Liebe Kolleginnen und Kollegen, der europäische Prozess darf nicht scheitern. Wir haben die längste Periode des Friedens in Europa. Es wächst die dritte Generation in Frieden und Freiheit heran. Aber gerade diese dritte Generation Jugendlicher zwischen 18 und 24 Jahren stimmte in den Niederlanden als stärkste Wählergruppe mit 65 % gegen die Europäische Verfassung. Das macht Sorge.
Analysen über die Begründung des Scheiterns der beiden Abstimmungen nennen einige Schwerpunkte, die neben den nationalen Gründen zum Abstimmungsergebnis in den Niederlanden und in Frankreich geführt haben und die die Zustimmungsbereitschaft in anderen Ländern zu beeinflussen drohen.
Dazu gehört erstens die Bedeutung der Verfassung. Sie ist mit ihren fast 500 Seiten und 465 Artikeln mit ihren Chancen für die Gestaltung des Einigungsprozesses der EU den Menschen nicht klar geworden. Viele haben das zu verantworten. Die Hoffnung ist da, dass zusätzlich Informationsbüros helfen, die Menschen auf dem Einigungsprozess mitzunehmen.
In Schleswig-Holstein haben wir demnächst als Informationszentralen die Landesgeschäftsstelle der Europa-Union in Kiel und die Akademie für ländliche Räume in Eckernförde. In Deutschland haben wir dann insgesamt 48 Informationsbüros, in der EU werden es insgesamt 400 sein. Aber warum erfolgt erst jetzt diese Aktivität?
Zweitens. Europa ist für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger nicht verständlich, die Entscheidungen sind nicht nachvollziehbar. Europa ist zu sehr eine Sache der offiziellen gigantischen EU-Politik und zu wenig eine Angelegenheit der Bürger.
Die Regulierungswut der EU greift in viele föderale Lebensbereiche hinein und erzeugt Ablehnung. Die Bürger spüren, dass sich Europa um Probleme kümmert, die weit besser auf der Ebene der Kommune, des Landes, der Regionen gelöst werden könnten.
Einige unverständliche Beispiele von EU-Regelungen seien nur als Überschriften genannt: Regelung über Pökelsalz zur Schinkenherstellung, die Chemikalienrichtlinie, Forderung nach europaweitem Tempolimit von 90 Stundenkilometern, die Konfitürenverordnung, Regelung über Zahlungen von Brillen und Behandlungen, EU-Seilbahngesetz. Bananen-, Tomaten-, Gurken- und Eierrichtlinien - über ganz Europa geregelt - komplettieren diese sehr zweifelhaften Maßnahmen.
Meine Schlussfolgerung lautet: Man muss und wird das gesamte Regelwerk stärker nach dem Grundsatz der Subsidiarität - darüber werden wir heute Nachmittag sprechen - umsetzen und auch Aufgaben zurückverlangen.
Eine weitere Ursache für das Nein ist der Expansionsdrang der EU, die Schnelligkeit der Ausdehnung. Ich erwähne in diesem Zusammenhang den niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende, der sagte, schwer wiege auch eine Diskussion um die Immigration und einen Türkeibeitritt.
Die Diskussion über den weiteren Beitritt weiterer Länder wird fortgeführt werden müssen. Denn Erweiterungen ohne Vertiefung dürfen nicht fortgesetzt werden. Das würde das wirtschaftliche Vermögen, aber insbesondere auch die kulturelle Identität des jetzigen Europas gefährden.
Bulgarien und Rumänien kommen zu früh in die EU, weil beide Länder bei weitem nicht die Aufnahmekriterien erfüllt haben. Für die Türkei sollte nicht nur eine Verschiebung der Aufnahmeverhandlungen von mindestens fünf Jahren verfolgt werden, sondern es sollte die privilegierte Partnerschaft Ziel dieser Verhandlungen sein.
Diese realen Fakten und Empfindungen haben mit dem Verfassungsentwurf unmittelbar nichts zu tun. Sie existieren aber in vielen Ländern der EU und beeinflussen die Akzeptanz der EU und damit auch den Abstimmungsprozess des EU-Verfassungsentwurfs in vielen der 25 Länder.
