Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

Das ist der nächste Punkt. Aber wie auch immer: Einigen Sie sich, bringen Sie Vorschläge ein! Wenn Sie zum Ergebnis kommen, es geht schneller, stellen Sie den Antrag zur Abstimmung und wir werden darüber beraten, wie wir das machen. Aber hören Sie auf damit, jeden Vorschlag dieser Regierung zu negieren!

Ein letzter Punkt, Frau Spoorendonk: Ich habe Ihnen genau zugehört. Sie sagen, die Landesregierung habe ihren Ruhm mit diesem Gesetz nicht „entscheidend“ gemehrt. Da haben Sie recht. „Entscheidend“ vielleicht nicht, aber immerhin gemehrt.

(Beifall bei CDU und SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1617 dem Innenund Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe - Enthaltungen? - Dann ist einstimmig so beschlossen.

Zu Tagesordnungspunkt 21 treffen wir uns um 15 Uhr wieder.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 13:04 bis 15:00 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:

Vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages nach Artikel 13 Absatz 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1638

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk hat das Wort.

(Werner Kalinka)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Schlussbericht der 1988 eingesetzten EnqueteKommission Verfassungs- und Parlamentsreform schrieb die damalige schleswig-holsteinische Landtagspräsidentin Lianne Paulina-Mürl unter der Überschrift „Was bedeutet den Menschen unsere Demokratie?“ unter anderem Folgendes:

„Sie bedeutet: Freiheit zu größtmöglicher politischer und sozialer Selbstverwirklichung, aber auch Mitdenken und Mithandeln bei den Anliegen der Gemeinschaft. Demokratie ist immer auf dem Wege zu sich selbst. Sie ist nicht vollendet, sie muss sich immer wieder den veränderten Umständen anpassen. Demokratie schließt natürlich die Bereitschaft zum Konflikt ein, aber auch die Fähigkeit, den Konflikt durch Regelmechanismen zu lösen.“

Konkret hatte die sogenannte Barschel-Affäre wozu es in diesem Herbst ja eine ganze Reihe von 20-jährigen Jubiläen gab - dazu geführt, dass eine umfassende Verfassungsreform in Angriff genommen wurde. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die neue Landesverfassung in Artikel 10 den Landtag ausdrücklich als oberstes Organ der politischen Willensbildung hervorhebt. Bezogen auf die Demokratiefrage bedeutet dies, dass wir als Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtages den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber in der Pflicht stehen, ihnen das Mitdenken und Mithandeln zu ermöglichen. Sind wir dazu nicht oder nicht mehr in der Lage, weil politischer Streit die Arbeit des Landtages dauerhaft lahmlegt, dann gibt die Landesverfassung die Möglichkeit der vorgezogenen Neuwahlen vor, denn eine weitere strukturelle Konsequenz der Barschel-Affäre ist das Recht des Parlaments, sich selbst aufzulösen.

Dass diese Punkte als Elemente der neuen Landesverfassung 1990 einstimmig vom Landtag beschlossen wurden, sagt zum einen etwas über den Willen zu einem politischen Neuanfang nach der Barschel-Affäre aus. Zum anderen belegt es, wie entscheidend diese Verfassungsreform insgesamt war und heute noch ist, und zwar auch in einem bundesdeutschen Kontext, denn das Grundgesetz sieht vorzeitige Neuwahlen nicht vor. Deutsche Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler müssen im Prinzip regieren, bis es gar nicht mehr weitergeht oder bis die Legislaturperiode vorüber ist. Als einziges Schlupfloch sieht das Grundgesetz vor, dass sie die Vertrauensfrage stellen und der Bundestag ihnen mit absoluter Mehrheit ein Ja verweigert.

