Zweitens. Entgegen der gesetzlichen Verpflichtung wurden in etwa der Hälfte der geprüften Fälle keine Eingliederungsvereinbarungen geschlossen. Drittens. Die zu aktivierenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mussten drei Monate auf ein qualifiziertes Erstgespräch warten. Da kann man wohl kaum von einer raschen Vermittlungsstrategie sprechen.
Angesichts der Tatsache, dass die im Fortentwicklungsgesetz festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten nichts bewirken werden, wenn sich an den drei von mir genannten Voraussetzungen nichts ändert, verdeckt sie die Debatte über angeblichen und tatsächlichen Leistungsmissbrauch. Ich hätte mir von einer Oppositionsfraktion gewünscht, dass sie das konkret benennt.
Das Fortentwicklungsgesetz wird dazu führen, dass sich der Bund zulasten der Kommunen aus der Verantwortung stehlen kann. Das ist angesichts der steigenden Kosten ein wichtiger und zentraler Aspekt. Die beschlossene Umkehr der Beweislast wird im Zweifel zu einem weiteren Anstieg der Unterkunftskosten führen. Die Betroffenen werden bei entsprechender Beweislast einen eigenen Hausstand gründen und die entsprechende Kostenübernahme einfordern. Damit würde das Ziel der Beweislastumkehr ins Leere laufen, wenn nicht sogar die Gerichte diese systemfremde Beweislastregel in der praktischen Anwendung in Zukunft stark einschränken werden.
Darüber hinaus wird die Neuformulierung des § 44 a SGB II - Feststellung von Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit - dazu führen, dass ein bestimmter Personenkreis wieder aus der finanziellen Verantwortung der ARGE herausfallen und den Kommunen zugeschlagen wird.
Bei dieser Konstellation wird deutlich: Anstatt nur nachzubessern und eine Revision weiter aufzuschieben, wäre es im Zuge der Revision notwendig gewesen, an dieser Stelle klare und präzise Rahmenbedingungen in das Gesetz hineinzuschreiben.
Dass die optierenden Kreise und kreisfreien Städte bei einer entsprechenden Organisation die wesentlich besseren Möglichkeiten haben, offenbart jedenfalls die Einschätzung des Bundesrechnungshofes. Hätte man also statt des großkoalitionären Kompromisses zu Hartz IV die Betreuung - wie es die FDP von Anfang an gefordert hat - direkt in die Hände der Kommunen gegeben, dann müssten wir möglicherweise jetzt nicht mehr diese Debatte über Fordern und Fördern führen.
Frau Birk, bei allem Verständnis und aller Sympathie: Wir können Ihrem Antrag beim besten Willen nicht zustimmen. Wir werden dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen, weil Sie es - ich sage es noch einmal - leider versäumt haben, auf die zentralen Mängel der anstehenden Revision einzu
gehen. Stattdessen haben Sie sich hier wirklich mit fundamentaloppositionellen Sprüchen zufrieden gegeben.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hartz IV, die unendliche Geschichte - so könnte man die aktuelle Diskussion der letzten Monate über die Kostenexplosion und den angeblichen Missbrauch von Hartz IV nennen. Auch wenn die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe vom Grundsatz her richtig war, die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bleibt ein undurchschaubares Desaster und hat bisher fast keines ihrer Ziele erreicht.
Bezeichnenderweise sieht dies der von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Ombudsrat genauso. Die Kritik des Ombudsrats ist eine vernichtende Kritik an der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der hochfliegenden Pläne von Peter Hartz und dem damaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement.
