Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Wir müssen investieren. Investieren heißt, dass auch wir als öffentliche Hand hier gemeinsam, Landesparlament und Landesregierung, überlegen, an welcher Stelle wir Investitionen in neue Energieträger unterstützen können. Die Landesregierung stellt mit dem Schleswig-Holstein-Fonds 18 Millionen € für energiebedingte Investitionen bereit. Wer sich die Planungen zum Thema Nordpower-Innovationspark im Raum Lübeck ansieht, der weiß, dass wir in Schleswig-Holstein zum Thema Energieversorgung durchaus ein Stück Zukunft mit gestalten können. Diese Anfrage gibt Gelegenheit, darüber zu diskutieren. Das begrüßen wir.

(Beifall bei CDU und SPD sowie bei BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Minister Dietrich Austermann und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal vielen Dank für den Bericht. Die Einschätzung, dass wir noch viel Öl und Erdgas zur Verfügung haben, ist viel zu optimistisch und damit falsch. Das gilt sowohl für die Bewertung der Vorräte auf Seite 12 des Berichtes als auch für die ökonomische Theorie der Ressourcenverlängerung durch höhere Preise.

Die Verdoppelung des Ölpreises innerhalb von weniger als zwei Jahren mag ein Indiz für diese These sein. Die Preisprognosen, aufgestellt zu Beginn eines jeden Jahres für das Jahr, zum Beispiel von der Deutschen Bank aber auch anderswo, unterschreiten den tatsächlichen Preisverlauf seit Jahren um 20 % und mehr. Zu Anfang 2006 wurden 52 $ vorhergesagt. Das haben wir das ganze Jahr lang noch

(Minister Dietrich Austermann)

nicht ein einziges Mal erlebt. Ab Beginn der 80erJahre liegt die jährliche Förderung über der Kapazität der neu entdeckten Reserven, sodass seit dieser Zeit die vorhandenen Reserven abnehmen. Deshalb wird von den meisten Experten von einem Fördermaximum zwischen 2010 und 2020 gerechnet. Einige gehen sogar davon aus, dass das Maximum noch vor 2010 eintreten wird oder sogar schon eingetreten ist. Selbst der von Chevron jetzt im Golf von Mexiko neu entdeckte Jackpot, das gewaltige Feld Raute 2, deckt den Weltverbrauch nur für sechs Monate. Allerdings muss man das Öl aus zwei Kilometer Meerestiefe und danach noch aus weiteren sechs Kilometern Deckschicht heben. Also Förderbarkeit und der Preis, mit dem man zu rechnen hat, stehen noch weit in den Sternen.

Auf der anderen Seite gab der Ölmulti Shell am 9. Januar 2004 bekannt, dass er 20 % seiner Reserven von „bewiesen“ zu „möglich“ umdeklarieren müsse. Die mexikanische staatliche Ölgesellschaft Pemex hat im September 2002 Abstriche bezüglich ihrer Reserven von 53 % vornehmen müssen. Alle aktuellen Förder- und Preisprognosen liegen systematisch optimistisch falsch. Das heißt, wenn wir eine Streuung zu erwarten hätten, müssten ja auch mal einige Prognosen preislich oder ressourcenmäßig darüber liegen. Das ist aber nicht so. Dahinter steckt natürlich auch ein wirtschaftspolitisches Kalkül derer, die zurzeit mit den bestehenden Energieverhältnissen ihre Verdienste machen.

Der Bericht enthält aber, Herr Minister - darüber habe ich mich sehr gefreut -, abschließend unter diesem Kapitel den Satz: „Gleichwohl darf, wie lange Erdöl und Erdgas zu welchen Preisen auch immer zur Verfügung stehen, die daran gekoppelte CO2-Problematik nicht aus den Augen verloren werden.“ Ich glaube, das ist richtig und nur zu unterstreichen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und beim SSW)

Zweite Bemerkung! Kohle als Energierohstoff bleibt nicht billig. Es ist eine Illusion zu glauben, wenn Öl und Gas knapp werden, dass man dann Kohle noch preiswert zu Strom verarbeiten kann. Alle Rohstoffpreise bewegen sich zurzeit nur in eine Richtung. Öl hat eine Eckpreisfunktion ähnlich wie der Weizen in der Landwirtschaft. Wir haben morgen - der Minister erwähnte das schon - noch über Kohle zu sprechen. Daher belasse ich es bei diesen Bemerkungen.

