Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Liebe Frau Birk, ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit Theorie und Praxis von Feminismus und Frauenpolitik. Ihre krausen Vorstellungen sind mir noch nirgendwo untergekommen. Ich hoffe, das beschränkt sich auf den heutigen Tag. Ansonsten sind Sie mir durch so etwas noch nicht aufgefallen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP - Dr. Heiner Garg [FDP]: Jetzt haben auch wir et- was gemeinsam!)

Eine zweite Vorbemerkung: Das Thema der suchtabhängigen Menschen und insbesondere der schwerst suchtabhängigen Menschen ist so ernst, dass wir die Frage unseres Engagements nicht daraufhin zuspitzen sollten, ob wir nun die Initiative zu einer Bundesratsinitiative machen, sie mitmachen oder andere geeignete Strategien wählen, um zum Ziel zu kommen. Deswegen bitte ich, dass wir im Interesse der Menschen mit der gebotenen Seriosität dieses Thema angehen. Das will auch ich tun. Deswegen noch einmal zum Thema:

Zielgruppe des Modellprojekts für heroingestützte Behandlung von Opiatabhängigen waren die schwer kranken Heroinabhängigen, die durch die bestehenden Suchtangebote - und das war das Entscheidende - eben nicht oder nur unzureichend erreicht werden konnten. Sie sind jedoch dringend behandlungsbedürftig, weil sie krank sind. Suchtabhängigkeit ist Krankheit.

Untersucht wurde nun, ob diese Gruppe durch eine substitutionsgestützte Behandlung mit Diamorphin gesundheitlich und psychosozial besser stabilisiert werden kann als durch die substitutionsgestützte Behandlung mit Methadon. Inzwischen wissen wir, dass es eine statistisch signifikante Überlegenheit der Diamorphin-Behandlung gegenüber der Methadon-Behandlung gibt. Es gibt sowohl eine Verbesserung des gesundheitlichen Zustands als

(Lars Harms)

auch einen Rückgang des begleitenden illegalen Drogenkonsums. Weiterhin nahm die Kriminalität unter den mit Diamorphin behandelten Patienten deutlich stärker ab als in der Kontrollgruppe. Zudem hat sich die Anzahl der regelmäßigen Beschäftigungsverhältnisse um 11 % erhöht.

Natürlich ist auch diese - und das wird oft diskutiert - diese Therapieform oft ausstiegsorientiert. Aber die Schwerstabhängigen müssen erst einmal durch die Diamorphin-Vergabe stabilisiert werden. Anders wären sie überhaupt nicht zu erreichen.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU], Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Die Diamorphin-Behandlung eignet sich somit für eine kleine Gruppe Schwerstabhängiger, die unter erheblichen gesundheitlichen Belastungen, unter sozialer Verelendung, unter erhöhtem Mortalitätsrisiko leiden und außerdem kriminalitätsbelastet sind. Sie ist die Ultima Ratio nach gescheiterten Therapieversuchen, da stehen unsere Erfahrungen ganz im Einklang mit ähnlichen Erfahrungen aus der Schweiz und den Niederlanden. Bundesweit wird von etwa 1.500 Opiatabhängigen ausgegangen, für die diese Therapieform infrage käme, also von deutlich mehr als denjenigen, die jetzt im Modellprojekt behandelt werden.

Gelegentlich steht zu lesen, dass diese Behandlungsmethoden die falschen Signale aussende und zur Legalisierung dieser Droge führe. Nein, darum geht es nicht. Es geht vielmehr um die Zulassung des nachgewiesenermaßen erfolgreichen Medikamentes Diamorphin.

Die Kosten dieser Behandlung, über die geredet wird, relativieren sich erheblich, wenn das Einsparpotenzial durch seltenere Krankenhausaufenthalte oder reduzierte Kriminalität gegen gerechnet wird. Dies muss man berücksichtigen, wenn man nicht begrenzt auf dieses Problem schaut.

Durch eine Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte ist eine befristete Weiterbehandlung der 272 noch verbleibenden Patienten mit Diamorphin bis zum 30.06.2007 möglich geworden. Das ist ein erfreuliches Zwischenergebnis, aber ich hoffe, dass dies nicht das letzte Wort ist. In allen Beiträgen ist deutlich geworden: Es besteht erheblicher Zeit- und Handlungsdruck, da dieser Termin ohne gesetzliche Regelung eine Deadline ist und die Patienten zuvor noch auf Methadon umgestellt werden müssten.

