Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Zeit zu Zeit begleiten uns Debatten, die schlaglichtartig aufgeworfen werden, und ich hoffe, dass diese Debatte eine ist, die uns etwas länger und nachhaltiger beschäftigen wird.
Ich kann in vielen Punkten unterstreichen, was mein Vorredner gesagt hat: Mich stört allerdings, dass zwar relativ wenig über den Inhalt der Studie, aber viel über andere Politikfelder, die zufällig oder nicht zufällig nebenher laufen, gesprochen wird.
Es ist richtig, dass wir uns über dieses Thema als Teilaspekt unterhalten müssen. Dies gilt auch für die Krippenplätze. Wir müssen uns ferner über ein drittes kostenfreies Kindergartenjahr unterhalten. Und vor dem Hintergrund der Ausführungen von Heiner Garg meine ich, dass wir gar nicht weit auseinander liegen. Es ist relativ leicht, etwas zu fordern, aber schwierig, es in diesen Zeiten zu finanzieren. Ich sage ganz klar für meine Fraktion: Es ist keine gute Politik für Kinder und Jugendliche, soziale Wohltaten einfach auf Kosten zukünftiger Generationen auf Schulden zu finanzieren.
- Das ist eigentlich ein Thema, bei dem wir uns diese parteipolitischen Auseinandersetzungen sparen könnten. Ich will deshalb gar nicht darauf eingehen.
- Der Hinweis des Ministerpräsidenten, dass Frauen, die arbeiten wollen, am besten über Straßen zur Arbeit kommen, ist natürlich richtig. Allerdings füge ich gleich hinzu, dass ich diesbezüglich eine alte
grüne Position, die leider aufgegeben wurde, vertrete. Ich bin nämlich der Meinung, dass dies am besten mit dem öffentlichen Personennahverkehr und nicht mit japanischen Autos geschehen sollte. Das ist aber nur ein kleiner Seitenhieb auf Sie, Herr Hentschel. Schließlich haben Sie sich in Ihrer Position sehr dynamisch verhalten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht nur über die staatliche Obhut reden. Vielmehr sollten wir auch über das reden, was in der Studie steht und uns alarmieren muss.
Die Studie zeigt deutlich auf, dass Deutschland bei allen sechs Dimensionen im Mittelfeld liegt. Das betrifft das materielle Umfeld, die Gesundheit, die Bildung, das Risikoverhalten, die eigene Einschätzung und die Beziehung zu Eltern und Freunden. Diese sechs Dimensionen kann man einzeln betrachten; man sollte sie aber auch zusammen betrachten. Es mag ein Zufall sein, dass der Kinderund Jugendaktionsplan der Landesregierung ebenfalls sechs Handlungsfelder hat. Diese überschneiden sich nur zum Teil. Denn beispielsweise der Aspekt Selbsteinschätzung ist auf Landesebene nicht interessant. Für uns ist beispielsweise das Handlungsfeld Kinder- und Jugendtourismus interessanter.
In der Vergangenheit haben wir uns bereits häufig über den Kinder- und Jugendaktionsplan des Landes unterhalten. Leider war die Aufmerksamkeit nicht besonders groß. Vielleicht führt diese UNICEF-Studie dazu, dass die Aufmerksamkeit ein bisschen steigt.
Wir betrachten Kinder- und Jugendpolitik und das sollte uns eigentlich zu denken geben - das Thema Kinderbetreuung immer als Problemfelder. Wir wollen damit Probleme lösen, beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Wir wollen demografische Probleme lösen. Wir wollen die Sozialversicherungssysteme retten. Das ist natürlich der falsche Ansatz. Der positive Ansatz sollte darin bestehen, dass wir jungen Menschen die Entscheidung für eigene Kinder erleichtern. Es geht nicht darum, dass sie Kinder in die Welt setzen, um dem Staat zu helfen, seine Probleme zu lösen. Also, Kinder- und Jugendpolitik ist eine positive Sache, aber nichts, was zu Problemlösungen beitragen soll.
Wenn es um materielle Dinge geht, dann denken wir natürlich sofort an Sozialtransfers. Wer die Studie allerdings genau betrachtet, der stellt fest, dass es um das relative Einkommen in den Ländern geht. Deshalb kann ein Land wie Tschechien auch vor uns liegen. Und es geht darum, was mit dem Geld gemacht wird.
Wir können den Eltern nicht vorschreiben, was sie mit ihren materiellen Dingen tun. Es gibt dort ja genug negative Beispiele. Es wird zum Beispiel in der Studie gefragt: „Hast du Möglichkeiten, in Ruhe deine Hausaufgaben zu machen? Habt ihr einen PC zu Hause? Haben eure Eltern mehr als zehn Bücher?“ Wenn Deutschland dort schlecht abschneidet, ist das etwas, was die Politik leider nur begrenzt steuern kann. Das sollten wir auch sehen. Wir müssen hier ganz klar die Verantwortung der Eltern sehen. Auch deshalb bin ich ein bisschen enttäuscht, dass die staatliche Obhut im Vordergrund steht. Nein, es geht auch um die Verantwortung des Einzelnen, derjenigen, die für Kinder Verantwortung haben.
