Protokoll der Sitzung vom 30.11.2006

stein in vielen Bereichen noch ein ganzes Stück entfernt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einigen Kreisen - ich erinnere an die Diskussion im Sozialausschuss - ist noch nicht einmal der Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren bekannt.

Auch bei uns haben Kommunen und freie Träger diesen Gedanken zwar aufgegriffen und angefangen, Kindertagesstätten zu sogenannten Nachbarschaftszentren weiterzuentwickeln, aber an dieser Stelle stehen zu bleiben, hielte ich für fatal, fände ich auch schade, weil eine bestimmte intelligente Entwicklung gestoppt würde. Eine Kommune, die die Möglichkeiten rechtzeitig nutzt, die ihr bereits heute das Kindertagesstättengesetz bietet, wird künftig einen Standortvorteil gegenüber anderen Kommunen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde auch die Idee der sogenannten Mehrgenerationenhäuser, die man weiterspinnen kann, in diesem Zusammenhang ausgesprochen interessant.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, was ich nicht verstehen kann, ist das ewig selbe Ritual, wenn eine Oppositionsfraktion diesmal BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - mit einem Vorschlag kommt, der pragmatisch ist, der Hand und Fuß hat, der Erfahrungen aus anderen Bundesländern mitbringt. Insofern kann überhaupt keine Rede davon sein, irgendetwas neu erfinden zu wollen. Wenn es einen solchen Vorschlag gibt, der eine ausgezeichnete Diskussionsgrundlage im Ausschuss bietet,

(Wolfgang Baasch [SPD]: Wir wollen einen Bericht!)

flattert in allerletzter Minute

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Herr Kollege Baasch, es wäre freundlich, wenn Sie mir einfach einmal zuhörten -, aus welchem Grund auch immer, ein schnell zusammengeschriebener Antrag - meist behilft man sich mit einem Berichtsantrag - hinterher. Ich kann es wirklich nicht verstehen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Dr. Heiner Garg)

Den Wissensdurst des Einzelnen will ich ungern abwürgen. Insofern sollen Sie Ihren Bericht haben, wenn Sie ihn unbedingt wollen. Aber dass eine Koalition, die über 59 Abgeordnete verfügt und eine wirklich breite Mehrheit hat, nicht imstande ist, einen sinnvollen Oppositionsvorschlag aufzugreifen und ihn im Zweifel umzusetzen, ein Konzept erarbeiten zu lassen, wie wir in der Sache weiterkommen, will mir wirklich nicht in den Kopf. Ich finde, das können Sie sich in Zukunft schenken.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Baasch [SPD]: Das werden wir beim nächsten Berichtsantrag auch einmal erzählen!)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat es im Sommer auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:

„Die Kitas sollen uns aus Integrationskrise, demografischer Katastrophe und Schulmisere retten, das Wertevakuum füllen und Fundament des Bildungssystems werden.“

Dass diese Fülle von Aufgaben nicht allein von den Kitas gelöst werden kann, ist eigentlich jedem klar. Doch PISA-Schock und nicht zuletzt Pressemeldungen über misshandelte Kinder sitzen tief. Dennoch warne ich davor, dass es ausgerechnet die Kitas sein sollen, die all diese Probleme regeln sollen - und das auch noch, ohne weitere Kosten auszulösen. Wären sie wirklich neben ihrem erzieherischen Auftrag auch noch ein Sozialzentrum und eine Familienberatungsstelle, wären sie eierlegende Wollmilchsäue: eine völlig unrealistische Vorstellung. Jede Aufgabenerweiterung muss finanziell unterfüttert und vor allem gut überlegt sein. Sonst läuft das Ganze entweder auf Selbstausbeutung der Beschäftigten oder auf Kürzungen an anderer Stelle hinaus.

Schwarz-grüne Politik in Nordfriesland zeigt, wie man es nicht machen sollte, erst Grundsatzbeschlüsse zur Kindergartenfinanzierung durchdrücken und dann der Verwaltung die Details überlassen, also eventuell negative Auswirkungen wie beispielsweise die Erhöhung der Elternbeträge oder die Verringerung von Leistungen verschweigen. Das ist der falsche Weg, verunsichert Eltern und Beschäftigte und diskreditiert Bemühungen um eine Verbesserung der Strukturen.

