Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

(Peter Eichstädt)

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An der Stelle möchte ich ganz deutlich sagen: Es wäre schlicht dumm und unmoralisch, eine 30 Millionen € schwere Modellstudie zur kontrollierten Heroinabgabe mit positiven Ergebnissen durchzuführen, ohne dass Antworten darauf gegeben werden, wie neue Wege in der Drogenpolitik aussehen sollen.

Das begrenzt weiterlaufende Projekt ist jedenfalls aus unserer Sicht keine befriedigende Antwort darauf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt bieten jetzt Anlass dazu, über die Art und Weise der Umsetzung, über Fragen der Finanzierung und notwendige gesetzliche Änderungen zu debattieren, um die Behandlung mit Diamorphin als eine therapeutische Ergänzung in der Regelversorgung einer modernen Drogen- und Suchtpolitik zu etablieren, wie es derzeit bei der Methadonsubstitution geschieht.

Im Übrigen hat man vor zehn Jahren auch über Methadonsubstitution genauso debattiert, wie wir es heute bei Diamorphin tun.

Selbst das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beurteilt die Zulassung von Diamorphin als Medikament positiv. An der Stelle, Frau Kollegin Tengler, gibt es einen Widerspruch in Ihren Ausführungen. Es machten letzten Endes nur dann Sinn, wenn Diamorphin auch als Medikament zugelassen wird.

Andere Länder wie die Schweiz oder die Niederlande haben diese Barrieren längst überwunden. Ich sehe das etwas anders als der Kollege Eichstädt. Ich finde, nachdem Schleswig-Holstein in den Fragen der Drogenpolitik sehr wohl immer wieder versucht hat, eine Vorreiterrolle zu spielen, in manchen Feldern sogar eine Vorreiterrolle gespielt hat, teile ich die Einschätzung nicht, dass wir warten können und warten sollten, bis andere Länder hier einen Vorstoß unternehmen. Ich finde, nach entsprechender sachlicher Beratung im Ausschuss kann man sehr wohl der Überlegung des SSW beitreten, ob Schleswig-Holstein hier nicht das Heft des Handelns in die Hand nehmen sollte.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere eine Pressemitteilung der Bundestagsfraktion der Grünen vom heutigen Tag. Dort führt der Abgeordnete, der für dieses Thema zuständig ist, Herr Dr. Terpe, zu den Ankündigungen von SPD-Abgeordneten, eine Gesetzesinitiative zur Heroinbehandlung auf den Weg zu bringen, aus:

„Wir begrüßen die Gesetzesinitiative der SPD-Abgeordneten. Sie geht in die gleiche Richtung wie der von den Drogenpolitikerinnen und -politikern der Grünen, der Linksfraktion und der FDP gemeinsam erarbeitete Gesetzentwurf zur Heroinbehandlung. Wir hoffen, dass nun auch die Union einlenkt und im Interesse der Suchtkranken über ihren Schatten springt.“

Dem kann ich mich nur anschließen. Ich zitiere weiter:

„Die Initiative der SPD-Abgeordneten deckt sich inhaltlich mit unserem Anliegen, eine gesetzliche Grundlage für die Einführung der heroingestützten Behandlung von Schwerstabhängigen in die Regelversorgung zu schaffen.“

- Die Betonung liegt auf Regelversorgung!

„Nur auf diese Weise können die positiven Ergebnisse der Heroinstudie in die Praxis überführt werden. Im Interesse eines schnellen und breiten parlamentarischen Verfahrens halten wir daran fest, unseren Gesetzentwurf“

- also den Gesetzentwurf der Grünen, der FDP und der Linksfraktion

„zügig in den Bundestag einzubringen.“

- Das zur aktuellen Debatte im Bundestag. Ich denke, der SSW liegt mit seinem Antrag hier goldrichtig. Die Grünen im Landtag hier in Schleswig-Holstein unterstützen diesen Antrag und gratulieren zum guten Timing.

