Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

Ich glaube, dass - mittlerweile sagen das auch viele Wirtschaftswissenschaftler - die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt durchaus auch etwas mit Hartz IV und mit den Sozialreformen der letzten Bundesregierung zu tun haben. Das hat heute Morgen selbst

(Minister Uwe Döring)

die Kanzlerin in ihrer Rede gesagt. Ich stehe unbedingt dazu. Ich glaube, dies war die größte Sozialreform, die in diesem Land in den letzten 50 Jahren gemacht worden ist. Weil es die größte war, hat sie auch erhebliche Probleme hervorgerufen, insbesondere hinsichtlich der Umstrukturierung der Arbeitsämter. Logisch ist, dass solche großen Umstrukturierungen hinterher von Zeit zu Zeit evaluiert werden müssen, was auch zu Korrekturen führt. Ich finde das selbstverständlich. Das gehört dazu.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zur Sache.

Nun zum Mindestlohn. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Mann oder eine Frau von einer Vollzeittätigkeit auch leben kann. Das ist nicht immer der Fall. Im Jahre 2007 gab es bereits 574.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, die neben ihrem Erwerbseinkommen ergänzend ALG II bekommen haben, davon 470.000 in Vollzeit. Eine halbe Million Menschen, die Vollzeit arbeiten, bekommen zusätzlich zu ihrem Lohn ALG II. Solche Hungerlöhne beschädigen nicht nur die Würde des Menschen, sondern auch die Motivation. Die Krankenstände sind in diesen Verhältnissen hoch. Das wissen wir alle. Dies hat auch Auswirkungen auf die Altersversorgung und so weiter. All das ist nicht gut.

Ich begrüße deshalb, dass sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Arbeitgeberverband AGV auf einen Mindestlohn im Postbereich geeinigt haben. Ich hoffe, dass es gelingt, diese Regelung für allgemein verbindlich zu erklären.

Ich begrüße auch, dass bei der Zeitarbeits- und Weiterbildungsbranche Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen haben, um in das Entsendegesetz übernommen zu werden. Es ist dringend erforderlich, dass dies auch in den unter Punkt 2 unseres Antrages genannten Branchen erfolgt. Aber wir müssen feststellen: Das freie Spiel der Marktkräfte führt leider nicht in allen Fällen zu einem akzeptablen Gleichgewicht. Die Gewerkschaften sind geschwächt. 30 % der Beschäftigten in den alten Bundesländern und 45 % in den neuen Bundesländern arbeiten ohne Tarifbindung.

Der Fall Motorola ist ein gutes Beispiel: Der Dumpinglohnkonkurrent Motorolas, Cinram, sitzt nicht in China, er sitzt in Aachen.

Meine Damen und Herren, mittlerweile haben 20 von 25 EU-Staaten Mindestlöhne. Im Jahre 2008 kommt Österreich als 21. Land hinzu. Diese Länder haben im Durchschnitt nicht mehr Arbeitslosigkeit als wir, sondern weniger. In Großbritannien beispielsweise hat sich die Festlegung der Höhe des Mindestlohns durch die Low-Pay-Commission bewährt. Sie spricht Empfehlungen zu den jeweiligen Erhöhungen aus, schlägt Sätze für bestimmte Gruppen vor, führt Untersuchungen durch und veröffentlicht regelmäßig Berichte über die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohnes.

Mindestlöhne haben auch einen positiven volkswirtschaftlichen Effekt. Sie führen zu wachsenden Konsumausgaben, da das Mehreinkommen zu fast 100 % konsumiert wird. Schon ein Mindestlohn von 7,50 € führt laut einer Studie des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik zu Mehreinnahmen der Sozialversicherungssysteme in Höhe von 4 Milliarden € jährlich.

Wir haben in der rot-grünen Regierung mehrfach Vorstöße für eine Mindestlohnregelung unternommen. Ich weiß, dass das auch viele Sozialdemokraten so gesehen haben. Damals ist dies von Wirtschaftsminister Clement verhindert worden. Heute sammelt die SPD Unterschriften für den Mindestlohn, obwohl sie in der Regierung sitzt. Das ist ein Fortschritt. - Ob es taktisch ein Fortschritt ist, ist natürlich eine andere Frage. - Allerdings lehnt sie einen gleich lautenden Antrag der Linkspartei im Bundestag ab und verweist auf die Bundestagswahl 2009. Das ist kein Fortschritt.

Deswegen bringen wir den Antrag hier ein. Wenn Berlin nicht zu Potte kommt, muss der Druck über die Länder entfaltet werden. Ich wende mich insoweit auch an die CDU, insbesondere an Ministerpräsident Carstensen. Sein Kollege Rüttgers hat gerade dazu aufgerufen - man lese den aktuellen „Stern“ -, die CDU möge sich vom Irrweg des Neoliberalismus verabschieden.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Was ist das denn?)

