„… missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.“
Insofern mag man über die Frage spekulieren, ob es Situationen gibt, in denen die gesamte Bundesrepublik bedroht ist und man möglicherweise solche Dinge anders regeln müsste - darüber kann man diskutieren. Aber auch dafür gilt, dass Artikel 1 des Grundgesetzes eine Schranke ist, die nicht verändert werden kann. Es ist auch gut so, dass das nicht verändert werden kann, denn die Würde des Menschen ist unantastbar.
Selbst wenn man zu bestimmten Punkten unterschiedlicher Meinung sein kann, frage ich mich auch, ob es klug ist, öffentlich darüber zu philosophieren, und ob es klug ist, für Extremsituationen, die immer kommen können, extreme Gesetze machen zu wollen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich bestimmt nicht mit allem übereinstimme, was Helmut Schmidt in seinem Leben politisch vertreten hat. Aber ich bin dankbar, dass der damalige Innensenator bei der Flutkatastrophe in Hamburg gehandelt hat und nicht in Grundgesetzkommentare hineingeguckt hat und dass er auch als Kommandeur, als es um Mogadischu gegangen ist, entschieden hat und gesagt hat, dass er zurückgetreten wäre, wenn das schiefgegangen wäre. Das will heißen, dass es auch politische Verantwortung gibt, und auch auf die muss man sich dann verlassen. Das können und sollten wir nicht in Gesetzen regeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss Ihnen auch sagen, dass ich es eine gute Einrichtung finde, dass das Grundgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat geändert werden kann. Es ist natürlich legitim, das Grundgesetz zu ändern. Wir haben das deutsche Grundgesetz schon häufiger geändert, als die viel ältere amerikanische Verfassung geändert wurde. Ob es immer klug war, weiß ich nicht. Ich wehre mich aber gegen eine Deutung, die öffentlich stattfindet, nach dem Motto, als ob das Grundgesetz ein Abreiß-Kalender sei und wir es jeden Tag je nach Anlass ändern könnten.
Das sollten wir nicht tun, denn wir haben ein gutes Grundgesetz und wir wollen es nicht zu dem folgenden Punkt treiben - ich sage das wirklich nicht scherzhaft, denn das Thema ist ernst, aber ich habe gehört, was ein Kabarettist letzte Woche dazu gesagt hat -: Man könnte auch, wenn ein Flugzeug auf ein Hochhaus zufliegt, dieses Hochhaus sprengen, um die Terroristen präventiv zu besänftigen, damit es nicht mehr nötig ist, einen Grundrechtseingriff vorzunehmen. Das ist eine sehr zynische Form, das zum Ausdruck zu bringen. Was daraus aber deut
Was Verantwortliche in Extremsituationen tun, das müssen sie selbst verantworten. Wohl dem, der dann politische Führer vom Kaliber eines Helmut Schmidt hat, wie es damals in Hamburg gewesen ist.
Ich danke dem Herrn Innenminister für seinen Bericht. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Legalisierung des Abschusses von entführten Passagiermaschinen ist nicht neu. Bereits vor einigen Jahren wurde über das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz gestritten, welches den Abschuss entführter Passagiermaschinen als ultima ratio vorsah. Wir müssen uns daran erinnern, dass Rot-Grün das bereits einmal ins Werk gesetzt hatte.
Im Februar 2006 hat das Bundesverfassungsgericht in einer denkwürdigen Entscheidung dem Bundesgesetzgeber klargemacht, dass sich die Menschenwürde nicht abstufen lässt. Es ist unzulässig, Opfer eines Verbrechens sicher zu töten, nur um möglicherweise andere zu retten. Denn die Entführten in Passagiermaschinen sind Opfer eines Verbrechens, nämlich einer Entführung.