Wir haben im Bundestag als Grüne schon letztes Jahr einen Vorläuferantrag gestellt, in dem wird erst einmal die grundsätzliche Haltung, wie man mit den Ergebnissen des Modellversuchs umgehen

(Dr. Heiner Garg)

sollte, dokumentiert. Das Thema kommt jetzt offenbar mit ordentlichen Gesetzesinitiativen im Bundestag wieder auf die Tagesordnung. Das ist gut. Ich hoffe, dass es diesmal - anders als in früheren Zeiten - auch im Bundesrat gelingt, einen entsprechenden Sinneswandel herbeizuführen.

Wir erinnern uns an die große Skepsis zu Beginn des Modellversuchs. Ich finde es außerordentlich positiv, dass sich bei 80 % der Teilnehmenden der Gesundheitszustand verbessert hat und bei fast 70 % auch tatsächlich kein Beikonsum oder Rückfall aufgetreten ist. Das ist eine sehr hohe Rate, auch wenn man es mit dem Methadonprogramm vergleicht. Es reicht aber natürlich nicht, nur denjenigen Teilnehmenden, die bisher erfolgreich an dem Modellversuch in wenigen Städten mitgemacht haben, per Gnadenakt eine Fortsetzung zu ermöglichen. Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage. Diese muss sich auf drei Dinge beziehen. Es müssen das Betäubungsmittelgesetz, das Arzneimittelgesetz und auch - sehr wichtig - die Betäubungsmittelverordnung geändert werden. Es liegen Vorschläge vor, wie man das machen kann, ohne Hexenwerk betreiben zu müssen. Es geht jetzt nur darum, dass tatsächlich auch eine gesellschaftliche Mehrheit für dieses Anliegen geschaffen wird.

Alle meine Vorredner haben zu den positiven Effekten des Versuchs Stellung genommen und ich möchte an dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Süchtige sind krank und dürfen nicht mangels Hilfe in die Kriminalität getrieben werden. Eine legale, streng kontrollierte Heroinabgabe und die damit einhergehende Entkriminalisierung des Suchtverhaltens nützt allen, denn sie verringert auch die durch die Sucht provozierten kriminellen Delikte.

Frau Trauernicht, Schleswig-Holstein hat schon vor Jahren durch Ihre Vorgängerin mit der Teilnahme an dem Methadonprogramm sehr früh erfolgreiche, bundesweite Pionierarbeit in der Suchtbehandlung geleistet.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, FDP, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich denke, der Beifall hier im Haus und auch der zögerliche Beifall der CDU, der doch einen deutlichen Sinneswandel gegenüber früheren Jahren dokumentiert, zeigt, dass der nächste große Reformschritt jetzt an der Zeit ist.

Ich habe vorhin vielleicht etwas despektierlich von weiblicher List gesprochen. Weibliche List und frauenpolitische Initiativen sind zwei sehr verschiedene Dinge. Weibliche List ist, wenn man ohnmächtig ist und trotzdem versucht, irgendwie zum Ziel zu kommen.

(Zurufe)

Ein offenes frauenpolitisches Auftreten kann mit mehr Rückhalt von anderen Strategien ausgehen.

Wir haben in der Vergangenheit eine lange Tradition eines sehr klugen Verhaltens des Gesundheitsministeriums im Umgang mit Bundesratsinitiativen und anderen Wegen, auf Bundesebene Erfolge zu erreichen, wenn es darum geht, einen gesellschaftlichen Sinneswandel in der Drogenpolitik herbeizuführen. Insofern vertraue ich darauf, dass es gelingt, dass auch Schleswig-Holstein diesmal eine entschlossene Initiative auf der Bundesebene zeigt. Wie das taktisch am geschicktesten ist, darüber können wir sicherlich im Ausschuss debattieren. Dazu wird der große Erfahrungsschatz der Ministerin beitragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich noch einmal versuchen möchte zu verdeutlichen, was wir mit diesem Antrag anstreben. Bei der Gruppe, die wir hier im Auge haben, handelt es sich um Menschen, die man anders nicht erreichen oder behandeln kann. Wenn man das nicht tut, was wir vorgeschlagen haben, gibt man diese Gruppe auf. Das muss man einfach so sagen. Deswegen reicht ein Modellprojekt oder die Fortschreibung eines Modellprojekts nicht aus. Wir müssen aufgrund der Erfahrung, die wir gemacht haben, versuchen, aus dem Modellprojekt herauszukommen und eine nachhaltige Regelung gesetzlicher Art zu schaffen. Das ist das eine.

