Protokoll der Sitzung vom 23.03.2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich; jedenfalls alle, die hier sind. Erkrankt sind Frau Abgeordnete Susanne Herold sowie Herr Minister Dr. Christian von Boetticher. - Ich wünsche der Frau Kollegin und dem Herrn Minister von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Die Abgeordneten Claus Ehlers und Lothar Hay sind für den heutigen Sitzungstag beurlaubt. Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind Herr Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und die Herren Landesminister Döring und Wiegard beurlaubt.

Auf der Tribüne begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrkräften von der Städtischen Realschule in Plön. - Seien Sie uns alle ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Finanzielle Auswirkungen der Unternehmensteuerreform auf den Landeshaushalt

Antrag der Abgeordneten des SSW

Für die Abgeordneten des SSW hat die Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Wochen hat das Weltwirtschaftsinstitut in Kiel die Wachstumsprognose für 2008 auf 2,8 % erhöht. Sie wissen, die deutsche Wirtschaft wuchs im letzten Jahr um 2,7 %. Die großen Unternehmen haben wieder Rekordgewinne erwirtschaftet. Deutschland ist weiterhin Exportweltmeister und wird es auch in diesem Jahr sein. Das ist der Hintergrund, vor dem die Bundesregierung letzte Woche mit ihrem sozialdemokratischen Finanzminister eine Unternehmensteuerreform beschloss, die die Unternehmen um mindestens 5 Milliarden € - nach DGB-Angaben vielleicht sogar um 10 Milliarden € - pro Jahr entlasten wird. Dieses Geld fehlt

den öffentlichen Kassen in den nächsten Jahren. Experten sprechen davon, dass den öffentlichen Kassen bis zum Jahr 2011 insgesamt bis zu 30 Milliarden € fehlen werden.

Der Bundesfinanzminister argumentiert damit, dass die steuerliche Belastung der deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich viel zu hoch sei. Das haben wir der Presse entnehmen können. Richtig ist, dass der theoretische Steuersatz bei rund 39 % liegt. Der EU-Durchschnitt beträgt 30 %. Nach Berechnungen der EU sind es faktisch aber nur 20 %, weil es in dem deutschen Steuerrecht sehr viele Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen gibt. Das heißt, die deutsche Wirtschaft ist mit der realen Steuerlast - international betrachtet immer noch wettbewerbsfähig. Sie ist Exportweltmeister. Ich sagte es vorhin schon: Fest steht, dass der Export auch weiterhin steigen wird. Deshalb ist die Frage, ob die deutschen Unternehmen jetzt wirklich weiter steuerlich entlastet werden sollten. Es ist die Frage, ob das vor dem Hintergrund eines Arbeitsmarktes, der immer noch von Massenarbeitslosigkeit geprägt ist, vor dem Hintergrund von Flaschenhalsproblemen und Weiterbildungsbarrieren die zentrale Problemstellung ist. Ich denke, das sind die beiden Agenden, die es gegeneinander abzuwägen gilt.

Es ist zwar löblich, wenn Herr Steinbrück jetzt viele Steuerschlupflöcher schließen will, aber von der Senkung der Körperschaftssteuer von 25 % auf 15 % und von der Absenkung der Steuern auf Gewinne von Kapitalgesellschaften von circa 39 % auf 29 % sowie von der weiteren Ungleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften profitieren aus unserer Sicht weiterhin in erster Linie die großen Konzerne. Dazu kommt, dass die Verluste an Steuereinnahmen für die öffentliche Hand katastrophale Folgen hätten. Gesagt wird, dass es langfristig gesehen - einen Ausgleich durch mehr Arbeitsplätze und höhere Gewinne geben wird. Aus Sicht des SSW ist all dies vorläufig noch eine Wunschliste. Es ist also reine Utopie. Dazu gehört, dass die Mehrwertsteuer erhöht worden ist. Dazu gehört, dass Menschen jetzt fragen: Warum kommt die Rente mit 67, die in Wirklichkeit eine Rentenkürzung darstellt? Fest steht, dass für viele Menschen nicht zu sehen ist, warum jetzt wieder Bürgerinnen und Bürger betroffen sind und Unternehmen entlastet werden sollen. Das hat auch aus Sicht des SSW nichts mit sozialer Marktwirtschaft zu tun.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass die letzte Unternehmensteuerreform aus dem Jahr 2001 - auch mit einem sozialdemokratischen Bundesfinanzminister - wirklich zu katastrophalen Einbrüchen im Landeshaushalt geführt hat. Finanzminister Wiegard hat im Finanzausschuss Zahlen präsentiert, die deutlich machen, dass wir mit Einbußen im dreistelligen Millionenbereich rechnen müssen. Wenn ich bedenke, wie schwierig es war, mit dem Doppelhaushalt 2007/2008 überhaupt eine Einsparung von knapp 300 Millionen € zu verabschieden, dann fühlt man sich - so denke ich - wirklich wie Sisyphus, dessen Felsbrocken, wenn er oben auf dem Berg angekommen ist, immer wieder herunterrollt.