- Herr Kollege Ritzek, ich komme gleich darauf. Bei dem einen sind Sie sicher, dass Sie 180 Menschen getötet haben, bei dem anderen vermuten Sie nur, dass möglicherweise irgendetwas passiert. Sie vermuten das nur, Sie wissen es nicht. Ich will mich gar nicht über technische Einzelheiten unterhalten. Ich warne auch den Standort Deutschland davor, so etwas regeln zu wollen, weil ich sicher bin, dass dann niemand mehr von uns fliegen darf. Ich zitiere noch einmal die entscheidende Passage aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die da lautet, es sei - und jetzt das Zitat, Herr Kollege Ritzek
„schlechterdings unvorstellbar, auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich … in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, … vorsätzlich zu töten.“
Dabei sind für mich die entscheidenden Worte „schlechterdings unvorstellbar“, denn sie drücken die Dimension aus, um die es sich bei diesem Gedankengut handelt: um eine unvorstellbare Grausamkeit, die nicht mit den Grundsätzen des Menschenrechts in Einklang zu bringen ist.
Herr Innenminister, Artikel 1 des Grundgesetzes können wir nicht ändern, selbst wenn wir es wollen, auch mit Zweidrittelmehrheit nicht. Das ist die Bestandswesensgarantie. Artikel 1 und 20 können Sie nicht ändern, nicht einmal mit Zweidrittelmehrheit.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind die Äußerungen des Bundesverteidigungsministers noch perfider, der erklärt, er werde im äußersten Notfall befehlen, ein entführtes Passagierflugzeug durch eine Bundeswehrmaschine abschießen zu lassen. Damit missachtet er nicht nur die Entscheidung unseres höchsten Gerichts, er missachtet die Würde des Menschen und damit das grundlegendste Prinzip unserer Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.
Minister Jung ordnet einen Verfassungsbruch an, er befiehlt ein Verbrechen: den vorsätzlichen Totschlag von unschuldigen Passagieren. Er bringt damit auch seine Soldaten in eine unverantwortbare Situation.
So ein Verteidigungsminister gehört nicht in die Bundesregierung. Dazu zähle ich immer mehr auch den Bundesinnenminister. So hat Minister Schäuble Terroranschläge und andere „Angriffe auf die Grundlage des Gemeinwesens“ zum Kriegsfall erklärt. Die Unterscheidungen zwischen einem völkerrechtlichen Angriff und innerstaatlichen Verbrechen, zwischen Kombattanten und Kriminellen, zwischen Krieg und Frieden werden aufgehoben. Es handle sich - so Schäuble - um „überkommene Begriffe“. Die Menschenwürdegarantie sei in „extremen Notstandssituationen immanent beschränkt“.
Minister Schäuble beschwört zwar permanent das Szenario der Terroranschläge vom 11. September 2001, als Terroristen mit vollbesetzten Passagierflugzeugen in zwei besetzte Bürotürme flogen. In einem entsprechenden Vorschlag zur Verfassungsänderung tauchen aber weder Flugzeuge noch das Wort Terrorismus überhaupt auf. Unter einem „sonstigen Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwe
sens“ können ebenso gut große Protestbewegungen oder ein Generalstreik verstanden werden. Minister Schäuble selbst hat am 5. Januar 2007 in einem ausführlichen Beitrag für den „Berliner Tagesspiegel“ deutlich gemacht, dass es ihm nicht in erster Linie um die Gefahrenabwehr, um den Schutz der Bürger geht, sondern um die Verteidigung des Staates. Ich zitiere wieder:
„Bei der Gefahrenabwehr geht es um den Schutz individueller Rechtsgüter. Die Grundlagen des Gemeinwesens sind demgegenüber ein kollektives Schutzgut. Ist der Staat als Ganzes bedroht, ist er berechtigt, seine Existenz zu verteidigen und das Erforderliche zu tun, um das rechtlich verfasste Gemeinwesen vor Angriffen zu bewahren, die auf seinen Zusammenbruch zielen.“
Bezeichnenderweise beruft sich Herr Schäuble auf Thomas Hobbes und dessen Werk „Leviathan“ von 1651 als „Ausgangspunkt modernen Staatsdenkens“. Hobbes’ „Leviathan“, geschrieben unmittelbar nach dem englischen Bürgerkrieg, stand für einen absolutistischen Staat, an den das Individuum all seine Rechte abgibt. Nach dieser Logik kann jedes Grundrecht, jeder Schutz des Individuums wie in einer Diktatur beseitigt werden, wenn die Regierung es für notwendig erachtet, das Erforderliche zu tun, um den Staat zu verteidigen.
