Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Erstens. Reststrommengen von neueren Kraftwerken auf das alte Brunsbüttel übertragen zu wollen, halte ich beziehungsweise meine Fraktion für blanken Unsinn.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wer auch immer etwas am Atomkonsens ändern möchte, der möge den Vertrag zunächst einmal kündigen oder daraufhin hinwirken, dass dieser Vertrag von denjenigen gekündigt werden kann, die

(Dr. Heiner Garg)

das dürfen. Ansonsten gilt nämlich hoffentlich auch in der Politik: Pacta sunt servanda. - Geschlossene Verträge sind einzuhalten.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für den SSW im Landtag dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Atommeiler in Brunsbüttel gehört mit seinen mittlerweile 30 Jahren zu den ältesten Atomkraftwerken in Deutschland und er hat zuletzt im Jahr 2002 mit einem gravierenden Störfall Schlagzeilen gemacht, als innerhalb des Sicherheitsbehälters eine Kühlleitung an zwei Stellen explodiert ist.

Der Betreiber hat seinerzeit den Unfall heruntergespielt und nur durch das ständige Drängen der Landesregierung kam es zu der nachträglichen Untersuchung des Vorfalls, bei der die gesamte Tragweite des Störfalls aufgedeckt wurde. Ohne dieses kritische Hinterfragen des Störfalls, wären seine Ausmaße möglicherweise unentdeckt geblieben.

Seit dem Störfall des Meilers Forsmark I in Schweden ist eine neue Debatte um die Sicherheit von Atomkraftwerken entbrannt. Aber auch die mangelhafte Informationspolitik des Betreibers Vattenfall lässt hier mehr als zu wünschen übrig.

Der Betreiber hat auch eine Informationspflicht gegenüber dem Land als Reaktorsicherheitsbehörde. Dieses Informationsdefizit hat auch Ministerin Trauernicht kritisiert und dieser Anspruch besteht nicht nur in Bezug auf die aktuelle Problematik, sondern auch auf die Fragestellungen, die schon in der Vergangenheit im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung bearbeitet werden sollten. Und hier erwarte ich auch mehr Offenheit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Uns wurde zugesichert, umfangreiche Informationen im Sozialausschuss im Oktober zu erhalten und diese will ich natürlich abwarten.

Zurück zum Störfall in Schweden. Obwohl die schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke ein anders gestaffeltes Schutzkonzept für die Stromversorgung der Notstromdieselaggregate und der Wartungsinstrumentierung haben, steht eine vertiefte Bewertung des Vorfalls in Schweden hinsichtlich des Atommeilers Brunsbüttels noch aus und wir

können heute noch keine gesicherten Aussagen treffen.

Hier erwarte ich, dass die Landesregierung so schnell wie möglich untersucht, inwieweit der Störfall für schleswig-holsteinische Atomkraftwerke relevant ist. Allerdings stellt sich die Frage, warum der Betreiber jetzt beantragt hat, das Notstromsystem in Brunsbüttel umzubauen. Das scheint doch etwas unsicherer zu sein, als man uns als Bürgerinnen und Bürger weismachen wollte.

Die eben dargestellten Tatsachen zeigen vor allem eines: Die Atomenergie ist nicht so sicher, wie sie immer wieder dargestellt wird. Wir müssen einfach feststellen, dass wir es mit einer gefährlichen Technologie zu tun haben, die wir nicht kontrollieren können.

Auch wenn die Untersuchungen abschließend ergeben sollten, dass ein vergleichbarer Störfall in Schleswig-Holstein unwahrscheinlich ist, macht der Vorfall in Schweden deutlich, dass eine latente Gefahr grundsätzlich immer vorhanden ist. Angesichts des fortgeschrittenen Alters des AKWs Brunsbüttel kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Ermüdungserscheinungen und Fehlfunktionen geben kann.

Auch die von der Landesregierung geforderte Darstellung und Überprüfung der Wirksamkeit der Qualitätssicherung und des Sicherheitsmanagements gibt keine hundertprozentige Sicherheit für die Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein. So ehrlich sollten wir mit dieser Risikotechnologie umgehen.