Der SSW plädiert für eine Politik mit Augenmaß, also bestehende Strukturen zu unterstützen und stärken, ohne weitere Doppelstrukturen zu errichten. Dies spiegelt sich jetzt auch im Antrag der Regierungsfraktionen wider. Tatsache ist, dass viele Kitas in unserem Land schon eine Scharnierstelle für Beratung und Informationen aller Art sind: ob es sich um Tipps rund um die Schwangerschaft und Geburt handelt oder auch um systematischen Sprachunterricht für Migrantenkinder. Wer mehr will, könnte die Kitas überfordern.

Die Kitas sind die einzigen Anlaufstellen für viele Eltern. Kinder, die nicht oder nur unregelmäßig dem Kinderarzt vorgestellt werden, besuchen einen Kindergarten. Kinder, deren Eltern einen weiten Bogen um Erziehungsberatungsstellen oder heilpädagogische Einrichtungen machen, gehen in den Kindergarten. Ich kann schon nachvollziehen, dass dann die Idee naheliegt, die Kitas als niedrigschwelliges Angebot weiter auszubauen.

Die Bundesregierung hat im Siebten Familienbericht aus dem Jahre 2005 ausdrücklich die Richtung vorgegeben, die Kitas auch in ihrer sozialen Funktion zu unterstützen. Nach englischem Vorbild sollen die Kitas neben der Betreuung und frühen Förderung von Kindern zusätzlich auch Eltern konkrete Hilfe anbieten. Positive Erfahrungen mit einer ganzheitlichen Familienbetreuung in Form von integrierten Betreuungs-, Bildungs- und Beratungsangeboten aus einer Hand liegen in Deutschland bereits vor, unter anderem in Ludwigsburg, Bremen, Halle, Berlin, Melsungen und natürlich auch bei uns im Landesteil Schleswig. Sogar die Wirtschaft hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag fordert Betriebe auf, in Kinderbetreuung zu investieren.

Dieses Engagement und nicht zuletzt die lokalen Bündnisse für Familien haben bereits vieles verändert. Inzwischen gibt es in Deutschland Familienzentren. Insoweit ist es gar nicht notwendig, in anderen Ländern nach Vorbildern zu suchen. Erfahrungen liegen auch in Deutschland vor. Ein Familienzentrum ist aber keine Kita mit „aufgepepptem“ Angebot. In einem Familienzentrum werden Beratungs-, Schulungs- und auch Integrationsangebote aus einer Hand offeriert und finanziert. Gemeint sind Stadtteilzentren für Familien, in denen von der Schwangerschaftsbetreuung bis hin zu ganztägigen Betreuungsangeboten das gesamte Servicepaket für Familien unter einem Dach zu finden ist. Heute müssen Eltern in den meisten Kommunen viele Ansprechpartner „abklappern“, bevor sie das richtige Angebot finden. Dabei muss man hartnäckig bleiben und genau darum erreichen die Angebote oft

(Dr. Heiner Garg)

mals nicht die Eltern, die besonderer Unterstützung bedürfen.

Dennoch ist es nach meinem Dafürhalten nicht notwendig, die gesamte Servicelandschaft zu verändern. Gute Beratungsangebote bestehen bereits. Lediglich ihre Erreichbarkeit und ihre Koordination müssen verbessert werden. Viele Kitas brauchen eine Art Backup-Office: eine Nummer für alles. Wenn Kitas als Türöffner fungieren sollen - das sollen und das tun sie teilweise auch -, so ist das zu begrüßen. Doch niemand kann einer Pädagogin oder Erzieherin zumuten, als Lotsin in einem unübersichtlichen Zuständigkeitsdschungel zu arbeiten.

Das trifft besonders auf den Beratungs- und Unterstützungsbedarf von Familien mit Migrationshintergrund zu. Für viele Pädagogen ist bereits die Sprachbarriere ein großes Problem. Wenn Eltern die Einladungen zu Elternabenden oder zu Ausflügen der Kinder nicht verstehen können, so werden sie diese Angebote auch nicht nutzen beziehungsweise ihre Kinder nicht nutzen lassen. Entsprechendes gilt auch für zukünftige Beratungsleistungen.