60 % der 15-Jährigen - das ist eine Zahl, die auch in der Presse nachzulesen war - sagen, dass sich ihre Eltern nicht mehrmals in der Woche mit ihnen unterhalten. Das zeigt, wie arm wir auch in unserer Gesellschaft sind. Wir sollten uns als Politik nicht an dieser Armut beteiligen, indem wir jetzt nach dem Staat schreien. Wir sollten vielmehr als gutes Beispiel vorangehen, wir sollten auch das thematisieren. Ich weiß, es ist leichter, ein Gesetz zu erlassen, um etwas zu regeln, als hier vielleicht mit Appellen und Bewusstseinsbildung zu arbeiten. Das ist schwieriger. Aber wir reden über soziale Dinge, wir reden über Gesellschaft und da muss auch anerkannt werden, dass die Politik nicht einfach mit einem Federstrich den Eltern verordnen kann, mit ihren Kindern zu sprechen. Allerdings muss an dieser Stelle auch zur Sprache kommen, dass es eine Schande ist für unser Land und eine Armut in unserem Land, dass so eine Zahl dabei herauskommt.
Meine Damen und Herren, Policy-Mix - dieser Begriff wurde schon genannt; man mag sich darüber streiten, ob Vernetzung etwa besser ist -: Wir müssen uns immer fragen: Was können wir auf Landesebene tun? Es gibt auf Bundesebene auch einen nationalen Aktionsplan. Das ist in Ordnung so. Nur, wir auf Landesebene haben unseren Kinder- und Jugendaktionsplan. Darauf wird die Ministerin sicher noch eingehen. Das ist Vernetzung im besten
Sinne. Auch der Forderung von Heiner Garg, dass wir uns fragen müssen, in welchen Fällen wir nacharbeiten müssen, kann man mit diesem Kinder- und Jugendaktionsplan auf jeden Fall begegnen, weil er modular aufgebaut ist, weil er ergänzt werden kann. Lassen Sie uns insofern an diesem Aktionsplan arbeiten, lassen Sie uns zur Kenntnis nehmen, was wirklich in dieser Studie steht. Nur dann hat sie wirklich Wert, nur dann kann sie nachhaltig etwas an dieser Gesellschaft ändern, was dringend notwendig ist, damit sich mehr junge Menschen für Kinder entscheiden. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Bericht, jede Untersuchung, jede Studie, die es im Bereich Kinder- und Jugendpolitik gibt, ist richtig und ist gut. Insofern bin ich der UNICEF und auch der ehemaligen Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein, Heide Simonis, sehr dankbar dafür, dass sie uns vergangene Woche diese Studie vorgelegt haben. Meine Dankbarkeit für die FDP hält sich allerdings in Grenzen. Lieber Dr. Garg, ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie eine Aktuelle Stunde beantragt haben. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Ich kann es erst recht nicht nach Ihrem Redebeitrag verstehen. Ich habe inhaltlich aus Ihrer Rede überhaupt nichts ziehen können. Das Einzige, was Sie gemacht haben, Sie haben versucht, ein bisschen an Heide Simonis herumzukritisieren, und Sie haben die Politik von Land und Bund dargestellt, aber noch nicht einmal richtig wiedergegeben. Vielleicht kann ich ein bisschen zur Aufklärung beitragen.
Selbstverständlich müssen wir die Studie der UNICEF sehr ernst nehmen, wir müssen genau hinsehen. Darum kritisiere ich ihren Antrag. Sie ist in der vergangenen Woche vorgestellt worden, und wir haben noch keine Gelegenheit gehabt, diese Studie konkret auszuwerten. Ich möchte ein Beispiel herausgreifen: Sie widerspricht sich in einigen Zügen mit der Shell-Studie, mit dem Kinder- und Jugendbericht. Das muss einen Grund haben. Sind die Fragestellungen anders gewesen? Woran genau liegt es? Das sind Dinge, die ich hier nicht mit einem Schnellschuss einfach so erwähnen kann, sondern
Einen Bereich möchte ich herausgreifen. Es ist schon sehr bedenkenswert. Herr Herbst hat das eben schon erwähnt. Es ist bedenkenswert, wenn gerade in den Ländern, in denen die materielle Situation als gut bis sehr gut eingestuft wird, das Verhältnis der Kinder zu den Eltern als eher schlecht eingestuft wird. Das muss einen Grund haben. Es ist interessant. Man kann natürlich das Fazit so ziehen, wie Herr Dr. Garg es eben gemacht hat. Ich behaupte, das wird sicherlich falsch sein. Das ist etwas, was wir seriös angehen müssen: Woran liegt es eigentlich, dass sich gerade diese Kinder bei ihren Eltern nicht so aufgehoben fühlen? Warum schneiden wir in einigen Bereichen nicht so gut ab? Woran liegt es, dass wir auch im Bundesländerdurchschnitt nicht so gut abschneiden? Man muss dazu sagen, die Zahlen sind schon etwas älter. Sie sind vor 2003 ermittelt worden. Wir haben in Schleswig-Holstein gerade in den letzten Jahren sehr viel getan. Ich will es einmal aufgreifen für den Bereich Gesamtkonzept, wie auch Professor Bertram es in der Studie gefordert hat, wie Politik agieren soll. Wir haben in Schleswig-Holstein gebündelte Maßnahmen in der Familienpolitik, im Übrigen ressortübergreifend. Wir haben den Kinder- und Jugendaktionsplan, von der Ministerin entworfen, der sehr große Anerkennung in der Öffentlichkeit findet. Wir haben das neue Schulgesetz, PISA noch einmal als Stichwort. Wir haben eine Ausbildungsplatzoffensive. All das verstehe ich als Gesamtkonzept und genau das ist es, was die Studie auch fordert. Wir haben, so denke ich, damit eine Menge in Schleswig-Holstein geleistet, aber nichts ist so gut, dass man nicht noch mehr leisten könnte.
