Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um den Wortlaut des FDP-Antrags aufzunehmen, sage ich: Die SPD-Landtagsfraktion vertritt nicht die Auffassung, dass eine Änderung des Grundgesetzes zum erweiterten Einsatz der Bundeswehr im Inneren bis hin zum Abschuss entführter Passagiermaschinen notwendig und sinnvoll ist, Herr Kollege Kubicki.
Wir halten die geltenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Regelungen für ausreichend, um den Einsatz der Bundeswehr im Inland zur Unterstützung bei schweren Unglücksfällen und bei Naturkatastrophen zu ermöglichen. Auch in Zukunft soll und wird im Rahmen dieser Regelung die Amtshilfe der Bundeswehr erlaubt sein, soweit sich diese auf eine technisch-logistische Unterstützung bei der Gefahrenabwehr beschränkt. Wir halten an der grundsätzlichen Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben fest. Eine Militarisierung der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit ist aus unserer Sicht weder erforderlich noch wünschenswert.
Das hier mehrfach zitierte Luftsicherheitsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 bestätigt die Grundposition meiner Fraktion: Erstens. Keine Grundgesetzlegitimation zur vorsätzlichen Tötung unschuldiger Menschen. Zweitens. Keine Bundeswehrermächtigung zum Abschuss gekaperter Passagierflugzeuge. Drittens. Generell kein verfassungswidriger Einsatz der Bundeswehr für Polizeiaufgaben im Inneren.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist glasklar. Zur Rettung terrorgefährdeter Menschen, unschuldige Flugzeugpassagiere und Besatzungsmitglieder zu opfern, ist mit der Menschenwürde und mit dem Recht auf Leben nicht vereinbar. Die in Artikel 1 des Grundgesetzes geschützte Würde des Menschen ist unteilbar und unantastbar. Artikel 1 des Grundgesetzes ist unveränderbar. Wir teilen deshalb auch nicht die Meinung des Bundesverteidigungsministers Jung, es genüge lediglich eine verfassungsrechtliche Klarstellung, um die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr mit militärischen Mitteln zu ermächtigen. Wir teilen aber die Auffassung des Innenministers, die er hier vorgetragen hat, dass nicht für jede Extremsituation auch ein extremes Gesetz gemacht werden muss. Die Bewältigung plötzlicher Krisenfälle muss in der Tat in politischer Verantwortung sofort erfolgen, ohne dass dazu vorher noch ein Blick in ein Gesetz oder gar in die dazu ergangene und möglicherweise widersprüchliche Rechtsprechung und Kommentierung auch nur in Betracht gezogen werden kann. Wir schließen uns dem Antrag auf Ausschussüberweisung an. Dort wäre dann in der Tat der Platz, nicht zu gegebener Zeit, Herr Kollege Lehnert, sondern schon aus Anlass dieses Antrags die angesprochenen verfassungsrechtlichen Fragen tiefer miteinander zu behandeln.
Ich danke Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Jahr 2004 dem Luftsicherheitsgesetz aus Koalitionsraison zugestimmt.
Am 15. Februar 2006 wurde dieses Gesetz vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Man könnte das Votum der Grünen als schlaue List bezeichnen, Zugeständnisse dort zu machen, wo sie eh vom Verfassungsgericht kassiert werden. Ich denke, wir sollten jedoch so ehrlich sein und diese Entscheidung als einen kapitalen Fehler bezeichnen.
Wenn sechs Sicherheitsgesetze auf Bundesebene unterschiedlicher Koalitionen in den letzten Jahren vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden, dann wirft das ein trauriges Bild auf die Legislative. Bevor hier jemand seine Hände in Unschuld wäscht, sei darauf verwiesen, dass der Ex-Innenminister Gerhard Baum, FDP, mittlerweile eine Verfassungsklage gegen das Verfassungsschutzgesetz des amtierenden Innenministers von Nordrhein-Westfalen betreibt. Das ist Ingo Wolf, auch ein Mitglied Ihrer Partei, Herr Kubicki.
Wir alle gemeinsam können uns also an die eigene Nase fassen. Viel wichtiger als das An-die-NaseFassen, das auch nett ist, ist aber, dass wir daraus Konsequenzen ziehen. Für Bundesinnenminister Schäuble und für Bundesverteidigungsminister Jung kann man leider noch nicht sagen, dass sie dazugelernt haben. Der Bundesinnenminister behauptet, mit diesem Gesetz wolle er Terroristen bekämpfen. Dass er mit diesem Argument die Grundrechte unbescholtener Bürgerinnen und Bürger beschneiden will, ist beinah schon nichts Neues. Dass der Gesetzgeber aber einen Freibrief zur Tötung Dutzender völlig unschuldiger Menschen ausstellen soll, dafür ist mir kein Präzedenzfall bekannt.
Die Situation einer Flugzeugentführung ist nicht vorausschaubar. Es ist schwer, mit genauer Sicherheit vorherzusagen, ob es für die Menschen an Bord einer entführten Maschine überhaupt eine Chance auf ein Überleben gibt oder nicht. Es ist aber auch nicht absehbar, welche Auswirkungen ein Abschuss über eng bebauten Flächen haben kann. Eine staatliche Lizenz zum Töten darf es schon allein aufgrund der historischen Ereignisse, die Deutschland durchmachen musste, nicht geben.
