Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Sicherheit ist unabhängig von der Laufzeit eines Reaktors. Hätten wir irgendwelche Zweifel an der Sicherheit von Brunsbüttel, müssten wir ihn heute abschalten, in dieser Sekunde.

(Beifall bei der CDU - Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das unter- scheidet uns! Sie haben nie Zweifel!)

Es ist unwahrscheinlich viel geschrieben worden. Ich zitiere nur einige Schlagzeilen, die ein bestimmtes Stimmungsbild erzeugt haben: Neue Frist für Vattenfall, Umweltschützer fordern Klarheit, Ruf nach Abschalten, Brunsbüttel kann länger laufen - das ist die andere Seite -, wir werden zu Unrecht an den Pranger gestellt und so weiter und sofort. Also Emotionalisierung in der Presse, in den Medien durch die Überschriften, allerdings auch

ich gebe zu, auch hier heute - durchaus Klarstellung in der Sache.

Wenn es Informationsfehler gegeben hat, muss man dies beenden. Herr Kollege, Sie kommen immer auf die Flugzeuge zu sprechen, die auf ein Kernkraftwerk herunterstürzen können. Wissen Sie, wir haben auch noch andere sehr gefährliche Raffinerieanlagen in Schleswig-Holstein. Das sind unsere Chemieanlagen. Die sind überhaupt nicht geschützt. Wenn Sie dort mit einem Flugzeug hineinstürzen, haben Sie auch enorme Schäden, auch Vergiftungen. Ich weiß nicht, ob Sie sich in der Chemie ein bisschen auskennen. Diese Angstschürerei sollte man aber wirklich lassen.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Augen zu und durch!)

Der Antrag auf Änderung der Betriebsgenehmigung ist durchaus erfolgt, weil ein gewisser Druck von der Politik da war, einen neuen Signalgeber einzubauen, obwohl er nicht zwingend notwendig war und wäre. Denn sonst wäre der Reaktor abgestellt worden.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie stellen die Logik auf den Kopf!)

Wenn das Kernkraftwerk heute noch läuft, das heißt nicht abgeschaltet werden muss, dann kann man berechtigterweise die Frage stellen: Warum soll es nicht länger laufen? Warum soll es nicht länger laufen, wenn die Sicherheitsvoraussetzungen gegeben sind? Eine Schrottlaube ist es sicherlich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Zu dem Hinweis von Herrn Hay. Herr Hay - er ist jetzt nicht da - hat heute Morgen von der Hälfte des Hauses Beifall für die Aussage bekommen, je früher das Kraftwerk abgeschaltet werde, desto besser. Wissen Sie, das Kraftwerk Brunsbüttel produziert etwa 1.000 MW pro Jahr. Das sind etwa 200 Windkraftanlagen à 5 MW. Dann müssen wir die - das wollen wir auch - sofort bauen.

(Beifall beim SSW)

Das ist aber nicht so einfach. Erstens müssten Sie Investoren finden und zweitens dauert so etwas länger.

Lassen Sie uns dieses Thema deshalb besonnen behandeln. Schüren wir nicht Ängste, nutzen wir alle bedeutende Energiequellen für unser Land mit vernünftigen Ausstiegsszenarien, durchaus unter Berücksichtigung der Verlängerung von Laufzeiten, um unseren alternativen Energien, das heißt den regenerativen Energien, zum Beispiel Windkraft, eine

(Detlef Matthiessen)

Chance zu geben, die Erzeugung dieser Mengen an Strom zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Olaf Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Störfall im schwedischen Forsmark hat die Gefährlichkeit von Atomkraftwerken wieder ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Zwei Wochen nach Bekanntwerden des Störfalls ermittelte Forsa im Auftrag des Bundesumweltministeriums, dass für 73 % der Bundesbürger das Unfallrisiko der Atomkraftwerke zu hoch ist. 62 % der Bundesbürger finden, das Tempo des Atomausstiegs sollte beibehalten oder beschleunigt werden. Diese große gesellschaftliche Mehrheit bestätigt unseren Kurs und die Notwendigkeit des konsequenten Atomausstiegs.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Störfall in Schweden hat auch Diskussionen um die Sicherheit im AKW Brunsbüttel ausgelöst. Hier gab und gibt es Irritationen um die Informationspolitik des Betreibers Vattenfall. Es ist für mich schon erstaunlich, dass der Betreiber beider AKWs nicht sofort vollständig die Vorfälle in Schweden an die Aufsichtsbehörden in Kiel und Berlin übermittelt hat und nicht in der Lage war, umfassend den vergleichbaren Sicherheitsstandard in Brunsbüttel darzustellen.