- Wie? - Kollege Garg! - Nein. Herr Kollege Klug, das ist herrlich.

Herr Austermann ist auch nicht hier.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Was heißt „auch nicht“? Klug und Garg sind hier!)

- Ach, dort oben sitzt er. - Herr Austermann, Karl Marx nannte es Verelendung, wenn der Preis der Arbeit unter die Reproduktionskosten fällt.

(Karl-Martin Hentschel)

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Diesem Gedan- ken kann ich nicht ganz folgen!)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss. - Dieser Gedankengang stammt von Ihrem Parteikollegen Heiner Geißler, der jetzt befindet, dass der Kapitalismus versagt hat. Wenn Sie das auch finden, dann haben Sie eine große Mehrheit im Landtag.

Ich hoffe auf Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Hilfsweise beantrage ich Überweisung an den Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Johannes Callsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, eigentlich könnten wir uns heute kurz fassen, da dies eine wiederholte Diskussion zum Thema Mindestlohn ist. Sie haben dazu inhaltsgleich einen Antrag aus dem Deutschen Bundestag abgeschrieben, der dort bereits mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt worden ist. Aber selbstverständlich befasst sich auch der Schleswig-Holsteinische Landtag mit diesem Thema. Dies haben wir in den vergangene Monaten bereits mehrfach getan. Das Thema ist auch - dies klang schon an - zu sensibel und verdient eine ausführliche und objektive Diskussion. Denn auch nach meinem christlichen Menschenbild sollte es regelmäßig so sein, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, mit seinem Lohn auch seine Existenz sichern kann.

(Beifall bei der CDU)

Im Kern allerdings geht es jetzt schlicht und einfach um die Frage, wie wir dies erreichen, ob durch gesetzliche Mindestlöhne oder durch Regelungen, bei denen die Tarifvertragsparteien entsprechende Verantwortung übernehmen.

Ich bin davon überzeugt, dass sich die große Mehrheit unserer Unternehmen bei der Lohnzahlung ihrer sozialen Verantwortung stellt. Die übrigen sollten sich die Frage stellen, ob sie dieser Verantwortung gerecht werden, und entsprechend handeln.

Zur Wahrheit gehört in der Mindestlohndebatte aber auch die Rolle der Gewerkschaften. Es ist schon ein wenig doppelzüngig, wenn die Gewerkschaften auf der einen Seite Tarifverträgen mit Stundenlöhnen zwischen 3,05 € und 5,12 € zustimmen, auf der anderen Seite aber gesetzliche Mindestlöhne von 7,50 € fordern. Hier liegt die besondere Verantwortung der Tarifvertragsparteien, unter Beachtung der jeweiligen Wettbewerbssituation Löhne auszuhandeln, die existenzsichernd sind. Dieser Verantwortung kann man sich nicht mit dem Ruf nach dem Staat entziehen.

(Beifall des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

Wir haben im Wirtschaftsausschuss zum Thema Mindestlöhne eine breite Anhörung durchgeführt, deren Ergebnisse nach wie vor Geltung haben. Dabei haben sich selbst Branchen wie die Bauwirtschaft, in der es bereits tarifvertragliche Mindestlöhne gibt, ausdrücklich gegen gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Die Lohnfindung sollte in jedem Fall den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben, um die Tarifautonomie nicht zu schwächen.

Die Unternehmen aus der Gastronomie befürchten, dass die Einführung eines Mindestlohns zahlreiche Jobs im Niedriglohnbereich vernichten würde. Dies gilt auch für andere Branchen.

Käme es zu einem gesetzlichen Mindestlohn, würde die bereits jetzt groteske Diskussion wahrscheinlich weiter zunehmen. Die Gewerkschaften fordern 7,50 €, die Linke 8 €, und die Grünen werden sicherlich auch noch einen Vorschlag unterbreiten. Jeder Wahlkampf wäre dazu angetan, höhere Mindestlöhne zu fordern, die zum Teil an den marktwirtschaftlichen Gegebenheiten vorbeigingen. Wir würden einen bis dahin nie dagewesenen Wettbewerb über die Höhe des Mindestlohns erleben. Leidtragende in einem solchen Wettbewerb sind unter dem Strich diejenigen, deren Produktivität unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes liegt, aber auch sie - das meine ich sehr ernst - brauchen eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Gerade diesen Aspekt hat unser Institut für Weltwirtschaft hier in Kiel in einer Studie hervorgehoben. Es kommt zu dem Ergebnis, dass gesetzliche Mindestlöhne die Chancen für schlecht ausgebildete Beschäftigte schmälern, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. IfW-Präsident Snower hat gesagt: Mindestlöhne sind aus Sicht der gering Qualifizierten eine Falle. Und in diese Falle sollten wir

(Karl-Martin Hentschel)

im Interesse dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht tappen.