In Schleswig-Holstein haben die Landtagsabgeordneten also durch die Verfassungsreform von 1990 die Möglichkeit, den Landtag aufzulösen und innerhalb von 70 Tagen für Neuwahlen zu sorgen. Natürlich darf dieses Instrument nicht missbraucht werden. Damit dies nicht geschieht, hat der Gesetzgeber bekanntlich eine hohe Hürde eingebaut, denn vorgezogene Neuwahlen können vom Parlament nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Es müssen also schwerwiegende Gründe vorliegen, bevor sich das Parlament selbst auflöst. Der SSW ist allerdings der Meinung, dass diese Gründe nunmehr in erheblichem Maße vorliegen. Daher treten wir für die Ausschreibung vorzeitiger Neuwahlen ein.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Kürzlich konnte die Große Koalition in Kiel ihr Bergfest feiern. Die Hälfte der fünfjährigen Wahlperiode ist somit geschafft. Wenn man aber bedenkt, wie wir vom SSW vor zweieinhalb Jahren angegiftet und bedroht wurden, weil wir nicht den Weg für eine Große Koalition frei machen wollten, dann kann man heute nur noch mit dem Kopf schütteln.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir haben damals vor einer Großen Koalition gewarnt, weil wir einen Stillstand für das Land und die Lähmung des Landtages befürchteten. Es kam aber noch schlimmer als gedacht: Öffentliche Streitereien und Zwietracht sind an der Tagesordnung gewesen. Sticheleien von führenden Parteimitgliedern von CDU und SPD gibt es im Wochentakt und letztlich wurde sogar der Landesvorsitzende der SPD dazu gezwungen, aus der Landesregierung auszutreten, um die Große Koalition zu retten.

Das Bild, das die Große Koalition den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, ist trotz eines wirtschaftlichen Aufschwungs im Lande verheerend. Was ist von den Hoffnungen geblieben, dass eine Große Koalition all das schafft, was andere Regierungen nicht zustande gebracht haben? Was ist von der Hoffnung geblieben, dass eine Große Koalition auch die notwendige Stärke für unpopuläre, tief greifende Reformen hat? Nicht viel. Was bleibt, ist die Feststellung, dass die im April 2005 gebildete Große Koalition aus CDU und SPD die Lösung zentraler politischer Probleme nicht vorangebracht hat.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Auch die politische Kultur des Landtages hat durch die Große Koalition gelitten. Mehr denn je werden politische Entscheidungen heute in inoffiziellen Gremien hinter verschlossenen Türen getroffen. Das jüngste Beispiel einer ganzen Reihe von Vorfällen ist das Zustandekommen - beziehungsweise das Nichtzustandekommen - des neuen Anti-Rauchergesetzes. Die Sitzung des Sozialausschusses wurde abgesagt. Die Beratung des Gesetzentwurfs wurde auf November verschoben. Durch die mangelnde Transparenz, durch die Fixierung auf das Regierungshandeln und durch unfruchtbare Kontroversen trägt die Große Koalition zur Politikerverdrossenheit bei.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Deshalb sind wir der Meinung, dass es in Schleswig-Holstein so wie bisher nicht weitergehen kann. Das soll heißen: Aus Sicht des SSW ist eine vorzeitige Landtagswahl unbedingt notwendig, weil die Große Koalition bis 2010 in vielen Feldern nur den Stillstand verwalten und in anderen Bereichen noch viel Unheil anrichten wird. Zur Mitte der 16. Wahlperiode des Landtages wird immer deutlicher, dass die begrenzten Gemeinsamkeiten der Großen Koalition verbraucht sind. Man könnte auch sagen, dass die politische Basis für dieses Bündnis zerbröckelt ist. Nach dem Hickhack der letzten zwei Jahre haben die beiden letzten großen Projekte dieser Koalition - die Verwaltungsstrukturreform und der Doppelhaushalt 2009/2010 - keine realistische Chance auf Erfolg. Es ist möglich, dass CDU und SPD es noch schaffen, sich auf eine kleine Kreisgebietsreform zu einigen. Dadurch werden die entscheidenden Probleme der Verwaltungsstrukturen in Schleswig-Holstein aber nicht gelöst.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es wird keine Reform der über 1.100 Gemeinden geben und es wird keine nennenswerte Funktionalreform geben, obwohl gerade eine neue Arbeitsteilung zwischen Land, Kreisen und Gemeinden die dringendste Reformaufgabe ist. Die Konsequenz aus diesem Versagen wäre für Schleswig-Holstein fatal, weil mit einer halbherzigen Reform in den nächsten Wahlperioden der Anreiz für eine wirkliche Verwaltungsstrukturreform entfiele. Die erste wirkliche Kommunalreform seit über 30 Jahren würde damit ein Flop. Deshalb sollte die Große Koalition diese Reform einer Nachfolgeregierung überlassen. Auch für die Haushaltsverhandlungen ist jetzt schon abzusehen, dass die beiden Partner sich gegenseitig blockieren werden. Weil die Gemeinsamkeiten nicht viel weiter reichen, werden