Eine Gebrauchsanweisung für den Fall einer Flugzeugentführung ist und bleibt mit dem Grundgesetz und mit den dort verankerten Menschenrechten inkompatibel.
Bundeswehr nur bei Katastrophen- und Unglücksfällen. Streitkräfte, die Behörden und die Polizeikräfte der Bundesländer unterstützen, dürfen nur die Waffen verwenden, die das Recht des jeweiligen Bundeslandes für die Polizeikräfte vorsieht. Militärische Kampfmittel wie zum Beispiel Kampfflugzeuge dürfen nach Artikel 35 des Grundgesetzes und nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht eingesetzt werden. Das Kriegsrecht darf, selbst wenn die Bundeswehr aufgrund eines Notstandes eingesetzt werden kann, nicht zur Kriminalitätsbekämpfung angewandt werden.
Das Vorhaben ist nicht nur verfassungsrechtlich problematisch; es ist auch sachlich nicht sinnvoll. Man muss sich einmal konkret vorstellen, wie schnell Flugzeuge fliegen. Bis eindeutig feststeht, dass ein Flugzeug von Terroristen entführt worden ist, können nach Auffassung von Experten gut zehn Minuten vergehen. Das Flugzeug muss ja identifiziert werden und es muss bestätigt werden, dass es sich um eine echte Meldung handelt und so weiter. Wir kennen ja den Fall, dass jemand mit einem kleinen Flugzeug über den Roten Platz geflogen ist. Die Piloten der Abfangmaschine wären zeitlich gar nicht in der Lage, ein Flugzeug vor der Tat abzuschießen.
Die Frage, ob der Staat Leben gegen Leben abwägen dürfe und dabei auch unschuldige Menschen töten dürfe, ist nach Auffassung meiner Fraktion ich freue mich, dass dies die meisten Fraktionen hier im Hause genauso sehen - entschieden mit einem klaren Nein zu beantworten. Wir sagen Ja zur Sicherheit, aber es muss eine rechtsstaatliche Sicherheit sein, welche die Freiheit und die Menschenrechte wahrt. Wir fordern die Landesregierung daher dazu auf, einer möglichen Änderung des Artikels 35 Grundgesetz im Bundesrat nicht zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel und erteile für den SSW der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mit dem Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beginnen. Im Februar 2006 urteilten die Verfassungsrichter, dass die Befugnis zum Abschuss entführter und als Waffe eingesetzter Flugzeuge gegen die Garantie der
Menschenwürde verstößt, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Damit wäre eine derartige Befugnis grundgesetzwidrig und damit nichtig. Als Konsequenz dieses Urteils musste die Bundesregierung auch das ist schon gesagt worden - ihr Luftsicherheitsgesetz zu den Akten legen. Es war damit vom Tisch. Leben gegen Leben abzuwägen ist unmoralisch, entwertet die Grundlagen unseres demokratischen Gemeinwesens und ist deshalb indiskutabel.
Dazu steht auch der SSW. Das angesprochene Urteil ist eineinhalb Jahre alt. Dennoch hat die Eindeutigkeit in Tenor und Begründung Verteidigungsminister Jung nicht davon abgehalten, das Thema erneut aufzuwärmen. Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ machte der Verteidigungsminister einen weiteren Anlauf. Aus Sicht des SSW zeigt sich Jung allerdings wie der Lehrling im ersten Lehrjahr, der unbedingt für alle Eventualitäten eine genaue Handlungsanweisung benötigt, weil ihm noch die nötige Erfahrung fehlt. Ich wundere mich schon, dass er in letzter Konsequenz weder den Beschuss gekaperter Linienbusse, die, gefüllt mit Sprengstoff, gegen eine Gebäude gelenkt werden sollen, noch die Vernichtung eines Zuges, der in der Gewalt von Terroristen ist, in die Diskussion eingeführt hat.
Vielleicht sind das aber die nächsten Etappen auf dem Weg zur Grundgesetzänderung. Denn dies forciert der Bundesverteidigungsminister mit aller Deutlichkeit: Das Grundgesetz soll geändert werden. Entweder wird es dahin gehend geändert, dass die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern erweitert werden. Schließlich verfügt nur die Bundeswehr über geeignete Mittel, eine Passagiermaschine abzuschießen, nicht aber die Polizei. Das Grundgesetz könnte auch dahin gehend geändert werden, dass man das Leben der Passagiere in einem Flugzeug nicht gegen das Leben anderer, sondern gleich gegen das Gemeinwohl abwägt. Bei dieser Auslegung würde man von einem elementaren Angriff auf Gemeinschaftsgüter ausgehen, der einen Abschuss rechtfertigen würde.
Eine Änderung des Grundgesetzes ist nach beiden Richtungen ausgeschlossen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat unmittelbar nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine Grundgesetzänderung kategorisch abgelehnt. Ich bezweifle sogar, ob sich in der CDU eine Mehrheit für ein derartiges Unterfangen finden würde.