Ich möchte einen Bereich herausgreifen, den wir schon einmal angesprochen haben: Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen läuft in SchleswigHolstein in den letzten Jahren nicht mehr so gut. Die Kommunen sperren sich dagegen, Kinder und Jugendliche zu beteiligen. Woran liegt das? Ist es zu mühsam oder haben sie keine Lust, Kinder und Jugendliche zu beteiligen? Das sind Dinge, mit denen wir uns jetzt wieder neu - und dafür bin ich der Ministerin ausgesprochen dankbar - beschäftigen. Wir haben drei Modellregionen herausgegriffen, um genau das Thema wieder voranzuschieben, was im Übrigen auch eine Forderung des Kinder- und Jugendberichts ist.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei Sachen sagen. Kinder- und Jugendpolitik ist nicht nur Familienpolitik. Ich warne davor, das immer in einen
Auch heute ging es wieder im Groben in den Bereich der Familienpolitik hinein. Das ist zwar richtig für die Betreuung und auch für die frühen Hilfen, aber es ist nicht mehr dann so wichtig, wenn es darum geht, die eigenen Interessen der Kinder und Jugendlichen durchzusetzen. Gerade das fand ich an der Studie sehr gut, dass die Kinder und Jugendlichen selbst befragt wurden. Endlich einmal wurden sie gehört und nicht nur die Eltern. Die sind nicht Kinder und Jugendliche, die sind lediglich die Begleiter der Kinder. Es wäre also für die Zukunft schön, wenn die FDP inhaltlich etwas mehr mitarbeiten und sich vielleicht zukünftig durch vernünftige Anträge auszeichnen würde, auch den Kinderund Jugendaktionsplan vernünftiger begleiten würde, als Schnellschüsse zu starten, die uns nicht weiterbringen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Schön, dass wir einmal darüber geredet haben.“ - Das kann es bei dem Thema nicht sein und ich befürchte, die Aktuelle Stunde wird nachher genauso enden, dass wir sagen: Schön, dass wir einmal darüber geredet haben. Insofern erwarte ich von der FDP, dass sie nachlegt, vielleicht mit einem Antrag in der nächsten Sitzung, damit wir konkret werden können.
Was ist das Erschreckende an der Studie? Für mich sind zwei Sachen erschreckend. Das eine ist, wir haben kein Erkenntnisdefizit. Alles, was in der Studie steht, wussten wir im Prinzip. Wir haben vielmehr ein Handlungsdefizit.
Das Zweite, was erschreckend ist, hat Professor Bertram bei der Vorstellung der UNICEF-Studie gesagt: „Politik für Kinder in Deutschland ist meist nur Mittel zum Zweck, um Arbeitsmarktprobleme zu entschärfen oder um die Rentenkasse zu füllen.“ Herr Herbst hat Ähnliches gesagt, auch Frau Redmann. Wenn wir über Kinder und Jugendliche diskutieren, dann müssen wir endlich damit beginnen, dass wir sehen, wie es den Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft geht. Was brauchen sie
und es muss nicht heißen: Wie ist die demografische Entwicklung und müssen wir vielleicht Betreuungsplätze zur Verfügung stellen, damit Frauen wieder arbeiten können!
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben natürlich Möglichkeiten, in Schleswig-Holstein zu handeln. Ich nenne einmal ein paar Dinge, die wir in den letzten Jahren, in den letzten Monaten in den Landtag eingebracht haben. Wir hatten einen Antrag gestellt, „Kinderrechte in die Verfassung“ zu nehmen. Herr Herbst, das hat nichts mit Geld zu tun und ist trotzdem vom Schleswig-Holsteinischen Landtag abgelehnt worden. Kinder haben bei uns keine Rechte durch die Verfassung abgesichert. Das ist eine Schande.