Ich meine, wir müssen deshalb unser Augenmerk auf die Nachwuchsgewinnung richten. Viele der Jugendlichen werden über das Medium der Musik, über provokante Aktionen und die Sauf- und Prügelkumpanei der Kameradschaften sowie auch durch sogenannte Fan-Clubs angezogen und mit menschenfeindlichen Weltbildern vertraut gemacht.
Zwei Maßnahmen sind nach meiner Meinung besonders Erfolg versprechend. Das Instrument der kriminalpräventiven Räte hat sich bewährt und sollte, wo notwendig, ausgebaut werden. Ich habe als Gemeindevertreter die Erfahrung gemacht, wie wirksam es sein kann, wenn sich Vertreter der Kirche, der Gemeinde, der Polizei, Schüler und Lehrer, der Sozialarbeit, Sportvereine und Feuerwehr treffen und sich gemeinsam um ihre Jugendlichen und ihre Brennpunkte im Ort kümmern. Wenn Jugendliche, gerade im Zusammenhang mit Rechtsextremismus, direkt angesprochen und aus ihrer Anonymität herausgeholt werden, ist es sehr gut möglich, solche Szenen aufzubrechen. Diese Erfahrung haben wir vor Ort gemacht. Das muss systematisch gemacht werden. Ich glaube, das ist die einzige wirklich gute Chance, die wir haben.
Der zweite Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, ist eine möglichst präzise Lageinformation der kommunalen Behörden. Da spreche ich den Minister an. Wir haben Informationen von unseren Kommunalpolitikern bekommen, dass die Landespolizei da relativ zugeknöpft ist. Auf eine entsprechende Kleine Anfrage im letzten Jahr antwortete der Innenminister:
„Lageberichte des polizeilichen Staatsschutzes werden aus Gründen des Geheimschutzes nicht herausgegeben. Umfassende Informationen zur Entwicklung des Rechtsextremismus können dem jährlichen Verfassungsschutzbericht der Landesregierung entnommen werden.“
bilden, wenn sich Treffs herausbilden, dann ist es wichtig, dass die Kommunen und engagierten Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden informiert werden und darauf reagieren können. Dafür müssen wir unter Beachtung des Datenschutzes und des Geheimschutzes geeignete Wege finden. Ich meine, das müsste möglich sein, und das sollte auch noch einmal besprochen werden.
Meine Damen und Herren, Demokratie lebt vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Projekte, wie sie von der Möllner Gedenkstätte ehrenamtlich organisiert werden, wo geeignete Unterrichtseinheiten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit für Schulklassen aller Altersstufen angeboten werden, stoßen auf sehr große Nachfrage.
Sie müssen unbedingt von den Kommunen und von Land und Bund weiter unterstützt werden. Sie sind ja gerade dabei, das Projekt als Modellprojekt beim Bund anzumelden. Ich hoffe, dass das klappt.
Ich halte gerade solche Projekte, die in Schulen gehen und fertige Unterrichtseinheiten in Schulen machen, wozu Leute, etwa Afrikaner, eingeladen werden, wo Gespräche in Synagogen geführt werden, wo mit Ausländern geredet wird, wo aber auch Holocaust-Denkmäler besucht werden und darüber Gespräche geführt werden, für eine große Hilfe für die Schulen. Das trägt auch dazu bei, die oft bestehende Sprachlosigkeit auch der Lehrer im Zusammenhang mit den Problemen des Rechtsextremismus und der Vergangenheitsbewältigung aufzubrechen. Die sind sehr dankbar, wenn solche Angebote gemacht werden. Das wichtigste und wertvollste Instrument gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ist eine wache Bürgergesellschaft vor Ort.
Ich danke dem Abgeordneten Karl-Martin Hentschel. - Das Wort für den SSW im Landtag hat dessen Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verfassungsschutzbericht 2006 zeigt einmal mehr, dass die größte Gefahr für die Demokratie immer noch von den rechtsradikalen Kräften in unserem Land ausgeht. Denn während sich sowohl der Linksextremismus als auch der Islamismus auf viele Organisationen und versprengte Gruppierun
gen verteilen, die damit mehr oder weniger sektiererisch daherkommen, gilt für den Rechtsextremismus, dass es einer Partei, nämlich der NPD, gelungen ist, sich eine zentrale Position zu erarbeiten. Dass die NPD kaum auf dem Boden des Grundgesetzes steht, geht ja in beeindruckender Weise aus dem Bericht der Landesregierung hervor. Die NPD versucht mit den Mitteln unseres demokratischen Staates ein anderes System herbeizuführen. Die Wahlerfolge in Sachsen und jüngst in Mecklenburg-Vorpommern haben den Mitgliedern der NPD ein großes Selbstbewusstsein und ein Gefühl des Aufwinds verschafft. Sie hat es geschafft, die verschiedenen rechten Strömungen und Gruppierungen einzufangen, um sich durch ein strategisches Bündnis mit der DVU auch die Voraussetzungen für künftige Wahlerfolge zu ermöglichen.