Die negativen Abstimmungsergebnisse sind kein Urteil gegen die europäische Zusammenarbeit, so lauten die Aussagen der meisten unmittelbar betroffenen Politiker in den Niederlanden und in Frankreich. Die anderen 15 Länder sollten die Chance behalten und nutzen, in ihrem eigenen Land die Abstimmung auch mit Verzögerungen vorzunehmen. Ansonsten würden zwei Länder die Entwicklung ganz Europas bestimmen und die Abstimmung in den anderen neun Ländern wäre nutzlos.
Ein Zurück zu dem Nizza-Entscheidungsprozess für 25 Länder gibt es nicht. Dann wäre die EU nicht führbar, was schon bei 15 Ländern nur sehr schwerfällig möglich war. Ungeheure Aufgaben warten, die nur mit den Menschen gemeinsam zu lösen sind. Für diese Friedensaufgabe lohnt sich jede Anstrengung.
Ich danke dem Abgeordneten Ritzek. - Für die SPDFraktion hat die Abgeordnete Anette Langer das Wort.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde den vielen richtigen Bemerkungen und Anmerkungen noch einige Gedanken zum Thema Europa und Arbeitsmarkt zufügen. Vielleicht gibt es noch einige neue, die wir noch nicht gehört haben, sodass die Aufmerksamkeit ein bisschen steigt.
Man kann über Europa nicht diskutieren, ohne Chancen und Risiken eines gemeinsamen Wirtschaftsraums anzusprechen. Die Freizügigkeit für Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft bringt nicht nur Vorteile, sondern ruft auch Ängste, Befürchtungen und Ablehnung hervor. Bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden haben die Menschen nicht über die Chancen eines geeinten starken Europas mit seinen unbestreitbaren Vorteilen in der Sicherheits- und Friedenspolitik abgestimmt, sondern ihren Ängsten Ausdruck gegeben. Das ist hier schon vielfach angesprochen worden. Es gibt Angst vor Souveränitäts- und Kontrollverlust, Angst vor Lohn- und Sozialdumping.
Dabei hat Europa gerade diesen Befürchtungen eine Menge entgegenzusetzen. Europäische Beschäftigungspolitik zum Beispiel hat eine lange Tradition. Mit der Lissabonner Strategie wurde die gemeinsame Entwicklung eines europäischen Arbeitsmarktes bestimmt. Strategische Ziele für das nächste Jahrzehnt sind, die Bedingungen für Vollbeschäftigung in einem dynamischen Wirtschaftsraum und einen verstärkten Zusammenhalt in der EU bis 2010 herzustellen.
Dabei beschränken sich die Beschäftigungsleitlinien keineswegs nur auf die traditionelle Arbeitsmarktpolitik. Sie berühren auch die Politikfelder Soziales, Bildung, Steuer-, Unternehmens- und Regionalpolitik. Trotzdem haben all diese strategischen Überlegungen in der Vergangenheit nicht dazu geführt, die Menschen von Europa zu überzeugen und sie davon zu überzeugen, dass die Union Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung bringt und die Lebensverhältnisse der Einzelnen entscheidend verbessert. Im Gegenteil: Es ist mehrfach angesprochen worden, dass der Unmut seit Jahre schwelt. Die EU-Bürokratie beeinflusst mittlerweile fast jeden Lebensbereich und reglementiert beinahe alles. Es bleibt immer weniger
Raum für regionale Besonderheiten. Ausnahmen werden immer weniger. Bürgerinnen und Bürger in Europa fühlen sich, wenn sie nicht gelangweilt sind, eher bevormundet und fremdbestimmt als gefördert im Sinne eines gemeinsamen Interesses für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Die europäische Verfassung können wir in diesem Sinne nur als Chance betrachten. Sie kann deutlich machen, dass die EU nicht nur ein Handelsmarkt ist, sondern eine Gemeinschaft der Menschen und eine Gemeinschaft der Werte. Schon im ersten Teil der Verfassung verpflichtet sich die Europäische Union, ihre Politik auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt auszurichten und für soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz vor Diskriminierung zu sorgen.