Welche Verwerfungen Mindestlöhne im Wettbewerb bringen können, zeigt das Beispiel Deutsche Post. Rechtzeitig vor der Aufhebung des Briefmonopols gründet der Monopolist einen Arbeitgeberverband mit sich selbst als Mitglied, legt gemeinsam mit den Gewerkschaften einen Lohn fest und beantragt die Allgemeinverbindlichkeit. Dies ist ein durchsichtiges Manöver, um eine Monopolstellung de facto zu zementieren und privaten Anbietern im Wettbewerb keine Chance zu geben.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden werde: Ich möchte nicht die Niedriglöhne mancher Anbieter in diesem Bereich gutheißen. Aber das Beispiel zeigt, wie der Wettbewerb durch Mindestlohnregelungen ausgehebelt werden kann.

Auch wir von der CDU akzeptieren keine Dumpinglöhne und keine Beschäftigung zu unwürdigen Bedingungen. Wir sind dafür, solche Löhne gesetzlich zu verbieten und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten. Im Wirtschaftsausschuss haben wir uns - wie gesagt - im vergangenen Jahr federführend intensiv mit der Diskussion beschäftigt. Wir sind damals zu dem Ergebnis gekommen, dass das Entsendegesetz eine gute Grundlage für die Festlegung von branchenspezifischen Mindestlöhnen sein kann, sofern es in einzelnen Branchen zu unerwünschten sozialen Verwerfungen kommt. Voraussetzung muss aber sein, dass die Tarifpartner sich zunächst für eine Aufnahme in das Entsendegesetz aussprechen. Hier liegt die eigentliche Verantwortung, nämlich bei den Tarifpartnern und nicht primär beim Staat.

(Beifall des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

Ich beantrage die Überweisung des Antrages federführend an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen gibt erfreulicherweise noch einmal Gelegenheit, die sozialdemokratische Positi

on zu Mindestlohn darzulegen, auch wenn wir für diesen Bereich die Diskussion auf Bundesebene schon gehabt haben.

Erfahrungen in anderen europäischen Staaten zeigen deutlich, dass ein gesetzlicher Mindestlohn weder zu Beschäftigungseinbrüchen geführt noch die Tarifautonomie geschädigt hat. Ein Mindestlohn sorgt dafür, dass eine gleichmäßigere Einkommensentwicklung erfolgt. Durch die Ausweitung der Minijobs und Midijobs, die Einführung der IchAGs, die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien und die Ausweitung der Arbeitsgelegenheiten - der so genannten Ein-Euro-Jobs - nimmt der Niedriglohnsektor zu. In nur drei Jahren stieg die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten um rund 660.000 auf 4,8 Millionen im Jahr 2005. Im Juni 2006 waren es bereits 4,85 Millionen geringfügig Beschäftigte. Hier sind die 292.000 Ein-Euro-Jobber noch gar nicht eingerechnet.

Mit dem Anstieg des Niedriglohnsektors erhöht sich der Druck auf die Entlohnung bestehender Arbeitsplätze. Eine Lohnspirale nach unten ist unübersehbar. Eine weitere Ausweitung des Niedriglohnsektors würde demnach zu einer weiteren Verarmung in unserer Gesellschaft führen. Bereits heute arbeiten 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte für Armutslöhne, also für weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens. Im August 2006 gab es bereits 574.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen, die ergänzend zu ihren Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II erhielten. Davon waren 420.000 Vollzeitbeschäftigte.

Ein gesetzlicher Mindestlohn ist ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung der privaten Nachfrage. Er stärkt das Wirtschaftswachstum und ist ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung der zunehmenden Armut in unserer Gesellschaft. Deshalb setzen wir uns für ein Maßnahmenpaket gegen Einkommensarmut und Lohndumping ein: Dazu gehört erstens die Ausweitung des Entsendegesetzes. Wir sehen in der Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen und die Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ein Mittel, um Lohndumping zu verhindern. Gerade bei ausländischen Arbeitnehmern ist die Möglichkeit gegeben, über einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag und einen somit geregelten Mindestlohn Dumpinglöhne zu verhindern. Das wird auf Bundesebene bereits teilweise umgesetzt.

Ein zweiter Bereich ist die Tariftreue. Wir wollen das Tariftreuegesetz erhalten und ausweiten.