Drittens! Atomstrom substituiert weder Öl noch Erdgas. Atomstrom wird aus Kohle und Uran sowie Erneuerbaren erzeugt, nicht aus Öl und nur zu ei

nem ziemlich kleinen Teil aus Erdgas. Die immer wieder bemühte Verknappung von Öl als Legitimation, AKW-Laufzeiten zu verlängern, hat mit der Wirklichkeit daher überhaupt nichts zu tun.

Das wird umso perfider, je deutlicher man beobachten kann, dass diejenigen, die Ressourcenverknappung und Klimaschutz als Argumente für Atomenergie verwenden, eben zu diesen Problemen an anderer Stelle schweigen. Hätten wir genügend Vorräte, hätten wir weiterhin niedrige und sichere Preise, dürften wir mit der Verbrennung fossiler Energieträger dennoch nicht so weitermachen, weil wir mit dem Klimawandel unverantwortliche Schäden anrichten, die die Generationen nach uns mit keiner noch so großen Anstrengung werden beseitigen können. Gerade beim Thema Energie wird es so sein, dass wir in vier Generationen alle Vorräte aufgezehrt haben, dass wir für zwei Generationen Atomstrom genutzt haben, aber die Menschheit auf ewige Zeiten mit radioaktivem Müll belasten. Auf uns werden nachfolgende Generationen - davon bin ich überzeugt - voller Verachtung zurückblicken, weil wir die Möglichkeiten nicht nutzen und die Gefahren ignorieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das müssen uns die Grünen sagen!)

- Das hat mit den Grünen nichts zu tun, Herr Kubicki. Bedenken Sie bitte: Ein Durchschnittsamerikaner verbraucht pro Jahr 13 t Steinkohleäquivalente, ein Einwohner des Tschad dagegen 7 kg. Damit verbindet sich auch eine weltweite Ungerechtigkeit. Die Verfügbarkeit über Energie lässt sich eben auch in Dollar pro Kopf und Einwohner spiegeln.

Der grüne Bundestagsabgeordnete und energiepolitische Sprecher Hans-Josef Fell hat ein Buch mit dem Titel „Chance Energiekrise“ herausgegeben. Wir sind Exportweltmeister. Wir sind eine Technologienation. Wir haben hier Firmen in SchleswigHolstein, die Windenergieanlagen bauen. Wir haben auch Firmen, die Biogasanlagen bauen. Ich bin fest überzeugt: Wir müssen alle Forschungsmittel, die zu 80 % in den Atombereich gehen, auf diesen Sektor umlenken. Wir haben erneuerbare Energien ohne Ende. Darin liegt eine Chance für unser Land.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek das Wort.

(Detlef Matthiessen)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Minister, für den unwahrscheinlich umfassenden Bericht. Sie sprachen voller Freude und Glücksgefühl über die 60 % der Rohölförderung, die wir in Deutschland haben und die in Schleswig-Holstein gefördert werden. In Schleswig-Holstein sind es knapp 2 Millionen t. Der Gesamtverbrauch in Deutschland beträgt 120 Millionen t. Trotzdem sollten wir uns über die Lage freuen.

Herr Matthiessen, Sie haben gesagt, Rohöl werde knapp und das Rohöl reiche bald nicht mehr aus. Prognosen über die Verfügbarkeit von Rohöl gibt es seit 40 Jahren. Immer hieß es und heißt es: Wir haben noch genug Rohöl für eine Zeit von 40 bis 50 Jahren. Das liegt daran, dass trotz des gestiegenen Bedarfs die Technologie immer weiter verbessert und verfeinert wird, damit man auch aus tieferen Schichten Rohöl fördern kann. Die nächste große Herausforderung ist die Verwertung von Ölschiefer. Von einem Auslaufen der Ressourcen zu sprechen ist, glaube ich, nicht gerechtfertigt. Sie können auch Herrn Chevron nicht zitieren. Was der gesagt hat, stimmt einfach nicht.

„Weg vom Öl!“ ist die Überschrift der riesigen Anfrage, die das Ministerium mit großer Geduld beantwortet hat. Aber das ist sicherlich nur ein Schlagwort. Mit der Realität hat es nichts zu tun. Betrachten Sie doch die Abhängigkeit des deutschen Marktes vom Rohöl.