Das Zweite ist: Wenn man eine 30 Millionen € teure Studie durchführt und feststellt, dass es richtig gut gelaufen ist und richtig positive Effekte erzielt wurden, dann sollte man diese auch umsetzen. Das ist immer die Maxime in diesem Hohen Haus gewesen, nicht nur von uns, sondern auch von allen anderen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Punkt: Ich habe es nicht so verstanden wie Frau Birk, dass Frau Tengler ein bisschen zögerlich gewesen sei. Ich fand es supermutig und sehr positiv, wie sie mit dem Thema umgegangen ist. Ich habe wesentlich schärferen Widerstand er

(Angelika Birk)

wartet und muss wirklich sagen: Frau Tengler, Hut ab! Das macht mir Hoffnung, dass wir doch etwas gemeinsam im Ausschuss hinkriegen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW], Torsten Geerdts [CDU] und Konrad Nabel [SPD])

Noch etwas zu Herrn Eichstädt: Wenn ich es mir richtig aufgeschrieben habe, haben Sie gesagt, dass Sie dem sicherlich beitreten oder es positiv begleiten, wenn andere eine Initiative im Bundesrat ergreifen würden. Das finde ich gut. Aber, wenn man auf andere wartet, dann wartet man viel zu lange. Dann kann man es auch selber machen, wenn man davon überzeugt ist. Sie haben aber auch gesagt, man müsste ein Programm auflegen, und die Frage gestellt, ob es in Ihrem Programm reicht und Ähnliches. Das ist für mich nicht die Frage, die sich stellt. Das ist eine fachliche Frage, die die klugen Leute beantworten müssen, die sich täglich damit beschäftigen. Das ist nicht die Frage, die ich mir als Politiker stelle.

Als Politiker stelle ich mir die Frage, wie ich die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffe, dass es in Schleswig-Holstein möglich ist. Es muss nicht unbedingt gemacht werden, wenn wir es hier nicht brauchen. Dann ist vielleicht in Hamburg oder in Hannover die erste Stadt, in der es gemacht wird. Es würde uns als Land Schleswig-Holstein aber gut zu Gesicht stehen, wenn wir die Initiative ergreifen würden, und zeigen, dass man bei Bedarf in unserem Land und nicht nir in Hamburg oder Hannover solche Programme umsetzen kann. Deswegen sagen wir: Nur wenn man das, was wir jetzt als Modellprojekt haben, verstetigt und in Gesetze gießt, haben wir die Chance, wirklich ohne Schwierigkeit schnell handeln zu können, wenn der Bedarf da ist. Das ist unsere Intention und ich würde mich freuen, wenn wir zumindest im Ausschuss versuchen würden, einen gemeinsamen Antrag hinzukriegen. Wir haben den Antrag extra so formuliert, wie wir ihn formuliert haben. Wir hätten auch mit einem konkreten Gesetzesvorschlag kommen können, aber wir denken, dass es klüger ist, eine gemeinsame Gesetzesinitiative zu machen, und ich würde mich freuen, wenn wir das im Ausschuss hinbekämen.

(Beifall - Unruhe)

Wenn unbedingt bilaterale Gespräche geführt werden müssen - auch in den letzten Reihen -, dann bitte ich, diese ins Foyer zu verlegen.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Herr Kalinka, Sie waren nicht gemeint.

(Heiterkeit)

Damit hat für die Landesregierung die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der erneuten Ausführungen von Frau Birk zur Strategie von Frauen möchte ich vorab folgende Anmerkung machen: Mit dem Kopf durch die Wand ist keine geeignete Strategie, ganz unabhängig davon, ob Männer oder Frauen sie anwenden.

Liebe Frau Birk, ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit Theorie und Praxis von Feminismus und Frauenpolitik. Ihre krausen Vorstellungen sind mir noch nirgendwo untergekommen. Ich hoffe, das beschränkt sich auf den heutigen Tag. Ansonsten sind Sie mir durch so etwas noch nicht aufgefallen.