Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Es wird!)

Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Viertel der Gesamtschüler mit Hauptschulabschluss abgeht. Von daher werden wir uns bemühen müssen, die Qualität des Hauptschulabschlusses anzuheben, sodass er Akzeptanz erfährt. Ferner müssen wir erreichen, dass mehr Schüler höhere Bildungsabschlüsse erwerben, ohne dass dabei deren Qualität gesenkt wird.

Das ist das entscheidende Kunststück und in diesem Zusammenhang kommt es darauf an, die Schulen entsprechend auszustatten. Wie sollen Regionalschulen, die früher Hauptschulen waren, zukünftig mit Lehrerstellen ausgestattet werden? - Die Hauptschule ist doch die Schulart, die die schlechteste Lehrerversorgung pro Schüler aufweist. Diese Schulen sollen zukünftig als Regionalschulen sogar zwei Bildungsgänge mit der entsprechenden Förderung ermöglichen. Dass es hier andere Möglichkeiten der Ausstattung geben muss, um so etwas auch nur annähernd zu einem Erfolg werden lassen zu können, liegt doch auf der Hand.

Meine Damen und Herren, die Große Koalition, die das Schulsystem so umwandeln möchte, steht hier in einer politischen Bringschuld gerade auch gegen

über den schwächeren Schülern. Und die Versprechen, die neuen Schultypen würden es ihnen leichter machen, ein besseres Bildungsergebnis zu erreichen, sind reichlich hohl. Denn sie sind nicht unterfüttert durch echte Formen der Förderung und Unterstützung. Im Gegenteil: Gerade in den Regionalschulen werden künftig die lernschwächeren Schüler über die flexible Ausgangsstufe relativ früh, nämlich im 8. Jahrgang quasi in einen Weg ausgegliedert, der ihnen dann nicht mehr die Perspektive bietet, über ein 10. Schuljahr einen höherwertigeren Schulabschluss zu erreichen. Von daher sind die Strukturen so, wie Sie sie vorschlagen, bei Weitem nicht überzeugend.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat nun Frau Abgeordnete Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sagte vorhin, dass wir dem neuen Schulgesetz eine Chance geben wollen. Daher kündigte ich vorhin auch an, dass wir uns bei der Schlussabstimmung der Stimme enthalten werden. Das kann man natürlich als schwache Position bezeichnen, zumal es einfacher ist, nicht Ja oder Nein zu etwas zu sagen. Wir haben uns aber bewusst für diesen Weg entschieden. Denn wir wollen nicht gegen die echten Reformteile des Gesetzes stimmen. Dazu gehört beispielsweise die verstärkte individuelle Förderung. Man kann sich mehr wünschen und das tun wir auch. Aber diese individuelle Förderung ist im Gesetz enthalten.

Dazu gehört die Einführung der Gemeinschaftsschule. Dazu gehören auch die Veränderung und die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung und natürlich auch die Gleichstellung der Schulen der dänischen Minderheit.

Das heißt, das Gesetz enthält unserer Meinung nach gute zukunftsweisende Elemente. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass wir uns weiterhin mit geballter Kraft gegen die Teile des Gesetzes wenden, die aus unserer Sicht Rückschritt und nicht Fortschritt signalisieren. Und dazu gehört ganz eindeutig die Neustrukturierung des Gymnasiums.

Die Profiloberstufe - das will ich nicht wiederholen - ist keine Erneuerung. Sie ist aus unserer Sicht auch nicht zukunftsfähig. Ich rufe in Erinnerung, dass wir uns in anderen Bildungsdebatten mit dem

(Dr. Ekkehard Klug)

Lissabon-Prozess auseinandersetzen, dass wir immer wieder zu hören bekommen, dass wir mehr Hochschulabsolventen brauchen. Und schließlich führen wir auch Diskussionen darüber, ob wir nicht den Beruf der Erzieherinnen und des Erziehers zu einem Fachhochschulberuf machen müssen. Ich greife auch das Stichwort Krankenpfleger auf und es gibt noch weitere andere Bereiche.