Wie sollen diese Einnahmeausfälle aufgefangen werden? Welche weiteren sozialen Einschnitte müssen gemacht werden, um diese Verluste auszugleichen? Wie will man überhaupt eine solide Haushaltskonsolidierungspolitik führen? Wenn der Ausstieg der Steuereinnahmen, den es geben wird und den wir jetzt schon zu verzeichnen haben, zur Deckung dieser Ausfälle benutzt wird, dann stellt sich die Frage, was mit der Schuldentilgung ist, die alle wollen und die von der Großen Koalition auch als oberste Priorität angesehen wird. Mit einem Handstrich aus Berlin werden also die finanzpolitischen Anstrengungen der letzten Jahre ganz einfach zunichte gemacht. Damit werden auch die vielen Opfer der Kommunen und der Landesbediensteten sowie der vielen Organisationen und auch der Eltern im ländlichen Raum, um es einmal ganz konkret zu formulieren, zunichte gemacht. All diese Opfer waren umsonst. Darum sage ich: Die Landesregierung muss im Bundesrat gegen diese Unternehmensteuerreformsteuer stimmen. Das erwarten wir von ihr.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Hoffnung, dass es so kommen wird, weil sich nicht nur der jetzige, sondern auch der designierte Landesvorsitzende der SPD dahin gehend geäußert hat, dass man dieser Unternehmensteuerreform - so wie sie vorliegt - nicht zustimmen kann. Wir meinen also: Wenn es der SPD um den roten Faden der sozialen Gerechtigkeit geht und wenn ihr dieser Faden etwas wert ist, dann kann sie nur so vorgehen.

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit!

(Anke Spoorendonk)

Insgesamt denke ich, dass wir als Landtag in der Pflicht stehen, deutlich zu machen, dass die Erfahrung, die wir mit der Unternehmensteuerreform 2001 gemacht haben, nicht umsonst sein kann. Wir können nicht so tun, als litten wir alle unter politischer Demenz. Wir müssen handeln. Hier müssen wir Nein sagen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich darf darauf hinweisen, dass nach § 32 unserer Geschäftsordnung jedem Redner fünf Minuten zustehen und das Verlesen von Reden unzulässig ist.

Für die Fraktion der CDU hat der Herr Kollege Sauter das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Steuerreformen lösen, wenn man sie debattiert, eigentlich nie ungeteilte Begeisterung aus, auch nicht bei denen, die die Steuerreformen befürworten. Das ist auch diesmal so.

Natürlich gibt es aus allen Bereichen Vorstellungen, die sich innerhalb des jetzigen Reformpakets nicht wiederfinden. Das ist auch bei mir so. Trotzdem befürworte ich diese Steuerreform, weil sie in den großen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang passt.

Der große politische und gesellschaftliche Zusammenhang heißt: Fähigkeit Deutschlands zum Wettbewerb mit den europäischen Nachbarstaaten und darüber hinaus. Wettbewerbsfähigkeit heißt, dass man in Konkurrenz zu Ländern tritt, die ähnliche gesellschaftliche Strukturen haben und wo man nicht sagen kann: In Deutschland ist es so schön; das kostet viel Geld; deswegen erheben wir mehr Steuern und deswegen haben wir unseren Standortvorteil an anderer Stelle. Dies ist nicht der Fall, meine Damen und Herren.

Wer im Wettbewerb steht, sich aber dem Wettbewerb nicht stellt, sich mit ihm nicht auseinandersetzt, wird darin untergehen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der SPD)

Wenn wir hier auch über die Auswirkungen auf den Landeshaushalt und über Steuermehreinnahmen, die auf der Grundlage von Daten der Steuerschätzung von Mai 2006 ermittelt worden sind, debattieren und anfangen, buchhalterisch ermittelte Zahlen zu einer Angstvorstellung werden zu lassen, und

dafür volkswirtschaftlich nicht notwendige und global geforderte Maßnahmen ergreifen, dann werden wir an unserer Ängstlichkeit scheitern und diesen Standort in seinem Wettbewerb zurücksetzen.

