Dass dies ein mühsamer Prozess ist, wird schon allein dadurch deutlich, dass bereits seit über einem Jahr in Schleswig-Holstein um eine solche Vereinbarung gerungen wird. Denn durch eine vertragliche Lösung zwischen den Trägern könnten gerade die Interpretationsspielräume durch gemeinsam verabredete Vorgaben gelöst werden. Unstimmigkeiten würden dann nicht auf dem Rücken der Betroffenen, sondern im Innenverhältnis zwischen den Leistungserbringern geklärt. Es ist mir - ehrlich gesagt - ziemlich egal, ob die Leistungserbringer im Konflikt zueinander stehen, wenn die Betroffenen, nämlich die Kinder und deren Eltern, in Zukunft nicht mehr darunter zu leiden hätten.
Wir wären dem Ziel einen ganzen Schritt weitergekommen, Komplexleistungen aus einer Hand anbieten zu können.
Dass eine solche Rahmenempfehlung natürlich nicht alle Probleme lösen kann, haben bereits andere Bundesländer feststellen müssen, bei denen eine solche Rahmenempfehlung existiert. Gerade, wenn es darum geht, bei klar abgegrenzten Zuständigkeiten ein Paket von verschiedenen Hilfsangeboten zu schnüren, tun sich einige Kostenträger bedauerlicherweise nach wie vor schwer. Doch genau das ist die Aufgabe der Landesregierung, hier entsprechend auf die Vertragspartner einzuwirken. Sie
können sicher sein, dass Sie bei diesem Einwirken die volle Unterstützung des ganzen Parlaments, jedenfalls unserer Fraktion haben.
Es rächt es sich aus unserer Sicht, dass es in Schleswig-Holstein bis heute kein behindertenpolitisches Gesamtkonzept gibt, in dem wir eine solche Rahmenempfehlung als integralen Bestandteil gern gesehen hätten. Ein solcher roter Faden könnte allen Beteiligten - den Menschen mit Behinderung, Einrichtungen und Trägern - die langfristige Planung erleichtern und würde Verhandlungen zu einer Landesrahmenempfehlung vielleicht sogar noch etwas beschleunigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich freue mich auf die Ausschussberatungen. Der Kollegin Heinold, die die Daten von den Kreisen und kreisfreien Städten erwartet und dabei auf die volle Unterstützung des Hauses baut, kann ich sagen: Unsere Unterstützung haben Sie auf jeden Fall.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat Herr Abgeordneter Lars Harms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei fast allen Formen der Behinderungen gilt das Gebot der möglichst frühzeitigen Diagnostik. Wissen die Eltern um die Einschränkungen, den Verlauf, aber auch um die Fördermöglichkeiten, führt das zur erheblichen Entspannung im familiären Alltag. Ich denke da nur an die Diagnose Hyperaktivität, die es Eltern ermöglicht, nicht länger den unzureichenden Charakter für die gefühlten Störungen im Familienbetrieb als Auslöser zu sehen, sondern ein medizinisch behandelbares Syndrom.
In der besten aller Welten werden Behinderungen und Beeinträchtigungen möglichst frühzeitig erkannt. Fördermöglichkeiten werden in ein einheitliches Konzept eingepasst, das Eltern, Geschwister und nicht zuletzt das betroffene Kind selbst vor unliebsamen Überraschungen schützt. Diese Idealvorstellung der Förderung aus einer Hand, die passgenau auf die Bedürfnisse des Einzelfalls abgestimmt ist, sollte das Ziel der Frühförderung sein. Die Realität sieht allerdings völlig anders aus.
Der Landkreis Nordfriesland hat im Februar dieses Jahres zu einem Workshop „Frühe Förderung“ ins Kreishaus geladen. Die insgesamt 192 Teilnehmer
wurden gebeten, ihre Wünsche und Forderungen in einem Satz schriftlich festzuhalten. Allein schon die große Zahl der Teilnehmer legt die Vermutung nahe, dass das Angebot in Nordfriesland sehr weit verzweigt ist. Nur die wenigsten Teilnehmer beschäftigten sich ausschließlich mit der Frühförderung. Für Physiotherapeuten oder Erzieherinnen stellt sie zwar einen wichtigen Baustein ihrer Arbeit dar, ist aber eben nur ein Teil.
Die überwiegende Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fordert eine bessere Verzahnung der Angebote ein. Die genauen Angebote kann jeder Interessierte im Protokoll nachlesen, das im Internet veröffentlicht wurde. Abbau von Kompetenzgerangel, Einbindung der Eltern, mehr Zeit für Kooperation mit anderen Einrichtungen - das sind nur einige der Forderungen der nordfriesischen Fachleute. Keineswegs handelt es sich hier um einen Einzelfall. Ich vermute, dass ähnliche Veranstaltungen in anderen Kreisen ähnlich aussehen.