Der Kita würde es bereits immens helfen, könnte sie auf eine Art Backup-Office zurückgreifen, welches alle Anfragen aus einer Hand erledigen könnte. Ich stelle mir vor, dass die Gesundheitsämter diese Koordinationsleistung erbringen könnten. Das erscheint mir sinnvoller, sodass dann eine Zusammenfassung der Angebote und Kompetenzen von Kindergärten, Beratungseinrichtungen, Familienbildungsstätten, Privatinitiativen, Ärzten und staatlichen Stellen möglich ist. Wie sich die Angebote beispielsweise bei der ADS - dann entwickeln, werden die Handelnden vor Ort entscheiden.

Diesem Ansatz entspricht eher der Antrag von CDU und SPD. Deshalb werden wir diesem zustimmen.

(Beifall bei SSW, CDU und SPD)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte die Koalitionsfraktionen - ich sehe ja, dass sie schon diskutieren -, noch einmal darüber nachzudenken, was wir heute eigentlich beraten.

Für Frau Tengler möchte ich aus dem Beschluss des CDU-Parteitages, der gerade stattgefunden hat, zitieren. Dort heißt es, Angebote der Familienberatung und Familienbildung müssten ausgebaut, breiter bekannt gemacht und durch bessere Vernetzung sowie regionale Koordinierung leichter erreichbar werden. Sie müssten Eltern und Großeltern praktische Erziehungshilfen vermitteln. Der Zugang müsse allen Eltern und auch Großeltern nach Bedarf offenstehen. Hierfür könne der Ausbau von Kindergärten zu Familienzentren sinnvoll sein. - Insoweit haben wir gesagt: Wir wollen ein Konzept.

Sie fordern einen neuen Bericht. Ich halte diesen neuen Bericht für überflüssig, weil er bereits vorliegt. Diesen haben Sie nämlich gerade mit Ihrer Großen Anfrage angefordert. Er umfasst 90 Seiten. Darin wird genau die Frage, über die wir hier reden, behandelt. Es wird gesagt, dass es positive Ansätze in Schleswig-Holstein gibt. Deswegen fordern wir, die Konsequenz aus dieser Antwort der Landesregierung zu ziehen und jetzt ein Konzept zu entwickeln.

Der Hinweis auf Nordrhein-Westfalen ist zurzeit gängig. Mit dem nordrhein-westfälischen Konzept wird den Kindergärten nichts von oben aufgestülpt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vielmehr bietet dieses Konzept unterschiedliche Varianten an, es baut auf unterschiedlichen Erfahrungen auf und gibt Unterstützung dabei, verschiedene Varianten umzusetzen, je nachdem, angepasst vor Ort.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist die logische Konsequenz aus der Antwort der Landesregierung. Genau das fordern wir in einem Antrag.

Nun stellen Sie einen Gegenantrag und sagen, Sie wollten einen weiteren Bericht. Das ist doch schlichtweg Unsinn. Sie versuchen nur, das Ganze ein weiteres halbes Jahr zu verschieben. In einem neuen Bericht wird genau dasselbe stehen. Das kann ich Ihnen garantieren. - Oder, Frau Ministerin? Würde etwas Neues darin stehen? - Sehen Sie!

Es würde also genau das Gleiche darin stehen. Dann könnten wir den gleichen Antrag noch einmal stellen und wir könnten noch einmal beraten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wenn Sie uns veralbern, so mag das ganz nett sein. Aber Sie veralbern nicht nur uns, sondern Sie veral

(Lars Harms)

bern sich selber, Ihre eigenen Kollegen hier im Parlament,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Leute draußen!)

Sie veralbern aber vor allem die Kindertagesstätten im Lande, Sie veralbern alle Menschen in diesem Lande, die sich für bessere Kindertagesstätten einsetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Deswegen schlage ich vor, dass die Große Koalition in eine Besinnungsphase eintritt. Das muss nicht heute geschehen. Wir sind großzügig. Sie haben bereits gesagt, Sie wollten beide Anträge in den Ausschuss überweisen. Insofern haben Sie bis zur nächsten Ausschusssitzung Zeit. Diese gewähren wir Ihnen und wünschen Ihnen viel Vergnügen bei den internen Beratungen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)