Bei Mineralöl ist Deutschland mit 97 % von Importen abhängig. Bei Erdgas sind es 83 %. Es sind also gewaltige Mengen, die wir aus anderen Ländern importieren müssen.

Der Ressourcenhunger Chinas und Indiens nach Energierohstoffen bedeutet, dass das Preisniveau mit Sicherheit nicht heruntergehen wird. Heute haben wir für einen Barrel etwa 70 $ zu zahlen. Die neueste Prognose des energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln basiert auf einem Gutachten, das die Bundesregierung beantragt hatte. Es ist noch ganz neu; es stammt vom August. Das Gutachten besagt, dass ein Barrel Rohöl im Jahr 2030 wahrscheinlich 100 € kosten wird.

Von dem gesamten Energiebedarf in Deutschland in Höhe von 486 Millionen t Steinkohleeinheiten werden 36 % durch Mineralöl gedeckt. 1973 waren es noch 55 %, in Schleswig-Holstein sogar 69 %; so steht es im Bericht. Wir haben also durchaus einen Erfolg des Landes Schleswig-Holstein zu verzeichnen bei dem Bemühen, Rohöl durch andere

Energien zu ersetzen, nämlich zum Beispiel durch die Windkraft.

Die regenerativen Energien spielen in Deutschland mit 3,5 % in der Gesamtbilanz leider nur eine marginale Rolle. Bis zum Jahr 2030 wird die Energienachfrage - so die Europäische Union im letzten Grünbuch vom März dieses Jahres - um weitere 60 % steigen. Es wird einen weiteren Anstieg bei Rohöl von jährlich 1,6 % geben. Wir haben uns in Deutschland von dieser Steigerungsrate zum Glück abgeklinkt. Das liegt an unserer modernen Technologie und ist sicherlich ein großer Erfolg.

Das Heizöl wurde mehr und mehr durch Erdgas zurückgedrängt. Die Kraftstoffverbräuche wurden bei uns durch eine verbesserte Motorentechnologie reduziert. Das alles spielt sicherlich eine Rolle bei der Reduzierung des Gesamtölbedarfs in Deutschland.

Fast 50 Millionen Fahrzeuge fahren über die deutschen Straßen. Es sind 45 Millionen Pkw, knapp 3 Millionen Lkw. Die allein schlucken 60 % des Mineralöl in unserem Land. Hier anzusetzen ist eine wichtige Aufgabe. Hier ist aber auch einiges schon geschehen. Ganz aktuell hat BMW verkündet, dass Wasserstoff als alternativer Kraftstoff für den Antrieb angeboten werden wird. In der Siebenerserie werden die Fahrzeuge entsprechend angeboten, aber sicherlich zu ziemlich hohen Preisen.

Die Frage ist: Wie wirkt sich das auf Wirtschaft und Verkehr aus? - Die Landesregierung hat in dem Bericht deutlich gesagt, dass die Öl- und Gaspreise negative Auswirkungen auch auf das Wohlergehen der Bevölkerung, aber auch auf die Unternehmen haben werden, besonders dann, wenn wir sehr energieintensive Industrien oder sehr energieintensive Dienstleister haben, zum Beispiel Fahrzeugflotten. Bei dieser Entwicklung müssen sich diese Firmen sehr schnell umstellen und Einsparmöglichkeiten suchen.

Was ist zu tun? - Über viele Dinge haben wir in der Vergangenheit diskutiert und werden es weiter tun. Wir brauchen eine europaweite Energiepolitik. Wir müssen in unserem Land den Energiemix auf die bisherigen Schultern stellen und optimieren. Wir müssen die Entwicklung regenerativer Energien durch Forschung und Einsetzung von Finanzmitteln vorantreiben. Wir Schleswig-Holsteiner müssen zu einem führenden Land in der Entwicklung regenerativer Energien werden.

Wir müssen das Einsparpotenzial, das auf 30 % geschätzt wird, konsequent nutzen, sowohl bei den Privathaushalten als auch in der Industrie. Die Parole „Weg vom Öl!“ und die ausschließliche Be

trachtung der Auswirkungen auf Schleswig-Holstein bringen uns nicht weiter. Das Thema Energie ist anspruchsvoller. Der Bericht der Landesregierung hat es bewiesen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Olaf Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Preisanstieg bei Öl und Benzin ist rasant. In den Ölförderländern gibt es Krisen. Weltweit ist eine stark wachsende Nachfrage zu verzeichnen. Stichworte sind hier China und Indien. Die Anforderungen des weltweiten Klimaschutzes machen uns deutlich: Wir brauchen schon heute Alternativen zum Öl. Wir müssen die Abhängigkeit vom Öl reduzieren. Dabei muss das Ziel einer sicheren, nachhaltigen und preisgünstigen Versorgung der Bevölkerung und der Unternehmen im Mittelpunkt stehen.

Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage „Weg vom Öl! - Auswirkungen eines dauerhaft hohen Ölpreises auf Wirtschaft und Verkehr in Schleswig-Holstein“ gibt hierzu dankenswerterweise eine lesenswerte und informationsreiche Grundlage, die wir heute im Plenum sicherlich nicht abschließend debattieren können. Ich freue mich daher schon auf eine weitere intensive Beratung in den Ausschüssen.

Wenn wir die plakative Aufforderung „Weg vom Öl!“ ernst nehmen, müssen wir uns zugleich darüber einigen, wohin wir uns wenden wollen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle für meine Fraktion und mich noch einmal klar Position beziehen. Wir werden eine Abhängigkeit vom Öl nicht durch eine Abhängigkeit vom Uran eintauschen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind uns unserer Verpflichtung zum Klimaschutz bewusst und müssen auch in Schleswig-Holstein die CO2-Emissionen reduzieren. Der Reduzierung des Ölverbrauchs kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.

Ich begrüße die Aussage der Landesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage, dass entgegen vielen öffentlichen Forderungen der Energiewirtschaft eine kausale Verbindung von Erdölverwendung und Kernenergie, etwa in der Art, dass man Kernenergie allein deshalb nutzen müsse, um die Ölabhängigkeit zu reduzieren, in der Tat in

Deutschland unerfindlich sei, zumal die Ölverstromung nach den beiden Ölpreiskrisen der 70er- und der 80er-Jahre auf knapp 1 % zurückgedrängt werden konnte. Für uns kann der Weg „Weg vom Öl“ nur durch eine Energiepolitik begleitet werden, die die Weichen für Energiesparen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien stellt. Haupthandlungsfelder dieser Politik sind für mich die Bereiche Verkehr, Wärme und Strom, für die der Energielieferant Öl unterschiedlich starke Bedeutung hat. Auch volkswirtschaftlich ist der Weg weg vom Öl alternativlos. Deutschland musste 2004 rund 25 Milliarden € für Rohölimporte zahlen. Das ist Geld, das unserer Binnenkonjunktur fehlt.

Vorbild sollte hierbei die Vision Schwedens sein, das sich ganz vom Öl verabschieden will. Nach dem Willen von Energieministerin Sahlin soll in Schweden schon im Jahr 2020 kein Haus mehr mit Öl geheizt werden und kein Autofahrer ausschließlich Benzin tanken. Stattdessen werden Sonne, Wind, Wasser und Biotreibstoffe dafür sorgen, dass die Industrienation weiter produziert, nicht friert und mobil bleibt. Selbst US-Präsident George W. Bush will die Einfuhren aus dem Nahen Osten reduzieren und alternative Energien fördern. Kalifornien hat bereits reagiert. Der Sonnenstaat legte ein 3 Milliarden $ schweres Förderprogramm für Solarenergieanlagen auf.

Diese Beispiele sollten uns Mut für unseren Weg machen. Schleswig-Holstein hat sich in Deutschland in der Energiepolitik als Motor einen guten Namen verschafft. Produkte der Windenergie made in Schleswig-Holstein sind weltweit ein Gütezeichen. Gerade die Windenergie ist in SchleswigHolstein ein Jobmotor geworden. Diesen müssen wir erhalten und ausbauen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt auch für die Wasserstofftechnik, die in den zukünftigen Jahren eine große Rolle spielen wird. Deshalb sollten wir darüber nachdenken, ob wir den Hafen Brunsbüttel gemeinsam mit Hamburg auch zum Energiehafen für den kommenden Energieträger Wasserstoff ausbauen können. Rotterdam denkt schon heute über diese Alternative nach und plant schon jetzt, große Flächen für Wasserstoff zu nutzen.

(Beifall beim SSW)

Aus dem Bündel der uns vorliegenden Informationen will ich angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit nur folgende Stichworte für den Weg „Weg vom Öl“ nennen, die wir in den Ausschüssen vertiefen sollten: Biokraftstoffe, Wasserstoffbrenn

(Manfred Ritzek)