die unterschiedlichen Interessen der Koalitionspartner sich gegenseitig aufheben. Auch dies spricht für eine vorgezogene Landtagswahl.

Zu diesen Gründen kommt hinzu, dass das öffentliche Ansehen der Landesregierung und des Landtages massiv leidet. Trotz aller Besserungsversprechen hagelt es zwischen den Regierungsparteien immer wieder Beschimpfungen, Drohungen und Rücktrittsforderungen. Diesen endlosen Scheidungskrieg kann die Große Koalition den Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern nicht noch weitere zweieinhalb Jahre zumuten.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Trotz zahlreicher Therapieversuche hat sich die zerrüttete Beziehung nicht kitten lassen. Daran ändert auch die Versetzung Ralf Stegners nichts. Deshalb wäre es für alle das Beste, wenn die Fraktionen von CDU und SPD sich endlich ein Herz nähmen und dieses Drama beendeten.

Um einen mehrjährigen Stillstand in der Landespolitik zu vermeiden, muss die CDU/SPD-Mehrheit im Schleswig-Holsteinischen Landtag die Konsequenz aus den fehlenden Gemeinsamkeiten ziehen und eine vorzeitige Landtagswahl anstreben. Nur sie kann verhindern, dass sich die Große Koalition zweieinhalb Jahre weiter durchwurstelt und einer zukunftsorientierten Politik den Weg verbaut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich in diesem Zusammenhang aber auch noch einmal klar und deutlich hervorheben. Keinem fällt es leicht, die Auflösung eines demokratisch gewählten Parlamentes vor der Zeit zu beantragen. Dies machen wir nicht eben einmal nebenbei oder aus Jux und Tollerei, wobei ja auch nicht ausgemacht ist, dass die Opposition von einer Neuwahl profitieren würde. Umfragen sind vergänglich und ändern sich so, wie der Wind weht. Daher sage ich für den SSW: Im Vordergrund der Landespolitik dürfen nicht das Bangen um das eigene Mandat, das Bangen um die Große Koalition auf Bundesebene oder um die anstehenden Landtagswahlen stehen. Unsere Richtschnur muss das Wohl des Landes und seiner Menschen sein und ihnen ist am besten mit Neuwahlen gedient.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für uns steht fest, dass erst dann, wenn die Wählerinnen und Wähler unseres Landes ihr Votum abgegeben haben, die Karten neu gemischt werden können. Nur so wird die Landespolitik wieder transparent und nachvollziehbar. Dass der SSW nach einer

(Anke Spoorendonk)