Ich wundere mich angesichts der Diskussion um Sicherheitsmängel in Brunsbüttel weiter über die aktuelle Idee von Vattenfall, von anderen Atomkraftwerken Laufzeiten auf das AKW Brunsbüttel übertragen zu lassen. Dies ist geradezu aberwitzig. Ich kann nur hoffen und bin mir sicher, dass die Genehmigung, sollte sie im nächsten Jahr tatsächlich beantragt werden, von Sigmar Gabriel abgelehnt werden wird.

Nun noch ein Wort zur Rolle der Atomaufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein. Wir haben uns im Sozialausschuss zum Thema Reaktorsicherheit/ AKW Brunsbüttel am 31. August dieses Jahres von der für Reaktorsicherheit zuständigen Ministerin Gitta Trauernicht intensiv berichten lassen - sie hat es heute auch noch einmal getan - und werden dies Thema im Oktober wieder aufgreifen. Für mich bleibt festzuhalten: Gitta Trauernicht hat im Um

gang mit Sicherheitsfragen beim Kernkraftwerk Brunsbüttel sofort verantwortlich und korrekt gehandelt; wir können hier keine Versäumnisse feststellen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wie Sie wissen, laufen die Untersuchungen zu Brunsbüttel noch. Bis zum 20. September 2006 hat Berlin für den Energiekonzern die Frist gesetzt, um zu belegen, ob in Brunsbüttel ähnliche Risiken bei der Notstromversorgung bestehen wie im schwedischen Pannenreaktor Forsmark. Der Ruf der Grünen nach Abschaltung des AKW ist daher vorschnell und populistisch.

Für mich ist klar: Brunsbüttel soll und wird vereinbarungsgemäß spätestens 2009 vom Netz gehen da unterscheiden wir uns ein bisschen von der CDU -, wir halten am Atomausstieg fest und stehen für eine verantwortungsvolle und verlässliche Politik.

Die Geisterdiskussion um die Übertragung von Laufzeiten jüngerer AKW auf Brunsbüttel muss endgültig vom Tisch. Bis zu diesem Zeitpunkt darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass die Sicherheit von Brunsbüttel nicht ständig auf höchstem Niveau gehalten wird. Bis zur letzten Minute muss das Reaktorschutzkonzept an den Stand moderner Anlagen herangeführt werden. In Brunsbüttel und allen AKW in Schleswig-Holstein muss höchste Sicherheit bis zum Ende der Restlaufzeiten gewährleistet sein und Vorrang vor allen anderen Interessen haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Olaf Schulze und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seitdem schwedische Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, weil ihre Notstromversorgung entweder ausfiel oder gefährdet war, steht das Kernkraftwerk Brunsbüttel im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Frage lautet: Ist es im Lichte der schwedischen Erfahrungen noch sicher genug? Das ist die Frage, die der Kollege Matthiessen im Sozialausschuss, der unter anderem für Fragen der Reaktorsicherheit zuständig ist - darüber kann man sich noch einmal am Rande unterhalten -, gestellt hat. Die Tatsache, dass die für Reaktorsicherheit

(Manfred Ritzek)

zuständige Ministerin Brunsbüttel noch nicht abschalten ließ, lässt nur eine ganz eindeutige Antwort zu: Ja, nach Ansicht der Atomaufsicht ist Brunsbüttel sicher.

In der öffentlichen Diskussion fiel stattdessen zweierlei auf. Erstens wirkten die Aussagen und die Handlungen der formal fachlich zuständigen Ministerin fachlich aus meiner Sicht eben nicht so souverän wie hier eben gerade geschildert. Ich fand es im Sozialausschuss alles andere als souverän, was uns da berichtet wurde. Zweitens wirkte die Informationspolitik der Kraftwerksbetreiberin wenigstens für Nichtfachleute alles andere als transparent.