Minister Schäuble war bereits früher dafür eingetreten, zur Terrorabwehr Informationen zu nutzen, die vermutlich durch Folter in anderen Staaten erlangt wurden. Demokratisches, freiheitlich-liberales und vor allem rechtsstaatliches Gedankengut sieht anders aus. Terroristen sind Kriminelle, sie sind keine Kriegspartei. Wir führen keinen Krieg gegen den Terror, sondern wir bekämpfen Kriminalität.
Was Schäuble und Jung fordern, ist das Kriegsrecht für die Kriminalitätsbekämpfung. Eine Änderung des Grundgesetzes mit dem Ziel, die Bundeswehr zur Kriminalitätsbekämpfung im Innern einzusetzen, kommt der Einführung des Kriegsrechts gleich. Dem müssen sich alle Demokraten entgegenstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir mündliche Berichte nicht in den Ausschuss überweisen, bitte ich trotzdem darum - ich werde es auch im Innenund Rechtsausschuss beantragen -, dass wir uns mit dem Thema dort weiter beschäftigen.
Ich danke Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesverteidigungsminister hat wiederholt in der Öffentlichkeit klargemacht, dass er die dringende Notwendigkeit einer umfassenden politischen und verfassungsrechtlichen Diskussion bei der Terrorbekämpfung sieht. Die immer komplexer werdende Bedrohungslage durch den islamistischen Terror, der auch die Menschen in unserem Land akut bedroht, erfordert von verantwortungsvollen Politikern zu reagieren. Mit ihrem heutigen Antrag fordert die FDP, Änderungen des Grundgesetzes abzulehnen, die einen erweiterten Einsatz der Bundeswehr im Innern vorsehen.
Die Debatte zu dieser Thematik beschäftigt den Bundestag bereits seit einigen Jahren. Die damalige rot-grüne Mehrheit hat dabei die Auffassung vertreten, dass man die Frage der Reaktion auf eine Flugzeugentführung durch Terroristen durch ein einfaches Gesetz lösen kann, und hat deshalb das Luftsicherheitsgesetz eingebracht und verabschiedet. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war - wenn ich richtig informiert bin - schon damals der Auffassung, dass es dafür einer verfassungsrechtlichen Klarstellung bedarf.
Das Bundesverfassungsgericht hat das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz in dieser Form für verfassungswidrig erklärt. Es hat festgestellt, dass der Abschuss eines unbemannten Flugzeuges oder eines nur mit Terroristen besetzten Flugzeuges aus seiner Sicht möglich ist, und zwar im Rahmen der Regelung zum schweren Unglücksfall nach Artikel 35 des Grundgesetzes, dass dafür aber eine verfassungsrechtliche Klarstellung erforderlich ist, denn nach Artikel 35 stehen nur polizeiliche Mittel zur Verfügung.
Das Bundesverfassungsgericht hat ferner festgestellt, dass in diesem Fall eine Abwägung von Leben gegen Leben nicht stattfinden kann, weil die Grundsätze des Artikels 1 des Grundgesetzes - die Menschenwürde sowie das Recht auf Leben - dies nicht zulassen. Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass es sich nicht zu der Frage äußert, wie sich die Rechtslage bei der Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und auf die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind, darstellt.