Landtagswahl auch seine Stimmen in die Waagschale der politischen Entscheidungsfindung werfen wird, füge ich in diesem Zusammenhang nur am Rande hinzu. Dies zu tun ist sowohl unser Recht wie auch unsere demokratische Pflicht.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich deren Vorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird den Antrag, den Schleswig-Holsteinischen Landtag aufzulösen, ablehnen. Frau Kollegin Spoorendonk, durch Ihre Rede gerade eben ist es uns nicht schwerer, sondern leichter gemacht worden, zu dieser Entscheidung zu kommen. Wenn man hier über Einigkeit im Parlament miteinander redet, ist zu sagen, dass wir alle zwar die formale Einigkeit der Oppositionsfraktionen zur Kenntnis genommen haben, diesen Antrag zu stellen; inhaltlich trennen Sie aber Lichtjahre.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich kann mich hier auf alle Themen beziehen, die Sie eben gerade angesprochen haben. Was die Kommunalreform oder die Kreisgebietsreform angeht, so wollen die Grünen - wenn das nach dem jüngsten Parteitag noch gilt; ich habe das noch nicht ganz verstanden - vier Kreise, während die FDP gegen das Votum ihres Fraktionsvorsitzenden, wie man einräumen muss, Fundamentalopposition betreibt. In der Bildungspolitik gibt es auf der einen Seite die Forderung der Grünen generell nach der Gemeinschaftsschule. Nach der Forderung des bildungspolitischen Sprechers der FDP soll hingegen alles so wie jetzt bleiben. Es soll also beim dreigliedrigen Schulsystem bleiben, es soll sich gar nichts ändern. Das Nichtraucherschutzgesetz könnten wir gern auch noch als Beispiel anführen. Wir werden dieses Gesetz in der nächsten Sitzung sicherlich verabschieden. Sie brauchen diesbezüglich gar keine Sorge zu haben. Die FDP hat in diesem Zusammenhang einen ganz anderen Antrag gestellt, verglichen mit dem, was die Grünen wollen. Der SSW schwankt bei diesem Thema immer hin und her.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ihr wollt nicht re- gieren!)

- Herr Kollege Kubicki, ich nehme gern zu Protokoll, dass Sie nicht regieren wollen. Das stellt für die Zukunft einiges klar.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und SPD)

Wenn es im Parlament gesagt wird, wird es auch gehört.

Ich sage hier nur eines: Die Glaubwürdigkeit und die politische Durchschlagskraft eines gemeinsamen Antrages werden nicht größer, wenn in der Sache deutlich wird, dass die Einigkeit der Oppositionsfraktionen überhaupt nicht gegeben ist. Dort herrscht vielmehr große Uneinigkeit. Die Einigkeit in der Großen Koalition, in der es sicherlich Streit gegeben hat, reicht lange aus, um in dieser Legislaturperiode in Ruhe weiter zu regieren.

(Beifall bei CDU und SPD - Günther Hilde- brand [FDP]: Das ist richtig: in aller Ruhe!)

Die von CDU und SPD getragene Landesregierung hat eine demokratische Legitimation, die in diesem Hause breiter nicht sein könnte. Sie hat darüber hinaus nach meiner Auffassung die politische Verpflichtung, die Arbeit während der gesamten Wahlperiode fortzuführen. Die Bürger unseres Landes, die Wähler, man könnte auch sagen: Die Steuerzahler haben einen Anspruch darauf, dass die gewählten Volksvertreter, die ja in ihren Versprechungen vor der Wahl wenig bescheiden auftreten, mit dem Mandat verantwortungsvoll umgehen. Das findet Frau Kollegin Spoorendonk hat das gesagt - in der Verfassung seinen Ausdruck.

Will man nämlich nicht den politisch sehr zweifelhaften und verfassungsrechtlich bedenklichen Weg einer formal gescheiterten Vertrauensfrage gehen, dann bleibt die hohe Hürde einer Zweidrittelmehrheit für den hier vorliegenden Antrag. Das hat seinen guten Grund. Den Müttern und Vätern unserer Verfassung lag ein beständiger Parlamentarismus am Herzen. Die Irrungen und Wirrungen der Weimarer Kurzzeitparlamente standen ihnen auch in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch warnend vor Augen, Frau Kollegin Spoorendonk. Hören wir nicht allenthalben die Klagen der Bürger, die schon wieder zur Urne gerufen werden? Wer dies zu oft und ohne gute Gründe tut, der macht die Wahlurnen ungewollt zu den Urnen des demokratischen Parlamentarismus.