Wenn man sich in Europa umschaut und auch diesen grenzüberschreitenden Blick wagt, dann sieht man, dass diese Berufe Fachhochschul- oder sogar Hochschulberufe geworden sind. Unsere Forderungen nach mehr Abiturienten, die nur für das Hochschulstudium gerüstet sind, verkennt die Realität an den Schulen. Wir würden uns also für einen Weg entscheiden, der aus unserer Sicht längst überholt ist. Das ist also die Begründung dafür, dass wir diesem Teil des Gesetzes auf keinen Fall zustimmen werden.

(Beifall beim SSW)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat nun Herr Abgeordneter Jürgen Weber das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich hier nicht an Spekulationen beteiligen, was hier in anderen Koalitionskonstellationen möglich wäre, aber ich möchte in aller Kürze auf einige Diskussionsbeiträge eingehen.

Heute Morgen ist relativ häufig der Begriff Schulsystem gefallen. Ich möchte eines betonen und das hat auch sehr viel mit unserem Gesetz zu tun: In erster Linie kommt es uns nicht auf die Diskussion an, wie wir das System der Sortierung in die verschiedenen Schularten und darüber, welches vielleicht das Sinnvollste sein könnte, an die Spitze der Debatte stellen. Uns geht es vielmehr um die Frage, wie wir alle Schulen, die wir haben, so entwickeln und ausrichten, dass allen Kindern das Beste an Bildung ermöglicht wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen ein Lernklima entwickeln, das für alle Schüler mit allen Talenten und Möglichkeiten positiv ist.

Von daher glaube ich, dass die Diskussion über die Struktur etwas übertrieben ist. Wir schaffen in Schleswig-Holstein eine Situation, wie wir sie teilweise schon in anderen Bundesländern vorfinden, und wir schaffen zusätzlich - Kollegin Spoorendonk hat es vorhin schon gesagt - Elemente der

Förderung, die dazu führen, dass keine Möglichkeit kreativer Entwicklungen in unseren Schulen ausgeschlossen wird. Im Gegenteil: Sie sollen ermöglicht werden.

Kollege Hentschel hat eine Reihe von Beispielen aufgezeigt, die belegen, was in Reformschulen möglich ist und wie Lehrer Unterricht anders neu gestalten können. Keinen dieser Aspekte schließt dieses Gesetz aus. Im Gegenteil: Dieses Gesetz schafft neue Möglichkeiten für Qualitätsentwicklung in Schule. Ich glaube, wir täten gut daran, diesen Aspekt von Schulgesetzänderung mit in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, meine Damen und Herren.

Dazu gehören auch die Stichworte Ausstattung und Lehrerfortbildung. Diese Argumente lassen es allerdings nicht zu, dieses Gesetz schlicht und einfach abzulehnen. Insofern sehe ich auch nach den letzten Ausführungen des SSW oder des Kollegen Klug keinen ernsthaften rationalen Grund, gegen dieses Gesetz zu stimmen.

An keiner Stelle in diesem Gesetz fallen wir hinter positive Regelungen anderer Bundesländer zurück, aber an sehr vielen Stellen setzen wir uns an die Spitze der Entwicklung. Ich glaube, das ist ein guter Grund für das gesamte Haus, für dieses Gesetz seine Hand zu heben, damit wir die Qualitätsentwicklung in diesem Land voranbringen können.

Ein letzter Satz sei mir erlaubt. Es wäre schön, wenn wir in den Diskussionen nicht immer die Begriffe Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten benutzen würden. Wir haben Schüler, die unterschiedliche Schulformen besuchen, aber die Zuordnung sollte individuell an die Leistungsfähigkeit der Schüler gekoppelt werden, nicht an die Schulform, die sie gerade besuchen. Jeder Schüler hat die Möglichkeit, sich individuell und seiner Entwicklungsgeschwindigkeit entsprechend zu entfalten und wir sollten uns daher angewöhnen, die „Schubladisierung“ von Schülern zu vermeiden. Wenn wir das beachten, werden wir mehr Respekt für unsere Arbeit und mehr Akzeptanz für unsere Politik bekommen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die Landesregierung erteile ich nun der Frau Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave das Wort.

(Anke Spoorendonk)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stecken uns mit dem Schulgesetz hohe Ziele. Wir wollen unsere Schulen durchlässiger, gerechter, leistungsfähiger, selbstständiger und offener machen. Wir wollen und müssen den demografischen Herausforderungen gerecht werden. Wir wollen in allen Teilen des Landes ein gutes Schulangebot sicherstellen und wir fordern unsere Kommunalpolitiker jetzt auf, es zu gestalten.