Aufgrund der aktuellen Bedrohungslage durch den islamistischen Terror müssen wir uns auf Terroranschläge einstellen, deren Folgen wir uns jetzt noch gar nicht in allen Konsequenzen vorstellen können. Dieser Bedrohungslage nur mit polizeilichen Mitteln entgegentreten zu wollen, halte ich für politisch naiv oder für populistisch und in Fragen der Sicherheit sogar für gefährlich.
Schon die konkrete Frage des Einsatzes der ABCSpezialkräfte der Bundeswehr, die weltweit aufgrund ihrer Kenntnisse immer wieder angefordert werden, macht die ganze Absurdität der Debatte deutlich. In fast 200 Ländern der Welt sind diese Kräfte ohne Schwierigkeiten einsetzbar. Ausgerechnet in ihrem Heimatland dürfen sie aber nur unter größten Schwierigkeiten umfassend tätig werden.
Die Frage des möglichen Abschusses eines in Terrorabsicht entführten Flugzeuges ist zugegebenermaßen schwieriger. Zu dieser Frage gibt es eine breit angelegte öffentliche Debatte und das ist gut und richtig.
Der Vorstoß des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck, mit dem Luftsicherheitsgesetz die Piloten der Bundeswehr von Strafverfolgung freizustellen, wurde vom Verfassungsgericht verworfen. Das Dilemma ist allerdings geblieben. Sollen der Verteidigungsminister oder der Abfangjägerpilot tatenlos zusehen, wie ein zur Bombe umfunktioniertes Flugzeug auf eine Stadt, auf ein Stadion oder auf eine Chemiefabrik zurast? Es gibt Politiker, die davon überzeugt sind, dass nach dem Karlsruher Urteil nicht mehr bleibt als ein Schulterzucken. Verteidigungsminister Jung vertritt eine andere Auffassung und verweist auf ein Recht des übergesetzlichen Notstands. Das ist nirgendwo ausdrücklich formuliert.
Nur der rechtfertigende Notstand aus § 34 des Strafgesetzbuches greift den Gedanken unter sehr engen Voraussetzungen auf. Gleichwohl wird in der juristischen Diskussion ebenso wie in einigen höchstrichterlichen Urteilen anerkannt, dass es Dilemmasituationen geben kann, in denen ein an sich strafbares Handeln moralisch gerechtfertigt ist. Das Verfassungsgericht weist in seinem Urteil ausdrücklich auf diese Debatten hin.
Für mich stellt sich außerdem die Frage der ethischen Verantwortung solcher Entscheidungen. Mit großem Interesse habe ich dazu vor einigen Tagen im „Hamburger Abendblatt“ die Ausführungen von Theologen zur Kenntnis genommen. Der frühere Hauptpastor der St.-Michaelis-Kirche, Helge Adolphsen, hält den Abschuss von Flugzeugen, die als
Terrorwaffe missbraucht werden, zur Schadensbegrenzung oder zur Schadensverhütung aus ethischer Sicht grundsätzlich für erlaubt. Auch der katholische Theologe Gerhart Beestermöller hält eine solche Maßnahme als einzige Möglichkeit, die Gefahr zu beseitigen, für ethisch vertretbar, so der Vize-Direktor des Hamburger Instituts für Theologie und Frieden.
Ich halte es für sachgerecht, die derzeit auf Bundesebene geführte Debatte weiter aktiv zu begleiten. In diesem Sinne begrüße ich auch den Vorschlag von Herrn Kubicki, dass wir im Ausschuss zu gegebener Zeit darauf zurückkommen, um den sich daraus ergebenden Gesetzesinitiativen vorurteilsfrei entgegenzutreten und sie erneut hier zu diskutieren.
Ich danke Herrn Abgeordneten Peter Lehnert. - Auf der Tribüne begrüße ich mit Ihnen allen Mitglieder des SPD-Ortsvereins Neumünster-West. - Herzlich willkommen!