Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit dem Antrag ist ein Bericht in dieser Tagung erbeten worden. Wer diesem Berichtsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Das ist einstimmig so passiert.

Dann bitte ich Sie, Frau Ministerin Dr. Gitta Trauernicht, um die Berichterstattung für die Landesregierung.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 25. Juli 2006 kam es im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark zu einem gravierenden Störfall. Die schleswig-holsteinische Reaktorsicherheitsbehörde leitete unverzüglich nach Bekanntwerden dieses Ereignisses eine Übertragbarkeitsprüfung für die Kernkraftwerke Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel ein.

Nach dem durch Sachverständige bestätigten Ergebnis wird ein vergleichbarer Ereignisablauf wie in Schweden in den schleswig-holsteinischen Kernkraftwerken ausgeschlossen, die eingeleiteten detaillierten Untersuchungen im Umfeld des Ereignisses werden jedoch fortgesetzt.

Obwohl die Unterschiede im Aufbau der Stromversorgung zwischen Forsmark und dem Kernkraftwerk Brunsbüttel ein gleichzeitiges Abschalten von Wechselrichtern im Kernkraftwerk Brunsbüttel verhindern, wurde dieser Frage im Rahmen von detaillierten Untersuchungen nachgegangen. Bei diesen Untersuchungen wurde festgestellt, dass, selbst wenn im Notfall mehrere Wechselrichter ausfallen würden, die Notstromversorgung gesichert wäre. In diesem Fall würde nämlich die Anlage durch das unabhängige Notstandssystem, in dem sich zwei Notstromaggregate in einem eigenen Gebäude befinden, versorgt.

(Minister Rainer Wiegard)

Unbenommen davon hat die Reaktoraufsichtsbehörde darauf gedrängt, die bestehende aus sicherheitstechnischer Sicht auch zulässige Abhängigkeit des Zuschaltprogramms für die Verbraucher von der durch die Wechselrichter erfolgten Wechselspannung aufzuheben.

Mit dem Änderungsantrag, auf den sich der Dringlichkeitsantrag insbesondere bezieht, beantragt die Betreiberin Maßnahmen, die diese bisher bestehende Abhängigkeit aufheben. Dazu werden die für die Zuschaltfunktion von Notstromverbrauchern relevanten Schaltschränke zusätzlich zu der bisher bestehenden Versorgung über die Wechselrichter auch mit einer Einspeisung über die batterieversorgten Gleichstromschienen versorgt.

Dabei handelt es sich also nicht um Maßnahmen, die zur Behebung eines Sicherheitsdefizits zwingend erforderlich sind, sondern um Maßnahmen, die im Sinne der bestmöglichen Vorsorge eine Verbesserung darstellen.

Die Betreiberin des Kernkraftwerks Brunsbüttel hat ihre Ersteinschätzung, dass Wechselrichter im Notstromfall für die Zuschaltung sicherheitstechnisch wichtiger Verbraucher keine Rolle spielen, auf vertiefte Nachfragen meiner Sachverständigen und meiner eigenen Experten nach detaillierter Überprüfung einschlägiger Detailschaltpläne von sich aus revidiert. Dies hat eine breite öffentliche Debatte um die Sicherheit und das Sicherheitsmanagement des Kernkraftwerks Brunsbüttel ausgelöst. Auch ich halte es für erklärungsbedürftig, warum sich die Betreiberin im Rahmen der Erstüberprüfung geirrt und erst später mitgeteilt hat, dass im Kernkraftwerk Brunsbüttel Wechselrichter im Notstromfall für die Zuschaltung sicherheitstechnischer Verbraucher von Bedeutung sein könnten.

(Holger Astrup [SPD]: Unzuverlässigkeit!)

Hier stellen sich Fragen der Qualitätssicherung und des Sicherheitsmanagements.

Mit dem Bundesumweltminister stimme ich darin überein, dass diese Fragen sorgfältig geklärt werden müssen. Dies gilt sicherlich auch für die Frage der Zulässigkeit.

