Ich danke der Abgeordneten Heinold. - Für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordneten Heike Franzen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund 5 % der Kinder in Schleswig-Holstein haben eine Behinderung oder sind von einer Behinderung bedroht.
Um die Auswirkungen möglichst abzumildern oder aber Behinderungen abzuwenden, sind insbesondere die ersten Lebensjahre eines Kindes ausschlagge
bend. Forschungen haben ergeben, dass gerade in den ersten Lebensjahren viel für diese Kinder in ihrer Entwicklung und für ihre Lebensqualität erreicht werden kann. Der Bundesgesetzgeber hat dazu einen Anspruch auf Frühförderung im SGB IX festgeschrieben.
Er umfasst Maßnahmen in den Bereichen Frühdiagnostik, Frühtherapie und Frühberatung. Durch die individuell auf den Einzelnen abgestimmten Maßnahmen der Frühförderung soll es den Kindern ermöglicht werden, in ihrer Entwicklung so gefördert zu werden, dass sie ihre Anlagen und Fähigkeiten entfalten und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.
Die Frühförderung ist ein wichtiger Baustein unserer Politik, der sich im Kinder- und Jugend-Aktionsplan und auch im Bericht der Landesregierung „Früher wahrnehmen - schneller handeln - besser kooperieren - zum Wohle unserer Kinder“ wiederfindet.
Frühförderung muss als Komplexleistung erbracht werden. Dazu gehören die Kontaktaufnahme zu den Eltern und Kindern, Information, Beratung und Begleitung der Eltern ebenso wie die medizinische, pädagogische, psychologische und soziale Diagnostik und die damit verbundene pädagogische, psychologische und medizinische Förderung des Kindes.
Den Eltern und deren Kindern muss im Sinne der bestmöglichen Entwicklung der Kinder schnell und umfassend Hilfe zuteilwerden. Dabei muss das Kind mit seinem sozialen Umfeld und seinem Förderbedarf im Mittelpunkt stehen. Diese Aufgaben sollen die interdisziplinären Frühförderstellen übernehmen.
Damit bleibt es den Eltern erspart, sich mühevoll und meistens zeit- und nervenaufreibend um einzelne Teilleistungen zu bemühen. Die Fachkompetenz der Förderstellen unterstützt die Eltern, sich in der Vielfalt der therapeutischen Angebote zu orientieren, und trägt dazu bei, dass die einzelnen Maßnahmen der Förderung aufeinander abgestimmt sind und somit auch eine effektive Hilfeplanung und Leistungserbringung sichergestellt ist.
Trotz der unterschiedlichen finanziellen Zuständigkeiten der Krankenkassen und der Sozialhilfeträger muss die Leistung aus einer Hand über die interdisziplinäre Frühförderstelle erbracht werden.
An dieser Stelle kommt es dann so, wie es immer kommen muss: Wenn unterschiedliche Leistungserbringer zusammenarbeiten sollen, werden sie sich nicht einig; das gilt bundesweit.
Daher hat der Gesetzgeber die verschiedenen Rehabilitationsträger verpflichtet, gemeinsame Empfehlungen zu vereinbaren. Sie sollen regeln, wie - erstens - die Leistungen im Einzelnen abgegrenzt werden, wie - zweitens - die Übernahme der Kosten erfolgt und wie - drittens - die Entgelte vereinbart und abgerechnet werden.
Dass sich die Verhandlungen über diese Empfehlungen hinziehen würden, war von vorneherein abzusehen. Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf.
Dennoch kann man dem Bericht entnehmen, dass die Landesregierung seit August 2005 - und das begrüße ich außerordentlich, Frau Ministerin - die Reha-Träger in Schleswig-Holstein bei den Verhandlungen unterstützt und bereits in weiten Teilen Einvernehmen erzielt worden ist.
Ungeklärt ist allerdings nach wie vor die Frage der Finanzierung der Komplexleistung. Hier appelliert die CDU-Fraktion an alle Beteiligten, im Sinne der betroffenen Kinder jetzt endlich zügig zu einer Einigung zu kommen.
Derzeit werden teilweise Frühfördermaßnahmen für einen Zeitraum von lediglich einem halben Jahr befristet und müssen dann neu beantragt werden, und zwar unabhängig davon, ob bereits abzusehen ist, dass sich eine Förderung über einen längern Zeitraum erstrecken muss, um den gewünschten Erfolg zu haben. Das führt zu einer Verunsicherung insbesondere der Eltern und diese ist nicht länger hinnehmbar.