Wir können feststellen, dass das Vertrauen der Bevölkerung durch den Vorfall in Schweden nachhaltig erschüttert wurde. Dies war kein Störfall in einem drittklassigen Meiler, der mehrere tausend Kilometer entfernt irgendwo in Osteuropa steht. Der Störfall in Schweden hat nur noch einmal verdeutlicht, dass die hoch gelobten europäischen Atomkraftwerke auch Unsicherheiten aufweisen können.

Aber auch der Umgang des Betreibers, seine Informationspolitik, mit dem Störfall trägt nicht dazu bei, das Vertrauen in die Kernenergie zu stärken. Hier muss die Landesregierung auf eine lupenreine Untersuchung des Vorfalls drängen.

Wir müssen uns immer wieder mit den Gefahren der Atomenergie beschäftigen. Eine unsichere Technologie und ein Vertrauensverlust auf breiter Basis lassen die Atomenergie in einem neuen, aber nicht besseren Licht erscheinen. Daher halte ich die derzeitige Diskussion um eine Reststrommengenübertragung auf das alte Atomkraftwerk Brunsbüt

(Dr. Heiner Garg)

tel für völlig abwegig. Dies kann nicht im Sinne des Atomausstieggesetzes sein.

Das Atomkraftwerk Brunsbüttel muss spätestens wie vorgesehen im Jahr 2009 vom Netz genommen werden. Wenn es geht, sollte dies auch früher geschehen. Denn nur wenn wir uns von dieser Risikotechnologie verabschieden, haben wir die Gewissheit, dass von ihr keine weiteren Gefahren ausgehen.

Ich möchte noch eines zu dem sagen, was der Kollege Ritzek ansprach. Er hat zumindest versucht, einen Weg deutlich zu machen, wie man vielleicht aus der Misere herauskommt. Er hat ganz deutlich gesagt: 200 Windkraftanlagen entsprechen ungefähr einem Atomkraftwerk wie Brunsbüttel. Wenn wir Brunsbüttel abschalten, müssen wir den Mut haben, 200 5-MW-Anlagen aufzustellen. Da bin ich mit ihm einig. Wir sollten es am besten im Offshorebereich machen und wir sollten versuchen, dieses gerade im Offshorebereich zu ermöglichen.

Da gibt es mehrere Schwierigkeiten, aber zwei Hauptschwierigkeiten. Erstens. Wir haben nicht die logistische Basis dafür. Diese ist nämlich gerade mit dem Offshorehafen in Husum von der Landesregierung gekillt worden.

Zweitens muss unbedingt eine Netzanschlusspflicht des Netzbetreibers für Offshorewindparkanlagen festgelegt werden. Das heißt, es kann nicht angehen, dass ich ein Atomkraftwerk auf Kosten des Netzanschlussbetreibers anschließen kann, also auf unsere Gebührenkosten, aber die Investoren im Offshorebereich diese Aufgabe selber tragen und bezahlen müssen. Das sind ungefähr 25 % der Kosten eines Offshorewindparks. Da können wir politisch zu einer anderen Lösung kommen. Dies müssen wir befördern. Herr Kollege Ritzek, ich erwarte jetzt von der Landesregierung, dass sie das vorantreibt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich die Beratung schließe, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, begrüßen wir sehr herzlich auf der Besuchertribüne Damen des Clubs Soroptimist International aus Flensburg - das ist eine Servicevereinigung berufstätiger Frauen - sowie Mitglieder der Frauen-Union aus Nordfriesland. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich die Beratung.

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 16/973 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat.

Es ist kein Antrag gestellt worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt mit der Berichterstattung der Landesregierung erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

„Weg vom Öl“ - Auswirkungen eines dauerhaften hohen Ölpreises auf Wirtschaft und Verkehr in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/371

Antwort der Landesregierung Drucksache 16/823

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich das Wort dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Dietrich Austermann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass wir mit der 120-seitigen Antwort auf die Anfrage der Grünen einen umfangreichen Bericht gegeben haben, der lesenswert ist

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und der auch deutlich macht, welche Betrachtungen wir beim Thema Öl haben. Dabei muss man wissen, dass ein wesentlicher Teil dessen, was geliefert wird und was bisher hergestellt wird - wer sich mit Rohölpolitik befasst, wird das bestätigen -, den sicherheitspolitisch unsicheren Regionen der Welt zuzuordnen ist. 70 % des Erdöls und 50 % des Erdgases, das bei uns verarbeitet wird, kommen aus dem Vorderen Orient.