Die bisherigen Ergebnisse belegen eindeutig, dass das Modell einen gelungenen Weg darstellt. Alle

sieben am Modellversuch beteiligten Städte fordern deshalb eine Aufrechterhaltung dieser erwiesenermaßen wirksamen Behandlungsform für Schwerstabhängige.

Es ist doch keine Frage, dass wir hier in SchleswigHolstein mit unserer Tradition im Bereich der Sucht diese Fortsetzung der kontrollierten Diamorphin-Vergabe fordern und unterstützen und uns damit auch in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Polizeipräsidenten, der Bundesärztekammer, den Kirchen und den bundesdeutschen Suchtexperten befinden.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich halte eine Beendigung dieser Therapieform nicht für akzeptabel: nicht aus humanitären, nicht aus gesundheitspolitischen, nicht aus sozialpolitischen Gründen. Ich erwarte, dass neben der Fortführung des Modells eine gesetzliche Regelung erarbeitet wird.

Es wäre natürlich das Beste, wenn diese gesetzliche Regelung möglichst zügig aus der Mitte des Bundestages und der Mitte der Bundesländer käme, die diese Modellversuche durchgeführt haben und authentisch über ihre Wirkungen berichten können. Es steht außer Frage, dass das Land Schleswig-Holstein diese Entwicklung und diese Ziele unterstützen wird.

(Beifall)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/1228 (neu) an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann haben wir einstimmig so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Unteroffiziersschüler der Luftwaffe, Mitglieder des DRK-Ortsvereins Neudorf-Bornstein sowie Schülerinnen und Schüler der Humboldt-Schule, Kiel, mit ihren Lehrkräften. Seien Sie uns herzlich willkommen.

(Beifall)

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 14 auf:

Einsetzung einer Expertenkommission für eine Kommunal- und Verwaltungsstrukturreform in Schleswig-Holstein

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1215

Wird das Wort zur Begründung gewünscht. - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile der Vorsitzenden der Gruppe des SSW, Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lebenserfahrung zeigt, dass ein „Das habe ich doch gleich gesagt“ niemals zur Beruhigung in einem Streit führt, sondern nur die Gräben vertieft. Aber nicht nur darum will ich mir das heute verkneifen. Denn das, was der SSW bereits im Mai 2005 vorgeschlagen hat, nämlich die Einsetzung einer Expertenkommission, hat heute eine ganz andere Grundlage als damals.

Inzwischen ist das Thema der Verwaltungs- und Kreisreform nämlich der Ebene der Politiker und Funktionäre entwachsen. Die Bürgerinnen und Bürger melden sich zu Wort und sind in dieser Frage politisierter denn je. Wenn man in Nordfriesland oder Dithmarschen einkauft, kann es passieren, dass man beim Bäcker oder mitten im Supermarkt Zeugin einer Auseinandersetzung um die Kreisgebietsreform wird. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Thema aufgegriffen und diskutieren es leidenschaftlich. Die Leserbriefspalten insbesondere in der „Dithmarscher Landeszeitung“ nehmen inzwischen ganze Seiten ein.

Der Tenor bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern ist eine tief sitzende Unzufriedenheit mit dem Verfahren.

Darum geht es auch dem SSW: um das Entscheidungsverfahren. Ich möchte an dieser Stelle inhaltliche Fragestellungen völlig außen vor lassen. Es geht bei unserem Antrag weder um die richtige Aufgabenverteilung, die optimale Trägerstruktur noch um kurze Wege und Transparenz. Uns geht es einzig um das Verfahren.

Seit der allerersten Ankündigung hapert es nämlich genau daran, nämlich am Verfahren: Der Innenminister legt viele Entscheidungsgrundlagen erst nach energischem Nachfragen auf den Tisch. Die Große Koalition will Kreise ohne Beachtung bestehender, gut funktionierender Strukturen zusammenlegen und das möglichst schnell.

Ein Blick auf den Zeitplan der Landesregierung, wo die Aufgabenkritik am Ende des Entscheidungsprozesses platziert wurde, zeigt den Entscheidungsdruck: Erst kommen die Grundsätze und dann die Aufgabenkritik. Das sind Entscheidungen mit der

Brechstange. Ich kann nur vermuten, warum die Große Koalition so auf die Tube drückt.