Obwohl mir bewusst ist, dass wir die Kommunen im personellen Bereich stark strapazieren, sind die Eckwerte aus den Kreisen und kreisfreien Städten zur Situation der Frühförderung in unserem Land und für unsere Arbeit wichtig. Letztlich dienen diese Daten auch einer Optimierung der Situation vor Ort. Ich würde mich darüber freuen, wenn wir sie erhalten und darüber gemeinsam im Sozialausschuss beraten könnten.
Ich danke der Abgeordneten Franzen. - Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede zunächst definieren, was unter Frühförderung im Kontext des uns vorliegenden Berichts der Landesregierung zu verstehen ist.
Nach der gesetzlichen Definition des SGB IX wird darunter sowohl Früherkennung als auch Frühförderung verstanden. Die Leistungssysteme des SGB V, die gesetzliche Krankenversicherung, und des SGB XII, die Eingliederungshilfe, sind betroffen und sollen zusammenwirken. Das zeigt das Problem an sich schon auf.
Wir haben weiter zu berücksichtigen, dass die zu erbringenden Leistungen entweder als Komplexleistung oder auch als ambulante Leistungen für die behinderten oder von Behinderung bedrohten Kinder erbracht werden können. Schon in dieser kurzen Darstellung wird deutlich, dass an dem Leistungskomplex Frühförderung verschiedene Leistungserbringer, verschiedene Kostenträger beteiligt sind.
Im Bericht wird dargestellt, dass im Jahr 2004 in Schleswig-Holstein mehr als 2.800 unter siebenjährige Kinder heilpädagogisch betreut wurden. Wenn wir einmal der Vereinfachung wegen davon ausgehen, dass jährlich etwa 400 Kinder geboren werden, die behindert oder von Behinderung bedroht sind, heißt das, dass jedes Jahr die Eltern von 400 Kindern häufig erst nach der Geburt mit einer Situation konfrontiert sind, auf die sie sich nicht haben vorbereiten können. Ihr Kind bedarf einer zusätzlichen, besonderen Förderung.
In dieser Situation sind Eltern zum Wohl ihrer Kinder auf kompetente Beratung und Unterstützung angewiesen. Deshalb wurde die Idee der Förderung „aus einer Hand“ entwickelt: Information über und Angebot von Frühfördermaßnahmen unter Hintanstellung einer vorrangigen Klärung der Frage, welcher Leistungsträger die Finanzierung welcher Teilleistung zu erbringen hat.
Nachdem auf Bundesebene die Bemühungen um eine einvernehmliche Regelung gescheitert waren, weil die unterschiedlichen Interessen der Krankenversicherungen und der Sozialhilfeträger nicht in Einklang zu bringen waren, hat das Bundesministerium für Gesundheit und Sozialordnung mit Wirkung zum 1. Juli 2003 die „Verordnung zur Früher
kennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder“ - kurz Frühförderungsverordnung - erlassen.
Auch diese Verordnung führte nicht dazu, dass offene Fragen und bestehende Konflikte geklärt oder gar gelöst wurden. Einzelne Fragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Komplexleistung Frühförderung wurden deshalb Absprachen auf Landesebene überlassen; meine Vorrednerinnen wiesen darauf hin.
Die Frühförderung ist für die Kreise und kreisfreien Städte in Schleswig-Holstein ein Aufgabenbereich, dem sie sich schon seit Jahren widmen. Es gibt circa 60 Frühförderstellen, die überwiegend als heilpädagogische Einrichtungen konzipiert sind. Zusammenarbeit mit anderen Institutionen erfolgt häufig lediglich auf informeller Ebene. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Kreise und kreisfreien Städte bei der Gewährung von Leistungen zur Frühförderung unterschiedlich handeln.
Um zu einer landesweit guten und miteinander verzahnten Palette von Angeboten für Frühfördermaßnahmen zu gelangen, ist es deshalb für meine Fraktion dringend erforderlich, dass die Rehabilitationsträger zu einer Kooperationsvereinbarung kommen. Deshalb begrüße ich es, dass sich die gesetzlichen Krankenkassen zu einer quotalen Mitfinanzierung der Komplexleistungen Frühförderung bereit erklärt haben. Das ist ein erster wichtiger Schritt. Diese Entscheidung bringt uns im Land weiter.