In der Charta der Grundrechte sind die politischen und bürgerlichen Rechte ebenso verankert wie die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen. Außerdem gibt die EU-Verfassung den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Recht auf Streik und eigene Vertretungen. Mit der EU-Verfassung wird also weder das Ende der sozialen Marktwirtschaft eingeleitet noch entfällt jegliche Sozialbindung des Eigentums. Die aktuelle Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie, die auch schon angesprochen worden ist, sollte uns deutlich machen, wie einerseits europäische Freizügigkeit gestaltet werden kann, andererseits aber soziale und arbeitsmarktpolitische Ziele berücksichtigt werden. Es ist unbestritten, dass der Dienstleistungsbereich eine sehr große Bedeutung für die Beschäftigung in Deutschland und in der EU hat und viele Arbeitsplätze schaffen kann. Die neuen Regelungen dürfen aber nicht zu einem Dumping bei Entlohnung und Arbeitsbedingungen führen oder fundamentale Rechte von Arbeitnehmern beeinträchtigen.
Beispiele wie dieses machen deutlich: Europa braucht die Verknüpfung von wirtschaftlicher Freiheit mit dem Schutz sozialer Standards in einem gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt. Europa muss für seine Bürger verlässlich, berechenbar und erlebbar werden. Letztlich muss sich der Mehrwert von Europa in unserem alltäglichen Leben abspielen und nicht in Richtlinien und Verordnungen in einem fernen Brüssel. Es ist meine Auffassung, dass Europa nur dann eine Chance auf die Zustimmung seiner Bürgerinnen und Bürger hat.
Wir danken der Frau Abgeordneten. - Zu einem weiteren Beitrag erteile ich Frau Anne Lütkes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Europaminister, ich finde es sehr gut, dass Sie deutlich gemacht haben, dass Sie an einem offenen Beitrittsprozess mit der Türkei interessiert sind, denn das ist ein ganz wesentliches Signal für den Demokratisierungsprozess in der Türkei.
Viele hier haben sicher nicht vergessen, dass es noch nicht allzu lange her ist, dass wir Asylverfahren für Kurden zu führen hatten, in denen Foltervorwürfe, Verletzungen von Menschenrechten und insbesondere auch Verletzungen der Menschenrechte von Frauen in der Türkei Gegenstand der Prozesse waren. Wir haben in dem gesellschaftlichen Gefüge der Türkei eine schrittweise Veränderung, eine Demokratisierung festzustellen. Das ist ein ganz wichtiger und sehr begrüßenswerter Schritt, der mit der erklärten Bereitschaft zu Beitrittsverhandlungen zusammenhängt. Insofern ist es wichtig, dass auch hier von der Landesregierung Schleswig-Holsteins ein deutliches Wort zur Bereitschaft zum gesamten Beitritt erklärt wird und dass für Sie nicht nur die Bereitschaft zur privilegierten Partnerschaft ein Ziel sein kann. Ich gehe davon aus, dass Sie für die gesamte Landesregierung sprechen und nicht nur für den SPD-Teil der großen Koalition.
Wir danken der Abgeordneten Lütkes. - Weitere Wortmeldungen? - Frau Spoorendonk vom SSW, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig ist, dass es an Visionen hinsichtlich einer Weiterentwicklung der EU fehlt. Dennoch glaube ich, es muss noch einmal gesagt werden, dass nicht einmal die Ziele, zum Beispiel bei der EU-Osterweiterung oder überhaupt die Ziele, die mit der Erweiterung der EU verbunden sind, klar definiert waren. Man kann also sagen, es gehört zur Geschichte der EU, dass es immer wieder diese Unklarheiten darüber gegeben hat, wohin die Reise eigentlich gehen soll.
Dazu kommt, dass sich die europäischen Staaten intern noch nicht darüber einig sind, ob die EU nun eine angelsächsische Ausrichtung haben soll oder ob weiterhin das europäische Sozialstaatsmodell gelten soll. Es wird interessant werden, wie der britische Ratspräsident Tony Blair mit dieser Frage umgehen wird. Mit anderen Worten: Die Strategie der gleichzeitigen Erweiterung und der Vertiefung der EU ist auch nicht genügend thematisiert worden.
