Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

(Beifall bei SPD und CDU - Zurufe von der CDU: Bravo!)

Der Kollege Wadephul hat gestern zutreffend auf unseren Koalitionsvertrag hingewiesen. Dort heißt es - ich zitiere -:

„Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird auf polizeiliche Brennpunkte beschränkt. Wir werden ergänzend die Voraussetzungen schaffen, um zum Schutz der eingesetzten Beamtinnen und Beamten offene Videoaufzeichnungen polizeilicher Kontrollmaßnahmen im öffentlichen Raum durchzuführen.“

Dabei und nur dabei wird es auch in SchleswigHolstein bleiben. Eine flächendeckende Videoüberwachung wird es mit uns nicht geben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Mir sind auch keine maßgeblichen Sozialdemokraten bekannt, die diese flächendeckende Videoüberwachung fordern würden.

(Manfred Ritzek [CDU]: Unmaßgebliche?)

- Ein Bürgermeister aus Rendsburg ist natürlich nicht maßgeblich für die Landesgesetzgebung. Das muss auch hinzugefügt werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Drittens. Eine ähnliche Selbstbeschränkung sieht unser Koalitionsvertrag für die Telekommunikationsüberwachung vor. Wir würden die rechtlichen Voraussetzungen für Telefonüberwachungen zur Gefahrenabwehr einschließlich der Erhebung von Verbindungsdaten im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts prüfen, haben wir damals, im April 2005, in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur vorbeugenden Telefonüberwachung liegt zwischenzeitlich vor. Sie stammt vom Juli 2005. Das Urteil ist konsequent und gibt auch die Grundposition meiner Fraktion wieder: Der allgemeine Hinweis auf die Möglichkeit organisierter Kriminalität und terroristischer Gefahren darf nicht zur Begründung schnüffelstaatlicher Befugnisse der Polizei führen. Nur der konkrete Verdacht der Vorbereitung oder Planung einer Straftat darf staatliche Überwachungsmaßnahmen auslösen. So wird das in Schleswig-Holstein auch bleiben. Die Schlagkraft unserer Polizei- und Sicherheitsbehörden ist auch ohne Wanzen im Ehebett gewährleistet. Eine Aufhebung der Privatsphäre nach dem Prinzip „Der Staat hört mit“ wird es mit uns nicht geben.

(Beifall bei SPD und FDP sowie vereinzelt bei der CDU)

Viertens. Mit derselben Grundposition - Sicherheit: ja, Schnüffelstaat: nein - unterstützen wir als SPDLandtagsfraktion generell den Gesetzentwurf der Landesregierung zur weiteren Verbesserung der Polizeiarbeit in Schleswig-Holstein. Unserer Polizei müssen für ihre verantwortungsvolle und gefährliche Arbeit auch zu ihrem eigenen Schutz alle verfügbaren rechtlichen und technischen Möglichkeiten an die Hand gegeben werden. Wer der Polizei unterstellt - auch das geschieht gelegentlich - sie könnte Eingriffsbefugnisse missbrauchen, diskriminiert den ganzen Berufsstand.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD], Jürgen Feddersen [CDU] und Man- fred Ritzek [CDU])

(Klaus-Peter Puls)

Das Land hat eine Garantiefunktion nicht nur für die Freiheit, sondern auch für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Die SPD-Landtagsfraktion garantiert, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte auch bei der Bekämpfung kapitaler organisierter Verbrechen und akuter terroristischer Gefahren gewahrt bleiben und dass alle rechtsstaatlichen Grenzen eingehalten werden. Das gilt auch und insbesondere für den Schutz persönlicher Daten und für das informationelle Selbstbestimmungsrecht.