Auch wenn die Mitgliederzahl der NPD in Schleswig-Holstein immer noch auf niedrigem Niveau liegt, so ist sie doch in den letzten Jahren etwas angestiegen. Der Innenminister hat recht, wenn er sagt, dass die Neonazis und ihre Verbündeten immer frecher auftreten. Das hängt natürlich damit zusammen - ich zitiere aus dem Bericht -, dass die rechtsextremistischen Positionen keinesfalls mehr ein Nischendasein im Umfeld subkultureller Jugendlicher oder unverbesserlicher Alt-Nazis führen. Vielmehr wird ganz allmählich klar, was auch durch viele Studien belegt wird, dass das rechtsradikale Gift längst in die Mitte der Gesellschaft gesickert ist. Fremdenfeindlichkeit und plumpes rechtes Gedankengut sind an Stammtischen und Kaffeetafeln alltäglicher Gesprächsstoff.
Man macht es sich also zu einfach, den Rechtsextremismus im Lande nur als Spinnereien einiger weniger zu verniedlichen. Die demokratischen Parteien müssen aufwachen und sich der Herausforderung stellen. Denn obwohl diese Probleme seit über einem Jahrzehnt erkannt sind, hat die Politik neben Überwachung, Solidaritätsbekundungen und Jugendprojekten wenig dagegen auf die Beine stellen können.
Daher bleibt der SSW bei seiner Position, die ich schon bei anderer Gelegenheit vertreten habe: Die demokratischen Kräfte müssen aus unserer Sicht viel stärker als bisher die Argumente der Rechtsradikalen offen aufgreifen und sich auch damit auseinandersetzen. Sie müssen öffentlichkeitswirksam die Mythen über schmarotzende Ausländer mit Fakten widerlegen. Und sie müssen mehr Verständnis für die Sorgen entwickeln, die viele Bürgerinnen und Bürger mit sozialen Themen wie Arbeitslosigkeit und Hartz IV verbinden.
Bisher hat sich der Kampf gegen Rechts darauf konzentriert, Demokraten zu bestärken und rechtsradikale Jugendliche für die Demokratie wiederzugewinnen. Die Politik muss aber auch Energie darauf verwenden, sich ernsthaft und sachlich mit den vielen Erwachsenen auseinanderzusetzen, die für das Gedankengut der rechten Rattenfänger offen sind. Nur mit verfassungsrechtlichen Mitteln ist dieses Problem nicht in den Griff zu bekommen. Denn die NPD versteht es geschickt zu vermeiden, offen mit rechtsextremistischen Positionen zu werben. Sie versucht stattdessen oft, allgemeine soziale Themen oder sogar regionale Probleme aufzugreifen. Das Thema Kreisgebietsreform und Dithmarschen ist schon von den Vorrednern angesprochen worden. Das belegt ja, wie wichtig es ist, dass deutlich gemacht wird, dass eine solche Bürgerinitiative natürlich nichts mit Rechtsradikalismus zu tun hat. Dieses Beispiel macht aber deutlich, dass das Thema ausgebeutet und ausgenutzt werden kann.
Der Bericht geht auf einige Schwerpunkte der rechtsextremen Szene ein. So gibt es in Dithmarschen mit Neufeld ein Zentrum. Wie wir den Medien entnehmen konnten, hatte die Polizei mit einem großen Einsatz versucht, eine Neonazi-Versammlung wegzuräumen. Weiterhin gibt es auch im Großraum Lübeck und in Neumünster mit dem ominösen Club 88 solche regionalen Schwerpunkte. Von Aktivitäten im Landesteil Schleswig ist im Bericht der Landesregierung nicht die Rede. Aber „Flensborg Avis“ hat letztlich berichtet, dass es eine „Kameradschaft NF“ gibt, die versucht, linksalternative Jugendliche zu bedrohen. Auch damit sollte man sich beschäftigen.
