Protokoll der Sitzung vom 26.05.2005

Wir sind auch nicht von dem Modell der vier bis fünf Dienstleistungszentren in kommunaler Trägerschaft überzeugt. Ich glaube, auch hier sind unbedingt weitere Informationen erforderlich, wie diese Trägerschaft von den Kreisen im Einzelnen wahrgenommen werden muss. Für uns ist das im Prinzip nichts anderes als ein erster Schritt hin zu einer neuen Kreisaufteilung, dann eben mit vier oder fünf Kreisen. Das halten wir - wie schon gesagt - für nicht realisierbar.

Meine Damen und Herren, der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - so, wie er hier gestellt worden ist - ist sehr allgemein und zum jetzigen Zeitpunkt völlig unpassend. Selbstverständlich müssen auch die Fraktionen des Landtages und die kommunalen Landesverbände in die Diskussion mit eingebunden werden. Der Antrag vom SSW ist wesentlich konkreter. Wenn diese beiden Anträge jetzt an den Ausschuss überwiesen werden - ich komme sofort zum Schluss -, kann auch über ein Konzept beraten werden, wie die weiteren Beratungen durchgeführt werden sollen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Kollegen Hildebrand. - Das Wort für den SSW erhält Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Puls, ich hätte mir gewünscht, dass Sie unseren Antrag etwas genauer gelesen hätten. Denn wir haben einen ganz anderen Ansatz als die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Dennoch begrüßen wir die Initiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, weil damit natürlich buchstäblich der Finger in die Wunde gelegt wird. Wir wissen, dass der Reformbedarf groß ist - schon seit längerem. In der letzten Legislaturperiode haben wir dazu auch Anträge gestellt, weil wir der Meinung waren, dass sich die Landesregierung in dieser Hinsicht etwas zögerlich verhalten hat. Die neue Landesregierung hat erkannt, dass etwas geschehen muss.

Wir schlagen in unserem Antrag vor, dass die Arbeit der Landesregierung von einer Expertenkommission begleitet wird. Das ist unser Antrag. Wir sagen, die Experten und vorliegenden Expertisen sollten in diesen Reformprozess mit eingebunden werden. In Klammern bemerkt: Wir sagen in unseren Antrag, dass die Fraktionen bei dieser Arbeit vorerst nur einen Gaststatus haben sollten, denn wir wollen nicht, dass jetzt alles überall gleichzeitig beredet und zerredet wird. Niemand in diesem Haus - denke ich - hegt Zweifel daran, dass eine grundlegende Verwaltungsreform in Schleswig-Holstein überfällig ist.

Wie ich schon gesagt habe, hört damit aber auch unsere Gemeinsamkeit mit dem Vorstoß der Grünen auf. Denn je nach Standort - das gilt vielleicht auch für die anderen Fraktionen - wird der größte Bedarf bei einer Funktionalreform oder einer Finanzreform beziehungsweise einer Gebietsreform auf Kreisebene gesehen. Die Verantwortung wird demnach jeweils einem anderen Akteur zugeschrieben, ganz nach der Devise „Hannemann, geh’ du voran, du hast die größten Schuhe an“. Die Fragen sind also, wie aus diesen vielen Ansätzen eine stimmige Reform wird und wer diese Reform anführt.

Noch einmal: Es liegt auf der Hand, wer die Verantwortung trägt, nämlich das Land und die Landesregierung. Die Landesregierung ist gefordert, den gordi

(Anke Spoorendonk)

schen Knoten von Aufgaben -, Kosten- und Gebietszuständigkeiten zu durchschlagen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies muss so geschehen, dass im gesamten Land vergleichbar tragfähige und leistungsstarke Verwaltungseinheiten mit einer direkten demokratischen Legitimation entstehen. Diese Einheiten müssen dann den künftigen Aufgaben gerecht werden. Mehr oder weniger beispielhafte Insellösungen im Hamburger Randgebiet reichen bei weitem nicht aus. Schleswig-Holstein braucht eine mutige Verwaltungsreform aus einem Guss - und ich sage das bewusst -, einschließlich der Gemeindeebene.

Das Engagement der Bürger für die lokale Demokratie wird aus Sicht des SSW in erster Linie dadurch bestimmt, ob man auf der gemeindlichen Ebene selber entscheiden und gestalten kann, und nicht dadurch - um es noch einmal salopp zu formulieren -, wie viele Pöstchen ohne wirkliche Prokura zu verteilen sind. Hier unterscheiden wir uns deutlich von den Regierungsparteien.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme jetzt zu den Mängeln des Antrages der Grünen. Erstens bezieht er sich nur auf die Kreisebene und zweitens nennt er keine zeitlichen Endpunkte.