Unsere Landespolizei schützt Sicherheit und Freiheit gleichermaßen. Wir als SPD-Fraktion werden dafür sorgen, dass dies auch künftig so bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Fünftens. Das Prinzip „Sicherheit schaffen, Datenschutz wahren“ muss auch gelten, wenn es um Bundesgesetze und die Umsetzung von EU-Richtlinien geht. Seit Mitte Dezember 2005 gibt es eine vom Europäischen Parlament mit nahezu Zweidrittelmehrheit beschlossene EU-Richtlinie, mit der die Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Bekämpfung schwerer und schwerster Kriminalitätsformen im europäischen Rahmen ermöglicht werden soll. Die Bundesrepublik Deutschland ist wie alle Mitgliedsstaaten der EU formalrechtlich verpflichtet, höher rangiges EU-Recht innerstaatlich umzusetzen.

Natürlich - so auch in diesem Fall - ist die Sammlung von Daten immer auch ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Da aber in der Diskussion über erweiterte Möglichkeiten der Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit immer wieder nur sehr allgemein bemüht wird, kann, so finde ich, nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass bei der erforderlichen Abwägung die Bedeutung eines unstreitigen Eingriffs in das Personaldatenselbstbestimmungsrecht ins Verhältnis gesetzt werden muss zur Bedeutung der nach wie vor ebenfalls unbestreitbar vorhanden weltweiten Bedrohung menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit durch internationalen Terrorismus und durch organisierte Kriminalität.

Wir wissen, dass Kriminalität vor nationalstaatlichen Grenzen nicht Halt macht, und wir meinen, dass deshalb für Europa insgesamt, aber auch darüber hinaus international vereinbarte, möglichst einheitliche Regelungen nicht nur zweckmäßig, sondern notwendig sind. Dem können und werden sich bei der Umsetzung von EU-Richtlinien sicherlich auch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nicht entziehen. Wir sind sicher, dass die Lan

desregierung ihren Beitrag dazu auf der Bundesebene leisten wird.

Sechstens. Die Innenministerkonferenz hat am 4. September 2006 neben Anti-Terror-Datei und optimierter Videoüberwachung ein drittes Ziel beschlossen, nämlich - so wörtlich - die Verbesserung des Ausländerrechts zur Gefahrenabwehr. Es mag ja richtig sein, auch das Ausländerrecht daraufhin zu überprüfen, ob und in welchem Umfang es zur Gefahrenabwehr überhaupt geeignet ist und genutzt werden kann. Für die SPD-Landtagsfraktion möchte ich allerdings auch bei dieser Gelegenheit davor warnen, Sicherheit und Zuwanderung gegeneinander auszuspielen.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sicherheitsgesetze sollen uns vor Terrorismus und Kriminalität schützen. Wir sollten die Sicherheitsdebatte nicht dazu missbrauchen, mit pauschalen ausländerfeindlichen Verdächtigungen Zuwanderung zu verhindern und Ausländergesetze zu verschärfen. Die Tatsache, dass nicht nur terroristische Aktivitäten, sondern auch Schleuser- und Drogenkriminalität, Menschen- und insbesondere Frauenhandel international sind und Schleswig-Holstein für verbrecherische Aktivitäten nicht nur als Transitsondern auch als Zielland benutzt und missbraucht wird, veranlasst uns als SPD-Landtagsfraktion jedenfalls nicht zu der pauschalen Schlussfolgerung, alle bei uns lebenden und zu uns kommenden Ausländer seien von Hause aus kriminell oder könnten es sein.

Überlegungen, Bleiberechtsregelungen und Integrationsbemühungen mit Rücksicht auf die schrecklichen Ereignisse in New York, Washington oder anderswo zurückzustellen, erteilen wir eine Absage.

Für islamistisch motivierte und orientierte terroristische Anschläge alle Muslime verantwortlich zu machen, ist unverantwortlich.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Wir wissen das Schicksal der zu uns kommenden und bei uns lebenden ausländischen Menschen bei unserer Landesregierung, speziell unserem Innenminister, in guten Händen.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Ich danke Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