Zunächst zum Regierungshandeln. Die Atomaufsichtsbehörde hat die Aufgabe, Gefahren und Schäden zu vermeiden, die von Kernkraftwerken ausgehen können. Einfach ausgedrückt: Wenn Sie ein Kernkraftwerk als nicht mehr sicher beurteilen, dann, Frau Trauernicht, haben Sie es abzuschalten. Und im Zweifel muss die Sicherheit vorgehen und ein Kernkraftwerk abgeschaltet werden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offensichtlich sind diese Regeln doch nicht so einfach, wie sie sich anhören: Denn Frau Trauernicht kann sich nicht so einfach entscheiden: Einerseits zweifelt sie offensichtlich nicht an der Sicherheit des Kraftwerkes. Sonst hätte sie es ja wohl pflichtgemäß abschalten lassen, und zwar gerade als Vertreterin einer Partei, der SPD, die sich hier in Schleswig-Holstein auf die Fahne schreibt, Vorreiter beim Kernenergieausstieg zu sein.

Andererseits haben Sie, Frau Ministerin - das will ich wirklich kritisieren - öffentlich von Zweifeln an der Sicherheit Brunsbüttels gesprochen. Ich darf Sie noch einmal auf den „taz“-Artikel hinweisen. Ob es nun ein autorisiertes Zitat war oder nicht: Die Öffentlichkeit muss den Eindruck haben, dass die fachlich dafür zuständige Ministerin erhebliche Zweifel an der Sicherheit des Kernkraftwerks hat und das trägt nicht gerade zur Beruhigung der Öffentlichkeit bei - um das einmal ganz vorsichtig auszudrücken.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, was gilt nun, Frau Ministerin Trauernicht: Ist Brunsbüttel sicher oder ist Brunsbüttel nicht sicher?

Wenn es nach Ansicht Ihrer Fachleute unsicher ist, dann müssen Sie es abschalten. Und wenn es nach Ansicht Ihrer Fachleute sicher ist, dann müssen Sie es gefälligst in aller Öffentlichkeit klipp und klar

sagen, anstatt so herumzueiern, wie Sie es auch heute wieder getan haben.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gebe gern zu: Es hilft der Ministerin sicherlich nicht, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Betreiberin des Kernkraftwerks Brunsbüttel teilweise undurchsichtig wirkt. Die Ministerin macht auf mich manchmal den Eindruck, sie ließe sich genau von dieser Öffentlichkeitsarbeit fehlleiten. Ich hoffe allerdings, mein Eindruck täuscht mich, und die Atomaufsichtsbehörde lässt sich nicht von der Öffentlichkeitsarbeit einer Kernkraftwerksbetreiberin leiten, sondern von überprüften technischen Fakten. Leider vermittelt die Ministerin aber den Eindruck, bei ihr reiche es immer mehr nur fürs Marketing in dieser Frage und eben nicht zu einer klar fundierten, technisch überprüfbaren Entscheidung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Lieber Kollege Matthiessen, Sie sagten, Sie seien einigen Damen im Sozialausschuss mit technischen Fragen zu nahe getreten. Ich hingegen glaube nicht, dass das technische Verständnis eine Frage von Mann oder Frau ist. Ich finde vielmehr,

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass wir uns ernsthaft darüber unterhalten sollten, ob die Fragen der Reaktorsicherheit wirklich in den Sozialausschuss gehören und oder vielmehr doch in dem Ausschuss debattiert werden sollten, wo wir auch sonst über Energiefragen diskutieren, nämlich im Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich noch zu Forderungen Stellung nehmen, die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke mögen über das hinaus verlängert werden, was im so genannten Atomkonsens vereinbart wurde. Dazu sage ich nur zwei Dinge.

Erstens. Reststrommengen von neueren Kraftwerken auf das alte Brunsbüttel übertragen zu wollen, halte ich beziehungsweise meine Fraktion für blanken Unsinn.