Das bietet Chancen für die Kommunalpolitik und meine Erfahrung ist, dass diese Chancen gesehen werden, etwa in der neuen Schulform Gemeinschaftsschule. Die Kommunalpolitiker sind allerdings auch schon dabei, die Regionalschulen zu planen und sie wollen - und das ist sehr gut - mehr und mehr zu ganztägigen Schulen kommen.

Wir haben miteinander einen langen Weg zurückgelegt, um zu diesen Grundsätzen und Regelungen zu kommen, um diese Ziele zu formulieren und in das Gesetz zu gießen, das wir heute verabschieden wollen. Vieles haben wir aufgenommen und weitergeführt. Ich nenne beispielhaft einige Punkte, an denen unsere Schulen in Schleswig-Holstein schon lange arbeiten: individuelle Förderung, Arbeit mit Lernplänen, Sicherung und Weiterführung von Unterrichtsqualität, Evaluation und Leistungsvergleiche. Vermutlich meinen Sie mit bürokratischen Vorschriften diese Punkte, Herr Hentschel; andere Beispiele sind Sie leider schuldig geblieben. Und ich möchte auch die Arbeit mit offenen Ganztagsschulen erwähnen. All diese Reformen werden jetzt zusammengefasst zu einer Reform aus einem Guss und sie werden verbindlich für alle.

Das Zweite ist eine sehr breite gesellschaftliche Debatte, die eben nicht nur in den Medien oder von den Experten und Betroffenen geführt wurde und wird, sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern, von allen, die sich berufen fühlen, bis hin zum Bundespräsidenten; und ich meine all diejenigen, die sich Gedanken über die Zukunft unserer Gesellschaft machen, ich meine die Debatte um mehr Bildungsgerechtigkeit, um längeres gemeinsames Lernen, um die Reformen der Schularten, der Bildungsgänge, um die Nachhaltigkeit des Lernens und vor allem auch um die große gesellschaftliche Herausforderung, die Zahl der Bildungsverlierer deutlich zu reduzieren.

Was das längere gemeinsame Lernen angeht, Herr Hentschel. Ich kann mich noch an Vereinbarungen erinnern, die wir einmal miteinander geschlossen haben. Jetzt so zu tun als sei das ein Rückschritt,

was wir hier machen, was sozusagen die Sozialdemokraten hier machen, das ist ein bisschen unredlich, denn immer war klar, es ist ein langer Weg dahin; immer war klar, das muss auf Freiwilligkeit beruhen, und immer war klar, es gibt Zwischenschritte auf diesem Weg. Das alles nicht mehr wahrhaben zu wollen und hier nur noch die reine Lehre zu predigen, das kann ich hier nicht akzeptieren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ein dritter Punkt: Welche Konsequenzen waren daraus in dieser Großen Koalition zu ziehen, wo beide Partner sehr weit entfernte Positionen hatten so kann man das ja wohl formulieren - und mit sehr konträren Vorstellungen angetreten sind? Das ist sozusagen die dritte Linie, die Verständigung über den Weg. Diese Verständigung war nicht einfach. Niemand macht einen Hehl daraus. Sie konnte auch nur gelingen, weil das eine Ziel unstrittig ist, nämlich das Ziel, ein gutes Bildungsangebot im ganzen Land zu sichern, ein Bildungsangebot, was sowohl den pädagogischen Anforderungen unserer Zeit als auch den demografischen Veränderungen gerecht wird. Von Anfang an gab es bei allen Differenzen diesen gemeinsamen Nenner und diese gemeinsame Plattform und das hat geholfen.

Zu dieser Plattform gehört auch die Erkenntnis, dass sich die Familienwirklichkeit geändert hat. Davon ist heute überhaupt noch nicht die Rede gewesen: eine total veränderte Familienwirklichkeit. Das heißt für die Schule nichts anderes - übrigens auch schon für den Kindergarten -, als dass sie viel mehr ausgleichen und unterstützen muss, als das früher der Fall war, und zwar so früh wie möglich. Auf den Anfang kommt es an. Das ist ein Nenner, auf den sich - wie ich glaube - wirklich alle verständigen können.