Der SSW spricht sich offen für eine umfassende Kommunalreform aus, die nicht den Aufgabenmikado zwischen Landesbehörden in das Zentrum rückt, sondern nachhaltig die Demokratie vor Ort stärkt. Die Gemeinden müssen unmittelbar mehr örtliche Aufgaben erhalten und mit einer entsprechenden Finanzautonomie ausgestattet werden.

Uns ist dabei bewusst - das verheimliche ich in der Öffentlichkeit auch nicht -, dass die Umsetzung dieses Zieles nur durch eine Gemeindegebietsreform geschehen kann. Da eine Aufgabenverlagerung in etwa gleichmäßig leistungsfähige Kommunen erforderlich ist, greift ein Verwaltungsreförmchen, das nur auf Freiwilligkeit setzt, zu kurz. Es wäre eine Illusion zu meinen, das Land hätte genug Mittel, der Freiwilligkeit von Amts- und Gemeindezusammenschlüssen mit entsprechenden „Hochzeitsprämien“ flächendeckend den nötigen Nachdruck zu verleihen.

Der SSW trägt mit seinem Änderungsantrag dem komplexen Verwaltungsreformbedarf in SchleswigHolstein Rechnung. Selbstverständlich müssen wir die Zeitschiene für ein solches Vorhaben besonders berücksichtigen. Bis zur Kommunalwahl 2008 muss die neue Struktur stehen, ansonsten hat die große

Koalition ihre Chance vertan, Schleswig-Holstein für das 21. Jahrhundert fit zu machen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. - Das Wort für die Landesregierung erhält Herr Innenminister Dr. Ralf Stegner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Fortentwicklung der Verwaltungsstrukturreform auf allen Ebenen Schleswig-Holsteins ist eines der zentralen Vorhaben der Landesregierung in der gerade begonnenen Legislaturperiode. Wenn ich diese Aufgabe mit aller Energie angehe, so weiß ich nicht nur die Zustimmung der ganzen Regierung auf meiner Seite - der Herr Ministerpräsident hat es gestern ausgeführt -, sondern insbesondere die des Kollegen Finanzminister. Denn jeder Euro, der in überflüssige Bürokratie fließt, fehlt uns bei den Investitionen in Bildung, in innere Sicherheit, in Arbeitsplätze und beim Schuldenabbau.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will es sehr deutlich sagen: Niemand muss Angst haben, gerade bei mir nicht. Eine große Koalition wird es sich nicht leisten können, an dieser wesentlichen Weichenstellung für unser Land zu scheitern oder gar schlechtere Ergebnisse abzuliefern, als das mit einer knapperen Mehrheit in diesem Hause möglich gewesen wäre. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

Erstens. Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein - ob Telekommunikation, ob Dienstleistung, ob produzierendes Gewerbe - ist auf eine professionelle, effiziente und effektive Verwaltung angewiesen, um Rahmenbedingungen dafür zu haben, dass Arbeitsplätze mit Erfolg geschaffen werden, dass neue entstehen und alte bewahrt werden können. Die Verwaltung ist Dienstleister im Sinne des Vorrangs für Arbeit und Wachstum.

Zweitens. Alle öffentlichen Leistungen werden von denselben Bürgerinnen und Bürgern finanziert. Für parteitaktischen Kleinkrieg, für kleinkarierten Zuständigkeitshickhack, auch für das Verteidigen alter Pfründe haben die Bürger kein Verständnis. Damit

(Minister Dr. Ralf Stegner)

verschwenden wir Ressourcen und bleiben unter unseren Möglichkeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Henning Höpp- ner [SPD] und Lars Harms [SSW])

Ich will ganz deutlich sagen: Das Ehrenamt muss gewahrt bleiben. Es findet übrigens im Wesentlichen auf der Gemeindeebene statt. Eine Gemeindegebietsreform ist überhaupt nicht unser Thema.

(Beifall bei der CDU)

Aber, was das Thema Verwaltung angeht - darüber reden wir -: Die Menschen hängen an ihrem Dorfkrug, sie hängen an ihrer Selbstständigkeit, an ihrer Freiwilligen Feuerwehr; sie hängen aber zum Beispiel nicht an der Frage, wer ihnen einen Stempel in den Pass macht, wer Bauanträge bearbeitet, wer Autos zulässt. Das kann man wirtschaftlicher und besser machen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verwaltung ist kein Selbstzweck. Die Verwaltung dient den Bürgern und nicht umgekehrt. Wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern deswegen schuldig, so professionell, wirtschaftlich und bürgernah wie möglich zu arbeiten.