Der gefährliche Vorfall in Schweden hat erneut unterstrichen, dass es sich bei der Kerntechnologie um eine Risikotechnologie handelt. Der Streit um die Verantwortbarkeit einer solchen Risikotechnologie hat in unserem Land über Jahrzehnte hinweg zu kontroversen Diskussionen und Auseinandersetzungen in der Bevölkerung geführt. Unbeschadet der unterschiedlichen Haltungen zur Nutzung der Kernenergie haben die Energieversorgungsunternehmen

im Jahr 2000 die Entscheidung der Bundesregierung respektiert, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen. Im so genannten Atomkonsens haben sie sich mit der Bundesregierung darauf verständigt, die Nutzung der Kernenergie zu befristen und für jedes Kernkraftwerk eine Reststrommenge festzulegen, die von dem jeweiligen Kernkraftwerk noch produziert werden darf. Mit der Atomgesetznovelle 2002 ist dies gesetzlich verbindlich festgeschrieben.

Für das Kernkraftwerk Brunsbüttel, das im Mittelpunkt der heutigen Diskussion steht, ist nach dem Atomkonsens davon auszugehen, dass es voraussichtlich im März 2009 abgeschaltet werden muss. An diesem im Atomkonsens vorgezeichneten Ausstiegsfahrplan darf nach meiner festen Überzeugung nicht gerüttelt werden. Denn das Kernkraftwerk Brunsbüttel weist nun einmal im Vergleich mit jüngeren Anlagen ein anderes Sicherheitskonzept auf. Wissenschaft und Technik entwickeln sich aber weiter. Deshalb entspricht es auch dem Sinn und Zweck des Atomkonsenses, Brunsbüttel früher vom Netz zu nehmen als jüngere Anlagen.

Diese Grundposition ist auch Basis der Koalitionsvereinbarung der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Ich zitiere:

„In der Frage der weiteren Nutzung der Kernenergie sind wir uns bewusst, dass die jetzt im Atomgesetz normierten Restlaufzeiten gelten und zurzeit nicht zu verändern sind. Es besteht Einigkeit, dass die Landesregierung nicht initiativ wird, den Energiekonsens aufzukündigen.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, anderslautende Positionierungen, die sich in den vergangenen Tagen vereinzelt in den Medien fanden, sind also von der Koalitionsvereinbarung nicht gedeckt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke der Frau Ministerin für ihren Bericht und eröffne die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Betreiber des Kernkraftwerks Brunsbüttel ist unzuverlässig. Das wurde im Bericht der Ministerin noch einmal deutlich. Am 6. September

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

2006 wurde bekannt, dass die Betreiberfirma Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH, wie sie heute auf Neudeutsch zu heißen pflegt, auf Verlangen der Reaktoraufsicht einen Änderungsantrag für die Notstromversorgung des AKW Brunsbüttel einreichen muss.

Wie die Ministerin bereits im Sozialausschuss und auch jetzt wieder berichtet hat, hat sich der Betreiber nach dem Ereignis in Schweden nicht bemüßigt gefühlt, die hiesige Reaktoraufsicht über das Ereignis zu unterrichten. Danach erklärte der Betreiber im Verfahren der Schnellabfrage, dass es Wechselrichter in Brunsbüttel nicht gebe. Daraufhin verkündete der Bundesminister noch, in Deutschland könne so etwas nicht passieren. Einige Tage später fällt dem Betreiber auf, dass er doch Wechselrichter hat, und zwar im Bereich der Notstromversorgung.

Was ist das für ein Betreiber? Weiß er nicht, welche Technik im Atomkraftwerk verbaut ist?

Das reiht sich in die Ereignisse von Dezember 2001 bis März 2002 ein, wo sich der Betreiber zunächst über Wochen weigerte und zuletzt mit einer Anordnung gedroht werden musste, ehe der Reaktor heruntergefahren wurde: Radiolysegasexplosion eines Kühlmittelrohres; 400 Tage Stillstand. Aber vorher war nach den Verlautbarungen alles in Ordnung.

Auch damals wurden Maßnahmen ergriffen, die Zuverlässigkeit des Betreibers und das Vertrauen, das man notwendigerweise in ihn haben muss, wieder herzustellen. Offenbar hat das nicht lange gehalten, denn das, was der Betreiber hier wieder aufführt, hat mit Zuverlässigkeit und Vertrauen aber auch gar nichts zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Ausschusssitzung und auch jetzt im Bericht wurde aus meiner Sicht nicht zufriedenstellend beantwortet, ob eine Überspannungsreaktion nach Unterbrechung der Leistungsabführung nur in Schweden oder auch in Brunsbüttel vorkommen kann und gegebenenfalls mit welchen Folgen. Wie ist der aktuelle Status der Abarbeitung der 650 offenen Punkte aus der periodischen Sicherheitsüberprüfung? Wie ist denn die Gefahr terroristischer Angriffe von außen zu sehen? Das kann heute, nach dem ernsthaften Versuch eines Bombenattentates in Deutschland und nach der Verhaftung auf dem Kieler Bahnhof, doch keine abstrakte Gefahr mehr sein. Deshalb ist der Begriff „Restrisiko“ in diesem Zusammenhang neu zu beleuchten. Brunsbüttel zählt diesbezüglich zu den schwächsten Reaktoren. Welche atomrechtlichen Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung daraus?