(Klaus-Peter Puls)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke der Polizei in Schleswig-Holstein für die gute Arbeit bei der Festnahme des Täters. Ich begrüße auch die ausgewogene Rede des Innenministers. Das ändert nichts daran, dass wir bezüglich der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung und der neuen Polizeigesetzgebung in Schleswig-Holstein weiterhin erhebliche Differenzen haben. Ich hoffe, dass das, was der Innenminister hier als Generallinie dargestellt hat, auch in Zukunft die Linie bleiben wird und sich auch bei der Überarbeitung dieser Gesetze niederschlägt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die große Koalition in Berlin hat sich letzte Woche auf die Einrichtung von sogenannten Anti-TerrorDateien geeinigt. Gemäß den Regeln der Arithmetik einer großen Koalition gibt es nun so viele AntiTerror-Dateien wie Koalitionspartner. Nach der Logik der derzeit herrschenden Regierungsmeinung müssten wir damit auch doppelt so viel Sicherheit haben wie mit einer Datei.

Die Anti-Terror-Datei ist insofern exemplarisch für die Sicherheitspolitik der letzten Jahre. Ein Beispiel dafür, wie wenig Sinn und Nutzen von Maßnahmen immer wieder hinterfragt werden. Eine Evaluierung der Sicherheitsgesetze findet praktisch nicht statt. Ein Beispiel dafür war die Rasterfahndung in Schleswig-Holstein. Wir hatten sie in der letzten Legislaturperiode mit einer Frist versehen. Danach sollte eine Überprüfung stattfinden. Eine Überprüfung hat nicht stattgefunden. Stattdessen ist die Frist einfach aufgehoben worden.

Bei einer ehrlichen Bewertung der Rasterfahndung hätte sich nämlich gezeigt, dass sie 2002 enorme Kapazitäten der Polizei gebunden hat. Vielleicht wäre der Täter in Kiel unter diese Rasterung gefallen. Allerdings sind allein in Nordrhein-Westfalen 10.000 Menschen unter diese Rasterung gefallen. Sie mussten anschließend polizeilich überprüft werden. Das war ein ungeheurer Aufwand. Diese Kapazitäten haben der Polizei bei der konkreten Recherche von Verdächtigen und Spuren gefehlt.

(Werner Kalinka [CDU]: Nicht vielleicht, sondern sicher!)

Es gibt auch noch ein anderes Problem mit der Rasterfahndung. Eine Rasterfahndung kann nur dann Sinn machen, wenn es konkrete Hinweise gibt, wie das Bundesverfassungsgericht das jetzt auch festgestellt hat. Eine allgemeine Bedrohungslage reicht

nicht aus. Es muss konkrete Hinweise geben. Dazu braucht man konkrete Rasterprofile. Die gibt es nicht. Auch der Innenminister konnte auf Nachfrage keine konkreten Rasterprofile darstellen. Die bisherigen Rasterprofile sind: jung, männlich, Moslem, technischer Student und Vielreisetätigkeit. Das trifft auf Zehntausende von Menschen zu, setzt Zehntauschende von Menschen dem Verdacht aus, führt zu Überwachungen, zu Eingriffen von Polizei in Studentenheimen, führt zu Beunruhigung, aber nicht dazu, dass die Sicherheit erhöht wird. Insofern müssen diese Maßnahmen kritisch überprüft werden. Es reicht nicht aus, allgemeine Gefahrenlagen zu konstatieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Anti-Terror-Dateien sollen das Wissen von Polizei und Geheimdiensten miteinander verbinden. Diese Verbindung gibt es. Sie findet zurzeit in vertraulichen Gesprächen zwischen den jeweiligen Experten statt, die die nötigen Informationen austauschen. Was wir nicht wollen, ist, die verfassungsrechtliche Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufzuheben. Das begründet sich auch aus unseren historischen Erfahrungen mit Stasi und Gestapo.