Im Hinblick auf die anderen Aspekte dieses Berichtes will ich noch kurz etwas zum Thema Islamismus sagen. Angesichts der Ereignisse der letzten Jahre und auch vor dem Hintergrund, dass einer der so genannten Kofferbomber in Kiel lebte, widmet die Landesregierung den extremistischen Bestrebungen von Ausländern und auch dem Islamismus einen großen Teil des Berichtes. Dabei wird aber deutlich, dass auch die Verschärfung der Gesetze von Bund und Ländern in den letzten Jahren keinen wirklichen Fortschritt bei der Bekämpfung dieser extremistischen Ausländer gebracht hat. Darum bleibt aus meiner Sicht die Schlussfolgerung: Wir können nicht mit weiter verschärften Gesetzen weiterkommen. Was wirklich angebracht ist, ist ein Dialog mit muslimischen Gruppierungen, mit Menschen, die hierher kommen. Erst wenn wir einen solchen Dialog über gemeinsame Werte hinbekommen, werden wir auch weiterkommen.
Ja. - Die Wertediskussion ist aus unserer Sicht also viel wichtiger für den Erhalt der Demokratie als so manche Gesetzesverschärfung aufgrund aktueller Bedrohungen.
Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Es ist beantragt worden, den Bericht Drucksache 16/ 1358 dem Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind jetzt noch reichlich vor der Zeit, trotzdem schlage ich vor, an diesem Punkt die Sitzung zu unterbrechen und nicht noch die Punkte ohne Aussprache oder irgendwas zu beraten. Das können wir an anderer Stelle tun.
Gestatten Sie mir jetzt noch zwei Hinweise. Ich bitte die Abgeordneten sehr herzlich, zum Festakt um 12 Uhr pünktlich wieder hier zu sein, und ich bitte Sie, die Tische so zu räumen, dass es nicht nach Arbeit, sondern ein bisschen nach Festakt aussieht. Wir treffen uns dann hier im Plenum um 15 Uhr zu Tagesordnungspunkt 38, Europabericht, wieder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung nach der Mittagspause und begrüße Sie recht herzlich.
Bevor ich in die Tagesordnung eintrete, teile ich Ihnen mit, dass Herr Minister Dr. von Boetticher wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtung beurlaubt ist.
Auf der Tribüne begrüße ich Senioren des Bundes Deutscher Nordschleswiger aus dem Bezirk Tondern. - Herzlich willkommen, meine Damen und Herren!
Schleswig-Holstein in Europa: Europapolitische Schwerpunkte der Landesregierung 2007 Europabericht 2007
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Angst! Ich werde nicht über das europäische Mehrebenensystem oder europäische Sandwichs reden.
Meine Damen und Herren, der Europabericht dient dazu, dem Landtag einen Ausblick auf die europäischen Schwerpunkte des Jahres zugeben. Aus terminlichen Gründen war eine Debatte vorher leider nicht möglich. Immerhin gibt uns der späte Termin Gelegenheit, auch jetzt schon über einige Dinge in der europäischen Ratspräsidentschaft zu reden.
Aus der Fülle der Themen des Europaberichts, mit dem wir uns im Ausschuss sicherlich detailliert beschäftigen werden, möchte ich nur zwei Bereiche aufgreifen: die soziale Dimension Europas und die europäische Meerespolitik.
Wir alle wissen: Wir sind kein Mitgliedstaat. Wir sind eine kleine Region in Europa. - Trotzdem ist es meiner Meinung nach richtig und wichtig, dass wir aktiv sind und uns auf die Themen beschränken, die für unsere eigene Zukunft besonders wichtig sind. Denn: Wer klein ist, der muss schnell und schlau sein, um seine Anliegen in Brüssel vortragen zu können. Schleswig-Holstein ist schnell und schlau.
Das beweisen wir in der europäischen Meerespolitik. Wir haben innerhalb kürzester Zeit ein sehr gutes Standing in Brüssel erarbeitet. Damit müssen wir weiter wuchern und wir müssen es in konkrete Politik umsetzen. Wir stehen noch ganz am Anfang. Aber auch 2007 wird dies ein Schwerpunkt der Landesregierung sein.
Die unter unserer Federführung im März in Brüssel veranstaltete Konferenz der norddeutschen Länder zum Thema „Meer und Wirtschaft“, der Abschluss
des Konsultationsprozesses zum Grünbuch und der anschließende Aktionsplan sind nur drei Beispiele für die ungeheure Eigendynamik, die das Thema Meerespolitik entwickelt hat. Es ist erstaunlich, wie in kurzer Zeit ein solcher Begriff geprägt und mit Leben erfüllt wird.