Das sind die Kriterien, die anzulegen sind, übrigens auf jeder Ebene. Das heißt, wir brauchen eine leistungsfähige Verwaltung, die die Bedürfnisse der Bürger anerkennt, die der Wirtschaft anerkennt, zum Ausgleich bringt, und eine Verwaltung, die die Voraussetzungen für eine dann auch erfolgreichere Arbeitsmarktpolitik schafft.

Hierzu benötigen wir vor allen Dingen Strukturen, die Prozesse beschleunigen und Kosten senken. Wir werden alle Einsparpotenziale - zum Beispiel durch EGovernment, also moderne elektronische Verwaltung - auf allen Ebenen nutzen. Nur so können wir auf Dauer im europaweiten Wettbewerb der Regionen bestehen und auch dem demographischen Wandel begegnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mögen wir manchmal darüber klagen, dass die Entscheidungen in Berlin oder in Brüssel oder mit Bundesratsmehrheit getroffen werden - hier gilt dies nicht. Unsere Verwaltung im Land, in den Kreisen und Ämtern ist etwas, was wir selbst beeinflussen können, worüber wir selbst entscheiden können und wofür wir übrigens auch selbst die Verantwortung zu tragen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD])

Der Weg dahin ist nicht leicht. Ich sage allerdings in Richtung der Grünen: Wir müssen es uns aber auch nicht unnötig schwer machen. Wir haben kein Erkenntnisdefizit. Wir brauchen keine Diskussionsprozesse von Anfang an. Wir müssen nicht bei null anfangen. Wir haben Beteiligungsverfahren.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Jürgen Feddersen [CDU])

Ich bin im Übrigen auch ein Anhänger davon, dass jeder das tut, wofür er da ist. Das ist jetzt Aufgabe der Exekutive. Wir sollten das Prinzip der Gewaltenteilung nicht auf den Kopf stellen. Am Ende muss dieses Parlament entscheiden und wird es auch tun.

Ich sage auch: Das, was Anke Spoorendonk gesagt hat, finde ich insoweit bedenkenswert, als man natürlich externen Rat einbezieht. Aber an manchen Experten kann man, wenn sie sich äußern, ganz genau sehen, wer das gerade bezahlt hat. Gelegentlich kommen einem die Tränen, wenn man hört, wie wunderbar diese eine Struktur doch ist und alle anderen taugen nichts. Ich habe das selbst schon bei verschiedenen kommunalen Vertretungen gehört. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen Kriterien, die auf allen Ebenen gelten. Dafür kann man sich Sachverstand holen. Die Zeit darf aber nicht vertrödelt werden.

Die Reform der Verwaltungsstrukturen ist ein großes Vorhaben. Alle Akteure, Gemeinden, Ämter, Kreise, Landtag und Landesregierung, müssen hier an einem Strang ziehen. Die Reformen dürfen weder einseitig zulasten der Kommunen gehen noch zulasten des Landes.

Im nächsten halben Jahr werde ich in allen Kreisen und kreisfreien Städten Gespräche führen. Ich bin davon überzeugt, dass Lösungen möglich sind, die alle Beteiligten mit tragen können.

Es geht darum, Grundsätze zu entwickeln, die für eine professionelle, wirtschaftliche und bürgernahe Verwaltung auf allen Ebenen gelten können und an denen sich dann mit Pragmatismus und auch mit Flexibilität konkrete Lösungsmodelle zu orientieren haben. Weder das Prinzip „Es muss alles so bleiben, wie es ist“ noch der interessengeleitete Egozentrismus einzelner Beteiligter kann akzeptiert werden.

Ich will auch sagen: Es sind nur Lösungen akzeptabel, die für das gesamte Land vernünftig sind.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Die Landesregierung ist eine Regierung für das gesamte Land. Sie wird nicht die vermeintlichen Interessen einer Region über die Entwicklungsperspektiven für das gesamte Land stellen. - Das heißt nicht, dass wir auf Vielfalt verzichten könnten. Natürlich herrschen nördlich des Kanals andere Bedingungen als in der Metropolregion, sind Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Verkehrsinfrastruktur unterschiedlich und man muss nicht alles einheitlich machen. Ich sage aber auch - insofern wäre ich sehr gelassen -: Ich finde die Debatte, die momentan im Süden geführt wird, ganz nützlich. Das hält den Druck auf dem Kessel.

Am Ende wird es nicht so kommen, wie sich das der eine oder andere vorstellt, denn nicht eine Bezirksregierung oder ein Landkreis entscheidet, sondern entscheiden wird dieses Parlament auf Vorschläge der Landesregierung hin. Ich finde es auch deswegen nützlich, weil die anderen, die diese Diskussion führen, ja nur wollen, dass sich nichts ändert. Dies wird nicht möglich sein.