Meine Damen und Herren, in dieser Situation erklärt plötzlich der Betreiber, er prüfe einen Antrag auf Laufzeitverlängerung. Das nennt sich Flucht nach vorn. In dieser Situation ist dies eine bodenlose Unverschämtheit und eine Provokation.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie vereinzelt bei der SPD)

Und unser Wirtschaftsminister hat nichts Eiligeres zu tun, als sich an die Seite von Vattenfall zu stellen und einen solchen Antrag, wenn auch ohne Zuständigkeit, zu begrüßen. Er sagt, das Atomkraftwerk sei doch nach all den Vorkommnissen und Ertüchtigungen besonders sicher.

Herr Austermann, so machen Sie es wahrscheinlich auch beim Autokauf: Sie suchen nach einem Gebrauchtwagen, der älter ist als andere Gebrauchtwagen, und erkundigen sich, ob der denn besonders oft in die Werkstatt musste; denn dann ist er ja oft repariert und bestimmt besonders sicher und gut. Und diesen Gebrauchtwagen nehmen Sie dann, Herr Austermann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Er kauft immer Neuwagen! - Thomas Stritzl [CDU]: Herr Kollege, geben Sie einmal der Wahrheit eine Chance! Mut zur Wahrheit! - Zuruf von Minister Dietrich Austermann)

- Herr Wirtschafts- und Technologieminister von Schleswig-Holstein, Brunsbüttel ist abzuschalten und seine Laufzeit ist nicht zu verlängern!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Frau Trauernicht, Sie haben im Ausschuss auf das Instrument der Kleinen Anfrage hingewiesen. Nach dem Bericht werde ich wohl davon Gebrauch machen müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

- Von der Kleinen Anfrage, Herr Stritzl. Es geht um Überspannungsreaktionen und derartige Dinge, die sich die Fachsprecher gern näher erläutern lassen wollen. Ich würde mich freuen, wenn die Fachsprecher eine Einladung in Ihr Haus bekommen könnten, Frau Ministerin, so wie das Tradition ist, damit man diese Dinge aus dem Sozialausschuss auslagert. Ich habe nämlich das Gefühl, ich trete den Kolleginnen dort etwas zu nahe, wenn wir neben Hartz IV solche technischen Details in aller Tiefe entfalten sollen.

(Widerspruch der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Sylvia Eisenberg [CDU] - (Detlef Matthiessen)

Lachen des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Insofern würde ich mich freuen, wenn wir dort tatsächlich ein Fachgespräch führen könnten.

Meine Damen und Herren, ich kann es nur wiederholen: Dieser Schrottreaktor Brunsbüttel gehört abgeschaltet!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Manfred Ritzek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Kernkraftwerk Brunsbüttel polarisiert aus zweierlei Gründen. Zum einen geht es um die technische Sicherheit. Wenn das Kraftwerk technisch nicht sicher wäre, hätte es schon längst abgestellt werden müssen. Die Ministerin hat eindeutig gesagt, dass die Reaktorsicherheitsbehörde eben keine Mängel gefunden hat, die zu diesem Schritt geführt hätten.

Zum anderen gibt es immer wieder die Diskussion zwischen verschiedenen Parteien über eine mögliche Verlängerung der Laufzeit. Es geht nicht um einen Neubau von Kraftwerken, sondern um die Verlängerung der Laufzeit.

Sicherheit ist für unsere Fraktion - ich meine, für alle - das oberste Gebot bei den Laufzeiten von Kernkraftwerken, und zwar in jeder Sekunde, in jeder Minute, in jedem Jahr.

(Beifall bei der CDU)

Sicherheit ist unabhängig von der Laufzeit eines Reaktors. Hätten wir irgendwelche Zweifel an der Sicherheit von Brunsbüttel, müssten wir ihn heute abschalten, in dieser Sekunde.