Flugplatzes Jagel ist ebenfalls fraglich. Schließlich hat ein Flughafen nicht nur positive Effekte für eine Region. Er ist nämlich auch Lärmverursacher und in Schleswig ist man davon besonders betroffen. Denn zurzeit ist man dabei, das Kasernengelände in der Stadt in ein Tourismus- und Wellnesszentrum umzubauen und die Bestrebungen der zivilen Mitnutzung des Flugplatzes würden genau diese Ziele konterkarieren. Daher ist es bedauerlich, dass in der Anhörungsphase die Stadt Schleswig nicht befragt wurde. Da kann man sich wundern: Die Begründung dafür war, dass sie geografisch nicht an den Flugplatz angrenzt. Diese Einwohner sind aber am stärksten betroffen.

Es liegt außerdem eine Untersuchung der Deutschen Bank Research vom November letzen Jahres vor, die den steigenden Trend zum Ausbau von Regionalflughäfen in Deutschland untersucht hat. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist: Den Regionalflughäfen fehlt die kritische Größe zum Erfolg,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein, nein, ist das grausam!)

sie verschlingen Subventionen, Deutschland braucht eine Flughafenpolitik aus einem Guss und

es werden Überkapazitäten bei den Flughäfen geschaffen.

Der Hamburger Airport hatte im letzten Jahr über 10 Millionen Fluggäste und er hat Kapazitäten für weitere 5 Millionen Fluggäste. Dies ist eine Größenordnung, an die wir in Schleswig-Holstein nicht im Entferntesten heranreichen können.

Anstatt also eine Drehscheibe für das nördliche Europa in Jagel aus dem Boden zu stampfen, sollten wir erkennen, dass die schleswig-holsteinischen Flughäfen Lübeck und Hamburg sind. Zumindest muss daher ausgeschlossen sein, dass öffentliche Gelder für das Projekt der AIRGATE SH ausgegeben werden

(Glocke der Präsidentin)

sowohl in der jetzigen Phase als auch in der Zukunft.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Mein letzter Satz! - Lieber Kollege Kubicki, wenn das ausgeschlossen ist, brauchen wir uns über dieses Projekt hier nicht zu unterhalten. Denn dann ist es nur eine Genehmigungsfrage. Dann machen wir ein paar Umweltverträglichkeitsprüfungen und gucken nach, ob das alles in Ordnung ist. Dann können wir es genehmigen und dann sollen sie mit ihrem Geld klarkommen. Ich habe aber keine Lust darauf, hier zu stehen

(Glocke der Präsidentin)