Allerdings deutet es die nachrichtliche Erwähnung der Kommunalwahlen am Ende des ministeriellen Zeitplanes bereits an: Die Kreisgebietsreform soll schnellstens umgesetzt werden, damit sich der Rauch rechtzeitig vor der Kommunalwahl verzogen hat. CDU-Landesgeschäftsführer Daniel Günther hat öffentlich erklärt, dass die Kreisreform möglichst bald entschieden werden muss, damit man dann umso befreiter den Kommunalwahlkampf bestreiten könne.

Zeitdruck, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber ein ebenso schlechter Ratgeber wie Entscheidungen unter dem Druck eherner Prinzipien. Dazu zählt: big ist beautiful. Für Innenminister Stegner ist Größe an sich schon ein Einsparpotenzial. Sein Kollege Schünemann aus Niedersachsen ist da übrigens völlig anderer Meinung. Er sagte im letzten Juli: „Größe allein garantiert keineswegs höchste Effizienz“.

Der Konflikt um den Zuschnitt der Kreise hat sich an vielen Stellen zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zugespitzt. Darum müssen die Meinungsführer um ihre Glaubwürdigkeit fürchten, wenn sie auch nur eine Handbreit nachgeben. Vor zwei Jahren war die Rede vom Gordischen Knoten. Genauso sieht es heute aus. Aus den Blockaden und Trotzhaltungen müssen wir herauskommen, um zu einer vernünftigen Reform zu kommen. Schließlich will niemand, auch nicht die größten Kritiker, dass alles beim Alten bleibt. Der Reformdruck ist da.

Darum schlägt der SSW vor, das Verfahren durch neutrale Dritte neu aufzustellen. Auf diese Weise können dann auch alle Kontrahenten - allen voran der Innenminister -, ohne Gesichtverlust von den jeweiligen Bäumen kommen.

Wir haben bislang überhaupt noch nicht über Alternativen gesprochen, allenfalls über regionale Sonderwege. Bei einem einzigen Modell kann der Landtag nur dafür oder dagegen entscheiden. Im Saarland entwickelte man sogenannte Szenarien. Das fehlt bei uns völlig. Die Unterlegenen haben keine Chance, ihre Vorstellungen einzubringen, wenn es nur um das Für und Wider eines einzigen Modells geht. Dementsprechend groß wird der Frust sein.

In Skandinavien hat man sehr gute Erfahrungen damit gemacht, vor Strukturentscheidungen zunächst die Analyse von Experten einzuholen. Erfahrungen mit Experten haben wir in Schleswig-Holstein durchaus auch. Damit meine ich unter anderem die Anhörungen in den Ausschüssen. Dort gibt unaufgeregte Sachlichkeit einer Debatte oftmals

(Präsident Martin Kayenburg)

ganz neue Impulse. Der SSW zieht diese Analysen gern und häufig in seine Entscheidungen mit ein, wenn es denn wirklich Expertenmeinung ist und kein plumper Klientelismus. Wer allerdings Gutachter einlädt, die lediglich die eigene Meinung bestätigen, torpediert das gesamte Verfahren.

Wir hoffen, dass die Expertenkommission noch vor den Sommerferien drei Modellvarianten vorschlägt. Die können dann durchgerechnet werden. Joachim Jens Hesse, der unter anderem Gutachter für Niedersachsen und das Saarland war, sollte unbedingt einer der Experten sein.

Wir müssen die Vor- und Nachteile der Modelle dann im Herbst offen diskutieren und durchrechnen. Das war übrigens 1974 nicht anders. Da gab es auch mehrere Varianten. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall beim SSW)

Für die Fraktion der CDU hat Herr Abgeordneter Werner Kalinka das Wort.

(Lothar Hay [SPD]: Da bin ich gespannt!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berichtsanträge oder die Einsetzung von Expertenkommissionen bringen in diesem Prozess nichts Neues mehr.

Wir hatten einen ähnlichen SSW-Antrag am 25. Mai 2005. Wir hatten in der sogenannten Konkretisierungsvereinbarung eine ähnliche Formulierung am 16. März 2005. Ich erinnere an die Fortentwicklung zur Verwaltungsreform 2003 und den Sonderausschuss des Landtages. Erkenntnisdefizite haben wir nicht. Wir haben vielmehr einen Handlungsbedarf.

Weitere Berichte oder Kommissionen sind nicht zielführend. Nötig ist ein Gesamtkonzept und insoweit wären wir inhaltlich vom SSW nicht fern. Wir brauchen ein Gesamtkonzept; darin besteht Einigkeit und das ist auch kein Thema.