Was heißt „Wettbewerb der Standorte“? Die europäischen Nachbarstaaten haben seit Anfang der 80er-Jahre ihre Steuersysteme reformiert. Reformiert heißt nicht, dass die Staaten auf Unternehmensteuern verzichtet hätten oder gar Geschenke gemacht hätten, sondern reformiert heißt, dass sie die Bemessungsgrundlagen für die Versteuerung verbreitert und die Steuersätze geändert, und zwar gesenkt, haben. Dies bei konstantem oder steigendem Steueraufkommen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)

- Herr Hentschel, Sie sind Naturwissenschaftler. Sie können dies durchaus nachvollziehen: Es ist eine Gleichung ohne Unbekannte.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Hier möchte ich einen kleinen Einschub machen. Auch bei der Föderalismusreform II werden wir eine Wettbewerbsdiskussion über das Einkommensteueraufkommen der Bundesländer und seine Gestaltbarkeit bekommen. Es werden bundeslandbezogene Hebelsatzregelungen diskutiert mit der Konsequenz, dass wir in der Einkommensteuerbelastung 4 bis 5 % Unterschiede in der Progression haben werden. Dies ist Wettbewerb, der die einzelnen Bundesländer dazu zwingen wird, ihre Systeme zu überdenken, ihre Haushalte zu reformieren und ihre eigenen Positionen neu aufzustellen.

Was bedeutet diese neue Steuerreform? Frau Spoorendonk hat erklärt, die Unternehmen kriegten die Steuern geschenkt. Das ist aber nicht der Punkt. Hier geht es um Folgendes: Die Steuersätze werden für diejenige Gewinne gesenkt, die im Unternehmen verbleiben. Ich bin mir sicher, dass sich von jeder Fraktion und von allen Seiten dieses Parlaments Redebeiträge gefunden werden, in denen gefordert wird: Wir müssen die Eigenkapitaldecke der Unternehmen stärken. Nichts anderes wird mit der neuen Steuerreform getan, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Der Effekt, der sich aus den Prognoseberechnungen über die Auswirkungen der Steuerreform niederschlägt, darf nicht übersehen werden. Es ist klar: Wenn die Gewinne, die in den Unternehmen verbleiben, für Investitionen verwendet werden, wodurch Arbeitsplätze geschaffen werden, die für Wirtschaftswachstum sorgen, dann ist es sinnvoll,

sie niedriger zu besteuern. Dadurch bekommt man natürlich zunächst einmal niedrigere Einnahmen. Aber, was an Gewinnen in den Unternehmen bleibt, wird irgendwann ausgeschüttet. Auch nach dieser Steuerreform wird die steuerliche Belastung der ausgeschütteten Gewinne insgesamt und unter dem Strich bei knapp unter 50 % liegen. Damit sind wir kein Billigsteuerland; dies werden wir in Deutschland sicherlich auch nie werden. Wir werden immer ein Steuersystem haben, das es uns ermöglicht, das, was wir als Gesetzgeber und in den Parlamenten zu verantworten haben, tatsächlich umzusetzen.

Wie ich sehe, ist meine Redezeit leider schon zu Ende.

(Zuruf von der CDU: Schade!)

- Ja, schade. Auch ich bedauere das.

Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Die Auswirkungen auf den Landeshaushalt werden mit rund 80 Millionen € Mindereinnahmen beziffert. Ich bestreite diese Zahl. Ich möchte jetzt nicht eine Prognose abgeben, die eine Punktlandung bedeutete. Das haben schon andere versucht. Punktlandungen sind in der Politik immer gefährlich.

Aber wir haben einen Finanzminister, der Vorsorge getroffen hat. Wir haben eine globale Mindereinnahme von 50 Millionen € pro Jahr in den Haushalt eingestellt. Ich garantiere Ihnen, dass wir mit diesen 50 Millionen € tatsächlich auskommen werden.

Diese Unternehmensteuerreform ist tatsächlich eine Investition in die Zukunft. Für Investitionen braucht man Mut. Mut ist nicht die Sache von Buchhaltern, sondern die von Politikern. Ich gehe davon aus, dass dieses Haus ein Haus mutiger Politiker ist.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Birgit Herdejürgen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Spoorendonk, jede Prognose ist so gut wie ihre Annahmen. Wenn man deiner Argumentation folgen würde, Anke, dann würden wir uns in eine Reformunfähigkeit begeben. Das sollten wir vermeiden.

Die Zahlen, die uns im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf vorliegen, unterliegen einer ganzen Reihe von angenommenen Entwicklungen, die zwar einigermaßen plausibel, aber nicht sicher sind.