(Beifall bei SPD und CDU)

Zu den Veränderungen gehört eben auch, dass die sogenannten Bildungsabnehmer, also die Wirtschaft, die Ausbilder, auch die Hochschulen, die Betriebe, heute höhere und andere Erwartungen an unsere Schüler haben als früher, und dem müssen wir gerecht werden. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Schule den ihr anvertrauten Kindern in aller erster Linie Chancen ebnen und eröffnen und Brücken bauen muss und nicht Türen zuschlagen. Das muss eines unserer obersten Ziele sein. Dazu gehört auch - ich sage es noch einmal - das Ziel, die Zahl der Bildungsverlierer deutlich zu reduzieren und im Umkehrschluss die Zahl der Schüler mit höherwertigem Abschluss deutlich zu erhöhen. Das ist eine Forderung, die von allen Seiten gestellt wird. Wer sich heute noch hinstellt und

sagt, wir brauchen nicht mehr Abiturienten, der ist auf dem Holzweg.

(Beifall bei SPD und CDU)

Dazu gehört schließlich auch die Einsicht in die Veränderung, die durch die demografische Entwicklung entsteht, und zwar nicht nur zahlenmäßig. Natürlich geht die Geburtenrate zurück, die Schüler werden weniger. Ein Beispiel: Wir haben im letzten Jahr noch knapp 30.000 Schüler eingeschult. Gleichzeitig wurden im letzten Jahr ungefähr 23.000 Kinder geboren. Jeder kann sich ausrechnen, was das für die Entwicklung unserer Schulen bedeutet. Darauf müssen wir eine Antwort geben.

Aber es sind nicht nur die Zahlen, die Gesellschaft verändert sich auch substanziell. Die Familienstrukturen haben sich verändert und die Anteile der Kinder mit Migrationshintergrund steigen auch in unserem Land kontinuierlich an, ein Gesichtspunkt, der hier heute von niemandem angesprochen wurde, der aber zentral für unsere Gesellschaft ist. Das ist keine Entwicklung, von der wir glauben, dass das ein vorübergehendes gesellschaftliches Phänomen ist, um das wir uns nicht weiter kümmern müssen, das sich sozusagen von selbst regeln wird. Nein, bei den Null- bis 25-Jährigen liegen wir heute schon bei einem Anteil von fast 20 %.

Das wissen wir übrigens seit dem letzten Mikrozensus. So viel zur Frage gläserner Schüler und zur Notwendigkeit von Daten. Wir haben viel zu lange auf gefühlte Eindrücke und Stichproben vertraut. Jetzt müssen wir wissen, was in unserer Gesellschaft los ist.

Migration ist ein fester Bestandteil in unserer Gesellschaft. Die Fähigkeiten und die Begabungen dieser Kinder werden gebraucht. Wir können es uns nicht leisten, sie brachliegen zu lassen. Sie müssen ein Recht auf angemessene Bildungschancen haben, statt - wie in der Regel leider noch - auf niedrigem Niveau beschult zu werden, nicht etwa deswegen, weil sie nichts können, sondern weil sie an der Sprache scheitern.

(Beifall bei SPD, CDU und des Abgeordne- ten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Ich bin sehr froh, dass wir jetzt Mittel und Konzepte für bessere Startbedingungen haben, um wirksam zu helfen. Das Schulgesetz macht die Sprachförderung zur Pflicht für alle Beteiligten.

Meine Damen und Herren, ich habe ein Stück weit Kontinuität, auch Konsens und Kompromiss beschrieben, aber es gibt natürlich auch Kurskorrekturen und es gibt auch Konflikte. Es gibt Sorgen bei den Betroffenen, die man ernst nehmen muss, die

man aufnehmen und die man ausräumen muss; es gibt trotz aller Informationen immer noch Unkenntnis und Missverständnisse, auch in der heutigen Debatte. Ich kann gar nicht alles abarbeiten, was von Herrn Dr. Klug hier gesagt und behauptet worden ist. Aber dazu wird ja noch weiter Gelegenheit sein. Es gibt aber auch eine Form von Widerstand - das will ich hier ganz klar sagen -, den ich zurückweisen will und den wir alle gemeinsam zurückweisen sollten, nämlich wenn Widerstand nichts weiter ist als die Verteidigung von Sozialprestige, dem letztlich alles andere egal ist. Das akzeptieren wir nicht. Eine Haltung nach dem Motto „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ ist einfach nicht akzeptabel.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)