Trotzdem wird weiterhin an dem Thema festgehalten. Das verunsichert nicht nur viele Bürger, sondern im Besonderen auch die Soldaten, die klare Vorgaben der Regierung vermissen. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Reinhold
Robbe wird nicht müde, darauf hinzuweisen. Ich kann mir darüber hinaus gut die Ängste vorstellen, die die Anwohner von Atomkraftwerken ausstehen. Ihnen muss die Dauerdiskussion um den Abschuss von Passagiermaschinen doch suggerieren, dass die Terroristen weltweit nichts anderes vorhaben, als sich darauf vorzubereiten, Passagiermaschinen zu kapern und auf Atomkraftwerke und andere markante Ziele zu steuern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür gibt es keine Hinweise. Auch aus diesem Grund ist die rhetorische Angstpolitik unverantwortlich.
Unsere Forderung lautet insofern: Ende der Debatte um den Abschuss von Passagiermaschinen. Sie führt zu nichts, weil eine Grundgesetzänderung nicht nur völlig inakzeptabel, sondern auch völlig unwahrscheinlich ist. Sie schürt lediglich Angst und Verunsicherung. In diesem Fall ist der Debattenschluss aber nicht gleichbedeutend mit einem Denkverbot, sondern er wäre die gemeinsame Anerkennung der Grundlagen und Werte des Grundgesetzes. Deshalb begrüße auch ich es, dass wir uns im Innen- und Rechtsausschuss mit diesem Thema noch einmal befassen, denn diese Diskussion ist natürlich allemal wichtig.
Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk und erteile zu einem Kurzbeitrag dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Anke Spoorendonk hat das Problem eben schon angesprochen: Wir haben in Deutschland, in Europa und auch weltweit Atomkraftwerke. Seit dem Ereignis im Falle des Handelszentrums in New York vom 11. September ist evident, dass eine terroristische Gefährdung von außen nicht mehr jenseits der praktischen Vernunft liegt, obwohl atomrechtlich bisher nicht davon ausgegangen worden ist.
Seit dem erwähnten Ereignis sind diese Gedanken in den Vordergrund gerückt. Im Rahmen einer BKA-Studie ist erstens untersucht worden, ob ein solches Ereignis auch bei uns möglich ist, und zweitens untersucht worden, wie die deutschen
Atomkraftwerke im Blick auf ein solches Ereignis ausgerüstet sind. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein solches Ereignis möglich. Die Kleinen Anfragen, die ich im Laufe der Zeit zu diesem Thema gestellt habe, sind sehr unterschiedlich beantwortet worden.
Direkt nach dem 11. September wurde noch von einer abstrakten Gefahr ausgegangen. Nachdem hier auf dem Kieler Bahnhof Bombenleger festgenommen wurden, hieß es dann, es handele sich um eine nicht konkrete Gefahr. Ich sage dies aus folgendem Grund, Herr Kubicki. Wenn wir diese Debatte führen, müssen wir natürlich auch dieses Risiko, über das sicherlich auch der Innenminister nachgedacht hat, in Betracht ziehen. Ich meine, man sollte das Problem nicht auf der von Ihnen zu Recht kritisierten verfassungsrechtlichen Seite - ich stehe voll hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes lösen. Ich glaube aber, man muss das Problem auf der technischen Seite lösen. Dem enormen Risiko, das droht, muss durch entsprechende Maßnahmen begegnet werden. Dabei denke ich in erster Linie an die Stilllegung und den Rückbau zumindest der fünf am meisten gefährdeten Atomkraftwerke.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die Maßnahmen, die man aufgrund dieser Überlegungen ins Auge gefasst hat, zweierlei beinhalten. Zum einen wird an den Bau von großen Betonstelen gedacht, auf die Flugzeuge vorab aufprallen sollen, ohne das Atomkraftwerk erreichen zu können. Diese Überlegung hat sich nicht durchgesetzt. Der zweite Lösungsansatz ist das Vernebeln von Atomkraftwerken, wodurch erreicht werden soll, dass die Atomkraftwerke außer Sicht des anfliegenden Piloten geraten. Sie können sich angesichts der hier vorherrschenden Windstärken vorstellen, dass auch dies keine Lösung darstellt.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Meiner Meinung nach gehört in diese Debatte zwingend der Gedanke einer konsequenten Politik der Stilllegung zumindest der vom Terrorismus am meisten gefährdeten Atomkraftwerke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Matthiessen, man sollte den Kampf der Grünen gegen Atomkraftwerke nicht mit der Forderung verquicken, dass wir Atomkraftwerke abschalten müssen, weil sie terroristisch bedroht werden könnten, dass Flugzeuge auf Atomkraftwerke fallen könnten.
Mit der gleichen Argumentation versuchen Herr Jung und andere, uns zu erklären, dass Flugzeuge auch auf Hochhäuser fallen und immensen Schaden anrichten könnten, und deshalb müsste das verhindert werden.