Es gibt in keinem Landkreis eine Anlaufstelle, kein Amt für Frühförderung. Stattdessen werden alle Betroffenen an mindestens drei oder vier Stellen verwiesen. Dort werden die Syndrome der Behinderung institutionengerecht klein gehackt und nach Kostenaspekten ausgerichtet. Das führt gerade bei komplexen Problemfällen zur Verschärfung des Problems.
Die Landesregierung führt wider besseres Wissen aus, dass behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder in den Frühförderstellen „alle notwendigen und erforderlichen Hilfen und Leistungen“ erhalten. Es fallen aber immer wieder Betroffene durch das Kompetenznetz der unterschiedlichen Kostenträger und Professionen. Die Landesregierung weiß um diese Probleme und schreibt im Bericht „Früher wahrnehmen - schneller Handeln besser kooperieren - zum Wohle unserer Kinder“, den wir gerade eben behandelt haben, ausdrücklich, dass die Frühförderstellen nicht interdisziplinär ausgerichtet sind.
Zum anderen haben es neue Therapieansätze in diesem System besonders schwer, sich durchzusetzen. Ein Beispiel unter vielen sind Deckenliftsysteme, die seit einigen Jahren auch für Privatleute angeboten werden. Diese Lifter unterstützen Eltern von Kindern, die ständig gehoben werden müssen. Deckenlifter schaffen es zwar in den Hilfsmittelkatalog, aber trotzdem kaum in die betroffenen Haushalte. Es fehlen sowohl Aufklärung als auch Bereitschaft der Krankenkassen, den Umbau zu finanzieren, obwohl sie dadurch erheblich sparen könnten.
Von einer Bereitstellung aller Hilfen kann also keineswegs die Rede sein. Die Ministerin räumt selbst ein, dass Komplexleistungen auf Schwierigkeiten stoßen. Integrierte Angebote mit der Beteiligung mehrerer Kostenträger werden nicht im gewünschten Maße erbracht und selbst bei einfachen Maßnahmen gibt es Schwierigkeiten. Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein weist auf die Folgen der Obergrenzen hin. Ärzte müssen die jeweiligen Einzeldiagnosen jetzt bestimmten Diagnosegruppen zuordnen, für die verbindliche Vorgaben bezüglich der maximalen Anzahl der Heilmittelanwendungen einzuhalten sind.
Im Klartext heißt dies: Bei Logopädie und Ergotherapie werden maximal zehn Behandlungen auf einmal verschrieben. Wenn eine bestimmte Obergrenze erreicht ist, muss der Patient in der Regel zwölf Wochen pausieren, bevor der Arzt wieder neue Therapien verordnen kann. Die Eltern werden durch dieses Verfahren zu Bittstellern degradiert, die sich überaus komplizierten Antragsverfahren ausgesetzt sehen. Durch die Behinderung des eigenen Kindes belastet, geben nicht wenige auf dem langen Weg durch den Zuständigkeitsdschungel auf. Andere kapitulieren schon viel früher.
Das Gesagte gilt ausschließlich für Familien, deren Kind in der Familie verbleibt. Leben Kinder dagegen in einer Einrichtung, werden dort nicht nur alle Hilfen aus einer Hand erbracht, auch die Frage nach der Kostenträgerschaft stellt sich nicht mit jeder neuen Förderungsmaßnahme.
Wir haben es beim Thema Frühförderung also mit zwei Problemfeldern zu tun: der unzureichenden Vernetzung von Einrichtungen, Kostenträgern und Angeboten und der Elternferne der Frühförderung. Beide Komplexe streift der Bericht, ohne Abhilfe zu versprechen. Die Frühförderung ist ein gewachsenes System. Dafür spricht überdeutlich die Tatsache, dass weder Krankenkassen noch Kommunen genau die Höhe der Kosten für die Frühförderung beziffern können.
Was tun? - Der SSW unterstützt ausdrücklich alle Bemühungen der Landesregierung um das Zustandekommen einer neuen Rahmenvereinbarung. Dass alle Träger sich zusammensetzen und verbindliche Verfahren vereinbaren, begrüßen wir ausdrücklich. Ziel dieser Verhandlungen sollte aber eindeutig die Verbesserung der Situation von Kindern und Eltern sein. Hierbei sollte das Ziel „Alles aus einer Hand“ nicht aus den Augen verloren werden. Frau Ministerin, hierbei unterstützen wir Sie ausdrücklich!
Ich danke Herrn Abgeordneten Harms. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Wer den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/928, an den Sozialausschuss überweisen will, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.
Ich mache eine geschäftsleitende Bemerkung: Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf geeinigt, dass die Behandlung des Tagesordnungspunktes 41 ohne Aussprache erfolgt.