Wir müssen aber auch die Arbeitsweise der Geheimdienste in Rechnung stellen. Ein Geheimdienst kann prinzipiell interessante Informationen gar nicht in Dateien einstellen. Täte er das, müsste er damit rechnen, dass andere darauf zugriffen und seine eigenen Informanten aufflögen. Das heißt, ein Verfassungsschutz wird gar keine interessanten Informationen in Dateien stellen. Insofern ist die Variante, die die CDU gefordert hat, unsinnig. Eine reine Indexdatei, wie sie übrigens von der SPD gefordert worden ist, hätte ausgereicht. Dann hätten wir eine vernünftige Lösung gehabt. Das wäre seit Jahren möglich gewesen. Das, was jetzt beschlossen worden ist, zwei Dateien nebeneinander zu führen, ist Koalitionslogik, aber fachlich, sicherheitspolitisch Unsinn.

Es besteht auch Handlungsbedarf bei der Kontrolle der Geheimdienste. Der Fall al Masri hat das deutlich gemacht.

Schon bei der Diskussion der Sicherheitsgesetze im Jahr 2002 wurde von der damaligen Vorsitzenden des Bundestagsinnenausschusses gefordert, einen Geheimschutzbeauftragten zu bestellen, der jederzeit die Möglichkeit hat, die Akten der Geheimdienste einzusehen und Überprüfungen vorzunehmen, damit wir, wenn wir die Möglichkeiten der Geheimdienste ausweiten, gleichzeitig die Möglichkeit haben, entsprechende Kontrollen durchzufüh

ren. Die heutigen Kontrollen, auch durch die parlamentarischen Ebenen, reichen nach unserer Auffassung nicht aus.

Zur Videoüberwachung. Die Videoüberwachung auf Bahnhöfen, in Flughäfen und Häfen ist Realität. Richtig ist, dass sie der Aufspürung von Tätern nutzt, genutzt hat und die Sicherheit an diesen Orten erhöht. Die entscheidende Diskussion geht nicht darum, ob es eine Sicherheitsüberprüfung geben soll, sondern ob sie zielgerichtet ist, sich auf den Bereich der kritischen Infrastruktur richtet. Außerdem müssen die Voraussetzungen im Einzelnen überprüft werden. Das heißt, das Parlament muss in jedem Fall in der Lage sein, die Videoüberwachung zu bewerten und zu verbessern. Formulierungen, wie sie im Regierungsentwurf zur Neufassung des § 184 Abs. 2 Landesverwaltungsgesetz stehen, nehmen der Legislative das Heft aus der Hand. Unklare Tatbestandsvoraussetzungen machen die Rechtsanwendung unvorhersehbar und sind mit dem Verfassungsgrundsatz der Normenklarheit nicht zu vereinbaren.

Wir müssen mit einer langfristig neuen Bedrohungslage leben. Dies erfordert nachhaltige Konzepte und Strategien.

Bei aller Kritik an den USA muss man feststellen, dass es dort neben der offiziellen Rhetorik eine ausgesprochen interessante Debatte und wissenschaftliche Forschung an den Universitäten zum Thema Terrorismus gibt. In Harvard hat eine Konferenz stattgefunden, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Frage nach den Ursachen des Terrorismus gestellt haben. Entscheidendes Ergebnis dieser Konferenz war: Es ist nicht Armut und Analphabetismus, die Terroristen hervorbringen. Terroristen sind in der Regel gut ausgebildete Menschen aus der Mittelschicht. Wie auch Herr Kubicki schon zitiert hat, die Erfahrung der Demütigung ist eine der entscheidenden Erfahrungen. Ein großes Problem ist auch die ökonomische Isolation von Staaten. Je mehr Kontakte zu anderen Ländern existieren, je mehr Kulturaustausch besteht, desto weniger bestehen die Probleme der Abkapselung und der Abgrenzung gegenüber der westlichen Zivilisation. Ein entscheidender Einfluss war die Außenpolitik der USA, die in den letzten Jahren dazu geführt hat, Terrorismus in enormer Weise zu befördern und denjenigen, die Argumente dafür suchen, diese Argumente zu liefern.

Zum Argument der Demütigung weise ich auf einen Artikel hin, den wir heute in den „Kieler Nachrichten“ lesen konnten „Abgewiesen: Endstation an der Disco-Tür“. Berichtet wurde über voll ausgebildete junge Männer, die voll integriert sind,