Ich möchte aber anders beginnen. Wir haben festzustellen, dass sich die Marktgewohnheiten im Bereich des Energieverbrauchs von fossilen Brennstoffen, besonders von Öl und Gas, deutlich verändert haben. Seit 1990 hat sich der Verbrauch von Öl in Haushalten und Gewerbe fast halbiert, im Verkehr um 8 % reduziert trotz wirtschaftlichem Wachstum. Das heißt, es wird sparsamer gewirtschaftet. Erdgas hat hingegen deutlich zugenommen um 40 %. Die Preisentwicklung ist bedrohlich. Die Preisentwicklung bedeutet, dass wir heute etwa 110 bis 120 % mehr für die entsprechende Energie

(Lars Harms)

zahlen als im Jahre 1990, also eine gewaltige Steigerung, die oftmals nur auf emotionale Entwicklungen im Börsenbereich zurückzuführen ist, weniger als tatsächlich auf Fakten.

Unser gemeinsames Interesse geht in die Richtung, Energie zur Verfügung zu stellen oder anzubieten oder die Möglichkeit des Angebots zu schaffen, die sicher verfügbar, preiswert und umweltfreundlich ist. In keinem Fall dürfen hohe Energiepreise sich als Arbeitsplatzkiller auswirken. Dieses Thema zu diskutieren ist deshalb gut, und die Anfrage gibt einen Anlass, darüber nachzudenken.

Vor diesem Hintergrund haben wir die Antwort der Landesregierung zweigeteilt. Vorangestellt haben wir eine Analyse der internationalen Situation der Reserven, der Preise, der geografischen Verteilung des Aufkommens, der nationalen Bedarfe und Verbrauchsstrukturen. Hierbei zeigt sich, dass die Staatskonzerne des Vorderen Orients und Russlands die Trümpfe in der Hand haben, wir relativ wenig Einfluss haben und im Lande fast überhaupt keinen Einfluss, auch wenn wir immerhin bei der Erdölförderung in Deutschland selbst in Schleswig-Holstein über 60 % des Vorkommens nutzen können. Ich denke, dass wir uns in absehbarer Zeit auch darüber unterhalten werden, weil dort noch erhebliche Reserven liegen. Beim Erdgas sieht das ganz anders aus.

Wir werden unseren Energiebedarf als eines der führenden Industrieländer nicht von heute auf morgen umsteuern können. Ohne Wirtschaftstätigkeit und Verkehr hätten wir nicht unseren Lebensstandard und würden frieren. Auch das will niemand der hier Anwesenden. Um Preiserhöhungen aber langfristig entgegen zu wirken, müssen wir zunächst Energie einsparen. Das kann jeder von uns, das kann die Regierung, das kann die Wirtschaft, und das wird auch gemacht. Ich habe auf den sinkenden Verbrauch beim Öl hingewiesen. Die Energie muss auch effizienter genutzt werden. Zudem müssen wir Technologievorsprünge entwickeln und halten, zum Beispiel im Bereich der Biomasse oder bei Nutzung der Kohle. Es hat den Anschein, dass wir nach dem Thema Kernenergie und Erdöl morgen das Thema Kohle haben, also die gesamte Palette der Energie diskutieren. Es wäre gar nicht unklug gewesen, das Ganze miteinander zu fassen.

In Schleswig-Holstein sollten wir uns in der Energiepolitik auf folgende Eckpunkte einigen können: Erstens. Angesichts der Unsicherheit der Öl- und Gasreserven und der weltweit steigenden Energienachfrage wollen wir einen ausgewogenen, sicheren, umweltverträglichen und preisgünstigen

Energiemix. Es wird nicht ein Energieträger sein. Wir werden auf absehbare Zeit den Energiemix brauchen.

Zweitens. Unsere wichtigsten Ziele sollten heißen: Energie sparen, Energie nutzen durch neue Kraftwerke und Nutzung der erneuerbaren Energien vor allem durch Wind, Sonne und Biomasse.

Drittens. Wir müssen die Netznutzungsentgelte stabil halten. Wir brauchen einen offenen Markt. Missbräuche marktbeherrschender Unternehmen sollten geahndet werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)