Wir müssen die vorhandene Infrastruktur zu integrierten und interdisziplinär arbeitenden Frühförderstellen weiterentwickeln. Stationäre und ambulante Angebote haben für uns ihren jeweils eigenen Stellenwert, der sich nach dem Bedarf des jeweils betroffenen Kindes richtet. Um es klar zu formulieren: Ambulante Angebote der Frühförderung sind nicht als Sparkasse für die jeweils zuständigen Leistungserbringer zu betrachten.
Unser Ziel: Behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder sind so zu fördern und ebenso wie ihre Eltern zu unterstützen, dass ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird und sie ihre jeweiligen Fähigkeiten bestmöglich entwickeln können.
Meine Vorrednerinnen haben es schon angesprochen: Es gibt Beratungsbedarf im Ausschuss. Auch ich gehe davon aus, dass uns die kreisfreien Städte die erforderlichen Daten werden zur Verfügung stellen müssen.
Das hat nichts mit Bürokratie zu tun, sondern es ist die Grundlage für eine sachgerechte Weiterentwicklung des Themenkomplexes Frühförderung. Lassen Sie mich schließen mit den Worten: Am Engagement der Parlamentarierinnen und Parlamentarier wird es nicht mangeln.
Ich danke der Frau Abgeordneten Tenor-Alschausky. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit dem Inkrafttreten des SGB IX am 1. Juli 2001 werden Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung, schulvorbereitende Maßnahmen der Schulträger sowie heilpädagogische Leistungen als sogenannte Komplexleistungen erbracht. Das haben die Vorrednerinnen schon dargestellt. Durch dieses gewünschte Zusammenspiel der verschiedenen Leistungsträger soll den betroffenen Kindern und Jugendlichen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohten Kindern sehr früh eine adäquate Förderung zuteil werden. Die Eltern von Kindern mit Behinderung können deshalb zu Recht eine umfassende und ortsnahe Beratung erwarten.
Das Zusammenspiel zwischen ärztlichen, medizinisch-therapeutischen, psychologischen, pädagogischen, heilpädagogischen und psychosozialen Maßnahmen ist dabei mehr als komplex. Gerade dann, wenn Kinder mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Kinder individuell gefördert werden sollen, brauchen Eltern die Beratung aus einer Hand.
Eltern eines körperlich behinderten Dreijährigen beispielsweise, der eine logopädische Förderung braucht, ist es in der Regel ziemlich egal, welcher Träger welche Leistungen erbringt. Aber genau hieran scheitert oft das politisch Gewollte, nämlich an der praktischen Umsetzung in der Realität, und die Probleme sind leider allzu oft hausgemacht: Unklare Formulierungen des SGB IX tragen erheblich dazu bei, dass bereits die gesetzliche Grundlage den Betroffenen unnötige Hürden in den Weg stellen.
Denn diese Formulierungen geben den Rehabilitationsträgern einen weiten Interpretationsspielraum über Art und Umfang der Leistungserbringung. Dieser Interpretationsspielraum konnte auch durch die Frühförderungsverordnung des Bundes nicht in
allen Bereichen weiter eingegrenzt werden. Vielmehr wurde erst gar nicht versucht, das Problem auf Bundesebene zu lösen, sondern man hat es einfach an die zuständigen Rehabilitationsträger auf Landesebene weitergereicht.
Für die Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung bedeutet dies in vielen Fällen, dass sie keine Komplexleistung aus einer Hand erhalten, sondern vor einem komplexen System stehen, das ihnen keine adäquate Hilfe bietet - und das nur, weil Spielräume bei Entscheidungen nicht ausgelotet werden und die Frage nicht vollständig geklärt ist, wie die Kosten hierfür zwischen den Trägern aufgeteilt werden sollen.
Eine Chance böte hier die Einführung einer Landesrahmenempfehlung zur Konkretisierung der Anforderungen. Wenn absehbar ist, dass auf Bundesebene keine Verbesserung der Gesetzesgrundlage vorgenommen wird und das Problem auf Landesebene durchgereicht worden ist, dann sollten wir auf Landesebene aktiv werden, um eine Lösung zu erreichen. Ich erkenne deshalb ausdrücklich die Bemühungen auf Landesebene an, auf den Abschluss einer solchen Landesrahmenempfehlung hinzuwirken.