Es ist daher - wie schon von mehreren Vorrednern gesagt - an der Zeit, innezuhalten und zu überlegen, welche Art der EU-Zusammenarbeit wir jetzt wollen. Ich denke, dabei ist es wichtig, daran festzuhalten, dass weniger manchmal mehr ist und dass eine EU mit 27 Mitgliedstaaten wirklich eine andere EU sein muss als eine EU mit 15 oder weniger Mitgliedstaaten. Aus unserer Sicht gehören auf jeden Fall die Forderung nach mehr Transparenz und die Forderung nach klaren Zuständigkeiten und damit nach mehr Demokratie dazu.
Angesprochen wurden auch die Diskussionen über die EU-Richtlinien, die Dienstleistungsrichtlinie und andere Richtlinien im Umweltbereich. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese EU-Richtlinien von den Regierungschefs der Mitgliedstaaten immer auch erst politisch beschlossen worden sind und dass die Umsetzung dieser EU-Richtlinien auf der nationalen Ebene vor sich geht. Wir müssen uns also selbst mit einbringen und können nicht sagen, alle Fehler liegen in Brüssel.
Wenn wir über Visionen sprechen - ich habe mich auch deshalb zu Wort gemeldet, um dies zu verdeutlichen -, müssen wir auch darüber sprechen, ob nicht sozusagen breiter gedacht werden muss. EU-Politik umfasst nicht die gesamte Europapolitik. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Rolle des Europarates. Der Europarat steht für wesentliche Teile der Europapolitik. Er hat nicht zuletzt maßgeblich dazu beigetragen, dass wir in Europa überhaupt eine Menschenrechtspolitik und eine Minderheitenpolitik bekommen haben. Ich stimme dem Herrn Minister zu, wenn er sagt, das, was in anderen EU-Mitgliedstaaten unter Minderheitenpolitik verstanden werde, sei etwas ganz anderes als das, wofür wir hier stünden. Auch das muss thematisiert werden. Ich füge am Rande hinzu, dass zum Beispiel Litauen seine Minderheitenpolitik nach der Aufnahme zurückgeschraubt hat. Man hat dies getan, nachdem man Mitglied der EU geworden ist. Man hat die Kopenhagener Kriterien sozusagen erfüllt und sagt nun: Das ist es. Jetzt können wir im Grunde genommen alles ein bisschen drosseln. - So darf es natürlich auch nicht sein.
Ich möchte ein weiteres Problem ansprechen, das in der Diskussion um die EU-Verfassung zuletzt untergegangen ist. Es stellt sich die Frage, wie wir mit der EU-Grundrechte-Charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention umgehen. Beide Regelwerke laufen sozusagen nebeneinanderher. Dennoch ist es so, dass der Europäische Gerichtshof - so sagte es jedenfalls Marc Weller vom ECMI auf einer Veranstaltung kürzlich - eine Stellungnahme abgegeben hat, die eigentlich gegen die Auffassung von Minderheitenpolitik steht, die wir hier vertreten, nämlich dass Minderheiten auch besondere Rechte haben müssen. Was tun wir also in dem Moment, in dem der Europäische Gerichtshof sagt, es dürfe keine Privilegierung von Minderheiten geben, weil das gegen den europäischen Wettbewerb sei? Dies ist ja ungefähr das, was dahinter steckt. Das ist von dem Direktor des ECMI auf einer Veranstaltung gesagt worden.
Ich komme zum Schluss. - Ich wollte mit diesen Bemerkungen nur noch einmal deutlich machen, dass Visionen ganz wichtig sind, dass es aber vielleicht auch an der Zeit ist, hervorzuheben, dass Europa mehr als die EU ist und dass Europapolitik auch mehr als EU-Politik ist.
Wir danken der Abgeordneten Anke Spoorendonk. - Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist der Fall. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten KarlMartin Hentschel das Wort.
ge Landesregierung beschlossen, 9,1 Millionen € für den Ausbau des Husumer Hafens für Offshorezwecke zu reservieren. Seitdem läuft das Planfeststellungsverfahren. Die Planungen sind fortgeschritten. Der Beginn der Bauarbeiten ist im Herbst dieses Jahres geplant. Zurzeit laufen die Enteignungsverfahren und ein Verwaltungsgerichtsverfahren zum Sofortvollzug, zu dem die Stadt Husum kurzfristig Stellung beziehen muss.