Eine Aussprache ist nicht gewünscht. Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Wer den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/943, zur abschließenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss überweisen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Danke, dann ist -
- Entschuldigung! Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist das mit der Gegenstimme des Landtagspräsidenten Martin Kayenburg trotzdem so geschehen.
a) Ambulante Betreuung, ambulante Pflege „Selbstständig leben und wohnen bei Pflege und Betreuungsbedarf“
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Schleswig-Holstein die ambulante Pflege voranzubringen, ist Ziel der großen Koalition. Dafür gibt es auch gute Gründe: Erstens. In Schleswig-Holstein leben circa 46.000 Menschen, die zu Hause gepflegt werden. Zwei Drittel von ihnen werden allein von Angehörigen oder von Nahestehenden gepflegt. Man kann sich vorstellen, dass die Belastungen zum Teil gewaltig sind. Zweitens. Die Familienstrukturen verändern sich. Private Leistungen müssen zunehmend durch professionelle Dienste wahrgenommen werden. Drittens. Immer mehr Menschen werden pflegebedürftig, aber immer weniger wollen in ein Heim. Vor diesem Hintergrund müssen wir die ambulante Pflege deutlich voranbringen.
Deshalb gibt es seitens der Landesregierung einen breiten Handlungskatalog, der von Programmen wie „pflege plus“ über die „aktion ambulant“ bis hin zu einer neuen Kooperation zwischen Seniorenpolitik und Wohnungsbaugesellschaften reicht. Man kann - schlicht gesagt - nicht genug tun, um dieses Ziel tatsächlich voranzutreiben. Der vorgelegte Bericht gibt dazu differenziert Auskunft. Deshalb konzentriere ich mich auf einige neue Aspekte. Dies tue ich nicht ohne vorwegzuschieben, dass ich mit Entsetzen festgestellt habe, dass der Sozialausschuss im Kreis Lauenburg beschlossen hat, die unabhängige Pflegeberatungsstelle nicht weiter finanzieren zu wollen. Ich sage ausdrücklich, dies liegt nicht an der Landesregierung und es liegt nicht am Landtag, denn die dafür erforderlichen Mittel stehen zur Verfügung.
Wir werden in Kürze eine Koordinierungs- und Beratungsstelle für innovative Wohn- und Betreuungsformen für ältere Menschen mit Pflegeund Betreuungsbedarf einrichten. Standort soll Neumünster sein. Das Projekt - kurz KIWA - hat zum Ziel, gemeinsam mit den Verantwortlichen in der Pflege-Infrastruktur in Schleswig-Holstein für Menschen mit wachsendem Unterstützungs-, Hilfe und Hilfebedarf - ihren Wünschen entsprechend alternative Wohn- und Pflegeformen weiterzuentwickeln oder zu initiieren. Dabei schließen wir ausdrücklich den Personenkreis der demenzerkrankten Menschen mit ein.
KIWA wird sowohl für die ambulanten Dienste als auch für die stationären Pflegeeinrichtungen - und zwar unterschiedlicher Trägerschaft - bei der Ent
wicklung von innovativen Wohnformen unterstützend tätig sein. Diese Stelle wird auch Anlaufstelle für Menschen, die sich darüber informieren wollen, was es bereits in Schleswig-Holstein gibt, was in Planung ist und was sie selbst tun können, um diese Entwicklung voranzutreiben. KIWA wird zum Beispiel auch als Bindeglied zwischen interessierten Menschen, den Kommunen, Wohnungsbauunternehmen und Trägerverbänden das Know-how Schleswig-Holsteins bündeln und in den verschiedensten Bereichen Beratung und Koordinierung anbieten. Wir wissen aufgrund des Bedarfs, dass es darum geht, rechtliche Fragestellungen sowie, inhaltliche und konzeptionelle Fragestellungen - zum Beispiel Qualitätskriterien oder Größe und Rechtsform von innovativen Wohnformen - zu klären. Es gibt finanzielle Fragestellungen wie zum Beispiel: Wie finanziert sich eine solche alternative Wohneinrichtung? Wie ist es mit Leistungskomplexen? Wie ist es mit Pauschalbeträgen und wie ist es mit der Finanzierung über Budgets? Hier gibt es noch vieles mehr. KIWA soll auch beim Aufbau der Netzwerke für solche Projekte begleitend zur Seite stehen.
Hier schließt sich ein Bogen, denn dabei wird auch die Verzahnung mit den Pflegeberatungsstellen eine wichtige Rolle spielen. KIWA soll nicht die Arbeit der Pflegeberatungsstellen machen, sondern von dort aus die Informationen und den Bedarf aufnehmen und regionalspezifisch weiterentwickeln.