So bezeichnet die Ombudsfrau Christine Bergmann Hartz IV als „ein bürokratisches Monster“. Insgesamt sieht der Ombudsrat insbesondere ein Problem darin, dass die Langzeitarbeitslosen völlig ungenügend betreut werden. Dies liegt nach Ansicht des Ombudsrates vor allem am unübersichtlichen Kompetenzgerangel zwischen den Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit in den gemeinsamen ARGEn vor Ort. Hier treffen vielfach zwei Unternehmenskulturen aufeinander, die anscheinend nicht in der Lage sind, vernünftig zusammenzuarbeiten. Da wäre es wirklich klüger gewesen, das den Kommunen zu überlassen. Die Verlierer sind dabei natürlich die Arbeitslosen in unserem Lande, die zwei Jahre nach Beginn der Hartz-IV-Reform immer noch nicht optimal vermittelt werden können. Das ist aus Sicht des SSW der eigentliche Skandal im Zusammenhang mit Hartz IV und nicht die angebliche Kosten- oder Missbrauchexplosion.
gesetzlichen Ansprüche ausnutzen, die vom Gesetzgeber gewollt sind. Das gilt zum Beispiel für Jugendliche unter 25, die von Zuhause ausziehen und ALG II beziehen. Das kann doch kein Missbrauch sein, schließlich steht es so im Gesetz. Meines Wissens haben die meisten Experten bestätigt, dass der Missbrauch bei unter 3 % der betroffenen Fälle liegt und dass dies im Rahmen des Normalen sei. Wer also öffentlich etwas anderes behauptet, der schürt nur den Neid auf Kosten der sozial Schwachen hier im Lande, und das ist nicht in Ordnung.
Der SSW lehnt daher auch das Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz ab, weil es einseitig auf eine Bestrafung der Arbeitslosen abzielt. Im Grunde macht dieses Gesetz aus dem Sozialgesetzbuch ein Strafgesetzbuch.
So soll in Zukunft eine so genannte Pflichtverletzung zu Kürzungen bei Arbeitslosen führen. Wer zum Beispiel innerhalb eines Jahres dreimal ein Arbeitsangebot oder eine Qualifizierung ablehnt, soll in Zukunft auf bis zu 100 % seiner Leistungen verzichten. Sanktionen mögen zwar im Einzelfall vernünftig sein, aber pauschale 100-%-Kürzungen lehnen wir ab. Schließlich kann man den Leuten nicht die Lebensgrundlage unter den Füßen wegziehen. Auch die neuen Regelungen für eheähnliche Gemeinschaften und Stiefeltern sind rechtspolitisch problematisch, weil sie die Beweislast umkehren. So müssen die Betroffenen in Zukunft beweisen, dass sie nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, wenn sie zusammen eine Wohnung haben. Wenn die Leute dann im Übrigen aus finanziellen Gründen jeweils in eigene Wohnungen umziehen werden, dann wird es wahrscheinlich eher teurer. So viel zu durchdachten Gesetzen oder nicht durchdachten Gesetzen!
Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die große Koalition die katastrophalen Versäumnisse bei der Umsetzung von Hartz IV auf dem Rücken der Arbeitslosen austragen will. Das ist eine sozialpolitische Bankrotterklärung, weil man vor lauter Bestrafung der Arbeitslosen das eigentliche Ziel, nämlich die Vermittlung und Qualifizierung von arbeitlosen Menschen scheinbar völlig aus dem Auge verliert.
Die Grünen haben also Recht, wenn sie in ihrem Antrag anmahnen, dass man endlich das Fördern und nicht nur das Fordern bei den Arbeitslosen in den Mittelpunkt der Bestrebungen stellen muss.
Es kann nicht angehen, dass auf der einen Seite bei dem beginnenden Aufschwung die Wirtschaft händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften sucht und auf der anderen Seite immer noch über vier Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Eine moderne und zukunftsgerichtete Arbeitsmarktpolitik, die internationalen Standards entsprechen will, muss endlich bei der Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitslosen für den ersten Arbeitsmarkt ansetzen. Wir können es uns nicht länger leisten, dass die vielen Ressourcen dieser Menschen ungenutzt verschwendet werden. Förderung tut not und da müssen wir ansetzen. Deshalb wollen wir ein Zeichen setzen und werden für den Antrag der Grünen stimmen.
Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Besuchertribüne den Deutschen Frauenring aus Lübeck sehr herzlich begrüßen, ferner die Fachschaft WiPo der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Seien Sie uns herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, wir haben zum Teil eine ganz falsche Debatte geführt. Ich kann mich dem anschließen, was Herr Garg gesagt hat. Einmal ist es richtig, Missbrauch hat es immer gegeben, das wird auch niemand verhindern können. Wir diskutieren hier einen kleinen Sektor von Hartz IV. Ich bin auch sehr enttäuscht, muss ich sagen, dass bei dem jetzigen Gesetz in erster Linie Missbrauchstatbestände, die man entsprechend regeln muss - gar kein Zweifel - und die man auch sanktionieren muss, um nicht falsch verstanden zu werden, damit nicht gleich die falschen Leute klatschen, geregelt werden. Dies muss sein, aber es wirft einen Blick in eine völlig falsche Richtung.
Wir sind dafür eingetreten, dass Menschen in Arbeit kommen sollen. Da bin ich enttäuscht, dass das an dieser Stelle so wenig ist. Ich hoffe, dass wir alle
miteinander die entsprechenden Anstrengungen unternehmen, dass wir das in dem zweiten Gesetz jetzt im Herbst endlich auf den Weg bekommen.
Ich muss aber auf der anderen Seite sagen: Der Antrag der Grünen macht es sich zu leicht. Ich kann auch als Sozialdemokrat an dieser Stelle nur sagen, wenn auf der einen Seite Menschen in Not geraten, muss diesen geholfen werden, aber diese Menschen haben auf der anderen Seite die Verpflichtung, alles zu tun, dass sie aus dieser Notlage herauskommen, und dann müssen sie die entsprechenden Instrumente annehmen.
Das heißt, man ist auch verpflichtet, Arbeiten anzunehmen, die vielleicht nicht so gut sind. Was hier an Sanktionsmöglichkeiten genannt worden ist, ist immer in diesem Kontext zu sehen. Es ist ja nicht so, dass man jemandem aus Jux und Tollerei Leistungen wegnehmen will. Wenn mehrfach Arbeitsangebote erfolgt sind, nur dann kann eine Kürzung erfolgen, und dann bin ich auch davon überzeugt: im Namen von allen anderen, die schlecht bezahlte Arbeit tun, die unangenehme Arbeiten tun. Da gibt es eine Verpflichtung.
Da kommen wir - ich sehe immer Anke Spoorendonk an - auf das viel gelobte Dänemark, was dort an Sanktionsmöglichkeiten besteht: Vier Stunden Wegezeit sind zumutbar und ähnliche Dinge, allerdings auch unter dem Gesichtspunkt Flexicurity, das heißt, man hat sehr schnell Hilfen, um sehr schnell wieder hineinzukommen. Aber diesen Hilfen muss man sich entsprechend anschließen und dafür würde ich mich auch jederzeit einsetzen.
Wer arbeitslos ist, hat Anspruch auf Hilfe, er muss diese Hilfe aber auch annehmen. Das heißt, wir sind hier durchaus in einer richtigen Debatte, dass wir sagen, in diesem Verhalten muss auch etwas an Arbeit angenommen werden. Ich kann nur sagen, Gott sei Dank gibt es das ja auch. Es gibt Arbeitslose, die so etwas machen. Das verlieren wir in der Debatte immer wieder aus den Augen. Ich kann Ihnen dazu sagen, ich habe vor einiger Zeit in Neumünster die dortige MBA besichtigt, die mechanisch-biologische Abfallbeseitigungsanlage. Einige erinnern sich sicherlich noch daran, mit wie viel Verve wir so etwas gefordert haben.
Ich kann Ihnen nur sagen, was wir da geschaffen haben an Arbeitsplätzen, ist eine einzige Sauerei. Entschuldigung! Das sind Arbeitsplätze, die sind
gesundheitsgefährdend, die sind Schichtarbeit, das ist schwere Arbeit und wenn man nach Hause kommt, stinkt man und muss duschen. Trotzdem finden sich Leute, die sich darauf bewerben.